Nachfolgend ein Beitrag vom 28.6.2018 von Ruppel, jurisPR-MedizinR 5/2018 Anm. 5

Leitsatz

Zu der Frage, ob die Werbung eines Zahnarztes für seine Praxis mit dem Begriff „Praxisklinik“ irreführend i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG sein kann.

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Eine (Einzel-)Praxis ohne stationäres Angebot darf sich nicht „Praxisklinik“ nennen.
2. Die Verwendung des Begriffes „Praxisklinik“ setzt aber keine regelmäßige Übernachtung von Patienten voraus, sondern nur die Möglichkeit, im Ausnahmefall vorübergehend – nicht mehrtägig – stationär aufgenommen werden zu können.
3. Die für die Frage der Irreführung maßgebliche Verkehrsauffassung wird nicht aus den gesetzlichen Vorschriften (insb. des SGB V) abgeleitet.

A. Problemstellung

Wenngleich das ärztliche Werberecht in den letzten Jahren sowohl in berufs- als auch heilmittelwerberechtlicher Hinsicht eine deutliche Liberalisierung erfahren hat, so bestehen doch immer noch Grenzen. Nachdem das Landgericht einem in Einzelpraxis tätigen Zahnarzt, der kein stationäres Angebot vorhält, die Verwendung des Begriffes „Praxisklinik“ noch erlaubt hatte, hat das Berufungsgericht klargestellt, dass hierbei auch weiterhin von einer Irreführung auszugehen sei.
Fraglich ist zudem die Bedeutung der Verkehrsanschauung zur Frage der Irreführung bei der Verwendung legaldefinierter Begriffe.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger war ein Verein zur Förderung gewerblicher Interessen. Beklagter war ein in Einzelpraxis tätiger Zahnarzt. In der ursprünglichen Baugenehmigung der Praxis sei eine „separate Suite“ für Übernachtungen vorgesehen gewesen, die aber mangels Nachfrage aufgegeben worden sei.
Nachdem der Kläger in einem vorangegangenen Verfahren dem Zahnarzt bereits die Verwendung des Begriffes „Dentalklinik“ verboten hatte, mahnte er den Zahnarzt jetzt auch für die nunmehr verwendete Bezeichnung „Praxisklinik“ ab.
Der Kläger war der Ansicht, die Verwendung des Begriffes „Praxisklinik“ sei irreführend und verstoße gegen § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG. Verbraucher verstünden den Begriff der „Klinik“ als Synonym für „Krankenhaus“ und erwarteten daher die Möglichkeit eines stationären Aufenthaltes. Denn der Wortteil „Klinik“ müsse eine eigene Bedeutung haben, eine Praxisklinik daher auch – wenngleich eventuell in geringerem Umfang – stationäre Leistungen erbringen können.
Die Zahnärztekammer sei der Ansicht, eine Praxisklinik sei zwar in Anlehnung an § 115 SGB V grundsätzlich eine ambulante Einrichtung, in der aber zusätzlich auch stationäre Versorgungsleistungen erbracht werden könnten.
Der beklagte Zahnarzt war der Ansicht, Verbraucher würden bei einer „Praxisklinik“ keine Möglichkeit eines längeren stationären Aufenthaltes erwarten. Grammatikalisch handele es sich um ein Nomenkompositum – d.h. um die Bildung eines neuen Substantivs aus zwei verschiedenen Wörtern, hier den beiden Nomen „Praxis“ und „Klinik“. Beide Nomen würden sich eigentlich ausschließen – eine Praxis könne keine Klinik sein – und andersherum, weshalb der Begriff der „Praxisklinik“ an ein Oxymoron grenze. Der Begriff der „Klinik“ stehe vielmehr nach dem jetzigen Sprachgebrauch nur dafür, dass auch operative Eingriffe vorgenommen würden.
Nach Vortrag des Beklagten sei auch die Ärztekammer der Ansicht, es handele sich bei der „Praxisklinik“ nicht mehr um eine ambulante Einrichtung mit der Möglichkeit der stationären Aufnahme, sondern um eine aufgewertete ambulante Einrichtung. Die Praxis sei keine „gewöhnliche“ Zahnarztpraxis, denn Patienten würden auch Getränke erhalten; feste Nahrung sei nach Operationen im Zahn- und Kieferbereich ohnehin nicht indiziert.
Für das Fehlen einer Irreführung spräche auch, dass stationäre zahnärztliche Behandlungen faktisch nicht mehr vorkämen. Schließlich würde auch Wikipedia die Praxisklinik ausschließlich in den Bereich der vertragsärztlichen und damit ambulanten Versorgung verorten.
Nachdem der Zahnarzt keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatte, verfolgte der Wettbewerbsverein sein Begehren in erster Instanz vor dem LG Essen (Urt. v. 08.11.2017 – 44 O 21/17) weiter, vor dem er unterlag.
Das Landgericht wies die Klage mit der Begründung ab, es läge keine Irreführung vor. Maßgeblich bei der Feststellung der Irreführung sei „die Auffassung des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers, der der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt“ (vgl. Bornkamm/Feddersen in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl. 2018, § 5 Rn. 1.76 m.w.N.).
Das Landgericht war der Auffassung, trotz der Legaldefinition der „Praxisklinik“ in § 115 Abs. 2 Satz 1 SGB V als „Einrichtungen, in denen die Versicherten durch Zusammenarbeit mehrerer Vertragsärzte ambulant und stationär versorgt werden“, werde der Begriff der „Praxisklinik“ durch das Wort „Praxis“ soweit eingeengt, dass gerade keine stationäre Leistungserbringung notwendig sei. Eine Praxisklinik sei gerade nicht durch die Möglichkeit der stationären Aufnahme, sondern durch angebotene Operationen gekennzeichnet. Auch eine „Tagesklinik“ wiese kein stationäres Angebot auf.
Erst das OLG Hamm hat die Verwendung des Begriffes „Praxisklinik“ untersagt. Es hat auf die Berufung des Klägers hin den Zahnarzt zur Unterlassung der Verwendung des Begriffes der „Praxisklinik“ für seine Praxis verurteilt.
Für die Feststellung der Irreführung der maßgeblichen Verkehrskreise komme es nicht auf die Begriffsbestimmungen des SGB V, der Berufsordnung oder der Fachliteratur an.
Verbraucher würden bei einer „Praxisklinik“ zwar zunächst ein Leistungsangebot erwarten, welches über dasjenige einer „Praxis“ hinausgeht – diese Argumentation trug auch der beklagte Zahnarzt vor –, allerdings stellte das Oberlandesgericht klar, dass zu einer „Praxisklinik“ auch eine zumindest vorübergehende stationäre Behandlungsmöglichkeit gehöre.
„Praxisklinik“ sei auch kein Oxymoron, d.h. nicht aus zwei sich vermeintlich widersprechenden Begriffsteilen „Praxis“ und „Klinik“ gebildet, sondern der Schwerpunkt läge auf dem Begriffsteil „Klinik“. Semantisch würde – so das Oberlandesgericht mit Verweis auf den DUDEN – bei zweigliedrigen Komposita der zweite Teil dominieren. Die Verkehrsanschauung verwende „Klinik“ nach wie vor als Synonym für „Krankenhaus“ (BGH, Urt. v. 07.06.1996 – I ZR 103/94 – GRUR 1996, 802, 803 „Klinik“; OLG München, Urt. v. 15.01.2015 – 6 U 1186/14 – WRP 2015, 642, 645; Bornkamm/Feddersen in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 5 Rn. 4.33; Lindacher in: Teplitzky/Peifer/Leistner, UWG, 2. Aufl., § 5 Rn. 937).
Sodann vollzog das Oberlandesgericht eine eigenartige Wendung in seiner Argumentation: Zwar würde die Verkehrsanschauung „Klinik“ mit „Krankenhaus“ gleichsetzen (und deshalb eine stationäre Aufnahme möglich sein müssen) – aber die Verkehrsanschauung gehe auch nicht davon aus, dass es sich bei einer „Praxisklinik“ um eine „Klinik im eigentlichen Sinne handele“.
Denn – so das Oberlandesgericht wörtlich unter Bezugnahme auf den DUDEN – „die Bedeutung des Zweitgliedes eines Determinativkompositums wird regelmäßig durch das Erstglied näher bestimmt, sie wird – wie hier – eingeschränkt […].“
Der Schwerpunkt der Leistungserbringung einer Praxisklinik liege in der ambulanten Versorgung, für das Verneinen einer Irreführung reiche aber das Vornehmen auch umfangreicher Operationen nicht aus (vgl. OLG München, Urt. v. 11.03.1999 – 6 U 2075/98 – GRUR 2000, 91, zum Begriff „Tagesklinik“). Auch wenn der durchschnittliche Verbraucher bei einer Praxisklinik keine Möglichkeit einer mehrtägigen stationären Unterbringung erwarte, so doch zumindest die Möglichkeit, im Ausnahmefall vorübergehend stationär aufgenommen werden zu können. Da diese Möglichkeit bei dem beklagten Zahnarzt fehle, dürfe er seine Praxis nicht „Praxisklinik“ nennen.

C. Kontext der Entscheidung

Sowohl Kläger als auch Beklagter hatten durchaus beachtenswerte Argumente vorgetragen.
Hörenswert ist das Argument des beklagten Arztes, der Begriffsteil der „Klinik“ stehe nicht für die Möglichkeit der stationären Aufnahme, sondern für das Anbieten von Leistungen, die über eine herkömmliche Praxis hinausgingen.
Soweit das Landgericht meinte, trotz der Legaldefinition der Praxisklinik in § 115 Abs. 2 Satz 1 SGB V als „Einrichtungen, in denen die Versicherten durch Zusammenarbeit mehrerer Vertragsärzte ambulant und stationär versorgt werden“, könne der Begriff der „Praxisklinik“ so verstanden werden, dass ein stationäres Leistungsangebot nicht notwendig sei, wird dies weder durch den Wortlaut noch durch Sinn und Zweck der Norm gedeckt (gleiches Normverständnis wie hier etwa bei Szabados in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, § 115 SGB V Rn. 6).
Bleibt man – mit dem Oberlandesgericht – indes bei einer Feststellung der Verkehrsanschauung außerhalb der Legaldefinitionen, könnte eine Praxisklinik sich in der Tat von einer Praxis durch ein besonderes Leistungsangebot unterscheiden. Ob hierfür bereits das Angebot von Getränken reicht, mag deutlich bezweifelt werden, indes ist es gerade vor dem Hintergrund des Ausweitens des ambulanten Operierens nicht abwegig damit zu argumentieren, dass der Begriffsteil „Klinik“ vor allem für die Möglichkeit steht, über konservative Maßnahmen hinaus auch operativ tätig zu werden. Insbesondere angesichts der marginalen Bedeutung der stationären zahnmedizinischen Versorgung kommt diesem Argument besonderes Gewicht zu, weil Verbraucher hier vermutlich tatsächlich keine stationäre Leistungserbringung erwarten.
Verfolgt man diesen Gedanken weiter, dürfte man allerdings die Bezeichnung „Praxisklinik“ nur in den Fachgebieten für ambulante Leistungserbringer zulassen, in denen ambulantes Operieren nicht zum selbstverständlichen Leistungsangebot gehört. Denkbar wäre dies also bei Zahnärzten (aber nicht bei MKG-Chirurgen), bei Augenärzten oder Gynäkologen. Damit müsste der Begriff der „Klinik“ facharztgruppenspezifisch ausgelegt werden – und dieses Verständnis des Klinikbegriffes dürfte bei einem durchschnittlichen Verbraucher aller Wahrscheinlichkeit nach (noch) nicht verbreitet sein.
Ließe man mit dem Beklagten ein größeres Leistungsspektrum ausreichen, um eine Praxisklinik von einer Praxis abzugrenzen, würde man in Konflikte mit dem „Zentrum“ kommen; wobei der Zentrumsbegriff durch die unglückliche Verwendung in § 95 Abs. 1, 1a SGB V für Medizinische Versorgungszentren ohnehin aufgeweicht wurde.
Zutreffend ist das Oberlandesgericht der Ansicht des Klägers gefolgt, soweit dieser vorgetragen hat, dass der Begriff der „Tagesklinik“ nicht argumentativ dafür herangezogen werden könne, dass eine Praxisklinik eine rein ambulante Einrichtung sei. Denn auch die Tagesklinik ist gerade keine rein ambulante Einrichtung. Für den Begriff Tagesklinik liegt keine gesetzliche Vorgabe vor. Der angesprochene allgemeine Verkehr versteht darunter weniger als die Einrichtung einer Klinik, in der ein krankheitsbedingtes Verweilen über eine Nacht oder mehrere Nächte möglich ist. Der Wortbestandteil „Tages-“ lässt darauf schließen, dass keine Übernachtung gewährt wird (vgl. OLG München, GRUR 2000, 91).
Zu Recht stellt das Oberlandesgericht fest, eine Praxisklinik sei keine „Klinik im eigentlichen Sinne“. Offenbar ist es dann eine Klinik im „uneigentlichen Sinne“. Es nähert sich sodann der von ihm abgelehnten Argumentation des Beklagten an, dass der Begriff der Praxisklinik eigentlich widersprüchlich sei. Denn – auch hier verfolgt das Oberlandesgericht die Argumentation des Beklagten weiter – eine Praxisklinik müsse ein Leistungsspektrum aufweisen, welches über eine normale Praxis hinausgehe, aber keine mehrtägigen stationären Aufenthalte ermöglichen. Erst hier verlässt das Oberlandesgericht die Argumentation des Beklagten, wenn es zu Recht der Auffassung ist, dass zumindest eine ausnahmsweise vorübergehende stationäre Behandlung möglich sein muss. Eben diese Möglichkeit unterscheidet eine Praxisklinik von einer Praxis.
Soweit das Oberlandesgericht die Irreführung an der Verkehrsanschauung und nicht an den gesetzlichen oder in der Fachliteratur genannten Begriffsbestimmungen festmacht, ist dem vom Ausgangsgedanken her zuzustimmen. Insbesondere wenn eine Legaldefinition gegen die Zulässigkeit der Verwendung spräche, die angesprochenen Verkehrskreise aber sich genau die mit dem verwendeten Begriff behauptete Eigenschaft vorstellen würden, können diese nicht im Sinne des Wettbewerbsrechts getäuscht werden. Nicht zuzustimmen ist dem Berufungsgericht indes, wenn es einerseits behauptet, es würde die Verkehrsanschauung kennen und zugleich die Begriffsbestimmung ausdrücklich aus dem DUDEN entnimmt und diesen als maßgeblich für die Bildung der Verkehrsanschauung heranzieht. Der typische Patient dürfte den DUDEN ebenso wenig heranziehen wie das SGB V.
Zu einer gefährlichen Rechtsunsicherheit würde das Urteil indes führen, würde man die Argumentation des Oberlandesgerichts so verstehen (müssen), dass die Verkehrsanschauung auch dann maßgeblich sei, wenn ein Arzt mit legaldefinierten Begriffen wirbt – deren Voraussetzungen er erfüllt –, bei denen die Verkehrsanschauung indes zu einem anderen Eindruck kommt. So interessiert sich die Verkehrsanschauung bekanntlich wenig für die feinsinnige Unterscheidung zwischen „Besitz“ und „Eigentum“. Wenn nun zwei – seit einiger Zeit sogar fachgruppengleiche – Vertragsärzte mit je halbem Versorgungsauftrag ein Medizinisches Versorgungszentrum gründen und gleichwohl kaum mehr Leistungen erbringen als eine Einzelpraxis, so kann es gerade nicht auf die Verkehrsanschauung zur Größe und zum Leistungsangebot eines „Zentrums“ ankommen. Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, kann es nicht auf die abweichende Verkehrsanschauung ankommen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Auch weiterhin darf sich eine Einzelpraxis ohne stationäres Angebot, insbesondere ohne Übernachtungsmöglichkeit, nicht Praxisklinik nennen. Auch ein über konservative Behandlungsmöglichkeiten hinausgehendes Angebot führt nicht dazu, das Nomen „Klinik“ mitverwenden zu dürfen.
Vorsicht ist gegenüber der im Urteil des Oberlandesgerichts anklingenden Argumentation geboten, wobei es selbst bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einer Bezeichnung auf die Verkehrsanschauung ankommen könnte – dies hätte erhebliche Auswirkungen insbesondere auf kleine und fachgruppengleiche Medizinische Versorgungszentren.