Nachfolgend ein Beitrag vom 14.09.2016 von Klocke, jurisPR-ArbR 37/2016 Anm. 6

Tenor

Art. 3 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf und Art. 14 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sind dahin auszulegen, dass eine Situation, in der eine Person mit ihrer Stellenbewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur den formalen Status als Bewerber erlangen möchte, und zwar mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen, nicht unter den Begriff „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ im Sinne dieser Bestimmungen fällt und, wenn die nach Unionsrecht erforderlichen Tatbestandsmerkmale vorliegen, als Rechtsmissbrauch bewertet werden kann.

A. Problemstellung

Das AGG geht auf die Antidiskriminierungsrichtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG, 2002/73/EG und 2004/113/EG zurück (hierzu ausführlich Thüsing in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2015, Einleitung AGG, Rn. 15 ff., auch zur Richtlinie 2006/54/EG) und dient daher der Implementierung eines effektiven Schutzes vor Diskriminierungen wegen der in § 1 AGG genannten Merkmale.
Sehr früh wurde die Befürchtung laut, es könne zu Situationen kommen, in denen sich Personen nur deshalb bewerben, um wegen einer vermeintlichen Diskriminierung eine Entschädigung zu fordern (zum AGG: Diller, BB 2006, 1968). Diese Konstellation wurde bereits nach deutschem Recht weitgehend einhellig als missbräuchlich eingeordnet (Jacobs, RdA 2009, 193, 198). Im Hinblick auf den unionsrechtlichen Hintergrund des AGG hat nunmehr der EuGH in der Entscheidung „Kratzer“ erstmals Stellung bezogen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die R+V-Versicherungsgesellschaft schrieb im März 2009 Trainee-Stellen für Hochschulabsolventen der Fachrichtungen Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsmathematik, Wirtschaftsinformatik und Jura aus. Verlangt wurden ein sehr guter Hochschulabschluss, der nicht länger als ein Jahr zurückliegen durfte oder innerhalb der nächsten Monate erfolgen würde, und qualifizierte sowie berufsorientierte Praxiserfahrung, z.B. durch Ausbildung, Praktika oder Werkstudententätigkeit. Im Bereich Jura wurden beide Staatsexamina sowie arbeitsrechtliche oder medizinrechtliche Kenntnisse verlangt.
Herr Kratzer bewarb sich auf eine Stelle im Bereich Jura und erklärte, alle Voraussetzungen zu erfüllen. Er verfüge als Rechtsanwalt und leitender Angestellter einer Versicherungsgesellschaft über Führungserfahrung und sei es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen und selbstständig zu arbeiten. Er besuche einen Fachanwaltskurs für Arbeitsrecht und betreue ein umfangreiches medizinrechtliches Mandat.
Am 19.04.2009 lehnte die R+V Herrn Kratzer ab. Am 11.06.2009 richtete dieser eine schriftliche Beschwerde an die R+V und verlangte Entschädigung aufgrund einer Diskriminierung wegen Alters in Höhe von 14.000 Euro. Auf dieses Schreiben hin lud die R+V Herrn Kratzer zu einem Vorstellungsgespräch ein, um über seine Zukunft bei der R+V zu sprechen. Herr Kratzer verlangte hingegen zunächst Erfüllung des Entschädigungsanspruchs.
In der Folge erhob Herr Kratzer Klage auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 14.000 Euro. Im Anschluss hieran erfuhr er, dass alle vier Stellen mit Frauen besetzt wurden, obwohl sich nahezu gleichviel Männer und Frauen auf die Stellen beworben hatten. Daher forderte er eine weitergehende Entschädigung wegen Diskriminierung des Geschlechts in Höhe von 3.500 Euro.
Sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem Landesarbeitsgericht hatte Herr Kratzer keinen Erfolg. In der Revisionsinstanz setzte das BAG das Verfahren aus und legte dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor. In der ersten Frage wollte das Gericht wissen, ob ein „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ auch dann erstrebt wird, wenn aus der Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung oder Beschäftigung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können. Für den Fall, dass diese Frage bejaht wird, erfragte das Gericht, ob eine Situation, in der der Status als Bewerber zwecks Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen erreicht wurde, nach Unionsrecht als Rechtsmissbrauch bewertet werden kann.
Der EuGH prüfte die Fragen zusammen. Das Ausgangsverfahren sei dadurch gekennzeichnet, dass Herr Kratzer seine Bewerbung um eine Trainee-Stelle bei R+V allein eingereicht habe, um den formalen Status als Bewerber zu erlangen, und zwar mit dem alleinigen Ziel, auf der Grundlage der Richtlinien 2000/78/EG und Richtlinien 2006/54/EG eine Entschädigung geltend zu machen. Dieses Verhalten falle grundsätzlich nicht in den Geltungsbereich der Richtlinien 2000/78/EG und Richtlinien 2006/54/EG.
Das Gericht argumentierte, es gehe in diesem Fall nicht um einen Zugang zur Beschäftigung. Insofern müsse ein formaler Bewerber auch nicht vor Diskriminierungen geschützt werde, wenn er die Stelle in Wirklichkeit nicht will. Aus Art. 3 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2000/78/EG sowie Art. 1 Abs. 2 lit. a und Art. 14 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2006/54/EG ergebe sich, dass diese Richtlinien für eine Person gelten, die eine Beschäftigung sucht, und zwar auch in Bezug auf die Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen für diese Beschäftigung. Eine solche Person könne dann weder als Opfer i.S.v. Art. 17 der Richtlinie 2000/78/EG und Art. 25 der Richtlinie 2006/54/EG noch als eine Person, der ein Schaden entstanden ist, i.S.v. Art. 18 der Richtlinie 2006/54/EG angesehen werden.
Niemand dürfe sich in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf die Rechtsvorschriften der Europäischen Union berufen. Sollte eine Person in den Anwendungsbereich der Richtlinien fallen, könne ihr Verhalten daher rechtsmissbräuchlich sein. Die Feststellung eines missbräuchlichen Verhaltens verlange das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Tatbestandsmerkmals. In objektiver Hinsicht müsse sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der von der Unionsregelung vorgesehenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wurde. Subjektiv müsse aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass wesentlicher Zweck der fraglichen Handlungen die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils ist. Das Missbrauchsverbot greife hingegen nicht, wenn die fraglichen Handlungen eine andere Erklärung haben können als nur die Erlangung eines Vorteils.

C. Kontext der Entscheidung

Der Fall berührt maßgeblich die Frage des sog. AGG-Hoppings (aktuell: Rolfs, NZA 2016, 586; Brand/Rahimi-Azar, NJW 2015, 2993; Mohr, NZA 2014, 459; grundlegend: Diller, BB 2006, 1968; Diller, NZA 2007, 1321; zum § 611a-Hopping: ArbG Potsdam, Urt. v. 13.07.2005 – 8 Ca 1150/05 – NZA-RR 2005, 651). Die bei Schaffung des AGG be- und gefürchtete Klagewelle von AGG-Hoppern ist zwar nicht eingetreten (Rolfs, NZA 2016, 586, 586), in steter Regelmäßigkeit treten jedoch Fälle auf, in denen den Klägern entgegengehalten wird, sie seien nur auf Geld aus.
In diesem Problemkreis stellt die Entscheidung „Kratzer“ einen ersten Baustein dar, um die Fälle unionsrechtskonform zu lösen. Der Fall selbst hat eine lange Prozessgeschichte, in der das Problem des AGG-Hoppings erst spät thematisiert wurde. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen die Ansprüche des Klägers mangels mittelbarer Diskriminierung ab (vgl. LArbG Frankfurt, Urt. v. 16.01.2012 – 7 Sa 615/11 – NZA-RR 2012, 464). Das BAG hob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auf (BAG, Beschl. v. 23.08.2012 – 8 AZN 711/12) und verwies den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurück. Nach Ansicht des BAG hatte das Landesarbeitsgericht das Vorbringen des Klägers hinsichtlich der Vermutungstatsachen für eine Benachteiligung wegen des Geschlechts nicht berücksichtigt und dadurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Das Landesarbeitsgericht würdigte daraufhin die Indizien, wies die Berufung aber zurück. Erst im Vorlagebeschluss (BAG, Beschl. v. 18.06.2015 – 8 AZR 848/13 (A) – AP Nr 1 zu § 6 AGG; hierzu: Jesgarzewski, BB 2015, 2176; Horcher, NZA 2015, 1047, auch zur Frage der Erforderlichkeit der Vorlagefrage) wurde dann die Bewerbereigenschaft und die Rechtsmissbräuchlichkeit erörtert. Diese neue Facette des Falls geht mit der verstärkten und sehr kritischen Berichterstattung über den Kläger im Zuge der Young-Professionals-Entscheidung des BAG einher (BAG, Urt. v. 24.01.2013 – 8 AZR 429/11 – AP Nr 2 zu § 10 AGG; vgl. hierzu: Jahn, „das BAG wehrt sich“, in: F.A.Z. v. 19.06.2015).
In seinem Vorlagebeschluss wies das BAG zunächst auf seine Rechtsprechung zu den Motivbündeln im Rahmen der Beweislastumkehr des § 22 AGG hin. Es genügt nämlich, dass ein in § 1 AGG genannter Grund Bestandteil des Motivbündels ist, das zur nachteiligen Entscheidung geführt hat. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Eine bloße Mitursächlichkeit genügt (BAG, Urt. v. 26.09.2013 – 8 AZR 650/12 – AP Nr 14 zu § 15 AGG). Diese Ausführungen machten deutlich, wie schnell ein Arbeitgeber nach deutschem Recht in der Haftung nach § 15 AGG sein kann.
Aus diesen Ausführungen wird ferner deutlich, dass es für das BAG maßgeblich auf die Bewerbereigenschaft ankam. Der vorlegende Achte Senat führte aus, dass es seiner Meinung nach schon an der Bewerbereigenschaft fehle. Das Gericht betonte dann, dass eine rein formale Bewerbung als nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung unbeachtlich sei.
Die Ausführung des BAG zur Unbeachtlichkeit der Willenserklärung ist indes nicht unproblematisch. Zu Recht weist Rolfs darauf hin, dass das Bewerbungsschreiben im Vorfeld der eigentlichen Willenserklärungen einzuordnen ist (Rolfs, NZA 2016, 586, 588; zum Scheingeschäft: Benecke, RdA 2016, 65). Der hinter der Norm stehende Rechtsgedanke ist allerdings verallgemeinerungsfähig (vgl. Armbrüster in: MünchKomm BGB, § 117 Rn. 1).
Die Lösung der Konstellationen war bislang nicht einheitlich. In einigen Entscheidungen interpretierten die Gerichte den Begriff des Bewerbers so, dass dieser objektiv geeignet sein und subjektiv die Stelle auch wollen müsse (BAG, Urt. v. 28.05.2009 – 8 AZR 536/08 – NZA 2009, 1016; LArbG Mainz, Urt. v. 13.12.2007 – 6 AZR 200/07 – NZA-RR 2008, 341; so auch Bauer/Krieger, § 6 Rn. 10 ff. m.w.N.). In letzter Zeit hatte das BAG eine ernsthafte Absicht nicht als Element des Bewerberbegriffs eingeordnet und dieses Problem allein auf die Prüfung von § 242 BGB verlagert (BAG, Urt. v. 24.01.2013 – 8 AZR 429/11; BAG, Urt. v. 16.02.2012 – 8 AZR 697/10 – NZA 2012, 667, 668 f.). Diese Lösung entsprach auch den meisten Stellungnahmen in der Literatur (Windel, RdA 2011, 193, 194; Horcher, NZA 2015, 1047, 1048 f; jeweils m.w.N.). Speziell wurde die Fallgruppe des unredlichen Erwerbs einer Rechtsstellung (BAG, Urt. v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10 – AP Nr 9 zu § 15 AGG) angeführt. Es war somit möglich, Bewerber i.S.d. § 6 AGG zu sein, ohne die Stelle zu wollen oder sie bedienen zu können (zur objektiven Eignung: BAG, Urt. v. 14.11.2013 – 8 AZR 997/12 – NZA 2014, 489). Im Hinblick auf die praktischen Anforderungen bestand hingegen Einigkeit: Der Arbeitgeber ist für die fehlende Ernsthaftigkeit bzw. den Rechtsmissbrauch darlegungs- und beweislastpflichtig (BAG, Urt. v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10). Dazu muss er zunächst Indizien vortragen, die geeignet sind, den Schluss auf die fehlende Ernsthaftigkeit zuzulassen. Eine Vielzahl von Entschädigungsklagen ist dabei für sich genommen noch kein Indiz (BAG, Urt. v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10).
In diese Gemengelage fällt die Entscheidung des EuGH. Bemerkenswert ist zunächst, dass der EuGH den Eventualzusammenhang der Vorlagefragen geradezu umdreht. Denn die Antwort auf Frage 2 erfasst Fälle, die nicht von der Antwort auf Frage 1 erfasst werden. Das soeben skizzierte alternative Meinungsbild wird daher durch die zweistufige Lösung des EuGH aufgelöst und in ein Stufenverhältnis überführt.
Der Gerichtshof hat maßgeblich auf die Bewerbung abgestellt und unter Betonung der Rechtssache „Meister“ (EuGH, Urt. v. 19.04.2012 – C-415/10 Rn. 33) aus Art. 3 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2000/78/EG sowie Art. 1 Abs. 2 lit. a und Art. 14 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2006/54/EG abgeleitet, dass diese Richtlinien für eine Person gelten, die eine Beschäftigung sucht. Der AGG-Hopper hingegen sucht keine Beschäftigung, sondern eine Entschädigung.
Man wird diese Ausführungen freilich kontextualisieren müssen. Die Darstellungen in der Bewerbung des Klägers machten bereits deutlich, dass die Stelle nicht in Frage kommt. Wegen der Betonung der eigenen Berufserfahrung war eine Einstellung als Trainee nämlich nicht möglich.
Nun kann es vorkommen, dass sich Bewerber auf Stellen „auf gut Glück“ bewerben, auch wenn sie einige Kriterien nicht erfüllen. Insbesondere bei einer Trainee-Stelle in einem größeren Unternehmen ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Personaler den Bewerber trotzdem einlädt oder für eine andere Stelle berücksichtigt. An die Offensichtlichkeit der subjektiven Eignung müssen daher hohe Anforderungen gestellt werden. Denn in diesen Konstellationen sucht der Bewerber Zugang zur Beschäftigung.
Daher erklärt es sich auch, dass das Gericht als zweite Linie den Rechtsmissbrauch betont. Im Grundsatz liegt die Rechtsprechung des EuGH auf der Linie der deutschen Gerichte, die die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs als rechtsmissbräuchlich einordnen. Problematisch hingegen ist, wie mit dem beiden Kriterien des unionsrechtlichen Rechtsmissbrauchs umzugehen ist. Die statische Prüfung des Rechtsmissbrauchs ist für das flexible auf Einzelfallgerechtigkeit ausgerichtete System des § 242 BGB nicht einfach zu inkorporieren. So war bislang anerkannt, dass ein Rechtsmissbrauch nicht zwingend ein subjektives Element voraussetzen muss (Schubert in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2016, § 242 Rn. 243).
Objektiv ist nach dem EuGH erforderlich, dass das Ziel der Regelung nicht erfüllt wird. Die in Bezug genommenen Entscheidungen „Emsland-Stärke“ und „SICES“, Entscheidungen zum EU-Beihilfen- und Agrarrecht, verlangen eine teleologische Interpretation der Regelung im Hinblick auf das Verhalten.
Die in Rede stehenden Sanktionen sollen den Zugang zur Beschäftigung abschreckend sichern. Art. 18 der Richtlinie 2006/54/EG dient offensichtlich dazu, Diskriminierungen in Zukunft zu verhindern (zum Problem der Zweckbestimmung des § 15 AGG: Thüsing in: MünchKomm BGB, § 15 AGG Rn. 13 ff.).
Der Bewerber muss nicht gesichert werden, wenn er gar keinen Zugang verlangt. Vielmehr fordert der AGG-Hopper seine eigene Diskriminierung selbst heraus. Damit weicht er vom Typischen ab: Ein Bewerber muss nicht damit rechnen, diskriminiert zu werden, geschweige denn, dass er diskriminiert werden will.
Problematisch ist dabei, dass auch die Klage des AGG-Hoppers abschreckende Wirkung haben kann. Denn liegt eine Diskriminierung vor, müsste diese eigentlich abschreckend bekämpft werden. Dennoch trifft die Lösung des EuGH zu. Das Deterrenserfordernis (Erfordernis der Abschreckung) allein kann nicht zur Anwendung des Unionsrechts führen, handelt es sich doch um eine Anforderung zur Umsetzung des Unionsrechts. Der Rechtsmissbrauch führt den Bewerber jedoch außerhalb des Unionsrechts.
In seiner Formulierung ist der EuGH bereits sehr nah an den Voraussetzungen eines institutionellen Rechtsmissbrauchs, der es nach deutschem Recht allein rechtfertigen würde, dem Anspruch § 242 BGB entgegenzuhalten. Denn ein Rechtsmissbrauch i.S.v. § 242 BGB setzt voraus, dass ein Vertragspartner eine an sich rechtlich mögliche Gestaltung in einer mit Treu und Glauben unvereinbaren Weise nur dazu verwendet, sich zum Nachteil des anderen Vertragspartners Vorteile zu verschaffen, die nach dem Zweck der Norm und des Rechtsinstituts nicht vorgesehen sind. Beim institutionellen Missbrauch ergibt sich der Vorwurf bereits aus Sinn und Zweck des Rechtsinstituts, beim individuellen Rechtsmissbrauch dagegen folgt er erst aus dem Verhalten (so BAG, Urt. v. 18.07.2012 – 7 AZR 443/09 – NZA 2012, 1351, 1356 f.).
Weiterhin stellt sich die Frage, welcher Raum für das subjektive Merkmal bleiben soll, wenn die fehlende subjektive Eignung bereits festgestellt wurde, um die Zweckverfehlung anzunehmen. Doch geht es dem EuGH nicht um den fehlenden Willen, sondern vielmehr um den positiven Willen zu einem ungerechtfertigten Vorteil. Nur sagt der EuGH nicht, wann ein solcher Vorteil vorliegt und wann er ungerechtfertigt ist. Im Falle einer Entschädigung liegt trotz des (auch) kompensatorischen Charakters ein Vorteil nahe, so dass die Frage bleibt, wann die Zahlung ungerechtfertigt ist.
Dass der Vorteil im Unionsrecht angelegt ist, hindert die Annahme des Rechtsmissbrauchs nicht (EuGH, Urt. v. 21.02.2006 – C-255/02). Aus der Entscheidung „Kratzer“ lässt sich bislang nur ableiten, dass die abschreckende Wirkung der Sanktion nicht zur Legitimation des Vorteils führen kann. Insofern bietet es sich an, auch hier eine wertende und vergleichbare Betrachtungsweise wie beim objektiven Element anzuwenden. Der EuGH deutet dies dadurch, dass man das künstliche Verhalten berücksichtigen könne.
Es liegt nahe, dass diese Rechtsprechung auch dann verfängt, wenn es dem Bewerber um einen Nachteil des anderen geht. Denn in der Erreichung des Nachteils liegt zugleich ein subjektiver Vorteil.
Schließlich lässt der EuGH eine beachtliche Ausnahme vom Rechtsmissbrauch zu. Gibt es einen anderen Grund für das Verhalten des Klägers, so greift das Missbrauchsverbot nicht ein: eine Absage an Sachverhalte mit Motivbündeln.
Halbherzige Bewerbungen werden oftmals zur Vermeidung einer sozialrechtlichen Sanktion abgegeben (Rolfs, NZA 2016, 586, 588). Hält der Bewerber darüber hinaus eine Diskriminierung für möglich und spekuliert auf eine Entschädigung, so kann das Motiv „Verhinderung der Sanktion“ der Annahme eines Rechtsmissbrauchs im Sinne des Unionsrechts entgegenstehen, obgleich es auch in dieser Situation gute Gründe geben mag, ihm eine Entschädigung zu versagen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des EuGH sprengt das bisherige Denkmuster und wirft zugleich neue Fragen auf. Die alternativen Lösungswege in Rechtsprechung und Literatur stehen nunmehr, völlig zutreffend, in einem Stufenverhältnis. Dass § 242 BGB stets eine Korrektur im Einzelfall ermöglicht, war auch schon vorher bekannt. Deutlich wird aus der Entscheidung, dass Fälle eines möglichen AGG-Hoppings nicht pauschal diskutiert und bewertet werden dürfen. Nur eine offensichtliche Scheinbewerbung fällt daher aus dem Anwendungsbereich von Unionsrecht und AGG.
Oftmals besteht wegen des unionsrechtlichen Effektivitätsgebots Unsicherheit darüber, wie weit Rechte zu verwirklichen sind. Allerdings bringt die Entscheidung nur Anhaltspunkte, keine endgültige Klarheit. Die Ausführungen des EuGH zum Rechtsmissbrauch legen nahe, hohe Anforderungen an beide Kriterien zu stellen, schließlich steht die praktische Wirksamkeit des Diskriminierungsschutzes auf dem Spiel. Der Rechtsmissbrauch bleibt die Ausnahme.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Der Fall wirft die Frage auf, ob Trainee-Programme eine Diskriminierung wegen Alters begründen können. Wird nicht am Alter direkt, sondern an der Distanz zum Abschluss des Studiums, Ausbildung etc. angeknüpft, so werden überproportional jüngere Menschen für die Stelle in Frage kommen. Dann liegt eine mittelbare Diskriminierung nahe. Das BAG hat aus der Verwendung des Begriffs „Young Professionals“ geschlossen, dass der Arbeitgeber sich nur an junge Menschen wenden wollte (BAG, Urt. v. 24.01.2013 – 8 AZR 429/11).