Nachfolgend ein Beitrag vom 18.5.2016 von Boemke, jurisPR-ArbR 20/2016 Anm. 4
Orientierungssatz zur Anmerkung
Eine Kündigungsfrist von drei Jahren benachteiligt den Arbeitnehmer in aller Regel unangemessen.
A. Problemstellung
Gemäß § 622 Abs. 6 BGB können Arbeitgeber und Arbeitnehmer für das Arbeitsverhältnis eine längere als die gesetzlich vorgeschriebene Kündigungsfrist vereinbaren, solange dabei die Frist für die Kündigung durch den Arbeitnehmer nicht länger ist als die für eine Arbeitgeberkündigung. Die Verlängerung von Kündigungsfristen ist allerdings nicht ohne weiteres bis zur Grenze des § 624 BGB möglich, sondern regelmäßig einer Angemessenheitskontrolle zu unterziehen.
Das LArbG Chemnitz hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob eine beiderseitige Kündigungsfrist von drei Jahren der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zumindest dann standhält, wenn der Arbeitnehmer zugleich eine deutliche Gehaltserhöhung erhält.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer vertraglich vereinbarten beiderseitigen Kündigungsfrist von drei Jahren zum Monatsende. Der Beklagte war seit dem 01.12.2009 bei der Klägerin als Speditionskaufmann beschäftigt. Am 14.06.2012 unterzeichneten die Parteien eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag, der zufolge sich das monatliche Brutto-Grundgehalt von ursprünglich 1.400 Euro auf 2.400 Euro erhöhen und die Kündigungsfrist für beide Seiten auf drei Jahre zum Monatsende verlängert werden sollte. Im Vertragstext heißt es zudem:
„Die Parteien sind sich einig, dass diese Vereinbarung zwischen ihnen individuell ausgehandelt wurde.“
Mit Schreiben vom 27.12.2014 erklärte der Beklagte die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zum 31.01.2015. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit einer Feststellungsklage. Das Arbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben, auf die Berufung des Beklagten hat das LArbG Chemitz die Klage abgewiesen.
Der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung wirksam zum 31.01.2015 beendet. Die im Zusatzvertrag vereinbarte verlängerte Kündigungsfrist sei gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Die Vereinbarung müsse sich an den §§ 305 ff. BGB messen lassen. Hieran ändere die Vereinbarung, dass die Bestimmung individuell ausgehandelt wurde, nichts. Der Beklagte habe nämlich auf die von der Klägerin gestellten Vertragsbedingungen keinen inhaltlichen Einfluss nehmen können. Die Klägerin habe nichts dafür dargelegt, dass der Beklagte konkrete Vorstellungen über sein zukünftiges Gehalt und die Länge einer zukünftig geltenden Kündigungsfrist geäußert habe. Mit der vorformulierten Regelung zur Kündigungsfrist habe die Klägerin den Beklagten unangemessen benachteiligt. Für diesen bedeute die dreijährige Kündigungsfrist eine erhebliche Einschränkung in der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz. Ein Arbeitnehmer mit den Qualifikationen des Beklagten werde im Allgemeinen nicht mit einem Vorlauf von drei Jahren gesucht. Damit werde dem Arbeitnehmer bei einer Eigenkündigung das Risiko aufgebürdet, nicht nahtlos in ein neues Arbeitsverhältnis überwechseln zu können. Verschlechtert werde die Situation noch durch die Möglichkeit der Klägerin, den Beklagten ab Zugang der Kündigung bis zum Ablauf der dreijährigen Kündigungsfrist unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitsleistung freizustellen. Die Kombination von dreijähriger Kündigungsfrist und gleichzeitiger Freistellung führt dazu, dass der Mitarbeiter bei einem Wechsel über kein aktuell bei einem Konkurrenten verwertbares Wissen mehr verfügt. Diese Kombination stelle eine gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unangemessene Benachteiligung dar; aus § 74a Abs. 1 Satz 3 HGB ergebe sich der wesentliche gesetzliche Grundgedanke, dass ein Wettbewerbsverbot nicht länger als zwei Jahre bestehen dürfe.
Dieser erhebliche Nachteil für den Beklagten werde auch nicht durch die zugleich vereinbarte Gehaltserhöhung ausgeglichen, zumal nach dem eigenen Vortrag der Klägerin mit der Gehaltserhöhung die Übernahme zusätzlicher Aufgaben durch den Beklagten kompensiert werden sollte. Überdies genüge die Lohnerhöhung auch nicht, um ausreichende Rücklagen für den Fall einer zeitweiligen Einkommenslosigkeit zu bilden. Auch das grundsätzlich nachvollziehbare Interesse eines Speditionsunternehmens an einer längeren Bindung besonders qualifizierter Mitarbeiter könne im vorliegenden Fall eine derart lange Kündigungsfrist nicht rechtfertigen, weil die Klägerin gerade nicht in einem Bereich mit langfristigen Vertragsbeziehungen tätig und der Beklagte nicht in besonderer Weise qualifiziert sei.
C. Kontext der Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht bewegt sich hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen von § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, dass nämlich der Arbeitgeber die Vertragsbedingungen vorformuliert und der Arbeitnehmer aufgrund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte, im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung. Zwar trägt der Arbeitnehmer hierfür die Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urt. v. 15.04.2008 – X ZR 126/06; Basedow in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2016, § 310 Rn. 72 f.); ist – wie hier – die Vorformulierung durch den Arbeitgeber unstreitig und nur die Möglichkeit der Einflussnahme streitig, muss aber der Verwender nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast den Vortrag des Verwendungsgegners, er habe keine Einflussmöglichkeit gehabt, qualifiziert bestreiten, indem er konkret darlegt, wie er Klauseln zur Disposition gestellt hat und aus welchen Umständen darauf geschlossen werden kann, der Verwendungsgegner habe die Klauseln freiwillig akzeptiert (BAG, Urt. v. 19.05.2010 – 5 AZR 253/09 Rn. 27; BAG, Urt. v. 12.12.2013 – 8 AZR 829/12 Rn. 31). Diese Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast können nicht dadurch umgangen werden, dass im vorformulierten Vertragstext eine Klausel aufgenommen wird, wonach eine Individualvereinbarung vorliege (ausführlich dazu Kappus, NJW 2016, 33).
Weitgehendes juristisches Neuland betritt das Landesarbeitsgericht bei der Angemessenheitskontrolle der Kündigungsfrist. Das BAG hatte eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum 31.07. eines Jahres im Arbeitsvertrag einer Lehrkraft für nicht unangemessen angesehen (BAG, Urt. v. 25.09.2008 – 8 AZR 717/07 Rn. 33 ff.), was u.a. mit den Erfordernissen der Organisation des Lehrbetriebs nachvollziehbar begründet wurde. Zutreffender Kontrollmaßstab ist m.E. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB und nicht – wovon die Kammer ausgeht – § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB: Mit der Verlängerung der Kündigungsfrist für den Beklagten als Arbeitnehmer wird nämlich von § 622 Abs. 1 BGB abgewichen. Hieran ändert auch der Verweis auf § 622 Abs. 6 BGB nichts (BAG, Urt. v. 25.09.2008 – 8 AZR 717/07 Rn. 33). Die Angemessenheitskontrolle kommt insbesondere bei den Bestimmungen des dispositiven Rechts zum Zug, weil bei Verstößen gegen zwingendes Gesetzesrecht sich die Unwirksamkeitsfolge schon aus § 134 BGB bzw. der Verstoßnorm selbst ergibt (Boemke/Ulrici in: HK-ArbR, § 307 BGB Rn. 25). Die Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB soll den Parteien ausreichend Gelegenheit geben, sich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses einstellen zu können (APS/Linck, 4. Aufl. 2012, § 622 Rn. 11). Die verlängerten Kündigungsfristen in § 622 Abs. 2 BGB sollen bei zunehmender Betriebszugehörigkeit allein zugunsten des Arbeitnehmers den Bestandsschutz erhöhen (APS/Linck, § 622 Rn. 12; Preis in: Staudinger, BGB, 2012, § 622 Rn. 9). Für den Arbeitgeber steht also mit der Kündigungsfrist nicht der Bestandsschutz, sondern die Erleichterung der Personalplanung im Vordergrund (Gotthardt in: BeckOK-ArbR, Stand: 03.2016, § 622 Rn. 1; Müller-Glöge in: ErfKomm, 16. Aufl. 2016, § 622 Rn. 1; vgl. zu diesem Aspekt auch BAG, Urt. v. 06.11.1997 – 2 AZR 707/96 Rn. 16 ff.). Der Gesetzgeber hält im Allgemeinen für die Personalplanung des Arbeitgebers eine Frist von vier Wochen (zum 15. eines Monats bzw. zum Monatsende) für angemessen und ausreichend. Eine Verlängerung auf das mehr als 36fache kann angesichts dieser gesetzgeberischen Wertentscheidung wohl nur in ganz besonderen Einzelfällen gerechtfertigt werden. § 624 BGB und § 15 Abs. 4 TzBfG können nicht zugunsten besonders langer Kündigungsfristen für den Arbeitgeber ins Feld geführt werden. Es stellt einen wesentlichen Unterschied dar, ob die privatautonom eingegangene Vertragslaufzeit als essentialia negotii und damit Bedingung i.S.v. § 307 Abs. 3 BGB zugunsten des Arbeitnehmers auf ein grundrechtlich (Art. 12 GG) vertretbares Maß reduziert wird oder ob die Möglichkeit, eine auf unbestimmte Zeit eingegangene Vertragsbeziehung zeitnah beenden zu können, deutlich eingeschränkt wird. Geht man wie hier von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB als Kontrollnorm aus, dann muss nicht die (deutliche) Verlängerung der Kündigungsfrist als unangemessene sachlich gerechtfertigt werden (in diesem Sinne aber BAG, Urt. v. 28.05.2009 – 8 AZR 896/07 Rn. 32), sondern bedarf das Abweichen von der gesetzlichen Regelung einer besonderen Rechtfertigung.
D. Auswirkungen für die Praxis
Gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist die Revision beim BAG unter dem Aktenzeichen 2 AZR 158/16 anhängig. Insofern bleibt abzuwarten, ob sich die Verlängerung von Kündigungsfristen zugunsten des Arbeitgebers am Schwert der Angemessenheitskontrolle in aller Schärfe wird messen lassen müssen. Sollte dies der Fall sein, dann wären auch Vereinbarungen, mit denen lediglich die Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB zulasten des Arbeitnehmers verlängert werden, ebenfalls auf den Prüfstand zu stellen. Kompensationslos wäre dies wohl nicht mehr möglich, weil auch im Übrigen allein zulasten des Arbeitnehmers wirkende Bestimmungen schon aus diesem Grund für unangemessen eingestuft werden (BAG, Urt. v. 31.08.2005 – 5 AZR 545/04 Rn. 27 ff., einseitige Ausschlussfrist).