Nachfolgend ein Beitrag vom 25.7.2018 von Beckmann, jurisPR-ArbR 30/2018 Anm. 3
Leitsätze
1. Gemäß §§ 23, 29 des Tarifvertrages für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit (TV-BA) wird während des Erholungsurlaubes das Gehalt sowie die sonstigen in Monatsbeträgen festgelegten Gehaltsbestandteile weitergezahlt.
2. Ein Arbeitnehmer, der vom 01.02. bis 30.06.2016 in Teilzeit an fünf Arbeitstagen und ab 01.07. bis 31.12.2016 in Vollzeit an fünf Arbeitstagen beschäftigt war und seinen während der Teilzeitbeschäftigung erworbenen Jahresurlaub in dem Zeitraum der Vollzeitbeschäftigung in Anspruch nimmt, steht Urlaubsentgelt auf Basis der Vollzeitbeschäftigung zu.
3. §§ 23, 29 TV-BA und § 11 BUrlG sind nicht einschränkend dahin gehend auszulegen, dass das Urlaubsentgelt abschnittsweise und orientiert an den Wochenstunden im Verhältnis zur tarifvertraglich geregelten Vollzeitbeschäftigung zu berechnen ist.
A. Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit der in der Praxis nicht seltenen Problemstellung, dass ein Arbeitnehmer im Laufe eines Kalenderjahres von Teilzeit- in Vollzeit wechselt und dem daraus resultierenden Urlaubsentgeltanspruch.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten über die Höhe von Urlaubsentgelt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden TV-BA) Anwendung. Dieser regelt in § 23 TV-BA, dass in Fällen der Gehaltsfortzahlung, also auch bei Erholungsurlaub, das Gehalt sowie die in sonstigen Monatsbeträgen festgelegten Gehaltsbestandteile weiter zu zahlen sind. Der Kläger war in der Zeit vom 01.03.2016 bis 30.06.2016 in Teilzeit mit einer Arbeitszeit von 33 Stunden pro Woche an fünf Arbeitstagen beschäftigt. Anschließend war er vom 01.07.2016 bis 31.12.2016 in Vollzeit (39 Wochenstunden) ebenfalls an fünf Arbeitstagen pro Woche beschäftigt. Im Rahmen dieser Vollzeitbeschäftigung nahm der Kläger Urlaub. Für diesen Urlaub berechnete die Beklagte zunächst Urlaubsentgelt auf der Basis einer Vollzeitbeschäftigung und forderte anschließend die aus ihrer Sicht eingetretene Überzahlung zurück. Sie argumentierte dahingehend, dass der Kläger den Urlaub erworben habe, als er in Teilzeit beschäftigt gewesen sei, so dass ihm nur ein Anspruch auf entsprechendes Teilzeitentgelt zustehe.
Die Klage war in beiden Instanzen nicht erfolgreich.
Das LArbG Hannover hat sich der erstinstanzlichen Entscheidung angeschlossen und vertiefend ausgeführt, dass der Einwand, die angefochtene Entscheidung berücksichtige nicht die Entscheidung des EuGH vom 11.11.2015 (C-219/14 „Greenfield“) und vom 22.04.2010 (C-486/08 „Zentralbetriebsrat der Landeskrankenkassen Tirols“) sowie vom 13.06.2013 (C-415/12 „Brandes“) nicht greife. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei aus den vorgenannten Rechtsgrundsätzen des EuGH nicht abzuleiten, dass die § 23, 29 TV-BA sowie § 11 BUrlG europarechtskonform einschränkend auszulegen seien, dass das Urlaubsentgelt abschnittsweise und orientiert an den Wochenarbeitsstunden im Verhältnis zur tarifvertraglich geregelten Vollzeitbeschäftigung zu berechnen sei. Es könne offenbleiben, ob aus den von der Beklagten zitierten Entscheidungen des EuGH die vertretene Rechtsauffassung abzuleiten sei. Vorliegend sähen die Regelungen des BUrlG und der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbare TV-BA für den Kläger günstigere Regelungen vor.
Der EuGH habe in seiner Entscheidung vom 11.11.2015 (C-219/14 „Greenfield“) ausgeführt, dass § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit und Art. 7 der Richtlinie 2003/88 zwar von den Mitgliedstaaten nicht verlange, eine Nachberechnung der bereits entstandenen Ansprüche auch für Jahresurlaub vorzunehmen, wenn ein Arbeitnehmer die Zahl seiner Arbeitsstunden erhöhe, die Regelungen aber auch nicht dem entgegenstehen, dass Mitgliedstaaten günstigere Bestimmungen für die Arbeitnehmer einführen und eine solche Nachberechnung vornehmen könnten. Der EuGH habe damit klargestellt, dass es den Mitgliedstaaten freistehe, über einen Mindeststandard des Arbeitnehmerschutzes im Bereich des Urlaubs günstigere Regelungen für die Arbeitnehmer einzuführen. Das Recht der Mitgliedstaaten für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen, bleibe nach Art. 15 der Richtlinie 2003/88 ausdrücklich unberührt.
Die Tarifnormen könnten nicht im Sinne der Beklagten einschränkend zulasten des Klägers ausgelegt werden. Dies ergebe eine Auslegung der tarifvertraglichen Normen. Bei der gebotenen Anwendung der Auslegungsgrundsätze tarifvertraglicher Normen könne § 29 TV-BA nicht dahingehend ausgelegt werden, dass der kalenderjährlich bestimmte Urlaubsanspruch nach dem Zeitabschnitt fragmentiert und damit als Summe mehrerer (Teil-)Urlaubsansprüche zu berechnen sei. Die von der Beklagten vertretene Auffassung bei der Bemessung der Gehaltsfortzahlung während des Urlaubs nach einer Arbeitszeitänderung müsse § 23 TV-BA europarechtskonform einschränkend ausgelegt werden, finde weder im Wortlaut noch in der Systematik des Tarifvertrages einen Niederschlag. Tariflicher Referenzzeitraum sei das gesamte Kalenderjahr, was daraus folge, dass die Tarifnorm bestimme, dass der „Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr“ 30 Tage betrage. Maßgeblicher Berechnungszeitraum des Urlaubsentgelts sei darüber hinaus derjenige, zu dem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Urlaub gewähre. Dies ergebe sich aus der Verweisung in § 29 Abs. 1 TV-BA auf § 34 Abs. 1 TV-BA. Die Vorschrift des § 23 TV-BA begründe zwar selbst keinen Gehaltsfortzahlungsanspruch, sondern setze ihn voraus. Sie regele allerdings einheitlich für alle Beschäftigten die Höhe des trotz Nichtleistung der Arbeit fortzuzahlenden Gehalts in den abschließend aufgeführten Fällen, so auch des Erholungsurlaubs.
Schließlich entspreche die Regelung in § 23 Abs. 1 TV-BA den Regelungen der §§ 1 und 3 BUrlG. Es sei geregelt, dass Anspruch auf „bezahlten“ Erholungsurlaub bestehe. Die in § 1 BUrlG begründete Verpflichtung des Arbeitgebers, grundsätzlich alle in Folge der Arbeitsbefreiung ausfallenden Arbeitsstunden zu vergüten, habe zudem weder in § 11 noch an anderer Stelle im BUrlG eine einschränkende Regelung erfahren. Es könne der Zeitfaktor, der zugleich auch der Multiplikator für das Urlaubsentgelt nach § 11 BUrlG sei, von den Tarifvertragsparteien nicht zulasten des Arbeitnehmers verändert werden. Das gelte insbesondere im Hinblick auf die Vorschrift des § 13 Abs. 1 BUrlG. Tarifverträge dürften die aus § 1 BUrlG folgende Entgeltfortzahlungspflicht nicht durch eine von § 11 Abs. 1 BUrlG abweichende Berechnung der weiterzuzahlenden Vergütung mindern. Auch nach der Rechtsprechung des BAG bedeute der in § 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie enthaltene Begriff des „bezahlten“ Jahresurlaubs, dass das Arbeitsentgelt für die Dauer des Jahresurlaubs im Sinne der Richtlinie weiter zu gewähren sei. Der Arbeitnehmer müsse für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung konkretisiert die Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf tarifliche Regelungen sowie auch das BUrlG. Das LArbG Hannover stellt dabei heraus, dass insbesondere auch nach der Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 06.05.2014 – 9 AZR 678/12) das Recht der Mitgliedstaaten besteht, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen.
Im Einklang mit der Entscheidung des BAG vom 20.09.2016 (9 AZR 429/15) bekräftigt das Landesarbeitsgericht, dass Tarifverträge die aus § 1 BUrlG folgende Entgeltfortzahlungspflicht nicht durch eine von § 11 BUrlG abweichende Berechnung der weiterzuzahlenden Vergütung mindern dürfen. Das Landesarbeitsgericht stellt ferner im Einklang mit der Entscheidung des EuGH vom 22.05.2014 (C-539/12 „Lock“) heraus, dass der in § 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie enthaltene Begriff des „bezahlten Jahresurlaubs“ als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs behandelt wird, nämlich den Anspruch auf Jahresurlaub und denjenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts. Durch das Erfordernis der Zahlung des Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs in die Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist. Dabei muss jede Unannehmlichkeit, die untrennbar mit der Erfüllung der dem Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben verbunden ist und durch einen in die Berechnung des Gesamtentgelts des Arbeitnehmers eingehenden Geldbetrag abgegolten wird, zwingend Teil des Betrages sein, auf den der Arbeitnehmer während seines Jahresurlaubs Anspruch hat (EuGH, Urt. v. 22.05.20014 – C-539/12 „Lock“; sowie BAG, Urt. v. 20.09.2016 – 9 AZR 429/15).
D. Auswirkungen für die Praxis
Das LArbG Hannover hat die Revision zugelassen. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts orientiert sich allerdings an der Rechtsprechung des EuGH und BAG, so dass Überraschungen in einem etwaigen Revisionsverfahren nicht unbedingt zu erwarten sind.
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