Nachfolgend ein Beitrag vom 11.4.2017 von Herberger, jurisPR-FamR 7/2017 Anm. 3

Orientierungssätze

1. Einer Frau, die von einem Verlöbnis zurücktritt, weil der Verlobte ihr verschwiegen hat, dass er noch verheiratet ist, steht gegen den Verlobten ein Anspruch auf Ersatz der Schäden zu, die ihr durch Aufwendungen in Erwartung einer Eheschließung entstanden sind.
2. Der Verlobten kann auch ein Anspruch auf Ersatz eines immateriellen Schadens wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zustehen, wenn sie durch die Täuschung in ihrem persönlichen Wertesystem empfindlich getroffen und gekränkt und in ihrer inneren Ehre verletzt worden ist und sich deshalb vollständig aus der Öffentlichkeit und ihrem Bekanntenkreis zurückgezogen hat, wobei aber bei der Bemessung der Entschädigung zu berücksichtigen ist, dass nach den heute gewandelten Vorstellungen das Zusammenleben mit einem Partner ohne Trauschein nicht mehr zu einem Ansehens- und Ehrverlust in der Öffentlichkeit führt. Vorliegend erscheint in Ansehung der beschränkten finanziellen Verhältnisse des Mannes eine Entschädigung wegen des immateriellen Schaden i.H.v. 1.000 Euro angemessen.

A. Problemstellung

Dass Rechtsfragen rund um die Verlobung gerichtlich entschieden werden, ist eher selten. Insofern verdient die hier vorzustellende Entscheidung des OLG Oldenburg besondere Aufmerksamkeit. Das Gericht hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, inwiefern eine von einem Verheirateten eingegangene Verlobung Schadensersatzansprüche auf der Seite des betroffenen Verlobungspartners auslösen kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die betagte Antragstellerin (Jahrgang 1936) lernte über eine Partnerbörse im Internet den gleichfalls betagten Antragsgegner (Jahrgang 1924) kennen. Obwohl der Antragsgegner seit Oktober 2012 wieder verheiratet war, mittlerweile von seiner Ehefrau jedoch getrennt lebte, gab er an, verwitwet zu sein. Die Antragstellerin behauptet, die Beteiligten hätten sich verlobt, woraufhin sie ihren Haushalt aufgelöst habe und zu ihrem „Verlobten“ gezogen sei. Nachdem die Antragstellerin den Antragsgegner mehrfach erfolglos dazu gedrängt habe, die Heirat vorzunehmen, erfuhr sie von Dritten, dass der Antragsgegner bereits verheiratet sei. Daraufhin verließ sie den Antragsgegner und kehrte an ihren früheren Wohnort zurück. Die Antragstellerin hat den Antragsgegner auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden wegen Rücktritts aus einem Verlöbnis in Anspruch genommen.
Das OLG Oldenburg führt aus, dass nach „derzeit noch herrschender Meinung“ Verlöbnisse mit einer verheirateten Person als sittenwidrig und damit nichtig anzusehen seien, § 138 Abs. 1 BGB. Ob ein Anspruch auf Schadensersatz in einer solchen Konstellation aus den §§ 1298 f. BGB direkt bzw. analog folge, aus Deliktsrecht oder aus § 311a Abs. 2 BGB begründet sei, könne dahinstehen, wenn der Partner den Mangel nicht kannte.
Das OLG Oldenburg ist – anders als die Vorinstanz, das AG Papenburg – nach Durchführung einer Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Antragstellerin und der Antragsgegner bereits im Sommer 2013 vor dem Umzug der Antragstellerin verlobt hätten. Die Antragstellerin sei in der Erwartung einer alsbaldigen Eheschließung zu dem Antragsgegner gezogen.
Dadurch, dass der Antragsgegner der Antragstellerin gegenüber erklärt habe, er sei verwitwet, habe er diese getäuscht, was einen wichtigen, zum Rücktritt von einer Verlobung berechtigenden Grund darstelle (§ 1298 BGB bzw. § 1299 BGB analog).
Im Ergebnis hat das OLG Oldenburg der Antragstellerin einen Anspruch auf Ersatz ihrer materiellen Schäden zugesprochen (Kosten der Entsorgung von Mobiliar der alten Wohnung i.H.v. 100 Euro, Reisekosten zum Antragsgegner i.H.v. 259,18 Euro, Transportkosten der Möbel zum Antragsgegner i.H.v. 772,41 Euro, Rücktransport der Möbel i.H.v. 1.253,14 Euro und Kosten für ein Inserat sowie einen Nachsendeauftrag i.H.v. 38,36 Euro). Ein Ersatzanspruch i.H.v. 4.700 Euro für den Verkauf alter Möbel sah das Gericht als nicht gegeben an, weil diese keinen aktuellen Marktwert mehr gehabt hätten, sondern nur noch einen persönlichen Erinnerungswert. Dies stelle keinen ersatzfähigen Schaden dar. Zwar musste die Antragstellerin nach ihrer Rückkehr neue Möbel anschaffen. Das neue Mobiliar stelle aber einen entsprechenden Gegenwert dar, sodass ein ersatzfähiger Schaden nicht zu erkennen sei.
Weiterhin billigte das Gericht der Antragstellerin einen Anspruch auf Ersatz ihrer immateriellen Schäden wegen Verletzung ihres Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Die Erkenntnis, durch den Antragsteller über seinen Familienstand getäuscht worden zu sein, habe bei ihr zu starken Depressionen geführt. Sie habe sich infolgedessen aus der Öffentlichkeit und aus ihrem Bekanntenkreis zurückgezogen. Daraus lasse sich schließen, dass ihre Privat- und Individualsphäre als beeinträchtigt angesehen wurde. Dieser Eingriff sei – wie das OLG Oldenburg nach einer umfassenden Interessenabwägung feststellt – auch rechtswidrig. Das Gericht hält eine Entschädigung dafür i.H.v. 1.000 Euro für angemessen.

C. Kontext der Entscheidung

Dass eine verheiratete Person versucht, sich mit einer dritten Person zu verloben, ist für die gerichtliche Praxis nicht neu. Das OLG Schleswig hatte mit Beschluss vom 06.12.2013 (10 UF 35/13 Rn. 27) ein solches Verlöbnis ebenfalls als sittenwidrig beurteilt und die §§ 1298 ff. BGB für analog anwendbar erklärt.
Wenn § 1298 BGB in der Praxis auftaucht, spielt die Frage eine Rolle, ob es sich um Aufwendungen bzw. Verbindlichkeiten handelt, die in Erwartung der Ehe gemacht bzw. eingegangen worden sind (verneint für die Kosten, die mit dem Kauf eines Hundes verbunden sind, OLG Brandenburg, Urt. v. 09.02.2016 – 3 U 8/12 Rn. 9; für die Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung, Jagdscheinerwerb, Anschaffung von Möbeln, Motorrad, AG Lebach, Beschl. v. 20.02.2014 – 2 F 433/13 RI Rn. 26 ff.)
Weiterhin stellt sich die Frage, ob die aufgrund des Verlöbnisses in Erwartung der Ehe vorgenommenen Maßnahmen den Umständen nach angemessen waren (§ 1298 Abs. 2 BGB; vgl. als Wertersatz für eine Wohnung i.H.v. 110.000 Euro – unangemessen: OLG Oldenburg, Beschl. v. 19.03.2009 – 11 W 1/09 Rn. 11; Aufgabe einer gesicherten Erwerbsmöglichkeit nach nur kurzer Verlobungsdauer und bei noch nicht absehbarer Eheschließung – unangemessen: OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.09.2007 – 19 W 65/07 Rn. 3 f.).

D. Auswirkungen für die Praxis

Da im vorliegenden Fall die Frage beweiserheblich war, wann die Verlobung stattgefunden hatte, empfiehlt es sich, diesbezüglich nach Möglichkeit schon im Vorfeld einer denkbaren Auseinandersetzung Klarheit zu schaffen. Darauf könnte in der Beratung hingewiesen werden, wenn bereits in dieser Phase anwaltlicher Rat gesucht wurde. Des Weiteren verdeutlicht die Entscheidung des OLG Oldenburg, dass die sorgfältige Summierung selbst kleinerer Aufwendungen praxisnotwendig ist. Wie auch sonst ist in dieser Hinsicht die Aufbewahrung einschlägiger Belege angezeigt.