Nachfolgend ein Beitrag vom 21.09.2016 von Ziemann, jurisPR-ArbR 38/2016 Anm. 4
Leitsatz
Ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsantrag ist auch dann, wenn er nicht ausdrücklich als uneigentlicher Hilfsantrag gestellt wurde, als solcher auszulegen. Er ist nur dann streitwertmäßig zu berücksichtigen, wenn über ihn sachlich entschieden ist oder ein Vergleich eine Regelung darüber enthält (im Anschluss BAG v. 30.08.2011 – 2 AZR 660/10 und v. 13.08.2014 – 2 AZR 871/12).
Eine sachliche Regelung zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrag in einem Vergleich ist dann gegeben, wenn der Vergleich Vereinbarungen über den Zeitraum (der Weiterbeschäftigung) ab dem ursprünglich gesetzten Beendigungszeitpunkt enthält und der vereinbarte spätere Beendigungszeitpunkt zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch nicht verstrichen ist (im Anschluss an LArbG Stuttgart v. 30.12.2015 – 5 Ta 71/15).
A. Problemstellung
In Kündigungsschutzverfahren wird der punktuelle Kündigungsschutzantrag häufig mit dem Weiterbeschäftigungsantrag verbunden. Materiell-rechtlich hängt der Weiterbeschäftigungsantrag vom Erfolg des Kündigungsschutzantrags ab, was sich jedoch nicht immer in der gebotenen Deutlichkeit aus der Antragsfassung ablesen lässt. Bei der Streitwertfestsetzung führt dies regelmäßig zu einem Streit, ob der Weiterbeschäftigungsanspruch einen Ansatz und eine Zusammenrechnung mit dem Streitwert des Kündigungsschutzantrags rechtfertigt. Wird das Kündigungsschutzverfahren sodann durch Prozessvergleich erledigt, ist auch im Hinblick auf die Frage eines Mehrvergleichs zu prüfen, ob der Weiterbeschäftigungsantrag zu einem Ansatz berechtigt. Die Empfehlungen der Streitwertkommission im Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der überarbeiteten Fassung vom 05.04.2016 (Streitwertkatalog) enthalten unter Nr. I.23 einen Wertansatz für den Weiterbeschäftigungsanspruch, aber naturgemäß keine Empfehlung zur Auslegung des Weiterbeschäftigungsantrags als unbedingten oder bedingten Antrag und für die Anwendung von § 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 GKG.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Gegenstände des Rechtsstreits waren u.a. ein punktueller Kündigungsschutzantrag, gerichtet gegen eine ordentliche Kündigung zum 31.03.2016, und ein Weiterbeschäftigungsantrag. Der Rechtsstreit wurde durch Prozessvergleich erledigt. Dort ist unter Nr. 2 geregelt:
„Sollte die Klägerin vor dem 30.06.2016 wieder arbeitsfähig werden, wird sie von der Erbringung der Arbeitsleistung – unter Fortzahlung ihrer Vergütung und unter Anrechnung auf etwaige Urlaubsansprüche – unwiderruflich freigestellt.“
Das Landesarbeitsgericht hat den Weiterbeschäftigungsantrag in Anlehnung an die Rechtsprechung des BAG (Beschl. v. 30.08.2011 – 2 AZR 668/10, m. zust. Anm. Ziemann, jurisPR-ArbR 20/2013 Anm. 2 und Beschl. v. 13.08.2014 – 2 AZR 871/12, m. zust. Anm. Ziemann, jurisPR-ArbR 46/2014 Anm. 6) als Hilfsantrag interpretiert.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens als ein für den Fall des Erfolgs des Bestandsschutzbegehrens gestellter „uneigentlicher“ Hilfsantrag zu verstehen. Das gilt auch dann, wenn er nicht ausdrücklich als Hilfsantrag bezeichnet wird. Von seiner Unbedingtheit kann nur ausgegangen werden, wenn umgekehrt gerade der Wille, einen unbedingten Antrag zu stellen, ausdrücklich erklärt wird.
Bei der Bewertung des Hilfsantrags hat sich das Landesarbeitsgericht sodann an § 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 GKG und an Nr. I.24 Streitwertkatalog orientiert und wegen der Regelung unter Nr. 2 des Prozessvergleichs ein Monatsentgelt in Ansatz gebracht.
C. Kontext der Entscheidung
Die Miterledigung des Weiterbeschäftigungsanspruchs in einem Prozessvergleich führt bei der Streitwertfestsetzung häufig zu einem Streit darüber, ob insoweit ein Ansatz vorzunehmen ist und eine Zusammenrechnung zu erfolgen hat. Wegen dieser Problematik verweist das LArbG Köln auf eine Entscheidung des LArbG Stuttgart (Beschl. v. 30.12.2015 – 5 Ta 71/15), die sich damit sehr instruktiv und überzeugend auseinandersetzt. Ist der Weiterbeschäftigungsantrag, wie dies regelmäßig der Fall ist bzw. sein sollte (ggf. nach einem gerichtlichen Hinwirken nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO), als uneigentlicher Hilfsantrag gestellt bzw. angekündigt worden, so kommt eine Zusammenrechnung nur in Betracht, wenn über den Antrag eine Entscheidung ergeht (§ 45 Abs. 1 Satz 2 GKG) oder wenn der Antrag durch Vergleich erledigt wird (§ 45 Abs. 4 GKG i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG). Der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert gilt insoweit gemäß § 32 Abs. 1 RVG auch für die Rechtsanwaltsgebühren, da die für die Gerichtsgebühren maßgebenden Gegenstände und die Gegenstände der anwaltlichen Tätigkeit nicht auseinanderfallen (BAG, Beschl. v. 13.08.2014 – 2 AZR 871/12; LArbG Stuttgart, Beschl. v. 14.02.2011 – 5 Ta 214/10).
Allein die Erledigung des Weiterbeschäftigungsantrags durch den Prozessvergleich rechtfertigt nach dem LArbG Stuttgart (Beschl. v. 30.12.2015 – 5 Ta 71/15) keinen Ansatz für den Weiterbeschäftigungsantrag und für einen Mehrvergleich. Abgesehen vom Ausnahmefall der offensichtlich unwirksamen Kündigung erfordert der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch tatbestandlich eine stattgebende gerichtliche Entscheidung zur Unwirksamkeit der streitbefangenen Kündigung. Erst ab dem Kündigungstermin ergibt sich ein Regelungssubstrat für einen Vergleich. Im Blick auf § 45 Abs. 4 GKG korrespondiert mit dem Zeitpunkt der Verkündung einer Entscheidung derjenige des Vergleichsabschlusses bzw. – im Falle eines widerruflichen Vergleichs – der Zeitpunkt des Ablaufs der Widerrufsfrist. Der Inhalt des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs erschöpft sich allein in der tatsächlichen Weiterbeschäftigung über den ursprünglichen Beendigungstermin hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss der Bestandsschutzstreitigkeit (vergütungsrechtliche Komponenten sind in anderen Vorschriften – §§ 615 und/oder 812 BGB – geregelt). Eine sachliche Regelung zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrag, die bei der Streitwertfestsetzung einen Ansatz rechtfertigt, liegt nur vor, sofern in dem Vergleich eine tatsächliche Beschäftigung für die Zukunft, also ab dem Zeitpunkt der Geltung des Vergleichs bis zum Kündigungstermin oder vereinbarten Endtermin des Arbeitsverhältnisses geregelt wird.
Eine Addition der Streitwerte des allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrags und des Bestandsschutzantrags nach § 45 Abs. 4 GKG ist daher nur vorzunehmen, wenn jener – wie für sämtliche sonstigen Hilfsanträge auch erforderlich – nicht nur verfahrensrechtlich erledigt, sondern auch in Form einer sachlichen Regelung Eingang in den Vergleich gefunden hat. Denn darüber, ob ein Hilfsantrag in den Vergleich einbezogen worden ist, entscheidet der sachliche Gehalt der Vereinbarung, nicht der bloße Wortlaut.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des LArbG Köln zeigt, dass Anträge zur Durchsetzung fortbestandsabhängiger Ansprüche (Weiterbeschäftigungsanspruch, Verzugsvergütung, ebenso bei Folgekündigungen) nach mittlerweile wohl überwiegender Ansicht der Landesarbeitsgerichte (vgl. aber LArbG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 04.12.2015 – 17 Ta (Kost) 6104/15, m. krit. Anm. Ziemann, jurisPR-ArbR 6/2016 Anm. 6) als uneigentliche Hilfsanträge verstanden und daher nach § 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 GKG bewertet werden. Auch dürfte es einer überwiegenden Ansicht der Landesarbeitsgerichte entsprechen, dass die Miterledigung von fortbestandsabhängigen Ansprüchen in einem Prozessvergleich nicht automatisch zu einer Streitwertaddition führen, sondern nur dann, wenn die vom LArbG Baden-Württemberg überzeugend herausgearbeiteten Voraussetzungen für eine sachliche Regelung zu den fortbestandsabhängigen Ansprüchen im Vergleich vorliegen.