Nachfolgend ein Beitrag vom 6.7.2016 von Ziemann, jurisPR-ArbR 27/2016 Anm. 5
Leitsätze
1. Vereinbaren die Parteien in einem gerichtlichen Vergleich eine Freistellung des Arbeitnehmers, ohne dass die Parteien zuvor über den Gegenstand der Freistellungsregelung gestritten haben oder sich außergerichtlich bindend auf eine Freistellung verständigt haben, ist die Freistellungsregelung bei der Einigungsgebühr als Mehrvergleich zu berücksichtigen.
2. Jedenfalls dann, wenn die Dauer der vereinbarten Freistellung einen Monat übersteigt, beträgt der Vergleichsmehrwert der Freistellungsregelung ein Bruttomonatsgehalt.
A. Problemstellung
Bestandsschutzstreitigkeiten werden im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren häufig durch Vergleich beigelegt. In solchen Vergleichen finden sich oft Regelungen zur Freistellung der klagenden Partei von der Arbeitspflicht bis zum Beendigungstermin des Arbeitsverhältnisses. Umstritten ist insoweit, ob solche Freistellungsregelungen als Vergleichsmehrwert zu berücksichtigen sind.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung zum 31.12.2015. Der Rechtsstreit wurde durch Prozessvergleich vom 29.10.2015 erledigt. Darin einigten sich die Parteien u.a. auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.07.2016 und auf die Freistellung der Klägerin bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsgericht setzte für die Freistellungsregelung keinen Vergleichsmehrwert an. Hiergegen hat sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit der Beschwerde gewandt. Er hat insoweit einen Vergleichsmehrwert von einem Monatsentgelt geltend gemacht.
Das LArbG Hamburg hat für die Freistellungsregelung ein Monatsentgelt als Vergleichsmehrwert angesetzt. Nach VV 1000 Abs. 1 Nr. 1 der Anlage 1 zum RVG sei eine Einigungsgebühr entstanden. Von den Parteien sei ein Vergleich geschlossen worden. Dieser umfasse die Freistellungsregelung. Für die Freistellungsregelung sei eine 1,5-Einigungsgebühr angefallen.
Die einbezogenen Gegenstände seien Teile des Vergleichs, unabhängig davon, ob es sich um einen außergerichtlichen Vergleich oder einen gerichtlichen Vergleich handele. Es komme nicht darauf an, ob vor Abschluss des Vergleichs in Bezug auf diese Gegenstände Ansprüche geltend gemacht worden seien und ob die Parteien über deren Berechtigung gestritten hätten. Die Regelungen, die im Vergleich in Bezug auf andere, bis zum Vergleichsschluss nicht im Streit befindlichen Gegenstände getroffen würden, seien nicht nur der „Preis“ für die gefundene Einigung, sondern deren Bestandteil. Ein Vergleich, auch ein gerichtlicher Vergleich, könne nicht in solche Teile, hinsichtlich derer bereits ein Streit bestand, und andere Teile aufgespalten werden.
Soweit der – nicht bindende – Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 09.07.2014 eine Freistellungsregelung im Vergleich nur dann als Mehrvergleich im Rahmen einer Einigungsgebühr berücksichtige, wenn eine Partei sich eines Anspruchs oder eines Rechts zur Freistellung berühmt habe, könne der Vorschlag des Streitwertkatalogs nicht umgesetzt werden. Zwar sei die Zielrichtung des Streitwertkatalogs, die Wertfestsetzung in arbeitsgerichtlichen Verfahren zu vereinheitlichen, an sich unterstützenswert. An dieser Stelle sei die Vorgabe des Katalogs jedoch mit der gebotenen Auslegung der gebührenrechtlichen Regelungen der VV 1000 ff. der Anlage 1 zum RVG nicht in Einklang zu bringen.
Der Mehrwert der Freistellungsregelung betrage ein Monatsgehalt. Die Freistellung stelle das rechtliche Gegenstück zum Weiterbeschäftigungsanspruch (gemeint ist wohl der Beschäftigungsanspruch) dar. Es erscheine plausibel, Beschäftigung und Nichtbeschäftigung nach Ausspruch einer Kündigung gleich zu bewerten.
C. Kontext der Entscheidung
Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu entnehmen, an welcher Vorschrift sie sich für die Bemessung des Vergleichsmehrwerts orientiert. Soweit das Landesarbeitsgericht ausführlich darlegt, dass im Hinblick auf den – angenommenen – Mehrvergleich eine Einigungsgebühr angefallen sei, kann daraus nichts für die Streitwertbemessung abgeleitet werden. Solche Überlegungen mögen für die Festsetzung der Vergütung nach § 11 RVG bzw. nach § 55 RVG von Bedeutung sein.
Für die Berechnung des Vergleichswerts und des Vergleichsmehrwerts existiert keine besondere Vorschrift. Daher wird auf den Anspruch und das Recht abgestellt, die Gegenstand des Vergleichs sind. Deren Bewertung richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften, also nach den §§ 39 ff. GKG und den §§ 3 ff. ZPO unter Berücksichtigung von Ermäßigungsvorschriften wie § 42 GKG (Kurpat in: Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar, 14. Aufl., Rn. 5483). Dabei ist Gegenstand des Vergleichs nicht das, worauf sich die Parteien einigen (Verhandlungsergebnisse/Zugeständnisse), sondern worüber sie gestritten haben (BAG, Urt. v. 16.05.2000 – 9 AZR 279/99; OLG Hamm, Urt. v. 01.04.1992 – 20 U 283/91; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.06.2008 – 24 W 17/08). Der Gegenstand, aus dessen Wert sich die Einigungsgebühr berechnet, ist also nicht die nach dem Vergleich zu erbringende Leistung, sondern das Rechtsverhältnis, über das der Streit oder die Ungewissheit bestanden hat, die der Vergleich beseitigt (BGH, Urt. v. 28.05.1979 – III ZR 89/78; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.06.2008 – 24 W 17/08). Der Wert eines Vergleichs bemisst sich daher nach dem Gegenstand, über den sich die Parteien vergleichen, und nicht nach der Leistung, auf die sie sich verständigen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.04.2005 – 24 U 66/04; OLG Frankfurt, Beschl. v. 09.07.1985 – 5 W 12/85; OLG München, Beschl. v. 22.02.2000 – 14 W 333/99; OLG Bamberg, Beschl. v. 23.10.1990 – 2 WF 146/90; OLG Schleswig, Beschl. v. 27.11.1990 – 9 W 136/90; OLG Hamburg, Beschl. v. 12.06.1981 – 8 W 155/81; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.01.2008 – 4 U 145/07; LArbG Düsseldorf, Beschl. v. 19.02.2008 – 6 Ta 38/08; LArbG Düsseldorf, Beschl. v. 28.12.2007 – 6 Ta 610/07; LArbG Köln, Beschl. v. 12.02.2010 – 7 Ta 363/09; LArbG Köln, Beschl. v. 06.01.2010 – 8 Ta 210/09; LArbG Köln, Beschl. v. 29.03.2007 – 3 Ta 58/07; LArbG Hamm, Beschl. v. 10.12.2009 – 6 Ta 541/09; LArbG Hamburg, Beschl. v. 11.01.2008 – 8 Ta 13/07; LArbG Mainz, Beschl. v. 21.11.2006 – 6 Ta 212/06; LArbG Halle (Saale), Beschl. v. 08.12.2004 – 8 Ta 163/04; LArbG Stuttgart, Beschl. v. 23.12.2009 – 5 Ta 158/09; LArbG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 12.03.2009 – 17 Ta (Kost) 6011/09).
Eine Bewertung setzt das Vorliegen mindestens der Voraussetzungen einer Einigung i.S.v. Nr. 1000 VV RVG voraus. Es muss also die Mitwirkung bei einem Vertrag vorliegen, durch den
• der Streit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird oder
• die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird oder
• die Unsicherheit über die Verwirklichung eines Anspruchs beseitigt wird.
Über ein Rechtsverhältnis herrscht Streit, wenn die Parteien divergierende Standpunkte zur Sach- oder Rechtslage behaupten (BAG, Urt. v. 26.04.2006 – 7 AZR 366/05; Marburger in: Staudinger, BGB, § 779 Rn. 22). Dafür ist nicht erforderlich, dass jede Partei von der Richtigkeit ihrer Prätention überzeugt ist. Es genügt, wenn sie dem Gegner gegenüber ernstlich darauf beharrt. Unerheblich ist auch, ob die Rechtslage objektiv unübersichtlich ist oder ob ein Richter den Streit sofort entscheiden könnte; denn es kommt allein auf die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die Parteien an (Marburger in: Staudinger, BGB, § 779 Rn. 22).
Ungewissheit besteht, soweit über das Rechtsverhältnis keine Klarheit herrscht. Das wird subjektiv, vom Standpunkt der Parteien aus, bestimmt. Ungewiss ist danach folglich auch, was nur den Parteien unklar ist (BGH, Urt. v. 24.03.1976 – IV ZR 222/74). Für die Ungewissheit genügen dann subjektive Zweifel tatsächlicher oder rechtlicher Art, die den Bestand des sog. Ausgangsrechtsverhältnisses betreffen, wobei dieser Begriff weit zu fassen ist und insbesondere ein kraft Gesetzes entstandenes Rechtsverhältnis ausreicht (BGH, Urt. v. 06.11.1991 – XII ZR 168/90). Neuerdings wird auf die bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit und auf die von objektiver Ungewissheit gekennzeichnete Vergleichslage abgestellt (BGH, Urt. v. 09.11.2006 – IX ZR 285/03). Streit oder Ungewissheit können sich auf das gesamte Rechtsverhältnis oder nur einen Teil, auf einzelne Leistungsmodalitäten, auf das Bestehen von Einwendungen oder Einreden, auf tatsächliche oder rechtliche Umstände oder auf die künftige Rechtsentwicklung beziehen. Streit oder Ungewissheit muss wirklich bestanden haben und darf nicht lediglich von den Parteien (verabredetermaßen) vorgetäuscht worden sein. Auch müssen Streit oder Ungewissheit im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgelegen haben. Weder genügt, dass sie in Zukunft entstehen können, noch dass sie irgendwann vor Vertragsschluss vorhanden waren (Marburger in: Staudinger, BGB, § 779 Rn. 25).
Der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis steht es entsprechend § 779 Abs. 2 BGB gleich, wenn die Verwirklichung eines Anspruchs unsicher ist. Verwirklichung betrifft die Erfüllung, gleichgültig ob durch freiwillige Leistung oder zwangsweise im Wege der Klage und Vollstreckung. Unsicher ist inhaltlich gleichbedeutend mit ungewiss. Die Unsicherheit kann sich auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schuldners, auf den (ungewissen) Erfolg der Zwangsvollstreckung, aber auch auf das z.B. durch Beweisschwierigkeiten oder schwankende Rechtsprechung verursachte Prozessrisiko beziehen (Marburger in: Staudinger, BGB, § 779 Rn. 26).
Nach dieser Maßgabe überzeugt die Abweichung vom Streitwertkatalog nicht. Nach Nr. 22.1 des aktuellen Streitwertkatalogs 2016 fällt ein Vergleichsmehrwert nur an, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Der Wert des Vergleichs erhöht sich demnach nicht um den Wert dessen, was die Parteien durch den Vergleich erlangen oder wozu sie sich verpflichten. Dies entspricht, wie oben dargestellt, der ganz herrschenden Meinung im Streitwertrecht.
D. Auswirkungen für die Praxis
Mit der Einführung eines Streitwertkatalogs wurde der Weg zu einer einheitlichen Streitwertrechtsprechung eingeleitet. Über den Streitwertkatalog wird versucht, bundesweit eine Typisierung zu etablieren. Hierfür spricht der Vorrang der Rechtssicherheit vor der Einzelüberzeugung. Der Streitwertkatalog bildet eine Richtlinie ohne normative Kraft. Es handelt sich um ein Hilfsmittel, das von der Richterin oder dem Richter zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs „nach freiem Ermessen“ verwendet wird, um eine möglichst gleichmäßige Behandlung gleichartiger Lebenssachverhalte zu erreichen (Ziemann, jurisPR-ArbR 30/2014 Anm. 1). Nach der Vorbemerkung zum aktuellen Streitwertkatalog 2016 versteht sich der Katalog als Angebot auf dem Weg zu einer möglichst einheitlichen Wertrechtsprechung in Deutschland, im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für alle Beteiligten. Er beansprucht jedoch keine Verbindlichkeit. Gleichwohl ist es den Beteiligten des Festsetzungsverfahrens schwer zu vermitteln, wenn nicht einmal durch ein und dasselbe Landesarbeitsgericht eine einheitliche Bewertung eines Streitwerttatbestands erfolgt (vgl. LArbG Hamburg, Beschl. v. 26.08.2015 – 1 Ta 10/15).