Nachfolgend ein beitrag vom 2.6.2017 von Lach, jurisPR-ITR 11/2017 Anm. 3
Orientierungssätze zur Anmerkung
1. In Bezug auf versiegelte Produkte, die unmittelbar mit Körperstellen in Berührung kommen, welche dazu prädestiniert sind, Krankheitserreger zu übertragen (z.B. Schleimhäute, Körperöffnungen), ist das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB ausgeschlossen.
2. Der Ausschluss des Widerrufsrechts kann an die Entsiegelung der äußeren Verpackung geknüpft werden, wenn keine die Hygiene sicherstellende innere Verpackung vorhanden ist.
A. Problemstellung
Scheidet bei der Lieferung von Erotikartikeln (Vibratoren, Penisringe, Liebeskugeln, Dildos) im Onlinehandel ein Widerrufsrecht gemäß § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB bei Entfernung des Siegels aus? Handelt ein Onlinehändler unlauter, wenn er die äußere und nicht die innere Verpackung der vorgenannten Produkte mit einem Siegel versieht?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin nahm die Beklagte, eine Konkurrentin auf dem Gebiet des Online-Erotikhandels, vor dem LG Bochum – KfH – u.a. auf Unterlassung in Anspruch. Damit wandte sie sich gegen die Praxis der Beklagten, die die äußeren Verpackungen von versandten Erotikartikeln (Vibratoren, Penisringe, Liebeskugeln, Dildos) mit einem Siegel versah, welches den Aufdruck „Hygienesiegel kein Umtausch bei beschädigtem oder entferntem Siegel“ enthielt und auf ihrer Internetseite mitteilte, dass das Widerrufsrecht nicht bei Fernabsatzverträgen zur Lieferung versiegelter Waren gelte, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet seien, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt werde.
Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass der Hinweis in der Widerrufsbelehrung der Beklagten fehlerhaft sei. Bei den oben genannten Produkten handele es sich nicht um Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt werde. Es bestehe daher ein Widerrufsrecht. Dadurch, dass auf der äußeren Verpackung ein Hygienesiegel aufgebracht sei, werde das Widerrufsrecht der Verbraucher erheblich beeinträchtigt. Die Möglichkeit, das Produkt wie in einem Ladengeschäft zu überprüfen, werde dadurch erschwert.
Das LG Bochum hatte die Klage hinsichtlich der Unterlassungsansprüche abgewiesen. Das OLG Hamm hat die hiergegen gerichtete Berufung mit der vorliegenden Entscheidung zurückgewiesen.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts besteht der insoweit geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht. Die Beklagte habe nicht unlauter gehandelt. Die Belehrung über den Ausschluss des Widerrufsrechts sei zutreffend. Nach § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB bestehe bei den vorgenannten Erotikartikeln nach Entfernung eines angebrachten Siegels kein Widerrufsrecht, soweit nichts anderes vereinbart sei. Waren seien zur Rückgabe nicht geeignet, wenn die abstrakte Gefahr bestehe, dass sie aufgrund nicht fachgerechter Lagerung oder Behandlung durch den Verbraucher an Sicherheit eingebüßt haben und daher nicht mehr an andere Verbraucher abgegeben werden können bzw. dürfen. Der Kreis der Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht rückgabefähig sind, sei eher weit zu ziehen. Eine hohe Gesundheitsgefahr bestehe bei Produkten, die unmittelbar mit Körperstellen in Berührung kommen, welche prädestiniert sind, Krankheitserreger zu übertragen (z.B. Schleimhäute, Körperöffnungen). Dies sei bei den streitgegenständlichen Produkten der Fall, da sie zur Anwendung am bzw. im menschlichen Körper bestimmt seien. Aus der Möglichkeit der Reinigung der Produkte nach Rückgabe ergebe sich nichts anderes. Denn es sei nicht auszuschließen, dass in Einzelfällen eine Reinigung nicht ordnungsgemäß durchgeführt werde.
Das OLG Hamm führte aus, dass auch dann, wenn man ausreichen lasse, dass nach der Verkehrsauffassung mit Ängsten bzw. Ekelgefühlen anderer Verbraucher zu rechnen ist, unzweifelhaft vorliegend ein Ausschluss des Widerrufsrechts möglich sei.
Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Unterlassung bezüglich der Praxis der Beklagten, das Siegel auf der äußeren Verpackung anzubringen. Keines der streitgegenständlichen Produkte habe eine innere Verpackung gehabt, welche für sich (nach Öffnen der äußeren Verpackung) einen hinreichenden Gesundheitsschutz und Hygiene gewährleistet hätte. Daher habe bereits die Entsiegelung der äußeren Verpackung in Bezug auf diese Produkte den Verlust des Widerrufsrechts zur Folge.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des OLG Hamm überzeugt zweifelsohne. Es ist erst die zweite veröffentlichte Einzelfallentscheidung, welche sich mit der Frage des Anwendungsbereichs des § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB auseinandersetzt. Vorliegend konnte das Oberlandesgericht dahinstehen lassen, welcher der leicht unterschiedlichen Auffassungen, welche zur Anwendbarkeit des § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB vertreten werden, zu folgen ist:
Nach einer Auffassung schließt § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB ein Widerrufsrecht nur aus, wenn durch die Rücksendung der Ware abstrakt eine objektive Gesundheitsgefahr besteht (Buchmann, K&R 2014, 369). Nach anderer Auffassung in der Literatur soll eine mangelnde Eignung zur Rückgabe dann vorliegen, wenn nach der Verkehrsauffassung mit Ängsten bzw. Ekelgefühlen anderer Verbraucher zu rechnen ist (Wendehorst in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2016, § 312g Rn. 24). Eine andere Auffassung verlangt, dass bei objektiver Betrachtung die Entsiegelung eine Weiterverwertung der Ware durch den Unternehmer aus Gesundheits- oder Hygienegründen dauerhaft ausschließt (Martens in: Bamberger/Roth, BeckOK-BGB, 42. Edition, Stand: 01.02.2017, § 312g Rn. 24). Die Gesetzesbegründung schweigt zu dieser Streitfrage, da sie lediglich den Wortlaut des Gesetzes wiederholt (vgl. BT-Drs. 17/12637, S. 56).
Vorliegend konnte das Oberlandesgericht die Anwendbarkeit nach allen vorstehenden Auffassungen bejahen.
Das vorliegende obergerichtliche Urteil weicht in einer praxisrelevanten Frage von der einzigen früheren veröffentlichten Entscheidung zu § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB ab. So hatte das LG Düsseldorf entschieden, dass die Vorschrift auf WC-Sitze nicht anwendbar ist. Für diese sei von einem Widerrufsrecht auszugehen. Zwar sei die Vorbenutzung eines WC-Sitzes durch eine dritte Person in Bezug auf einen Käufer grundsätzlich geeignet, bei diesem Ekelgefühle hervorzurufen. Könne der Onlinehändler den WC-Sitz jedoch reinigen und dann wieder veräußern, sei die Rückgabe aus Hygienegründen nicht ausgeschlossen (LG Düsseldorf, Urt. v. 14.09.2016 – 12 O 357/15). Die Möglichkeit der Reinigung der Produkte nach Rückgabe sah das OLG Hamm hingegen nicht als ausreichend an, um ein Widerrufsrecht zu begründen. Denn es sei nicht auszuschließen, dass eine Reinigung nach Rückgabe in Einzelfällen nicht ordnungsgemäß durchgeführt werde (so wohl auch: Hoeren/Föhlisch, CR 2014, 242, 246).
Die obergerichtliche Entscheidung überzeugt. Auf die Verkehrsfähigkeit der zurückgesendeten Waren abzustellen, scheint zu kurz gegriffen. Zum einen geht es nicht nur darum, den Unternehmer davor zu schützen, eine Ware zurücknehmen zu müssen, die er anderweitig nicht mehr verkaufen kann. Zum anderen ist dem Onlinehändler in vielen Fällen nicht verboten, entsiegelte Produkte nach Rückgabe erneut zu veräußern. In der Praxis wäre auch zu erwarten, dass der Umstand der vorherigen Rücksendung vielfach nicht offengelegt wird. Viele Verbraucher dürften in einem solchen Fall arglos davon ausgehen, ein fabrikneues Produkt zu erhalten. Die Vorschrift dürfte daher gerade auch dem Schutz von Käufern davor dienen, unwissend eine in Wahrheit gebrauchte (und möglicherweise unzureichend gereinigte) Ware zu erwerben (Hoeren/Föhlisch, CR 2014, 242, 246). Dieser Schutz ist ohne flankierende Regulierung und Überwachung der Händler bezüglich ihres Umgangs mit Retouren nur dadurch zu erreichen, dass auch abstrakte, objektive Gesundheitsgefahren alleine den Widerruf ausschließen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Ware theoretisch gereinigt werden könnte.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Rückgabe von entsiegelten Waren, die in Bezug auf Hygiene oder den Gesundheitsschutz bedenklich sind, wirft Probleme auf. Die Frage, ob ein Widerrufsrecht nur dann gemäß § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB ausscheidet, wenn beim Händler keine Möglichkeit einer Reinigung besteht, ist von großer praktischer Relevanz. Denn die grundsätzliche Möglichkeit einer Reinigung dürfte in Bezug auf viele Produktgruppen bestehen. Würde diese ausreichen, käme ein Ausschluss des Widerrufs nur bei wenigen, nicht ohne weiteres zu „reinigenden“ Warengruppen, wie etwa Lebensmitteln, Kosmetika (Lippenstift) oder Medikamenten in Betracht. Die überzeugende Entscheidung des OLG Hamm stellt nicht darauf ab, ob eine Möglichkeit zur Reinigung besteht, und weitet so den Kreis der Produkte aus, für die das Widerrufsrecht ausgeschlossen werden kann.