Nachfolgend ein Beitrag vom 5.9.2018 von Wenker, jurisPR-VerkR 18/2018 Anm. 4
Leitsatz
Auch unter Berücksichtigung der technischen Entwicklung und der heutigen wirtschaftlichen Verkehrsanschauung kann ein ca. sechs Wochen zum Straßenverkehr zugelassenes Fahrzeug mit einer Laufleistung von ca. 3.300 km nicht mehr als Neuwagen angesehen werden.
A. Problemstellung
Zu dem Anspruch des Geschädigten auf eine Abrechnung des Fahrzeugschadens auf Neupreisbasis hat die gefestigte Rechtsprechung einen Katalog von klar definierten Voraussetzungen entwickelt. Vorliegend hatte sich das OLG Hamm insbesondere mit der Frage zu befassen, ob die Voraussetzungen in Ansehung der technischen Entwicklung und der Verkehrsanschauung bei einem höherwertigen Fahrzeug weiter zu fassen sind.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Pkw der Klägerin vom Typ Porsche Macan wurde bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Das Fahrzeug war im Unfallzeitpunkt 44 Tage alt und hatte eine Laufleistung von 3.291 km. Der Kaufpreis des Fahrzeugs betrug ca. 92.400 Euro. Als Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers rechnete die Beklagte den Fahrzeugschaden auf der Basis des Wiederbeschaffungswertes unter Abzug des Restwertes ab. Die Klägerin hat ein Neuwagen gleichen Typs erworben und verlangt eine Abrechnung auf Neupreisbasis. Das erstinstanzliche Landgericht hatte die Klage abgewiesen.
Das OLG Hamm hat die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen.
Die Klägerin vertrat die Auffassung, auf Neuwagenbasis abrechnen zu können, da die Laufleistung des Fahrzeugs nach Abzug der bei der Überführungsfahrt vom Porsche-Zentrum zurückgelegten Strecke unter 3.000 km liege und weil bei dem Unfall tragende Teile beeinträchtigt wurden, die Rückformungsarbeiten auf einer Richtbank erforderlich machten. Sie meinte, das Fahrzeug sei auch bei Durchführung einer Reparatur nicht mehr neuwertig. Es gäbe im Übrigen Beeinträchtigungen im Falle von Gewährleistungsansprüchen.
Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, da die von der Beklagten vorgenommene Abrechnung auf der Basis des Wiederbeschaffungsaufwandes nicht zu beanstanden sei. Das Gericht schloss sich insoweit der herrschenden Rechtsprechung an. Danach komme ein Anspruch auf Neuwagenentschädigung nur bei einer Fahrleistung von bis zu 1.000 km und einer nicht länger als einen Monat zurückliegenden Erstzulassung in Betracht. Beide Voraussetzungen lägen nicht vor. Auch die von der Rechtsprechung in Ausnahmefällen gebilligte Fahrleistung von maximal 3.000 km für eine Abrechnung auf Neuwagenbasis sei mit knapp 10% deutlich überschritten. Dass dieser Wert möglicherweise nach Abzug der bei der Überführungsfahrt zurückgelegten Strecke leicht unterschritten wäre, sei ohne Bedeutung. Maßgeblich für die Frage einer Neuwertigkeit des Fahrzeugs könne nicht sein, ob die zurückgelegte Fahrleistung bei einer Überführungsfahrt oder einer sonstigen Fahrt angefallen sei.
Die Berufung der Klägerin hatte nach einstimmiger Überzeugung des OLG Hamm offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Bereits im Hinweisbeschluss vom 10.04.2018 wurde darauf hingewiesen, dass auch unter Berücksichtigung der weiteren technischen Entwicklung und nach heutiger wirtschaftlicher Verkehrsanschauung ein Fahrzeug, das zum Unfallzeitpunkt bereits knapp 3.300 km gefahren wurde und bereits über sechs Wochen zugelassen war, jedenfalls nicht mehr als Neuwagen angesehen werden könne. Ein Blick auf den Markt von sehr jungen Gebrauchtwagen bzw. Fahrzeugen mit Tageszulassung auch im hochpreisigen Fahrzeugsegment bestärke das Gericht in dieser Würdigung. Die Klägerin sei vorliegend bereits auf Wiederbeschaffungsaufwandsbasis entschädigt worden, habe also im Wege des Schadensersatzes die Mittel zur Beschaffung eines mit dem beschädigten Fahrzeug vergleichbaren unfallfreien Fahrzeugs erhalten. Das OLG Hamm vermag keinen Grund zu erkennen, warum der Klägerin hier darüber hinaus ein Anspruch auf Ersatz der Kosten der Anschaffung eines höherwertigen Neufahrzeuges zustehen sollte, zumal es sich vorliegend um ein Firmenfahrzeug handele. Ferner sieht das Oberlandesgericht – ebenfalls einstimmig – keinen Anlass, die von der Rechtsprechung entwickelten Faustregeln zur engen Begrenzung der Ausnahmefälle, in denen der Schaden auf Neuwagenbasis abgerechnet werden könne, generell in Frage zu stellen und deshalb etwa die Revision zuzulassen.
C. Kontext der Entscheidung
Bei einer erheblichen Beschädigung eines noch neuwertigen Fahrzeugs kann eine Abrechnung auf Neupreisbasis in Betracht kommen, auch wenn die Abrechnung nach dem Wiederbeschaffungsaufwand oder die Reparatur erheblich wirtschaftlicher wären. Diese Einschränkung des ansonsten geltenden Wirtschaftlichkeitsgebotes rechtfertigt sich durch ein besonderes schützenswertes Interesse am Eigentum und der Nutzung eines fabrikneuen Fahrzeugs, dem noch der „Schmelz des Neuen“ innewohnt. Dies gilt unabhängig davon, ob das Fahrzeug privat oder – wie hier – geschäftlich genutzt wird.
Als neuwertig gelten nach ganz herrschender Rechtsprechung Fahrzeuge mit einer Zulassungsdauer von bis zu einem Monat und einer Laufleistung von bis zu 1.000 km (vgl. nur BGH, Urt. v. 29.03.1983 – VI ZR 157/81; BGH, Urt. v. 03.11.1981 – VI ZR 234/80 und OLG Hamm, Urt. v. 22.09.1999 – 13 U 54/99). Vorliegend war das klägerische Fahrzeug aber bereits über sechs Wochen alt und hatte schon ca. 3.300 km gelaufen. Bis zu einer Laufleistung von 3.000 km kann eine Neupreisentschädigung in besonderen Einzelfällen in Betracht kommen, wenn bei objektiver Beurteilung das erheblich beschädigte Fahrzeug durch eine fachgerechte Reparatur auch nicht annähernd wiederhergestellt werden kann (vgl. LG Saarbrücken, Urt. v. 29.11.2001 – 12 O 456/00 und LG Fulda, Urt. v. 20.10.1999 – 4 O 140/99). Ob ein solcher Ausnahmefall vorlag, war nicht zu entscheiden, da auch der Grenzwert von 3.000 km schon deutlich überschritten war. Insoweit weist das Gericht zutreffend den Einwand der Klägerin zurück, dass die Überführungsfahrt herauszurechnen sei, denn es ist insoweit ohne Belang, warum und auf welcher Strecke die Laufleistung erzielt wurde.
Nicht gehört wurde die Klägerin auch mit der Argumentation, die bekannten Kriterien für eine Neupreisabrechnung seien im konkreten Fall auszuweiten, da es sich um ein Fahrzeug aus einem gehobenen Preissegment handelt und dieses auch Repräsentationszwecken des Unternehmens diene. Auch wenn es sich um ein höherwertiges Fahrzeug handelt, ist es zutreffend ein Serienmodell, welches keineswegs außergewöhnlich selten oder exklusiv ist. Immerhin handelt es sich um das meistverkaufte Modell des Herstellers, von dem im vergangenen Jahr mehr als 97.000 Exemplare ausgeliefert wurden.
Die weitere Voraussetzung, dass tatsächlich ein fabrikneues Ersatzfahrzeug angeschafft wird, wurde von der Klägerin erfüllt (vgl. BGH, Urt. v. 09.06.2009 – VI ZR 110/08 – Nugel, jurisPR-VerkR 23/2009 Anm. 1 und OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.08.2010 – 1 U 183/09 – Wenker, jurisPR-VerkR 25/2010 Anm. 2). Darauf kam es im Ergebnis aber nicht an, da alle Voraussetzungen einer Neupreisabrechnung kumulativ erfüllt sein müssen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Abrechnung eines Fahrzeugschadens auf Basis des Neupreises kann nach herrschender und nunmehr vom OLG Hamm erneut bestätigter Rechtsprechung nur unter folgenden engen Voraussetzungen erfolgen:
– erhebliche Beschädigungen der Karosserie, tragender Fahrzeugstrukturen oder anderer sicherheitsrelevanter Baugruppen,
– Laufleistung des beschädigten Fahrzeugs maximal 1.000 km, bei besonders massiven Beschädigungen ausnahmsweise auch bis zu 3.000 km,
– Zulassungsdauer höchstens ein Monat,
– Anschaffung eines fabrikneuen Ersatzfahrzeuges.
Die aufgeführten Punkte müssen kumulativ erfüllt sein. Soweit nur eines der Kriterien nicht erfüllt wird, kommt eine Abrechnung des Schadens auf Neupreisbasis nicht in Betracht.
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