Nachfolgend veröffentliche ich einen Beitrag zu OLG Frankfurt, Urteil vom 01. Dezember 2014 – 23 U 33/14 –,von Buck-Heeb, jurisPR-BKR 8/2015 Anm. 3
Orientierungssatz

Eine Pflicht zur Aufklärung über Rückvergütungen besteht nicht bei einem Auskunftsvertrag, der stillschweigend zustande kommt, wenn ein Anlagevermittler ohne Beratung ein Anlageprodukt vertreibt, der Anlageinteressent erkennbar die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse des Vermittlers in Anspruch nehmen will und dieser die gewünschte Tätigkeit beginnt. Das gilt ebenso, wenn eine Bank ohne Beratung ein Anlageprodukt vertreibt.

A. Problemstellung

Das vorliegende Urteil enthält zwar keine spektakulären neuen Erkenntnisse, vertieft und ergänzt aber einzelne bereits bekannte Pflichten. Auffallend ist, dass der erste Leitsatz des Urteils dabei auf einen Punkt verweist, der angesichts der schon ergangenen Rechtsprechung unproblematisch ist. Damit vermag die dort getroffene Feststellung, dass eine Aufklärung über Rückvergütungen ausscheidet, wenn kein Beratungsvertrag zustande gekommen ist, den Leser nicht zu erstaunen. Spannender dagegen sind die Ausführungen zum Beweis der Existenz eines Beratungsvertrags sowie zu den Anforderungen, die sich aus dem Anlageziel der Altersvorsorge ergeben.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger hatte Anteile an einem geschlossenen Immobilienfonds, konkret: eine Kommanditbeteiligung an der A.-Gesellschaft mbH und Co. Objekt Z KG, erworben. Ob der Erwerb der Beteiligung auf einer Beratung durch die Beklagte beruhte, war umstritten. Jedenfalls war dem Kläger im Vorfeld der Zeichnung ein Prospekt überreicht worden. Der Kläger verlangte Schadensersatz wegen fehlerhafter Beratung.
Das OLG Frankfurt am Main hat die Klage vollumfänglich abgewiesen. Der Kläger konnte zum einen nicht beweisen, dass überhaupt ein Beratungsvertrag vorlag, und zum anderen war nach Ansicht des Gerichts kein Beratungs- bzw. Prospektfehler erkennbar.
C. Kontext der Entscheidung
I. Grundlage für einen vertraglichen Schadensersatzanspruch ist das Bestehen eines Beratungsvertrags. Für deliktische Ansprüche war im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. Wann ein solcher Vertrag zustande kommt, wird seit der Bond-Rechtsprechung von 1993 in der Rechtsprechung immer wieder mit Standardformeln umschrieben. Im konkreten Fall lag das Problem auf der Ebene des Beweises. Der Kläger konnte keine genügenden Anhaltspunkte dafür vortragen, dass ein solcher Vertrag zwischen ihm und der Beklagten geschlossen worden ist. Die betreffenden Angestellten der Beklagten konnten sich an ein entsprechendes Beratungsgespräch nicht mehr erinnern. Einen Antrag auf Parteivernehmung hatte der Kläger zurückgenommen.
Damit wird hier das in der Praxis häufig auftauchende Phänomen virulent, dass der Berater sich entweder systematisch nicht mehr an ein bestimmtes Beratungsgespräch erinnern möchte oder er sich – was häufig der Fall sein wird – aufgrund des längeren Zurückliegens und der zahlreichen Beratungsgespräche, die er jährlich zu führen hat, nicht mehr an das konkret streitgegenständliche Gespräch erinnern kann. In der Konsequenz führt das zum o.g. Orientierungssatz hinsichtlich der Nichtaufklärung über Rückvergütungen, welcher der ständigen Rechtsprechung entspricht. Weder ein bloßer Anlagevermittler noch eine Bank, die den Vertrieb ohne Beratung vornimmt, müssen über Rückvergütungen aufklären.
Hier schafft für neuere Fälle das nach § 34 Abs. 2a Sätze 1 und 2 WpHG verlangte Beratungsprotokoll Abhilfe. Dieses kann nicht nur der Dokumentation des Beratungsinhalts, sondern auch dem Beweis dafür dienen, dass ein solches Gespräch überhaupt stattgefunden hat.
II. Das Gericht prüfte trotz des – mangels Beweises anzunehmenden – Nichtvorliegens eines Beratungsvertrags, ob im vorliegenden Fall eine objektgerechte Beratung erfolgt ist. Im Hinblick auf die Frage, ob der entsprechende Prospekt rechtzeitig übergeben worden ist, wird in Übereinstimmung mit der bestehenden Rechtsprechung darauf abgestellt, dass der Kläger beweisen muss, dass kein rechtzeitiger Empfang des Prospekts vorlag. Die Beklagte musste jedenfalls keine exakten Angaben zu Ort und Zeit der Übergabe des Prospekts machen. Sie war nicht zu einer entsprechenden Dokumentation verpflichtet.
Im Hinblick auf die Frage, ob ein Prospektfehler vorliegt, stellte das OLG Frankfurt am Main auf einen „durchschnittlich verständigen, betriebswirtschaftlich und juristisch nicht geschulten Anleger“ ab (Rn. 72 des Urteils). Insbesondere in Bezug auf die sog. weichen Kosten wird eine entsprechende Verdeutlichung als ausreichend angesehen und nicht verlangt, dass eine ausdrückliche prozentuale Bezifferung in Bezug auf das Eigenkapital erfolgt. Insofern soll es für eine „mühelos(e)“ Erkennbarkeit durch den Anleger ausreichend sein, dass die Höhe der Kommanditeinlage und der Fremdfinanzierung in absoluten und relativen Zahlen angegeben werden. Das bedeutet, dass dem Anleger durchaus einiges an Kombinationsvermögen abverlangt wird.
Auch bezüglich weiterer Punkte hatte das OLG Frankfurt am Main abzugrenzen, wie viel an Angaben im Prospekt für einen sog. durchschnittlichen Anleger erforderlich sind. Abgelehnt wird das etwa für den Umstand, dass sich „zusätzliche Verbindlichkeiten in einer bestehenden wirtschaftlich schwierigen Situation ungünstig auswirken“ (Rn. 79 des Urteils). Das soll auf der Hand liegen und keines gesonderten Hinweises im Prospekt bedürfen. Im Hinblick auf die Vermeidung einer Informationsüberflutung wird dem zuzustimmen sein.
In Anlehnung an die bestehende Rechtsprechung wird auch eine Aufklärungspflicht über ein Totalverlustrisiko abgelehnt. Das soll auch für einen fremdfinanzierten Fonds gelten, da es sich hier um ein Risiko allgemeiner Natur handelt, das dem Anleger regelmäßig bekannt sei. In der Konsequenz wäre daher im Prospekt nur auf unbekannte, risikoerhöhende Umstände hinzuweisen gewesen.
III. Markant sind auch die Ausführungen zur Geeignetheit der Anlage zur Altersvorsorge unter dem Aspekt der objekt- und der anlegergerechten Beratung. Herausgearbeitet wird, dass sich das Kriterium der Altersvorsorge bei einer Anlage auf das ungeschmälerte Zur-Verfügung-Stehen des eingesetzten Kapitals im Alter beziehen kann, oder auch „nur“ in der Chance, eine weitere künftige Einnahmequelle zu eröffnen. Insofern sieht das Gericht die Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds aufgrund der daraus resultierenden dauerhaften Miet- bzw. Pachteinnahmen grundsätzlich als zur Altersvorsorge geeignet an. Das deckt sich mit der Rechtsprechung des III. Zivilsenats des BGH, der eine solche Beteiligung mit Totalverlustrisiko für eine ergänzende Altersvorsorge als nicht schlechthin oder generell ungeeignet ansieht (BGH, Urt. v. 06.12.2012 – III ZR 66/12 – BKR 2013, 70 Rn. 22). Das OLG Frankfurt am Main nimmt das jedenfalls dann an, wenn die unternehmerische Beteiligung mit Totalverlustrisiko eine ergänzende Altersvorsorge darstellt. Die eingeschränkte Fungibilität soll hieran nichts ändern. Entscheidend sei nur, dass hierauf im Prospekt ausreichend hingewiesen wird.
Fraglich war sodann, ob eine solche Anlage nicht nur grundsätzlich zur Altersvorsorge geeignet, sondern auch sicher und risikolos ist. Das lehnte das OLG Frankfurt am Main ab, da bei einer solchen Beteiligung regelmäßig ein Verlustrisiko besteht. Gescheitert war die Klage allein daran, dass der Kläger nicht nachzuweisen vermochte, dass er eine sichere und risikolose Anlage gewollt hatte. Dabei hob das Gericht darauf ab, dass die Bezeichnung einer Anlagestrategie als „konservativ“ oder „sicherheitsorientiert“ jeweils nicht eine absolute Kapitalerhaltungssicherheit bedeutet, da hiernach ein möglicher Kapitalverlust jedenfalls nicht völlig ausgeschlossen wird.
IV. Immerhin stellt das Urteil sodann auch noch auf die Rechtsfolgenseite und den Aspekt des entgangenen Gewinns ab. Hier wird in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung verlangt, dass der Kläger hätte konkret benennen müssen, ob er sich statt der Anlage für Festgeld, Bundeswertpapiere oder eine andere festverzinsliche Anlage entschieden hätte. Außerdem ist bei Festgeld der Festlegungszeitraum und bei Bundeswertpapieren die Laufzeit anzugeben, da sich nur so der erzielbare Zins errechnen lässt. Zudem muss es für das Gericht auch wahrscheinlich sein, dass eine solche Anlage getätigt worden wäre. Hierfür ist der Nachweis durch den Kläger besonders schwierig. Gelingen kann ein solcher etwa dann, wenn vor oder nach der betreffenden Anlageentscheidung eine bestimmte andere Geldanlage getätigt worden ist.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Auswirkungen für die Praxis werden gering sein, da sich das Urteil im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung bewegt. Jedenfalls die Hinweise zur Altersvorsorge sollten jedoch den Anbietern entsprechender Produkte Anlass sein, ihre entsprechende Vertriebsstrategie auf Konformität mit der Rechtsprechung zu überprüfen.