Nachfolgend ein Beitrag vom 30.09.2015 von Beckmann, jurisPR-ArbR 39/2015 Anm. 2

Leitsatz

Eine arbeitsvertragliche Klausel über die Rückforderung von Weiterbildungskosten ist dann unangemessen benachteiligend i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB, wenn sie bei einer Rückforderungssumme, die das Bruttomonatseinkommen des fortgebildeten Arbeitnehmers um ein Vielfaches übersteigt, bei einer dreijährigen Bindungsdauer nur eine grobe, jährlich gestaffelte Minderung der Rückzahlungsverpflichtung vorsieht, ohne auf eine ausdifferenzierte, etwa monatliche Staffelung abzustellen.

A. Problemstellung

Die Entscheidung befasst sich mit der Frage der Zulässigkeit einer formularmäßigen Rückzahlungsklausel, die eine jährlich statt monatlich gestaffelte Minderung der Rückzahlungsverpflichtung vorsieht.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien vereinbarten, dass der Beklagte eine zehnmonatige Ausbildung zum Prüfingenieur absolvieren sollte, deren Gesamtkosten sich aus der Fortzahlung des Bruttogehaltes in Höhe von ca. 18.000 Euro sowie Schulungs- und Nebenkosten in Höhe von ca. 17.500 Euro zusammensetzten. Sie vereinbarten, dass der Beklagte zur Rückzahlung verpflichtet sei, wenn er vor Ablauf von drei Jahren seit Aufnahme der Prüftätigkeit ausscheide und dass er in diesem Falle im ersten Jahr 100% der Ausbildungskosten, im zweiten Jahr 66,66% der Ausbildungskosten und bei Ausscheiden im dritten Jahr 33,33% zurückzahlen sollte. Der Beklagte kündigte wenige Monate nach Beendigung der Ausbildung das Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage des Arbeitgebers abgewiesen und ihn auf die Widerklage des Beklagten hin verurteilt, diesen von restlichen Ausbildungskosten freizustellen. Das LArbG Mainz hat diese Entscheidung bestätigt.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich vorliegend trotz nur einmaliger Verwendung der hier in Rede stehenden Klausel um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.v. § 305 BGB handele. Eine Einflussnahme i.S.v. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, die einem „Aushandeln“ i.S.v. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB entspreche, sei nicht feststellbar. Zwar lasse die Klausel in ausreichender Weise erkennen, welche finanziellen Belastungen auf den Beklagten im Falle seines vorzeitigen Ausscheidens zukommen würden, so dass nicht nur insoweit dem Transparenzgebot Genüge getan sei, sondern auch mit einer Bindungsdauer von drei Jahren, die vorliegend angemessen sei. Die Regelung benachteilige den Beklagten allerdings insofern unangemessen, als sie lediglich eine jährlich gestaffelte Minderung der Rückzahlungsverpflichtung vorsehe. Eine Rückzahlungsklausel könnte auch unter Berücksichtigung des „Wie“ der Klausel rechtsunwirksam sein. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn eine ratierliche Kürzung der Rückzahlungsschuld fehle. Darüber hinaus sei eine arbeitsvertragliche Klausel dann unangemessen benachteiligend i.S.v. § 307 Abs. 1 BGB, wenn sie bei einer Rückforderungssumme, die das Bruttomonatseinkommen des fortgebildeten Arbeitnehmers um ein Vielfaches übersteige, bei einer dreijährigen Bindungsdauer nur eine grobe, jährlich gestaffelte Minderung der Rückzahlungsverpflichtung vorsehe, ohne auf eine ausdifferenzierte, etwa monatliche Staffelung abzustellen. Zwar habe das BAG vor Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung eine Rückzahlungsklausel mit einer sich jährlich und nicht monatlich verringernden Rückzahlungspflicht im Rahmen der Vertragsfreiheit anerkannt. Hieran sei allerdings unter der Geltung des § 307 BGB nicht mehr festzuhalten. Im Falle des Anfalls von Fortbildungskosten, die das Bruttomonatseinkommen des Arbeitnehmers um ein Vielfaches übersteigen, berücksichtige eine nur jährliche Staffelung das grundgesetzlich über Art. 12 GG geschützte Interesse des Arbeitnehmers an einer möglichst unbeeinträchtigten Ausübung seiner Berufsfreiheit nicht in ausreichendem Maße. Ein schützenswertes Interesse des Arbeitgebers daran, bei Rückzahlungsvereinbarungen durch eine Drittelung der Rückzahlungsschuld den Bleibedruck auf den Arbeitnehmer angesichts der Höhe der Rückforderungszahlung am Anfang eines jeden Jahres genauso hoch zu halten, wie am Ende dieses Zeitabschnitts sei jedenfalls bei Rückzahlungsforderungen in erheblicher Größenordnung nicht erkennbar. Bei der Anwendung der §§ 305 ff. BGB auf Arbeitsverträge sei nach § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB auf die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen Rücksicht zu nehmen. Der Monatszeitraum sei eine im Arbeitsleben bekannte und gelebte Größenordnung. Im Übrigen liege einer Staffelung die Idee zugrunde, dass der Arbeitnehmer jeden Monat die Ausbildungskosten abarbeitet.
Eine ergänzende Vertragsauslegung scheidet nach zutreffender Ansicht aus, da eine solche die Regelungen des § 307 BGB unterlaufen würde. Schließlich stellt das Gericht noch einmal klar, dass die Rechtsprechung des Fünften Senats des BAG aus dem Jahre 1986 (vgl. dazu BAG, Urt. v. 23.04.1986 – 5 AZR 159/85) unter der Geltung des § 307 BGB überholt sein dürfte.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung bekräftigt die bisherige Rechtsprechung zur Frage der gestaffelten Minderung der Rückzahlungsverpflichtung. Sie greift insbesondere die Rechtsprechung des LArbG Hamm (Urt. v. 09.03.2012 – 7 Sa 1500/11) auf. Das Gericht stellt insbesondere auch die Unterschiede zur Rechtsprechung des BAG in Bezug auf tarifvertragliche Rückzahlungsklauseln dar (vgl. dazu BAG, Urt. v. 06.09.1995 – 5 AZR 174/94).
Das LArbG Mainz verweist zu Recht darauf, dass die Rechtsprechung des BAG zu entsprechenden tarifvertraglichen Rückzahlungsregelungen nicht mit seiner Entscheidung kollidiert. Nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB greift bei Tarifverträgen keine AGB-Kontrolle ein; denn wegen der Gleichgewichtigkeit der Tarifvertragsparteien ist davon auszugehen, dass bei einer Gesamtbetrachtung der tariflichen Regelungen die Arbeitnehmerinteressen angemessen berücksichtigt werden. Es besteht insoweit eine materielle Richtigkeitsgewähr für die tariflichen Regelungen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Das LArbG Mainz hat die Revision zugelassen (anhängig beim BAG unter dem Az. 9 AZR 434/15). Schon vor einer Revisionsentscheidung ist zu raten, sich hinsichtlich der Vertragsgestaltung an der Rechtsprechung des LArbG Hamm und des LArbG Mainz zu orientieren. Die von beiden Landesarbeitsgerichten angeführten Argumente gegen eine jährlich gestaffelte Bindung der Rückzahlungsverpflichtung sind belastbar.