Nachfolgend ein Beitrag vom 15.8.2017 von Götsche, jurisPR-FamR 16/2017 Anm. 6

Leitsatz

Der Ausgleich eines Anrechts der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes kann nicht deshalb wegen fehlender Ausgleichsreife nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG in den Wertausgleich nach der Scheidung verwiesen werden, weil dieses Anrecht auf einer unter Verstoß gegen Verfassungsrecht ermittelten und daher unverbindlichen Startgutschrift für rentenferne Versicherte beruht.

A. Problemstellung

Fehlt Anrechten, die wegen der sog. Startgutschriftproblematik derzeit nicht bewertet werden können, die Ausgleichsreife?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Im Versorgungsausgleich hat die Ehefrau u.a. Anrechte bei der VBL (Versorgungsanstalt Bund-Länder) mit einem Ehezeitanteil von 32,24 Versorgungspunkten und der Ehemann u.a. bei der ZVK Bayern (Zusatzversorgungskasse der bayrischen Gemeinden) mit einem Ehezeitanteil von 65,33 Versorgungspunkten. Nach Berücksichtigung von Teilungskosten und versicherungsmathematischer Umrechnung sind im Wege interner Teilung dem Ehemann 12,29 Versorgungspunkte und der Ehefrau 45,51 Versorgungspunkte übertragen worden. Dagegen richteten sich die Beschwerde und sodann Rechtsbeschwerde des Ehemannes, der die unmittelbare Halbteilung der in der Ehezeit erworbenen Versorgungspunkte begehrt.
Der BGH hat ausgeführt, dass im zu teilenden Anrecht auch eine Startgutschrift enthalten und deren aktuelle Berechnungsregelung unwirksam sei.
Dem Anrecht fehle deshalb aber nicht die Ausgleichsreife i.S.d. § 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG. Nicht ausgleichsreif seien Anrechte, wenn der Erwerbsvorgang noch nicht abgeschlossen sei oder das Anrecht in seinem Bestand noch wegfallen könne. Der Erwerbsvorgang sei hier aber abgeschlossen und das Anrecht könne in seinem Bestand nicht mehr wegfallen; die mangelnde Bewertbarkeit stelle vielmehr ein vorübergehendes Hindernis dar.

C. Kontext der Entscheidung

Der IV. Zivilsenat des BGH hat die mit Startgutschriften versehenen Zusatzversorgungen des öffentlichen Dienstes auch nach der in 2011 erfolgten Satzungsänderung für unwirksam erklärt (BGH, Urt. v. 09.03.2016 – IV ZR 9/15 – FamRZ 2016, 902). Der XII. Zivilsenat des BGH folgt dem, weshalb das Verfahren zumindest insoweit auszusetzen und der Ehezeitanteil des erworbenen Anrechts durch den Tatrichter neu festzustellen ist, sobald die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes die Berechnung der Startgutschriften für rentenferne Jahrgänge neu geregelt haben (vgl. BGH, Beschl. v. 08.03.2017 – XII ZB 663/13 – NZFam 2017, 396). § 19 VersAusglG mit dem Verweis auf den schuldrechtlichen Ausgleich ist dagegen für die von der Startgutschriftproblematik betroffenen Anrechte nicht anzuwenden, wie der BGH hier klarstellt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Zu bedenken ist, dass diejenigen, die entweder bereits eine Rente beziehen oder kurz davor stehen, eine schnelle Entscheidung haben wollen. Das Warten auf eine neue Satzung wird aber vermutlich mehrere Jahre dauern, weil dies eine neue Einigung der Tarifparteien erfordert. Erst ab der Rechtskraft der darauf folgenden Entscheidung erhält der Ausgleichsberechtigte Rentenleistungen, eine Rückwirkung (insbesondere auf das Ehezeitende) erfolgt nicht. Der BGH empfiehlt deshalb dem (hier von der erstinstanzlichen Entscheidung sogar profitierenden) Beschwerdeführer die Rücknahme seiner Beschwerde. Außerdem können die Beteiligten sich auf die Zugrundelegung der vom Versorgungsträger auf Grundlage der unwirksamen Regelung mitgeteilten Werte i.S.d. § 6 VersAusglG einigen, zumal diese Werte sich voraussichtlich nur geringfügig verändern werden (vgl. näher Hauß, FamRB 2016, 238).

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Bei der versicherungsmathematischen Umrechnung über Barwerte dürfen seit 2013 keine geschlechtsspezifischen Barwertfaktoren mehr verwendet werden.