Nachfolgend ein Beitrag vom 21.2.2017 von Buck-Heeb, jurisPR-BKR 2/2017 Anm. 5

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Die Beauftragung eines Wirtschaftsprüfers durch die BaFin für eine Prüfung gemäß § 35 WpHG führt nicht zu einem Vernehmungsverbot nach § 376 Abs. 1 ZPO. Die Verschwiegenheitspflicht nach § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG bzw. § 9 Abs. 1 KWG stellt in Bezug auf von der BaFin beauftragte Wirtschaftsprüfer keine dem § 376 Abs. 1 ZPO unterfallende Pflicht zur Amtsverschwiegenheit dar.
2. Aus der Verschwiegenheitspflicht nach § 8 WpHG bzw. § 9 KWG kann sich ein Zeugnisverweigerungsrecht ergeben, sofern Geheimhaltungsinteressen der beaufsichtigten Marktteilnehmer oder sonstiger Dritter betroffen sind.
3. Die berufsrechtliche Pflicht des Wirtschaftsprüfers zur Verschwiegenheit (§ 43 WPO) bezieht sich allein auf den Auftraggeber, nicht auf Dritte.

A. Problemstellung

In der Nichtzulassungsbeschwerde geht es um die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch die Unterlassung der als Beweis angebotenen Zeugenvernehmung zweier Wirtschaftsprüfer. Zentral war dabei vor allem die Frage, ob von der BaFin nach § 4 Abs. 3 FinDAG beauftragte Wirtschaftsprüfer in einem Anlageberatungsprozess als Zeugen aussagen müssen, oder ob sie aufgrund einer Pflicht zur Amtsverschwiegenheit grundsätzlich nicht befragt werden können.
Der VI. Zivilsenat des BGH bringt hier nochmals zum Ausdruck, was er in anderen jüngeren Entscheidungen bereits dargetan hat (vgl. BGH, Urt. v. 16.02.2016 – VI ZR 441/14; BGH, Beschl. v. 08.03.2016 – VI ZR 443/14; BGH, Beschl. v. 31.05.2016 – VI ZR 449/14). Zeitgleich mit dem vorliegenden Beschluss sind noch andere inhaltsgleiche Beschlüsse zu dieser Frage ergangen (vgl. BGH, Beschl. v. 14.06.2016 – VI ZR 346/15; BGH, Beschl. v. 14.06.2016 – VI ZR 327/15, und BGH, Beschl. v. 14.06.2016 – VI ZR 331/15). Zudem hat der VI. Zivilsenat auch nachfolgend in gleicher Weise entschieden (vgl. BGH, Beschl. v. 05.07.2016 – VI ZR 325/15; BGH, Beschl. v. 05.07.2016 – VI ZR 402/15; BGH, Beschl. v. 05.07.2016 – VI ZR 384/15; BGH, Beschl. v. 05.07.2016 – VI ZR 403/15).

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Vorstände eines in der Anlageberatung tätigen Unternehmens wurden vom Kläger auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verklagt. Konkret ging es darum, ob die von den Wirtschaftsprüfern vorgenommenen Stichproben bezüglich zahlreicher Anleger den Schluss auf eine flächendeckend nicht anlegergerechte Beratung und ein sittenwidriges Handeln zulassen. Aufgrund des Sachvortrags des Klägers wäre nach Ansicht des OLG Schleswig als Berufungsgericht ein Anspruch aus § 826 BGB zu bejahen gewesen. Allerdings konnte der Kläger den hierfür erforderlichen Beweis nicht erbringen. Das Berufungsgericht hatte die Auffassung vertreten, dass die als Zeugen benannten Wirtschaftsprüfer gemäß § 376 ZPO nicht vernommen werden können.
Der Kläger wendet sich nun mit der Nichtzulassungsbeschwerde dagegen, dass das OLG Schleswig die Revision gegen das abweisende Urteil nicht zugelassen hat. Der VI. Zivilsenat hat der Nichtzulassungsbeschwerde stattgegeben. Das Urteil wird aufgehoben und die Sache an das OLG Schleswig zurückverwiesen.

C. Kontext der Entscheidung

I. Im vorliegenden Fall war es im Rahmen eines sog. Anlageberatungsprozesses entscheidend auf die Vernehmung der beiden von der BaFin nach § 4 Abs. 3 FinDAG mit der Prüfung nach § 35 Abs. 1 WpHG (bzw. § 44 Abs. 1 KWG) beauftragten Wirtschaftsprüfer angekommen. Diese hatten eine Stichprobe bezüglich einer größeren Anzahl an Anlegern vorgenommen. Hierzu hatte das OLG Schleswig (Urt. v. 30.04.2015 – 5 U 187/14) als Berufungsgericht dargetan, dass solche einschlägigen Stichproben zur Bejahung einer Sittenwidrigkeit i.S.d. § 826 BGB führen können (zur Sittenwidrigkeit vgl. unten bei E.).
Der Vortrag des Klägers im Instanzenzug wurde als widersprüchlich und damit unbeachtlich angesehen, so dass nur eine Vernehmung der Wirtschaftsprüfer dazu hätte führen können, dass die erfolgten Stichproben vom Gericht als aussagekräftig hätten angesehen werden können. Das Oberlandesgericht hatte sich jedoch aufgrund einer Pflicht zur Amtsverschwiegenheit an einer Vernehmung gehindert gesehen, zumal die BaFin die Prüfer diesbezüglich nicht von ihrer Pflicht zur Amtsverschwiegenheit (§ 8 Abs. 1 WpHG, § 9 Abs. 1 KWG) entbunden hatte.
II. 1. Umstritten war, ob der von der BaFin beauftragte Wirtschaftsprüfer wirklich einer Amtsverschwiegenheit i.S.d. § 376 ZPO unterfällt. Der VI. Zivilsenat hat hierzu nun die Auffassung vertreten, dass Wirtschaftsprüfer keine „Amtspersonen“ i.S.d. § 376 ZPO sind. Dem ist insofern zuzustimmen, als dies auch dem Wortlaut des § 376 ZPO entspricht, der ausdrücklich neben Richtern und Beamten nur noch „andere

[] Personen des öffentlichen Dienstes“ erwähnt. Gemeint sind damit zunächst Arbeiter und Angestellte des öffentlichen Dienstes (Trautwein in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 8. Aufl. 2016, § 376 Rn. 4).
Fraglich war daher, ob auch „Beauftragte“ einer Behörde dazu zählen können. Immerhin nahmen die Wirtschaftsprüfer unmittelbar die Erfüllung von Angelegenheiten wahr, welche für die Behörde eine Verwaltungsaufgabe darstellten. Eine „Pflicht zur Amtsverschwiegenheit“ (§ 376 Abs. 1 ZPO) wird vom VI. Zivilsenat zutreffend in Bezug auf Hilfspersonen, die zur Wahrnehmung dienstlicher Tätigkeiten eingesetzt werden, verneint. Sie können nicht als „andere(n) Personen des öffentlichen Dienstes“ (§ 376 Abs. 1 ZPO) gesehen werden.
2. Insbesondere leitet sich nach Ansicht des Gerichts aus der Funktion als Hilfsperson der BaFin aufgrund der Beauftragung mit der Prüfung nach § 35 WpHG keine solche Amtsverschwiegenheit ab. Ob sich ein Vernehmungsverbot nach § 376 ZPO aus einer Amtsträgerschaft i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB ergeben kann, konnte hier offenbleiben. Schließlich lagen schon die Voraussetzungen hierfür nicht vor, da die Amtsträgereigenschaft gemäß der Rechtsprechung eine öffentlich-rechtliche Bestellung voraussetzt, welche zu einer über den einzelnen Auftrag hinausgehenden längerfristigen Tätigkeit führt bzw. zu einer organisatorischen Eingliederung in die Behördenstruktur. Das war hier jedoch nicht gegeben. Auch eine förmliche Verpflichtung nach dem Verpflichtungsgesetz lag nicht vor, so dass auch aus diesem Grund kein Vernehmungsverbot bejaht werden konnte.
3. Insofern stand die Verschwiegenheitspflicht nach § 8 WpHG bzw. § 9 KWG im Fokus. Nach § 8 WpHG bzw. § 9 KWG unterliegen nicht nur die bei der BaFin beschäftigten Mitarbeiter einer Verschwiegenheitspflicht, sondern auch die von ihr nach § 4 Abs. 3 FinDAG beauftragte Personen. Unstreitig fallen hierunter auch Wirtschaftsprüfer (vgl. nur Bruchwitz in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, 2015, § 8 Rn. 4; Beck in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 8 WpHG Rn. 2; Döhmel in: Assmann/Schneider, WpHG, 6. Aufl. 2012, § 8 Rn. 6).
4. Im Ergebnis lehnte der VI. Zivilsenat eine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit aus einer sich auch aus den WpHG- bzw. KWG-Regelungen ergebenden Verschwiegenheitspflicht ab. Hervorgehoben werden die Unterschiede zwischen einer Amtsverschwiegenheit und der Verschwiegenheitspflicht nach § 8 WpHG bzw. § 9 KWG. Insbesondere geht es darum, dass die durch diese Verschwiegenheitspflichten geschützten Personen über den Schutz ihrer Geheimnisse disponieren können sollen. Dementsprechend soll es hier auch nicht auf einen Genehmigungsvorbehalt der BaFin ankommen, wie dies in Bezug auf die Amtsverschwiegenheit der Fall ist.
5. Die Argumentation des Senats dürfte zwar formal korrekt sein, es bleibt aber ein gewisses Unbehagen angesichts dessen, dass – allgemein, d.h. losgelöst vom konkreten Fall gesprochen – eine Prüfung, die durch eine Behörde durchgeführt wird, zu einer Amtsverschwiegenheit und damit einem – von der Entbindung durch die Behörde abhängigen – Vernehmungsverbot führt. Dagegen soll dann, wenn sich die Behörde einer Hilfsperson quasi als „verlängertem Arm“ bedient, ein solches Vernehmungsverbot nicht bestehen. Insofern konnte auch die Schweigepflicht nach § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO nicht helfen, da sich diese nur auf den Auftraggeber bezieht. Auftraggeber ist hier allerdings nicht das zu prüfende Unternehmen, sondern die BaFin.
Zuzustimmen ist den Aussprüchen des VI. Zivilsenats aber dennoch vor allem deshalb, weil die BaFin auch die Möglichkeit hat, die von ihr als „Hilfspersonen“ eingesetzten Wirtschaftsprüfer nach dem Verpflichtungsgesetz förmlich zu verpflichten. Das bietet sich vor allem dann an, wenn ein öffentliches Geheimhaltungsinteresse besteht. Sofern eine solche Verpflichtung vorliegt, besteht dann auch ein Vernehmungsverbot.
6. Verwiesen wurde vom Gericht aber darauf, dass die beiden Wirtschaftsprüfer ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 386 Abs. 1 Nr. 6 ZPO haben können. Das wurde jedoch deshalb als für das vorliegende Verfahren nicht relevant angesehen, weil sie sich bislang nicht darauf berufen hatten. Anders als die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit, die vom Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, müssen die betreffenden Personen aber von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Da Wirtschaftsprüfer von der BaFin immer wieder für Aufgaben eingesetzt werden, kommt der vorliegenden Entscheidung von der Thematik her erhebliche Bedeutung zu. Auch über diese konkrete Beauftragung hinaus werden von Behörden bei vielen Abläufen immer wieder Dritte auftragsmäßig eingesetzt, so dass der Entscheidung auch weit über Anlageberatungsfälle oder das Bank- und Kapitalmarktrecht hinaus generelle Bedeutung zukommt.
Allerdings mag sich mancher die Frage stellen, ob es in der praktischen Konsequenz wirklich so entscheidend ist, dass die Verschwiegenheitspflicht nach § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG bzw. nach § 9 Abs. 1 KWG gemäß dem hier relevanten Beschluss des VI. Zivilsenats keine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit darstellt, die durch § 376 Abs. 1 ZPO ein unverzichtbares Vernehmungsverbot auslöst und nur durch die Erteilung einer Aussagegenehmigung von der zuständigen Behörde (hier: die BaFin) durch das Gericht „aufgelöst“ werden kann. Immerhin wird im Beschluss auch festgestellt, dass die Wirtschaftsprüfer grundsätzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO hatten.
Argumentieren könnte man, dass selbst wenn aus dogmatischer Sicht Unterschiede zwischen einem Vernehmungsverbot i.S.d. § 376 Abs. 1 ZPO und dem Zeugnisverweigerungsrecht i.S.d. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bestehen, der Wirtschaftsprüfer in der Praxis wohl regelmäßig von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wird. Allerdings liegt hier die Tücke im Detail. Hingewiesen wird etwa im vorliegenden Beschluss auch darauf, dass sich die von § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO geschützte Verschwiegenheitspflicht nach § 8 WpHG bzw. § 9 KWG nur auf diejenigen Punkte erstreckt, bezüglich derer ein Geheimhaltungsinteresse der beaufsichtigten Marktteilnehmer oder sonstiger Dritter besteht.
Gleichzeitig muss sich – das wurde bereits erwähnt – der betreffende Wirtschaftsprüfer hierauf auch berufen. Entscheidend wird es wohl auch darauf ankommen, ob der Betroffene eine Verschwiegenheit erwarten konnte (vgl. Trautwein in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 383 Rn. 15).

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Im konkreten Beschluss geht es am Rande auch um einen beweisrechtlich für sog. „Falschberatungsprozesse“ interessanten Punkt. Gemeint ist die Frage der Sittenwidrigkeit bei Vorliegen eines Systems, „das darauf gerichtet ist, den Kunden unter planmäßiger Falschberatung ihren Interessen und ihrer Risikobereitschaft nicht entsprechende risikobehaftete Anlagen zu empfehlen“ (Rn. 9 des Urteils). Schon das OLG Schleswig als Berufungsgericht konnte sich vorstellen, dass grundsätzlich eine Stichprobe von 1.111 Anlegern mit Genussscheinen im Depot den Schluss auf eine flächendeckende nicht anlegergerechte Beratung zulässt. Das hatte das Oberlandesgericht auch schon in anderen Entscheidungen so gesehen, und dies wurde – wie auch im hier besprochenen Beschluss – vom VI. Zivilsenat des BGH bestätigt (vgl. auch z.B. BGH, Urt. v. 16.02.2016 – VI ZR 441/14; vgl. auch schon OLG Schleswig, Urt. v. 25.09.2014 – 5 U 150/13, m. Anm. Buck-Heeb, jurisPR-BKR 9/2015 Anm. 4).