Nachfolgend ein Beitrag vom 3.1.2018 von Gravenhorst, jurisPR-ArbR 1/2018 Anm. 2

Leitsätze

1. Ist ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot (§ 74 HGB) mit einer zu gering bemessenen Karenzentschädigung vereinbart, so fällt dem Arbeitnehmer ein Wahlrecht darüber zu, ob er sich auf dessen Unverbindlichkeit berufen oder der Wettbewerbstätigkeit unter Inanspruchnahme der Entschädigung enthalten will (s. bereits BAG, Urt. v. 13.09.1969 – 3 AZR 138/68 – BAGE 22, 125; aus neuerer Zeit BAG, Urt. v. 18.01.2000 – 9 AZR 929/98).
2. Nichts anderes muss gelten, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer entgegen dem Gesetzesgebot des § 74 Abs. 2 HGB für die geforderte Karenz keinerlei Entschädigung zusagt und damit die gesetzliche Vorgabe komplett ignoriert. Hier muss der Zielperson besagtes Wahlrecht erst Recht zugebilligt werden.
3. Dass dabei als Grundlage des Entschädigungsanspruchs weder eine „Zusage“ noch deren Schriftform existiert, steht dieser Rechtslage nicht entgegen. Es gilt vielmehr der Grundsatz, dass sich der Arbeitgeber als Vertragstextgestalter auf Regelungslücke und Schriftformmangel nicht mit Erfolg berufen kann (s. bereits BAG, Beschl. v. 27.06.1995 – 1 ABR 62/94 – NZA 1996, 164: Gemäß § 242 BGB „gewisse Konsistenz zu wahren“).

A. Problemstellung

Kann derjenige Arbeitnehmer, der sich einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot ohne jede Zusage einer Karenzentschädigung unterworfen hat, trotzdem eine Karenzentschädigung verlangen, wenn er das Wettbewerbsverbot einhält?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Arbeitsvertrag zwischen K und B enthält ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot von 12-monatiger Dauer mit Geltung in ganz Deutschland und sieht eine Vertragsstrafe von 10.000 Euro für jeden neu angefangenen Monat untersagten Wettbewerbs vor. Die Vereinbarung enthält weder die ausdrückliche Zusage einer Karenzentschädigung noch auch nur einen generellen Verweis auf die Vorschriften der §§ 74 ff. HGB. Sie enthält aber eine sog. salvatorische Klausel, wonach eine ungültige Vertragsbestimmung durch eine gültige Bestimmung zu ersetzen ist, welche wirtschaftlich der Zielsetzung der Parteien am nächsten kommt. K ist durch Eigenkündigung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden und verlangt Karenzentschädigung i.H.v. 50% der bisherigen Bezüge.
Das Besprechungsurteil hat die Klage überraschenderweise zugesprochen.
Nach Auffassung des ArbG Berlin hat K einen Anspruch auf die geforderte Karenzentschädigung.

C. Kontext der Entscheidung

I. Enthält das Wettbewerbsverbot die Zusage einer Karenzentschädigung, die – gezielt oder versehentlich – unterhalb „der Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistungen“ liegt, so ist das Wettbewerbsverbot nach § 74 Abs. 2 HGB „unverbindlich“. Nach ständiger Rechtsprechung und ganz h.M. bedeutet dies, dass der Arbeitnehmer nach seiner Wahl entweder Konkurrenztätigkeit aufnehmen oder die zu niedrig zugesagte Karenzentschädigung verlangen kann (vgl. Weber in: Staub, HGB, 5. Aufl. 2008, § 74 Rn. 45 m.w.N. in Fn. 111). Nur nach einer Mindermeinung braucht der Arbeitnehmer sich nicht mit der niedrigen Karenzentschädigung abzufinden, sondern kann „die Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen“ verlangen (so MünchKomm HGB, 4. Aufl. 2016, § 74 Rn. 53).
II. Das Besprechungsurteil schließt sich dieser Mindermeinung an, ohne sie selbstständig argumentativ zu begründen. Auf der Basis dieser Mindermeinung nimmt das Besprechungsurteil dann zu der Fallvariante Stellung, dass das Wettbewerbsverbot keinerlei Zusage einer Karenzentschädigung enthält. Nach völlig einhelliger Rechtsprechung und Literatur ist in diesem Fall das Wettbewerbsverbot nicht nur „unverbindlich“, sondern schlicht nichtig. Das Besprechungsurteil vertritt demgegenüber die Auffassung, der Arbeitnehmer könne auch in diesem Fall eine Karenzentschädigung in Höhe der „Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen“ verlangen. Dies steht ebenso wie die oben zitierte Ansicht des MünchKomm HGB in unvereinbarem Widerspruch zum Gesetzeswortlaut von § 74 Abs. 2 HGB, der nicht nur die Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots verlangt, sondern zusätzlich auch die Zusage einer Karenzentschädigung (vgl. hierzu A.C. Gravenhorst, NJW 2006, 3609).
III. Das Besprechungsurteil versucht, durchaus nachvollziehbare rechtspolitische Ziele als geltendes Recht darzustellen. Dieser Versuch kann nicht gelingen, sondern ist zum Scheitern verurteilt. Das Besprechungsurteil versucht zu überspielen, dass das Gesetz klar und offenbar ganz bewusst das nachvertragliche Wettbewerbsverbot für Handelsvertreter in § 90a Abs. 1 Satz 2 HGB einerseits und für Arbeitnehmer in § 74 Abs. 2 HGB andererseits unterschiedlich geregelt hat. § 74 HGB fordert zusätzlich zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot die Zusage einer Entschädigung, während ein Wettbewerbsverbot nach § 90a HGB automatisch einen Anspruch auf eine „angemessene“ Karenzentschädigung nach sich zieht. Dieser Unterschied kann nicht hinweginterpretiert werden, weil darin eine Verletzung der Trennung der Aufgaben von Rechtsprechung und Gesetzgebung läge. Angemerkt sei, dass sowohl der sog. Professoren-Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes als auch ein entsprechender von der Bertelsmann-Stiftung initiierter Entwurf es bei dem bisherigen Erfordernis einer ausdrücklichen Zusage einer Karenzentschädigung belassen will (vgl. dazu A.C. Gravenhorst, NJW 2006, 3609, unter VII.). De lege ferenda sollte man demgegenüber sicherlich ernsthaft in Erwägung ziehen, für nachvertragliche Wettbewerbsverbote ganz allgemein eine gesetzliche Mindestentschädigung vorzusehen, und zwar gleichermaßen für Arbeitnehmer und Handelsvertreter, aber auch für Organmitglieder (vgl. A.C. Gravenhorst, Rechtliche Grenzen für die Vereinbarung von nachvertraglichen Wettbewerbsverboten mit GmbH-Geschäftsführern, 1999; W. Gravenhorst, EzA § 75a HGB Nr. 9). Dabei sollte das Gesetz durchaus eine Mindesthöhe der Karenzentschädigung fixieren (z.B. auf 50% der zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen). Im Wege der Auslegung des § 74 HGB ist dieses Ziel demgegenüber nicht erreichbar.
IV. Das Besprechungsurteil kommt zu seinem verblüffenden Ergebnis, ohne auf die salvatorische Klausel des Vertrages zurückzugreifen. Dabei hätte hierin durchaus ein gewisser Ansatzpunkt bestanden, um zu dem vom Besprechungsurteil auf anderem Wege erreichten Ziel zu gelangen. Nimmt man nämlich mit der ganz herrschenden Meinung an, bei Fehlen jeglicher Entschädigungszusage sei das Wettbewerbsverbot nicht nur unverbindlich, sondern nichtig, so ließe sich dahin argumentieren, dass an die Stelle der ungültigen Klausel eben eine gültige Bestimmung treten müsse, „welche wirtschaftlich der Zielsetzung der Parteien am nächsten kommt“. Insbesondere bei Formularverträgen könnte man unter der Geltung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB und des Transparenzgebots des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB eine entsprechende Auslegung in Erwägung ziehen. Es bliebe allerdings unklar, was denn die (gemeinsame) „Zielsetzung der Parteien“ wohl gewesen ist. Letztlich wird man also auch auf diesem Wege wohl eher nicht zu dem vom ArbG Berlin gewünschten Ergebnis kommen können.
V. Die vom Arbeitgeber gegen das Besprechungsurteil eingelegte Berufung ist beim LArbG Berlin-Brandenburg unter 8 Sa 253/17 anhängig. Die Berufung dürfte alle Aussicht auf Erfolg haben, zumal inzwischen das BAG die bisherige Rechtsprechung bestätigt hat (BAG, Urt. v. 22.03.2017 – 10 AZR 448/15). Der Leitsatz dieser Entscheidung lautet: „Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot, das entgegen § 74 Abs. 2 HGB keine Karenzentschädigung enthält, ist kraft Gesetzes nichtig. Eine salvatorische Klausel ist nicht geeignet, diese Folge zu beseitigen oder zu heilen.“

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Besprechungsurteil dürfte keine Chance auf Bestand haben. Sein vollauf berechtigtes rechtspolitisches Ziel ist nur im Wege einer Gesetzesänderung erreichbar.
Hinweis vom 05.01.2018: Inzwischen hat das LArbG Berlin-Brandenburg das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (8 Sa 253/17).

Wettbewerbsverbot ohne Zusage von Karenzentschädigung
Thomas HansenRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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