Nachfolgend ein Beitrag vom 25.4.2017 von Hippeli, jurisPR-HaGesR 4/2017 Anm. 6
Orientierungssatz zur Anmerkung
§ 16 Abs. 1 GmbHG in der am 01.11.2008 in Kraft getretenen Fassung ist ohne Ausnahme seit eben diesem Tag anwendbar.
A. Problemstellung
Bekanntermaßen trat das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) am 01.11.2008 in Kraft. Das MoMiG führte u.a. dazu, dass § 16 Abs. 1 GmbHG neu gefasst wurde. Vorher lautete die Norm wie folgt:
„Der Gesellschaft gegenüber gilt im Fall der Veräußerung des Geschäftsanteils nur derjenige als Erwerber, dessen Erwerb unter Nachweis des Übergangs bei der Gesellschaft angemeldet ist“.
Seither lautet § 16 Abs. 1 GmbHG wie folgt:
„Im Verhältnis zur Gesellschaft gilt im Fall einer Veränderung in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung als Inhaber eines Geschäftsanteils nur, wer als solcher in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste (§ 40) eingetragen ist. Eine vom Erwerber in Bezug auf das Gesellschaftsverhältnis vorgenommene Rechtshandlung gilt als von Anfang an wirksam, wenn die Liste unverzüglich nach Vornahme der Rechtshandlung in das Handelsregister aufgenommen wird.“
Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass es für den Neugesellschafter vor dem 01.11.2008 auf eine rein interne Anmeldung bei der GmbH ankam, danach auf eine Eintragung in die beim Handelsregister liegende Gesellschafterliste.
Das OLG Dresden musste nun entscheiden, ob für Veränderungen im Gesellschafterbestand einer GmbH, die vor dem 01.11.2008 eingetreten waren, aber hierzu dem Registergericht erst später eine aktualisierte Gesellschafterliste eingereicht wurde, die alte oder die neue Fassung von § 16 Abs. 1 GmbHG gilt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Im Fall ging es um eine im Jahr 1994 errichtete GmbH, bei der zuletzt 1998 durch den GmbH-Geschäftsführer eine aktuelle Gesellschafterliste an das Registergericht zur Aufnahme in das Handelsregister eingereicht wurde.
Vor Inkrafttreten des MoMiG gab es erneut Veränderungen im Gesellschafterbestand. Diese Veränderungen wurden zwar i.S.d. § 16 Abs. 1 GmbHG a.F. an die GmbH gemeldet, nicht aber seitens des GmbH-Geschäftsführers an das Registergericht in Form einer erneut aktualisierten Gesellschafterliste übermittelt. Eine aktuelle Gesellschafterliste übermittelten Notar/GmbH-Geschäftsführer an das Registergericht erst im Januar 2016 anlässlich der Anmeldung einiger Satzungsänderungen zur Eintragung in das Handelsregister.
Bei gleichzeitiger Aufnahme der neuen Gesellschafterliste in den Registerordner wies das Registergericht die Anmeldung der Satzungsänderungen mit der Begründung zurück, § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG n.F. gelte auch für die Veränderungen im Gesellschafterbestand aus der Zeit vor dem 01.11.2008. Bei der Beschlussfassung über die Satzungsänderungen hätten dementsprechend solche Gesellschafter mitgewirkt, die keine Gesellschafterrechte gegenüber der GmbH geltend machen konnten. Der vom Notar für die GmbH eingelegten Beschwerde wurde nicht abgeholfen.
Das OLG Dresden hat die Beschwerde für begründet erachtet, denn das Registergericht habe die Anmeldung zum Handelsregister zu Unrecht zurückgewiesen. Schließlich sei die Beschlussfassung der Satzungsänderungen ordnungsgemäß erfolgt, alle hieran mitwirkenden Gesellschafter seien entsprechend legitimiert gewesen. Jedenfalls gelte im vorliegenden Fall nicht § 16 Abs. 1 GmbHG n.F., sondern in umfassender Hinsicht § 16 Abs. 1 GmbHG a.F.
Sofern Veränderungen im Gesellschafterbestand vor dem 01.11.2008 eingetreten und vor dieser Zeit die gesetzlichen Erfordernisse eingehalten worden seien (Anmeldung bei der GmbH), könne – auch mangels der Geltung einer Übergangsvorschrift – kein Raum sein für die Anwendung erst hiernach in Kraft getretener gesetzlicher Erfordernisse im Hinblick auf solche Alttatbestände. Demzufolge konnten die neuen Gesellschafter (aus dem Zwischenzeitraum 1998 bis 31.10.2008) ihre Gesellschafterrechte ohne Eintragung in die Gesellschafterliste auf Basis von § 16 Abs. 1 GmbHG a.F. gegenüber der GmbH geltend machen.
Die Auslegungstechnik ergebe zunächst, dass der Wortlaut des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG n.F. nicht eindeutig klar mache, ob eine Rückwirkung der relativen Gesellschafterstellung für die vor dem 01.11.2008 verwirklichten Alttatbestände bezweckt war oder nicht. Die Entstehungsgeschichte spreche jedenfalls dagegen. Nicht nur, dass eine Übergangsregelung offenbar bewusst fehle und damit Alttatbestände jedenfalls automatisch außen vor bleiben müssten. Sondern es streite auch die zeitgleich in Kraft getretene Komplementärbestimmung § 40 GmbHG n.F, bei der ebenfalls eine Übergangsregelung fehle, für das selbe Ergebnis. Denn die dort geschaffenen Notarpflichten des § 40 Abs. 2 Satz 1 GmbHG n.F. würden anerkanntermaßen auch keine rückwirkende Anwendung finden. Letzten Endes müsse der verfassungskonformen Auslegung der Vorzug gegeben werden, so dass eine Rückwirkung auf Alttatbestände jedenfalls ausscheide (Verbot der echten Rückwirkung von Gesetzen).
C. Kontext der Entscheidung
Eine in sich äußerst logische Begründung, die das OLG Dresden entäußert hat. Neugesellschafter, die vor dem Stichtag 01.11.2008 in eine GmbH eingetreten sind und bezüglich derer die damals konstitutiven Regelungen zur Geltendmachung ihrer Gesellschafterrechte eingehalten wurden (rein interne Verzeichnung der angemeldeten Gesellschafter), können nicht nach später neu in Kraft getretenen Regelungen behandelt werden, die sie mit deutlichen Nachteilen belegen würden (nur noch relative Gesellschafterstellung, wenn sie nicht in der aktuellen Gesellschafterliste stehen). In der Tat würde dies ansonsten eine echte Rückwirkung eines Gesetzes bedeuten, da der vor dem 01.11.2008 maßgebliche Sachverhalt abgeschlossen war. Sofern man dementgegen darauf abstellen wollte, dass aber seinerzeit die Gesellschafterliste noch nicht aktualisiert wurde, so ist herauszustreichen, dass dieser seinerzeit rein deklaratorisch wirkende Umstand für die Beurteilung als abgeschlossener Sachverhalt ohne Bedeutung ist.
Der vorliegende Fall wurde in der Literatur schon länger antizipiert, spätestens seit eine landgerichtliche Entscheidung den Finger in die Wunde gelegt hatte (LG München I, Beschl. v. 24.09.2009 – 17 HK T 15914/09 – NZG 2010, 394). Das LG München I hatte entschieden, dass dann, wenn sich aus dem Inhalt der (alten) vor Inkrafttreten des MoMiG eingereichten Gesellschafterliste und der Anmeldung oder dem der Anmeldung zugrunde liegenden Beschluss ein Widerspruch ergibt, weil der Beschlussfassende nicht in dieser alten Gesellschafterliste als Gesellschafter ausgewiesen ist, alleine eine Beurteilung des Gesellschafterwechsels nach materiellen Maßstäben geboten ist. Demzufolge sollte es auf die formellen Umstände des Paradigmenwechsels von § 16 Abs. 1 GmbHG a.F. zu § 16 Abs. 1 GmbHG n.F. gar nicht mehr ankommen. Auch das LG München I sprach davon, dass ansonsten ggf. eine unzulässige echte Rückwirkung von Gesetzen drohe. Außerdem könne im Falle der Anwendung von § 16 Abs. 1 GmbHG n.F. auf Alttatbestände eine immense Rechtsunsicherheit bewirkt werden, da eine Vielzahl von Gesellschafterlisten nicht aktualisiert worden sei.
Die herrschende Auffassung der Literatur folgte dieser Sichtweise des LG München I, welche nun auch das OLG Dresden einnimmt, allerdings nicht (vgl. statt vieler Seibt in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rn. 108; Heidinger in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 3. Aufl. 2013, § 8 Rn. 230 ff.; Saenger/Sandhaus, DNotZ 2012, 346, 352 ff.; a.A. aber etwa Fastrich in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 17. Aufl. 2017, § 16 Rn. 13; Wicke in: Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 16 Rn. 2). Insbesondere ging es diesen Literaturstimmen darum, dass ab dem Stichtag 01.11.2008 ein vollständiger Systemwechsel erreicht werden sollte; die nur angemeldeten, aber noch nicht in die Gesellschafterliste eingetragenen Neugesellschafter sollten durch die zügige Neueinreichung von aktualisierten Gesellschafterlisten geschützt werden (vgl. zu den Argumentationslinien im Überblick Fell, Die GmbH-Gesellschafterliste im Spannungsfeld von Geheimhaltungs- und Veröffentlichungsinteressen, 2017, S. 284).
Insgesamt zeigt sich, dass die Gesellschafterliste in zahlreichen Details umstritten ist. Erst kürzlich hatte das OLG Naumburg entschieden, dass der Erbe eines GmbH-Gesellschafters keine Gesellschafterrechte gegenüber der GmbH geltend machen kann, sofern er noch nicht in die Gesellschafterliste der GmbH eingetragen wurde (vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 01.09.2016 – 2 U 95/15 – ZIP 2016, 2217 mit Anm. Hippeli, jurisPR-HaGesR 12/2016 Anm. 4). Bei Lichte betrachtet widersprechen sich das OLG Naumburg und das OLG Dresden teilweise. Denn während das OLG Naumburg für die absolute Geltung der Eintragung in die Gesellschafterliste im Hinblick auf die Geltendmachung von Gesellschafterrechten gegenüber der GmbH eintritt, weicht das OLG Dresden diese Absolutheit (allerdings in zeitlicher Hinsicht) wieder etwas auf, indem es die Alttatbestände nicht § 16 Abs. 1 GmbHG n.F. unterstellen will.
D. Auswirkungen für die Praxis
Auswirkungen für die Praxis sind durchaus vorhanden. Wie das OLG Dresden selbst betont, liegt nunmehr die erste obergerichtliche Entscheidung zu den genannten Altfällen vor. Dabei stemmt sich das OLG Dresden gegen die herrschende Auffassung in der Literatur, so dass für die Beratungspraxis nunmehr ein halbwegs valides Fundament für die Beratung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung und deren Gesellschaftern bei maßgeblichen Fällen besteht, was ausdrücklich zu begrüßen ist. Zuvor bestand schließlich eine erhebliche Rechtsunsicherheit, zumal die Ausführungen der bislang einzigen gerichtlichen Entscheidung in dieser Sache die eines Landgerichts und ehedem sehr knapp gehalten waren.