Nachfolgend ein Beitrag vom 20.09.2016 von Buck-Heeb, jurisPR-BKR 9/2016 Anm. 2

Leitsatz

Zum Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bei einem Schadensersatzanspruch, der darauf gestützt ist, dem Anleger sei von der ihn beratenden Bank nicht mitgeteilt worden, dass sie für den Vertrieb der empfohlenen Kapitalanlage eine Rückvergütung erhält.

A. Problemstellung

Die Rechtsprechung zur Aufklärung über Rückvergütungen im Rahmen einer Anlageberatung hatte vor einigen Jahren ihren Höhepunkt. Die Voraussetzungen für eine Haftung stehen inzwischen fest. So ist ungefragt über das Ob und die Höhe von Rückvergütungen aufzuklären (BGH, Bes. v. 20.01.2009 – XI ZR 510/07 Rn. 12 f. – BKR 2009, 126). Die Streitigkeiten hinsichtlich eines Schadensersatzes wegen mangelnder Aufklärung über Rückvergütungen verlagern sich inzwischen auf die Frage der Verjährung dieser Ansprüche. Im konkreten Urteil nimmt der XI. Zivilsenat des BG eine – in allen Punkten zustimmungsfähige – Klarstellung vor.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin machte gegen die beklagte Bank Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der Beteiligung an einer GmbH & Co. KG geltend. Im Dezember 2002 zeichnete die Klägerin diese Beteiligung, nachdem sie zuvor von einem Mitarbeiter der Bank beraten worden war. Nicht aufgeklärt worden ist sie dabei über das Bestehen und den Umfang von Rückvergütungen an die beratende Bank.
Dass zwischen der Klägerin und der Bank ein (konkludent geschlossener) Anlageberatungsvertrag zustande gekommen ist, war in der vorliegenden Entscheidung ebenso wenig streitig wie die Tatsache, dass über das Ob und die Höhe von Rückvergütungen im Rahmen einer Anlageberatung aufzuklären ist. Im Zentrum der Entscheidung stand die Frage der Verjährung eines sich daraus ergebenden Schadensersatzanspruchs. Entscheidend kam es darauf an, wann der Anleger konkret die erforderliche Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen gehabt hatte.
Allein die Vermutung des Anlegers, dass an die Bank eine Provision gezahlt werde, reicht nach Ansicht des BGH für das Vorliegen von positiver Kenntnis bzgl. der anspruchsbegründenden Umstände nicht aus. Das OLG Brandenburg als Vorinstanz hatte noch besonders betont, dass der Kläger von der Zahlung einer „üblichen“ Provision ausgegangen sei, nicht aber von einer solchen in Höhe von 8,25%. Hätte er von dieser gewusst, hätte ihn das misstrauisch gemacht. Eine grob fahrlässige Unkenntnis wurde abgelehnt, da der Anleger keine Nachforschungspflicht bzgl. der Provisionszahlungen gehabt habe.

C. Kontext der Entscheidung

I. 1. Überraschend ausführlich setzte sich der BGH im vorliegenden Fall mit der Frage der Kausalität auseinander. Aufgrund der – inzwischen unstreitig geltenden – sog. Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens liegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Kläger das Anlagegeschäft auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung abgeschlossen hätte, bei der beklagten Bank. Gefestigt ist mittlerweile auch die Rechtsprechung, wonach es für die genannte Beweislastumkehr nicht darauf ankommt, dass der Anleger, wenn er richtig aufgeklärt worden wäre, nur eine Handlungsalternative gehabt hätte. Das stellt der BGH hier nochmals klar (BGH, Urt. v. 15.03.2016 – XI ZR 122/14 Rn. 17 – WM 2016, 780).
2. Der Bank wird der Nachweis fehlender Kausalität nur in seltenen Fällen möglich sein. Gelungen ist das in der Vergangenheit etwa dann, wenn der Anleger aus vergleichbaren früheren Anlagegeschäften weiß, dass dort Provisionen gezahlt wurden (BGH, Urt. v. 08.05.2012 – XI ZR 262/10 Rn. 50 – BGHZ 193, 159 = BKR 2012, 368; BGH, Urt. v. 26.02.2013 – XI ZR 345/10 Rn. 29 – BKR 2013, 283; BGH, Urt. v. 24.09.2013 – XI ZR 204/12 Rn. 39 – BKR 2014, 23). Erfolgreich ist ein derartiger Nachweis auch dann, wenn der Anleger bei nachfolgenden Geschäften von einer Rückvergütung weiß und die Anlage dennoch vorgenommen hat (vgl. nur etwa BGH, Urt. v. 24.09.2013 – XI ZR 204/12 Rn. 39 – BKR 2014, 23). Darin liegt ein Indiz dafür, dass er sich auch bei Kenntnis von der Rückvergütung vom fraglichen Geschäft nicht hätte abhalten lassen.
Auch nach einem jüngst ergangenen Urteil des OLG Frankfurt (Urt. v. 24.06.2016 – 19 U 113/15 Rn. 11) soll das bei einem Kunden existierende Bewusstsein vom grundsätzlich bestehenden Verdienstinteresse der beratenden Bank (jedenfalls in Verbindung mit dem Anlageverhalten bei anderen Kapitalanlagen) dafür sprechen, dass er die Anlage auch bei Kenntnis von der Rückvergütung getätigt hätte. Insofern enthält das vorliegende Urteil des BGH nichts grundlegend Neues.
II. 1. Klarstellend sind zudem die Ausführungen des BGH zur möglichen Verjährung des Schadensersatzanspruchs (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB). Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt danach mit dem Ende des Jahres, in welchem der Anspruch entstanden ist und der Kunde von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Sowohl vorsätzliches als auch grob fahrlässiges Verhalten führen hier zu gleichen Ergebnissen. Das kann im Hinblick auf die häufig nur schwierige Beweisbarkeit von Vorsatz für den Anspruchsgegner hilfreich sein (vgl. Peters/Jacoby in: Staudinger, BGB, 2014, § 199 Rn. 74 f.).
2. In Bezug auf das Vorliegen positiver Kenntnis kommt der BGH hier zu dem Ergebnis, dass es für die Annahme einer solchen nicht ausreichen kann, wenn der Anleger die Provisionszahlungen an die Bank nur „angenommen“ hat bzw. sich „gedacht“ hat. Dies sind lediglich Spekulationen, stellen jedoch noch keine gesicherte Erkenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 BGB dar. Diese Ansicht hatte zuvor auch schon das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung von 2014 vertreten (OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.02.2014 – 9 U 31/10 Rn. 20 – ZIP 2014, 2023), das jedoch auf den Aspekt der groben Fahrlässigkeit bezogen.
Demgegenüber hatte das OLG Frankfurt die Ansicht vertreten, dass es ausreichend sein muss, wenn der Anleger glaubt, dass (möglicherweise) Provisionen gezahlt werden (OLG Frankfurt, Urt. v. 02.08.2013 – 19 U 298/12 Rn. 21 f.). Bezug nimmt das Oberlandesgericht dabei auf die Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des BGH zur Höhe der Rückvergütung. Danach soll der Beginn der Verjährungsfrist eines Schadensersatzanspruchs aufgrund verschwiegener Rückvergütungen nicht von der Kenntnis der genauen Höhe der Rückvergütung abhängen (BGH, Urt. v. 26.02.2013 – XI ZR 498/11 Rn. 29 – BGHZ 196, 233 = BKR 2013, 205; BGH, Urt. v. 14.05.2013 – XI ZR 274/12 Rn. 21). Das überzeugt jedoch deshalb nicht, weil es hier nicht um die Frage der Höhe einer Rückvergütung geht, sondern darum, dass sich der Anleger nicht sicher ist, dass eine solche überhaupt gezahlt wird. Für die hier in Rede stehende Problematik vermag die vom OLG Frankfurt herangezogene Rechtsprechung daher nicht weiterzuhelfen. Der BGH geht in der hier zu besprechenden Entscheidung leider auf die genannten obergerichtlichen Urteile nicht ein. Allerdings bestätigt er mittelbar die Ansicht des OLG Düsseldorf.
Dass der BGH im vorliegenden Urteil von 2016 allein auf den Wortlaut der Aussagen des Anlegers abstellt, erscheint auf den ersten Blick wenig befriedigend. Sofern der Kunde gut beraten ist, wird er im Hinblick auf seinen Wissensstand bzgl. Rückvergütungszahlungen regelmäßig nur von einer „Annahme“ oder einer bloßen „Vermutung“ sprechen, nicht jedoch von gesicherter Erkenntnis oder ähnlichem. Der beklagten Bank obliegt dann der Nachweis, dass der Anleger von Rückvergütungszahlungen zumindest generell wusste. Insofern stellt sich die Frage, welche Indizien außer der Aussage des Kunden noch für oder gegen ein positives Wissen sprechen.
Der Bank kann ein Nachweis von positiver Kenntnis beim Anleger nur dann gelingen, wenn dieser eine solche entweder „zugibt“ oder andere Quellen eine entsprechende Kenntnis nahelegen. Der BGH führt hierbei etwa allgemein zugängliches Informationsmaterial zur Kapitalanlage oder Berichte von anderen Erwerbern dieser Anlage an (BGH, Urt. v. 15.03.2016 – XI ZR 122/14 Rn. 32 – WM 2016, 780). Ob ein solcher Nachweis jedoch schon genügen kann, ist fraglich. Denn da es sich um ein subjektives Tatbestandsmerkmal handelt, wäre nachzuweisen, dass der Kunde von dieser Quelle auch Kenntnis hatte oder sich zumindest einer Kenntnis bewusst verschlossen hat. Das bloße objektive Existieren einer solchen Quelle kann jedenfalls nicht genügen. Für die Annahme einer positiven Kenntnis als subjektive Voraussetzung muss noch mehr hinzutreten.
3. Allerdings wird es in der Praxis auf den Nachweis positiver Kenntnis regelmäßig nicht ankommen, da für die Erfüllung des § 199 Abs. 1 BGB auch eine grob fahrlässige Unkenntnis ausreichend ist. Der BGH befasste sich daher sodann mit der Möglichkeit einer grob fahrlässigen Unkenntnis des Anlegers von den den Schadensersatzanspruch begründenden Umständen. Das setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Der Gläubiger darf ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt haben. Er dürfte nicht beachtet haben, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Insofern wird regelmäßig auf das Vorliegen eines schweren Obliegenheitsverstoßes in eigenen Angelegenheiten abgehoben.
Fraglich war, ob diesbezüglich für einen schweren Obliegenheitsverstoß in eigenen Angelegenheiten und damit ein „Verschulden gegen sich selbst“ schon ausreicht, dass der Kunde eine Provisionszahlung vermutet hatte. Der BGH verlangt jedenfalls in ständiger Rechtsprechung, dass sich die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben müssen. In diesem Zusammenhang hebt der XI. Zivilsenat des BGH auch darauf ab, dass der Kläger davor „letztlich die Augen verschlossen“ haben muss (BGH, Urt. v. 15.03.2016 – XI ZR 122/14 Rn. 33 – WM 2016, 780). Diese Formulierung findet sich auch in zahlreichen anderen Urteilen (vgl. etwa BGH, Urt. v. 27.09.2011 – VI ZR 135/10 Rn. 11 – WM 2011, 2128; OLG Hamm, Urt. v. 05.06.2012 – 34 U 147/11 Rn. 93). Sie ist insofern verblüffend, weil sie teilweise auch zur Begründung einer positiven Kenntnis herangezogen wird (Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 69 ff.; siehe auch Lakkis in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 199 Rn. 68). Hier zeigt sich die – jenseits der Verjährungsfrage generell bestehende – „dünne Scheidewand“ in der Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und grober Fahrlässigkeit.
4. Zutreffend sind auch die Ausführungen zum Bestehen einer Nachforschungspflicht. Eine solche wird vom BGH grundsätzlich abgelehnt. Eine Nachforschungspflicht soll nur dann gegeben sein, wenn „das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falls als geradezu unverständlich“ erscheint (BGH, Urt. v. 15.03.2016 – XI ZR 122/14 Rn. 33 – WM 2016, 780). Anders gewendet: Es müssen sich für den Anleger Anhaltspunkte ergeben, die eine Nachforschung nahelegen.
Ein solcher Fall des „Unverständlichen“ kann grundsätzlich in einer Beratungssituation nicht vorliegen. Denn hier vertraut der Anleger nicht nur auf die Richtigkeit der Angaben des Beraters, sondern auch auf deren Vollständigkeit. Aufgrund der Beratungssituation darf er auch darauf vertrauen. Der Anleger muss beim Anlageberater nicht nachfragen, wenn er Provisionszahlungen generell für möglich hält, der Berater solche Zahlungen aber nicht erwähnt. Grobe Fahrlässigkeit des Anlegers kann aber dann vorliegen, wenn dieser von Hinweisen in bestimmten Quellen keine Kenntnis nimmt, obwohl er das könnte. So handelt er etwa grob fahrlässig, wenn er die knappen und übersichtlichen Risikohinweise in einem auch von ihm unterschriebenen Beratungsprotokoll nicht liest (OLG Celle, Urt. v. 23.06.2016 – 11 U 9/16 Rn. 34 ff.). Das kann nicht nur bzgl. im Protokoll enthaltener Risikohinweise, sondern muss auch in Bezug auf dort erwähnte Rückvergütungen gelten. Anders ist das lediglich dann, wenn die fraglichen Angaben in einem umfangreichen Prospekt enthalten sind. In diesem Fall kann der Anleger auf die (Nicht-)Angaben des Beraters vertrauen (BGH, Urt. v. 08.07.2010 – III ZR 249/09 Rn. 33).
Auch auf Beschwichtigungen des Anlageberaters darf grundsätzlich noch vertraut werden (BGH, Urt. v. 17.03.2016 – III ZR 47/15 Rn. 12 – BKR 2016, 217). Unklar ist nur, ab welchem Maß an Beschwichtigung eine „Unverständlichkeit“ und damit eine Nachforschungspflicht bejaht werden kann. Diesbezüglich hatte der III. Zivilsenat des BGH jüngst entschieden, dass ein Anleger, der es grob fahrlässig unterlässt, sich trotz eines konkreten Anlasses über einen bestimmten Umstand zu informieren, so behandelt wird, als hätte er hiervon Kenntnis (BGH, Urt. v. 17.03.2016 – III ZR 47/15 Rn. 17 – BKR 2016, 217). Verlässliche Kriterien dafür, wann genau ein solcher „konkreter Anlass“ vorliegen soll, fehlen derzeit noch.
5. Der Gesichtspunkt von Treu und Glauben steht dem gewonnenen Ergebnis nicht entgegen. Das deckt sich mit dem, was der BGH schon in Bezug auf ein mögliches Mitverschulden des Anlegers nach § 254 Abs. 1 BGB entschieden hat. In diesem Rahmen wird ebenfalls darauf abgehoben, dass der Anleger auf die Angaben seines Anlageberaters vertrauen darf. Ihm kann daher vom Schuldner nicht entgegengehalten werden, er habe den Angaben des Anlageberaters nicht vertrauen dürfen und trage daher ein Mitverschulden (so der XI. Zivilsenat etwa in BGH, Urt. v. 22.03.2011 – XI ZR 33/10 Rn. 41 – BGHZ 189, 13 = BKR 2011, 293; BGH, Urt. v. 22.03.2016 – XI ZR 425/14 Rn. 37 – BKR 2016, 291; ebenso der III. Zivilsenat etwa in BGH, Urt. v. 19.02.2015 – III ZR 90/14 Rn. 13 – BKR 2015, 214). Hier wie dort kann sich insbesondere dann etwas anderes ergeben, wenn der geschädigte Anleger über eigene Sachkunde verfügt oder zusätzliche Informationen von dritter Seite erlangt hat (BGH, Urt. v. 19.02.2015 – III ZR 90/14 Rn. 13 a.E. – BKR 2015, 214).

D. Auswirkungen für die Praxis

Für die Praxis ergibt sich aus dem vorliegenden Urteil im Grunde nichts Neues. Der XI. Zivilsenat des BGH setzt seine Rechtsprechung konsequent fort. Das schafft in diesem Bereich Rechtssicherheit. Das Urteil steht auch in Einklang mit den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen (vgl. Deppenkemper in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 11. Aufl. 2016, § 199 Rn. 13, 17), so dass auch hier kein Spannungsverhältnis zu verzeichnen ist.
Für die Banken bedeutet das Urteil, dass sie in Bezug auf Klageverfahren die sog. Rückvergütungsrechtsprechung noch geraume Zeit beschäftigen wird. Immerhin kann der Verjährungsbeginn zeitlich weit „verzögert“ sein, wenn dem Anleger weder positive Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen nachzuweisen ist noch ihm diesbezüglich der Vorwurf grober Fahrlässigkeit gemacht werden kann. Insofern ist zentraler Punkt die Darlegung der erforderlichen Kenntnisintensität bzgl. der Zahlung von Rückvergütungen. Erst nach Ablauf von zehn Jahren ab Entstehung des Anspruchs ist für die Bank endgültig Rechtssicherheit eingetreten, da dann auf alle Fälle Verjährung eingetreten ist (§ 199 Abs. 2 Nr. 1 BGB).