Nachfolgend ein Beitrag vom 8.6.2018 von Keller, jurisPR-ITR 11/2018 Anm. 4
Orientierungssätze zur Anmerkung
1. Die einem Beschlagnahmeverbot (§§ 97, 148 StPO) unterfallenden Unterlagen erfordern einen unmittelbaren Bezug zu einem Verteidigungsverhältnis
2. Ein Verteidigungsverhältnis setzt voraus, dass der Beschuldigte und der von ihm beauftragte Rechtsanwalt Kenntnis von einem Strafverfahren haben oder sie sich zumindest auf ein von ihnen befürchtetes Ermittlungsverfahren vorbereiten.
A. Problemstellung
§ 97 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StPO (i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3b StPO) entzieht der Beschlagnahme insbesondere schriftliche Mitteilungen zwischen Beschuldigten und Berufsgeheimnisträgern sowie Schriftstücke, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsgeheimnisträger erstreckt. Ratio ist der Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts nach den § 53, 53a StPO, dessen Umgehung verhindert werden soll (BGH, Urt. v. 27.03.2009 – 2 StR 302/08 – NJW 2009, 2690). Die §§ 97 Abs. 1 Nr. 1, 148 StPO regeln den Beschlagnahmeschutz von „Verteidigungsunterlagen“. Das Beschlagnahmeverbot setzt aber voraus, dass es sich tatsächlich um Verteidigungsunterlagen handelt (LG Tübingen, Beschl. v. 14.02.2007 – 1 KLs 42 Js 13000/06 – NStZ 2008, 653). Die Unterlagen müssen zumindest einen Verteidigungsbezug aufweisen, um als Verteidigungsunterlagen gelten zu können (Mehle/Mehle, NJW 2011, 1639). Umstritten ist gleichwohl, ob der (Beschlagnahme-)Schutz erst nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und Begründung eines Verteidigungsmandatsverhältnisses einsetzt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Beschuldigte stand im Verdacht eine Straftat gemäß § 17 UWG (Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen) begangen zu haben. Hiernach wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer als eine bei einem Unternehmen beschäftigte Person ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, das ihr im Rahmen des Dienstverhältnisses anvertraut worden oder zugänglich geworden ist, während der Geltungsdauer des Dienstverhältnisses unbefugt an jemand zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen, mitteilt. Grundlage war der Verdacht, dass der Beschuldigte kurz vor Beendigung seiner Tätigkeit für die Firma E. GmbH unbefugt den Quellcode einer von dieser Firma vertriebenen Software kopierte und diese Kopie mitnahm. Auf Basis dieses Quellcodes soll der Beschuldigte dann Updates der Software entwickelt haben, die er gegen Entgelt auf Computern diverser Kunden der Firma E. GmbH installiert haben soll.
Im Rahmen der richterlich angeordneten Durchsuchungsmaßnahme wurde auch der private Rechner des Beschuldigten sichergestellt und ausgewertet. Im Rahmen dieser Auswertung gelangten auch Ausdrucke von elektronisch geführtem Schriftverkehr zwischen dem Beschuldigten und seinem heutigen Verteidiger zur Akte. Der Schriftverkehr bezog sich allerdings nicht auf das gegen den Beschuldigten geführte Ermittlungsverfahren, da weder der Beschuldigte noch sein heutiger Verteidiger Kenntnis von diesem Verfahren hatten. Inhaltlich bezogen sich die Unterlagen zwar auf genau die Vorgänge, die dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren zur Last gelegt werden. Die Zielrichtung des Austauschs zwischen dem Beschuldigten und seinem Rechtsanwalt lag aber ausschließlich in der zivilrechtlichen Verteidigung gegen behauptete Ansprüche der Firma E. GmbH.
Die genannten Unterlagen wurden durch Beschluss des AG Würzburg vom 28.11.2017 (1 Gs 3569/17) beschlagnahmt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das LG Würzburg verworfen. Die Unterlagen unterliegen mithin nicht dem Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO.
Gemäß § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO ist die aus § 97 Abs. 1 StPO folgende Beschlagnahmefreiheit auf solche Fälle beschränkt, in denen sich die fraglichen Gegenstände im Gewahrsam der Person befinden, die zur Verweigerung des Zeugnisses im Strafprozess berechtigt sind. Genau das war vorliegend nicht der Fall. Nach allgemeiner Auffassung findet die aus § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO folgende Anwendungseinschränkung des § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO zwar keine Anwendung, wenn es sich bei den zu beschlagnahmenden Gegenständen um schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger handelt, soweit sie die Verteidigung betreffen, ferner bei Aufzeichnungen über Mitteilungen des Beschuldigten an den Verteidiger für Zwecke der Verteidigung und über andere Tatsachen, die dem Verteidiger in dieser Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden sind (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 97 Rn. 36). Diese Ausnahmetatbestände lägen hier indes nicht vor, da der unmittelbare Bezug der Unterlagen zu einem Verteidigungsverhältnis fehle. Dieses setze voraus, dass der Beschuldigte und der von ihm beauftragte Rechtsanwalt Kenntnis von einem Strafverfahren haben oder sie sich zumindest auf ein von ihnen befürchtetes Ermittlungsverfahren vorbereiten. Dies war hier nicht der Fall, so dass nach Auffassung der Strafkammer des LG Würzburg eine aus § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO folgende Beschlagnahmefreiheit der genannten Unterlagen nicht gegeben sei.
C. Kontext der Entscheidung
§ 97 StPO wird durch den Grundsatz des freien Verkehrs zwischen Verteidiger und Beschuldigten durch § 148 StPO ergänzt. Obwohl § 97 StPO die Beschlagnahmefreiheit abschließend regelt, erweitert § 148 StPO die Regelung des § 97 StPO dahingehend, dass bei Vorliegen sog. Verteidigungsunterlagen ein Beschlagnahmeschutz entgegen § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO auch dann eingreift, wenn sich die Unterlagen im Gewahrsam des Beschuldigten befinden (LG Mainz, Beschl. v. 23.05.1986 – 5 Qs 4/86 – NStZ 1986, 473; LG Bonn, Beschl. v. 27.03.2002 – 37 Qs 91/01). Eine gesetzliche Grenze statuiert § 148 StPO insofern, dass nur die Kommunikation des Beschuldigten mit seinem Verteidiger geschützt wird. Die gesetzlich geschaffene Schutzsphäre umfasst indes nur die Kommunikation zum Zwecke der Verteidigung. Damit sind zugleich die Grenzen einer Beschlagnahmefreiheit benannt: Voraussetzung für die Erweiterung des Beschlagnahmeschutzes nach den §§ 97, 148 StPO ist zum einen ein zugrunde liegendes Verteidigungsverhältnisses. Zum anderen müssen die Unterlagen auch tatsächlich zum Zwecke der Verteidigung erstellt worden sein (Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383, 385. Es muss sich tatsächlich um Verteidigungsunterlagen handeln, es genügt nicht, dass Schriftstücke lediglich als „Verteidigungsunterlagen“ bezeichnet oder unter solche gemischt werden (LG Tübingen, Beschl. v. 14.02.2007 – 1 KLs 42 Js 13000/06 – NStZ 2008, 653; LG Mainz, Beschl. v. 23.05.1986 – 5 Qs 4/86 – NStZ 1986, 473). Auf dieser Linie bewegt sich das LG Würzburg, da in dem zugrundeliegenden Fall bei den streitbaren Unterlagen der unmittelbare Bezug zu einem Verteidigungsverhältnis fehlte. In diesem Fall hatten weder der Beschuldigte noch sein Verteidiger überhaupt Kenntnis von einem Strafverfahren. Inhaltlich bezogen sich die Unterlagen zwar auf genau die Vorgänge, die dem Beschuldigten dann im Ermittlungsverfahren zur Last gelegt wurden. Die Zielrichtung des Austauschs zwischen dem Beschuldigten und seinem Rechtsanwalt lag aber ausschließlich in der zivilrechtlichen Verteidigung gegen behauptete Ansprüche der Firma E. GmbH.
Andere Entscheidungen stützen sich auf die Gebote der Gewährung effektiver Verteidigung und Waffengleichheit (Art. 6 Abs. 3 EMRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) und kommen zu einer verfassungs- und menschenrechtskonformen Auslegung des § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO. Nach LG Gießen (Beschl. v. 25.06.2012 – 7 Qs 100/12 – wistra 2012, 409) und LG Braunschweig (Beschl. v. 21.07.2015 – 6 Qs 116/15 – NZWiSt 2016, 37) erstreckt sich die Beschlagnahmefreiheit auch auf (im Gewahrsam des Beschuldigten befindliche) anwaltliche Korrespondenz unabhängig vom formellen Beschuldigtenstatus des Betroffenen, soweit ein – ggf. präventives – Verteidigungsverhältnis besteht und der Betroffene mit der Einleitung eines Strafverfahrens zu rechnen hat. Diesem Ansatz folgend kann eine schützenswerte Vertrauensbeziehung bereits dann bestehen, wenn ein staatliches Ermittlungsverfahren zwar noch nicht eingeleitet ist, der Betroffene aber befürchten muss, dass ein solches Verfahren gegen ihn geführt werden könnte. Das LG Gießen verlangt zwar das Bestehen eines Verteidigungsverhältnisses; ob zu dem Zeitpunkt, zu dem die Unterlagen gefertigt wurden, bereits ein Verfahren eingeleitet war, sei aber irrelevant: Verteidigung könne auch schon zuvor im Wege der Beratung stattfinden, wenn nur der Rechtsrat Suchende ein Strafverfahren befürchte (LG Gießen, Beschl. v. 25.06.2012 – 7 Qs 100/12 – wistra 2012, 409). Auch steht nach Ansicht des LG Hamburg der Einordnung von schriftlichen Gegenständen als Verteidigungsunterlagen nicht entgegen, wenn der Beschuldigte und sein Rechtsanwalt in Unkenntnis des Strafverfahrens darauf aus waren, in einem Zivilrechtsstreit genau die Vorwürfe abzuwehren, die dem Beschuldigten auch in einem beiden noch nicht bekannten Strafverfahren zur Last gelegt werden (LG Hamburg, Beschl. v. 17.08.2016 – 618 Qs 30/16). Insofern gilt das aus den §§ 97 Abs. 1 Nr. 1, 148 StPO folgende Beschlagnahmeverbot auch für Verteidigungsunterlagen, die vor förmlicher Einleitung des Ermittlungsverfahrens gefertigt wurden (LG Gießen, Beschl. v. 25.06.2012 – 7 Qs 100/12 – wistra 2012, 409).
Haben aber – wie im vorliegenden Fall des LG Würzburg – weder der Beschuldigte noch sein Verteidiger überhaupt Kenntnis von einem Strafverfahren, so fehlt jeglicher Bezug zu einem Verteidigungsverhältnis. In so einem Fall erscheint die wortlautgetreue Handhabung des § 148 StPO rechtlich vorzugswürdig. Dass § 97 StPO im Falle eines Verteidigungsverhältnisses entgegen dem Wortlaut der Vorschrift nicht zur Anwendung kommt, wird allgemein mit dem ersten Absatz der später in die StPO eingefügten Vorschrift des § 148 StPO begründet. Hiernach ist dem Beschuldigten, auch wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet, schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet. § 148 StPO soll einen ungestörten Verkehr des Beschuldigten mit seinem Verteidiger gewährleisten, setzt also ein (zumindest angebahntes) Verteidigungsverhältnis voraus, so dass § 148 StPO im Hinblick auf die Erstellung, wechselseitige Zusendung bzw. Inempfangnahme der beschwerdegegenständlichen Unterlagen nach allgemeiner Meinung in concreto nicht zur Anwendung gelangt wäre.
Führt aber alleine der Rechtsgedanke von § 148 Abs. 1 StPO zur Erweiterung der gesetzlichen Regelung des § 97 StPO über den Wortlaut der Norm hinaus, kann die Erweiterung nicht weiterreichen, als es dem Normzweck und dem Anwendungsbereich von § 148 Abs. 1 StPO entspricht. Damit ist nach Auffassung des LG Lüneburg (Beschl. v. 19.01.2018 – 9/18) kein Platz für die von der Rechtsprechung u.a. des LG Hamburg (Beschl. v. 17.08.2016 – 618 Qs 30/16) angenommene Ausweitung der Anwendungseinschränkung des § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO.
D. Auswirkungen für die Praxis
Hinsichtlich der Beschlagnahmefreiheit von Verteidigungsunterlagen im Gewahrsam des Mandanten besteht aufgrund divergierender Entscheidungen weiter Rechtsunsicherheit. Der Beginn der Beschlagnahmefreiheit ist abschließend nicht geklärt. Insoweit empfiehlt es sich, dafür Sorge zu tragen, dass Unterlagen nur soweit erforderlich angefertigt werden und in den Gewahrsam des Mandanten gelangen. Es sei abschließend darauf hingewiesen, dass es sich tatsächlich um Verteidigungsunterlagen handeln muss. Es genügt insofern nicht, dass Schriftstücke lediglich als „Verteidigungsunterlagen“ bezeichnet oder unter solche gemischt werden (LG Tübingen, Beschl. v. 14.02.2007 – 1 KLs 42 Js 13000/06 – NStZ 2008, 653; LG Mainz, Beschl. v. 23.05.1986 – 5 Qs 4/86 – NStZ 1986, 473).
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