Nachfolgend ein Beitrag vom 15.8.2017 von Korff, jurisPR-BKR 8/2017 Anm. 4

Leitsatz

Bei Widerruf eines einvernehmlich vorzeitig abgewickelten Darlehensvertrages besteht nur ein Anspruch des Darlehensnehmers auf Herausgabe von Nutzungen, die der Darlehensgeber aus gezahlten Zinsen oder einer Vorfälligkeitsentschädigung gezogen hat, weil im Falle der einvernehmlichen vorzeitigen Vertragsbeendigung nach dem Willen der Parteien eine endgültige Rückführung des Darlehens gewollt ist, die die Folgen eines Widerrufs zumindest partiell vorwegnimmt.

A. Problemstellung

Im vorliegenden Fall hatte das OLG Stuttgart wieder einmal über den Widerruf eines Immobiliardarlehensvertrags zu urteilen. Dieser Darlehensvertrag war zwischen den Parteien im Jahr 2004 geschlossen worden und wurde bereits 2008 durch eine Aufhebungsvereinbarung wieder aufgelöst. Die Darlehensnehmer widerriefen erst mehr als sieben Jahre später ihre Willenserklärungen zum Darlehensvertrag. Das OLG Stuttgart hatte nun zu entscheiden, ob der Widerruf zu Recht erfolgte. Es setzt sich besonders mit den Umständen der Rückführung auseinander und greift damit die Forderung des BGH auf, der in einigen früheren Entscheidungen eine nicht ausreichende Würdigung dieser Umstände bemängelt hatte. Von Seiten der Kreditinstitute war angesichts der Aufhebungsvereinbarung insbesondere das Rechtsinstrument der Verwirkung geltend gemacht worden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Zur Finanzierung zweier Eigentumswohnungen schlossen die Kläger mit der Beklagten unter dem 06./12.10.2004 einen Darlehensvertrag über einen Nettobetrag von 146.750 Euro mit einem Nominalzins von 5,49%. Die Kläger wandten sich im Jahr 2007 an die Beklagte, weil sie die Eigentumswohnungen verkaufen wollten. In diesem Zusammenhang schlossen die Parteien am 19.11.2007 eine Zusatzvereinbarung zu dem Darlehensvertrag, nach der die Kläger das Darlehen weiter in Anspruch nehmen und als neue Sicherheit eine Grundschuld an einem noch zu erwerbenden Grundstück bestellen sollten. Nach dem Verkauf der Eigentumswohnungen teilten die Kläger mit E-Mail vom 03.01.2008 der Beklagten ihren Wunsch mit, das Darlehen nunmehr doch vorzeitig abzulösen, und baten um einen Aufhebungsvertrag. Mit Schreiben vom 03.01.2008 rechnete die Beklagte das Darlehen ab, wobei sie den Klägern ein Aufhebungsentgelt i.H.v. 7.043,04 Euro in Rechnung stellte, das von den Klägern bezahlt wurde. Am 28.12.2015 ließen die Kläger den Widerruf des Darlehensvertrages erklären.
Mit der Klage machen sie geltend, der Vertrag sei wegen einer nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung noch im Jahr 2015 widerruflich gewesen. Die Verrechnung der wechselseitigen Ansprüche ergebe einen Saldo zu ihren Gunsten. Dies beruhe darauf, dass die Beklagte als Wertersatz nur die auf Basis der Bundesbankstatistik bei Vertragsschluss marktübliche Verzinsung der Valuta mit 4,77% beanspruchen könne und die Beklagte die Nutzungen herauszugeben habe, die sie aus den Zins- und Tilgungsleistungen gezogen habe. Der Wert der Nutzungen entspreche einer Verzinsung mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz.
Ihre anfänglich erhobene Klage auf Feststellung, dass sich der Darlehensvertrag in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat, haben die Kläger geändert. Sie verlangen nun den zu ihren Gunsten errechneten Saldo aus dem Rückabwicklungsschuldverhältnis i.H.v. 93.125,62 Euro nebst Prozesszinsen. Die Beklagte meint, die Widerrufsbelehrung sei ordnungsgemäß und sei zudem gemäß § 14 BGB-InfoV als gesetzeskonform zu behandeln. Einem Widerruf stehe die getroffene Aufhebungsvereinbarung entgegen. Im Übrigen verstoße die Ausübung des Widerrufsrechts gegen Treu und Glauben und erfülle insbesondere den Tatbestand der Verwirkung. Der im Vertrag vereinbarte Zinssatz habe dem Marktüblichen entsprochen. Ein Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzungen stehe den Klägern nicht zu, jedenfalls nicht in der geltend gemachten Höhe.
Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Infolge des Widerrufs sei die Beklagte verpflichtet, den Klägern 50.824,71 Euro nebst Prozesszinsen zu erstatten. Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten, die weiterhin die Abweisung der Klage anstrebt. Auch die Kläger haben Berufung eingelegt mit der Begründung, das Landgericht habe die von der Beklagten gezogenen Nutzungen falsch bemessen.
Die zulässige Berufung der Beklagten war hinsichtlich der Höhe des Zahlungsanspruchs vor dem OLG Stuttgart teilweise erfolgreich. Das Oberlandesgericht hat den Klägern einen Zahlungsanspruch lediglich in Höhe von insgesamt 16.036,16 Euro zugesprochen. Die Berufung der Kläger gegen die teilweise Abweisung ihrer Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist der Widerruf zu Recht erfolgt. Insbesondere war das Widerrufsrecht weder verwirkt, noch wurde es rechtsmissbräuchlich ausgeübt.

C. Kontext der Entscheidung

Die vorliegende Entscheidung des OLG Stuttgart befasst sich wieder einmal nahezu lehrbuchartig mit den Voraussetzungen der Annahme einer Verwirkung des Widerrufsrechts bei bereits beendeten Darlehensverträgen. Im Ergebnis wurde die Verwirkung ausgeschlossen. Das Urteil ist deswegen von großer Bedeutung, weil sich die Entscheidungsgründe sehr gut dazu eignen, sich auf den aktuellen Stand der Rechtsprechung des BGH zu den Themen Verwirkung und Rechtsmissbrauch beim Widerrufsrecht von Darlehensverträgen bringen zu lassen.
Zunächst gilt, dass die einvernehmliche Beendigung des Darlehensvertrages nicht die Ausübung des Widerrufsrechts beeinträchtigt (BGH, Urt. v. 11.10.2016 – XI ZR 482/15 Rn. 28; BGH, Urt. v. 24.11.2009 – XI ZR 260/08; BGH, Urt. v. 07.05.2014 – IV ZR 76/11; BGH, Urt. v. 29.07.2015 – IV ZR 384/14 Rn. 30). Auch liegt kein rechtsmissbräuchliches Verhalten darin, dass der Widerruf erst sieben Jahre nach Vertragsende erklärt worden ist. Die Ausübung des Widerrufrechts obliegt dem freien Willen des Darlehensnehmers (BGH, Urt. v. 12.07.2016 – XI ZR 501/15 Rn. 23). Auch spielt es keine Rolle und ist schlicht unbeachtlich, in welchem Maße die Widerrufsbelehrung nicht den an sie gestellten Anforderungen entspricht, oder ob der Fehler kausal für die bisherige Nichterklärung des Widerrufs war (BGH, Urt. v. 21.02.2017 – XI ZR 381/16 Rn. 18; BGH, Urt. v. 23.06.2009 – XI ZR 156/08; BGH, Urt. v. 12.07.2016 – XI ZR 564/15; BGH, Urt. v. 11.10.2016 – XI ZR 482/15). Entscheidender Maßstab ist immer nur, ob die vorliegende Widerrufsbelehrung geeignet sein kann, irgendeinen Darlehensnehmer daran zu hindern, das Widerrufsrecht auszuüben. Es geht nicht um die Schutzwürdigkeit des Verbrauchers im Einzelfall (BGH, Urt. v. 23.06.2009 – XI ZR 156/08 und BGH, Urt. v. 21.02.2017 – XI ZR 381/16). Es kommt auch nicht darauf an, ob der Widerruf bei ordnungsgemäßer Belehrung nicht rechtzeitig ausgesprochen worden wäre; selbst wenn dies feststeht, besteht das Widerrufsrecht weiter fort, weil ansonsten das Ziel und die Intention des Gesetzes unterlaufen würde, den Unternehmer zu einer ordnungsgemäßen Belehrung über das Widerrufsrecht anzuhalten (BGH, Urt. v. 13.01.1983 – III ZR 30/82).
Auch die immer wieder von den Kreditinstituten bemühte Argumentation, dass die Bank ein schutzwürdiges Vertrauen aufgrund eines bis dato vertragstreuen Verhaltens des Darlehensnehmers gebildet habe, wird abgelehnt (BGH, Urt. v. 12.07.2016 – XI ZR 564/15 Rn. 39-41). In aller Regel wird auch kein schutzwürdiges Vertrauen des Kreditinstitutes dadurch gebildet, dass der Darlehensnehmer selber den Wunsch zur Rückführung an die Bank heranträgt. Hieraus lässt sich nicht ableiten, dass der Darlehensnehmer das Widerrufsrecht bewusst nicht ausübe. Das OLG Stuttgart leitet aus der Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung sogar das Gegenteil ab, nämlich, dass die Bereitschaft der Darlehensnehmer, den Kredit gegen ein Aufhebungsentgelt vorzeitig zurückzuzahlen, Ausdruck der Vorstellung ist, an den Vertrag unwiderruflich gebunden zu sein. Das Verhalten der Darlehensnehmer war demnach hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit eines späteren Widerrufs neutral, und die Bank konnte sich dadurch nicht in der Annahme bestärkt sehen, ein Widerruf werde nicht mehr erklärt.
Allerdings macht das OLG Stuttgart deutlich, dass dem Anspruch der Kläger auf Erstattung der bis zur vorzeitigen Beendigung des Vertrages geleisteten Zinsen (§ 346 Abs. 1 BGB) ebenfalls eine Gegenforderung der Beklagten in gleicher Höhe gegenüber steht. Denn die Beklagte kann infolge des Widerrufs die Herausgabe von Wertersatz für die Gebrauchsvorteile am jeweils tatsächlich noch überlassenen Teil der Darlehensvaluta verlangen (BGH, Urt. v. 22.09.2015 – XI ZR 116/15; BGH, Urt. v. 12.01.2016 – XI ZR 366/15). Bei dem Aufhebungsentgelt, das die Kläger gezahlt haben, handelt es sich um eine in Erfüllung des Darlehensvertrages erbrachte Leistung (BGH, Urt. v. 11.10.2016 – XI ZR 482/15 Rn. 32). Die Kläger können deshalb die Erstattung von 7.043,04 Euro verlangen, ohne dass insoweit eine aufrechenbare Gegenforderung der Beklagten besteht. Neben der Vorfälligkeitsentschädigung steht den Klägern ein Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzungen (§ 346 Abs. 1 BGB) zu. Wie das erstinstanzlich mit der Angelegenheit befasste Landgericht zutreffend festgestellt hat, hat die Beklagte auf Basis der geltenden tatsächlichen Vermutung Nutzungen aus Zins- und Tilgungsleistungen i.H.v. 43.781,67 Euro gezogen. Da sich die Parteien auf die vorzeitige Rückzahlung des Darlehens verständigt haben, können die Kläger allerdings nur Herausgabe der Nutzungen verlangen, die die Beklagte aus den von den Klägern gezahlten Zinsen und dem Aufhebungsentgelt gezogen hat. Der Anspruch besteht deshalb lediglich i.H.v. 8.993,12 Euro.
Der BGH hat bislang nicht entschieden, ob dies auch dann gilt, wenn die Parteien übereingekommen sind, den Darlehensvertrag vorzeitig zu beenden. Das OLG Stuttgart entscheidet diese Frage in der vorliegenden Entscheidung dahin, dass im Falle der einvernehmlichen vorzeitigen Vertragsbeendigung nach dem Willen der Parteien eine endgültige Rückführung des Darlehens gewollt ist, die die Folgen eines Widerrufs zumindest partiell vorwegnimmt. Die Einigkeit, dass das Darlehen als zurückgeführt behandelt werden soll, schließt es auch im Falle eines späteren Widerrufs aus, die zur Tilgung erbrachten Leistungen und daraus gezogene Nutzungen nicht dem Vermögen des Darlehensgebers zuzuordnen. Insofern ist die Rückabwicklung bereits einvernehmlich vollzogen, sodass kein Raum mehr für eine Nutzungsherausgabe nach § 346 Abs. 1 BGB besteht. Danach besteht bei Widerruf eines einvernehmlich vorzeitig abgewickelten Darlehensvertrages nur ein Anspruch des Darlehensnehmers auf Herausgabe von Nutzungen, die der Darlehensgeber aus gezahlten Zinsen oder einer Vorfälligkeitsentschädigung gezogen hat.

D. Auswirkungen für die Praxis

Bei den Auswirkungen für die Praxis ist zunächst von großer Bedeutung, dass das OLG Stuttgart konsequent und richtig die Entscheidungen des BGH in Bezug auf Verwirkung und Rechtsmissbräuchlichkeit umsetzt. Längst nicht alle Obergerichte in Deutschland haben die Entscheidungen des BGH so aufgegriffen und im Sinne einer verbraucherschutzrechtlich richtig verstandenen Würdigung umgesetzt. Aus diesem Grunde ist das OLG Stuttgart „ein gutes Pflaster“ für Verbraucher. Viele andere Gerichte sind zudem zurückhaltend, die Revision zuzulassen, wenn Fragen zu entscheiden sind, die vom BGH so noch nicht entschieden worden sind. Das OLG Stuttgart ist auch in dieser Hinsicht vorbildlich, so dass viele relevante Entscheidungen des BGH nur durch die Stuttgarter Richter ermöglicht worden sind.
Der zweite große und bedeutende Aspekt der vorliegenden Entscheidung ist der Nutzungsersatzanspruch des Darlehensnehmers im Falle eines bereits abgewickelten Darlehensvertrages. Auch hier ist die Position des OLG Stuttgart nachvollziehbar und begründet. Damit ist ein gerechter Interessenausgleich zwischen Darlehensnehmer und Darlehensgeber herbeigeführt, der gut vertretbar erscheint.