Nachfolgend ein Beitrag vom 18.12.2018 von Podewils, jurisPR-HaGesR 12/2018 Anm. 5
Leitsätze
1. Der in § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG zum Ausdruck gebrachte allgemeine Grundgedanke, dass von einem selbst am Geschäft beteiligten Gesellschafter nicht zu erwarten ist, er werde bei der Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung die eigenen Belange denen der Gesellschaft nachstellen, gilt auch bei einer KG.
2. Ein Gesellschafter einer KG hat bei der Beschlussfassung, die die Vornahme eines Rechtsgeschäfts ihm gegenüber betrifft, kein Stimmrecht und darf ein solches auch nicht für andere ausüben.
3. Ein Gesellschafter einer KG ist einem demnach grundsätzlich bestehenden Stimmverbot wegen eigener Betroffenheit ausnahmsweise dann nicht unterworfen, wenn über einen körperschaftlichen Sozialakt Beschluss gefasst werden soll.
4. Eine Ausnahme von dem für einen Gesellschafter einer KG wegen eigener Betroffenheit bestehenden Stimmverbot ist nicht schon allein wegen des Vorliegens eines außergewöhnlichen Geschäfts i.S.d. § 116 Abs. 2 HGB zu machen.
A. Problemstellung
Rechtsgebietsübergreifend gilt es als problematisch, wenn jemand als „Richter in eigener Sache“ handeln würde. Im Gesellschaftsrecht ist dies namentlich in § 47 Abs. 4 GmbHG, § 136 AktG, § 34 BGB und § 43 Abs. 6 GenG geregelt. Für BGB-Gesellschaften und Personenhandelsgesellschaften existieren lediglich verstreute Regelungen für besondere Einzelfälle, etwa in den §§ 712, 715 und 737 Satz 2 BGB sowie den §§ 113 Abs. 2, 117 und 140 HGB. Über diese besonders geregelten Fälle hinaus sind auch im Personengesellschaftsrecht weitere Stimmverbote nicht ausgeschlossen.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin hatte sich als Kommanditistin an der Beklagten, einer Publikumskommanditgesellschaft, beteiligt. Zweck der Gesellschaft war der Erwerb und die Verwaltung von Immobilien. Neben weiteren Kommanditisten und der Komplementär-GmbH war eine F. V. R. AG mit einer Pflichteinlage von über 14 Mio. Euro als geschäftsführende Kommanditistin beteiligt. Nach dem Gesellschaftsvertrag waren die Komplementärin sowie die geschäftsführende Kommanditistin von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.
Das Immobilienvermögen der Beklagten bestand aus drei Grundstückskomplexen in Quickborn und Chemnitz.
Im Juli 2015 fassten die Gesellschafter den Beschluss, die Veräußerung der Fondsimmobilien zu betreiben, damit anschließend die Gesellschaft liquidiert werden sollte.
Im Zuge der Umsetzung dieses Gesellschafterbeschlusses wurde ein Bieterverfahren durchgeführt, an dem sich auch die F. V. R. AG mit einem Angebot über insgesamt 20,5 Mio. Euro beteiligte. Nach einem per Ende 2016 erstellten Gutachten sollten die Immobilienkomplexe einen Verkehrswert von insgesamt 25,6 Mio. Euro haben.
Dessen ungeachtet fand im März 2017 eine außerordentlichen Gesellschafterversammlung der Beklagten statt, in der beschlossen wurde, die besagten Grundstücke für 20,5 Mio. Euro an die F. V. R. AG zu veräußern – und zwar maßgeblich mit den Stimmen der F. V. R. AG, ohne die der Beschluss nicht die erforderliche Mehrheit erreicht hätte.
Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, der besagte Beschluss sei nichtig, da die F. V. R. AG gar nicht hätte mitstimmen dürfen.
Das OLG München hat diese Einschätzung geteilt und der Klage stattgegeben.
Zwar enthält das HGB keine Regelungen über Stimmverbote. Ein Stimmverbot bestehe vorliegend jedoch analog § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG. Hiernach ist ein Gesellschaft von der Beschlussfassung ausgeschlossen, wenn diese Vornahme eines Rechtsgeschäfts bzw. die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits gegenüber einem Gesellschafter betrifft.
Das OLG München hielt eine analoge Anwendung auf die KG für geboten, da § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG wie auch § 34 BGB (für den Verein) Ausfluss eines allgemeinen Grundsatzes seien, dass von einem selbst am Geschäft Beteiligten nicht zu erwarten sei, dass er bei der Stimmabgabe die eigenen Belange gegenüber denen der Gesellschaft zurückstellen werde.
Kein Stimmverbot gilt bei sog. korporativen Sozialakten, also Entscheidungen über Angelegenheiten des innergesellschaftlichen Lebens, bei denen jeder Gesellschafter aufgrund seines Mitgliedsrechts zur Mitwirkung berufen ist (BGH, Urt. v. 31.05.2011 – II ZR 109/10 – BGHZ 190, 45; BGH, Urt. v. 09.07.1990 – II ZR 9/90 – WM 1990, 1618; Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 47 Rn. 49 f.). Hierunter dürfte auch der Beschluss über die Liquidation der Fondsgesellschaft im Juli 2015 fallen, jedoch keineswegs die Veräußerung an die F. V. R. AG, bei der es sich um einen gewöhnlichen Austausch- (sprich: Kauf-)Vertrag handelt.
Schließlich stellte das OLG München noch klar, dass es insoweit keine Rolle spiele, ob die Veräußerung als außergewöhnliches Geschäft i.S.v. § 116 Abs. 2 HGB anzusehen sei. § 116 Abs. 2 HGB diene lediglich dazu, die Befugnisse der Geschäftsführung von den der Gesellschafterversammlung vorbehaltenen Geschäften abzugrenzen. Folgerungen für etwaige Stimmverbote ergeben sich hieraus nicht.
Die im Gesellschaftsvertrag ausgesprochene Befreiung von § 181 BGB betreffe zum einen nur das Außenverhältnis und sei zum anderen nach dem Wortlaut der entsprechenden Klausel auf die Veräußerung von Grundbesitz nicht anwendbar. Beide Erwägungen sind richtig; meines Erachtens stellt sich die Frage jedoch schon deswegen nicht, weil § 47 Abs. 4 GmbHG als spezielle Norm für Interessenkonflikte bei der Stimmrechtsausübung vorrangig ist (vgl. Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 47 Rn. 60; eingehend zum Verhältnis von § 47 Abs. 4 GmbHG zu § 181 BGB Drescher in: MünchKomm GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 47 Rn. 222 ff.).
C. Kontext der Entscheidung
Bei einem vergleichenden Blick ins Aktienrecht fällt auf, dass das Stimmverbot nach § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG anders als § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG nicht den Fall erfasst, dass der Beschluss die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit dem Gesellschafter zum Gegenstand hat.
Das OLG München hielt jedoch die Regelung in § 47 Abs. 4 GmbHG für sachnäher als die des § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG, da die Kompetenzen der Gesellschafterversammlung auch bei einer Publikumskommanditgesellschaft eher denen der GmbH-Gesellschafter als denen der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft vergleichbar seien. So können die Gesellschafter von KG wie GmbH jeweils unmittelbar Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen, was der Hauptversammlung gemäß § 119 Abs. 2 AktG nur auf Verlangen des Vorstands erlaubt ist.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des OLG München verdient Zustimmung und entspricht im Übrigen auch der herrschenden Meinung im Schrifttum (vgl. Roth in: Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 119 Rn. 8; Kindler in: Koller/Kindler//Roth/Morck, HGB, 8. Aufl. 2015, § 119 Rn. 3; Freitag in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2014, § 119 Rn. 21; a.A. für den Fall eines Rechtsgeschäfts mit dem Gesellschafter Enzinger in: MünchKomm HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 Rn. 33 sowie Lieder in: Oetker, HGB, 5. Aufl. 2017, § 119 Rn. 25).
Auch die obergerichtliche Rechtsprechung hält sämtliche Tatbestandsalternativen von § 47 Abs. 4 Sätze 1 und 2 GmbHG auf Personengesellschaften für analog anwendbar (vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 29.10.1999 – 11 U 45/99 – NZG 2000, 421, 422; KG, Urt. v. 18.12.2008 – 23 U 95/08 – NZG 2009, 1269 (LS); ferner OLG München, Urt. v. 27.08.2009 – 23 U 4138/08 – NZG 2009, 1267).
Allerdings hat der BGH in einem jüngeren Urteil ausdrücklich offengelassen, ob § 47 Abs. 4 Satz 2 Alt. 1 GmbHG (Vornahme eines Rechtsgeschäfts) auf Personengesellschaften analog anzuwenden sei (vgl. BGH, Urt. v. 07.02.2012 – II ZR 230/09 – DStR 2012, 1093, 1097). Diese Frage war dort nicht entscheidungserheblich. Freilich hat der BGH in dem nämlichen Urteil den „allgemein geltenden Grundsatz“ hervorgehoben, dass „niemand Richter in eigener Sache sein dürfe“, so dass wohl auch der BGH grundsätzlich zu einer umfassenden Anwendung von § 47 Abs. 4 GmbHG tendiert.
Ein klärendes Wort des BGH wäre dennoch sicherlich nicht von Schaden; allerdings hat das OLG München vorliegend die Revision nicht zugelassen.
Mühlhausen
Telefon: 03601 48 32 0
Leinefelde
Telefon: 03605 544 330
Gotha
Telefon: 03621 510 18 60 (RAe)
Telefon: 03621 510 18 00 (StB)
oder schreiben Sie hier eine Mail: