Nachfolgend ein Beitrag vom 31.5.2017 von Baumann-Czichon, jurisPR-ArbR 22/2017 Anm. 3

Leitsätze

1. Die Mitarbeitervertretung hat Anspruch auf Aushändigung einer Liste mit allen in der Dienststelle gezahlten Bruttovergütungen.
2. Davon ausgenommen sind nur die an Mitglieder der Dienststellenleitung gezahlten Bezüge.
3. Die zweimalige Vorlage einer Bruttolohnliste im Kalenderjahr ist rechtlich nicht zu beanstanden.

A. Problemstellung

Während § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG die Frage abschließend klärt, ob und in welcher Weise der Betriebsrat Auskunft über die Bruttogehälter der Arbeitnehmer durch Einsicht in Lohnlisten zu erhalten hat, enthalten weder das evangelische Mitarbeitervertretungsgesetz noch die katholische Mitarbeitervertretungsordnung entsprechende Regelungen. Nach § 34 Abs. 1 MVG-EKD ist die Mitarbeitervertretung zur Durchführung ihrer Aufgaben zu unterrichten. § 27 Abs. 1 MAVO verpflichtet beide Betriebspartner sich gegenseitig über die Dienstgemeinschaft betreffende Angelegenheiten zu unterrichten. In der Praxis umstritten war die Frage, ob der so definierte Informationsanspruch die Auskunft über die gezahlten Gehälter inkludiert oder ob aus dem Fehlen einer § 80 Abs. 2 BetrVG entsprechenden Norm das Gegenteil folgt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Informationsanspruch der Mitarbeitervertretung erstreckt sich nach § 34 Abs. 1 MVG-EKD auf die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Auskünfte, der nach Abs. 3 durch rechtzeitige Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu erfüllen ist. Die Mitarbeitervertretung hat nach § 35 Abs. 1 Satz 1 MVG-EKD die beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Belange der Beschäftigten zu fördern und nach Abs. 3 Buchst. b dafür einzutreten, dass die arbeits-, sozial- und dienstrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden. Die jeweils anzuwendenden Entgeltordnungen zählen zu den arbeits- und dienstrechtlichen Bestimmungen, deren Einhaltung nur überprüft werden kann durch Abgleich der geschuldeten mit der gezahlten Vergütung. Zu diesem Abgleich sind die Bruttolohnlisten erforderlich, weshalb der Kirchengerichtshof im Wege schlichter Subsumtion zu dem Ergebnis kommt, dass der Mitarbeitervertretung die Bruttolohnlisten auszuhändigen sind. Diese Feststellung rechtfertigt sich auch aus dem Umstand, dass die Mitarbeitervertretung ein Mitbestimmungsrecht hat bei der Zahlung von Unterstützungen und Zulagen, auf die kein Rechtsanspruch besteht, § 40 Buchst. m MVG-EKD.
In § 80 Abs. 2 BetrVG erkennt der Kirchengerichtshof nicht die Begründung des Anspruchs auf Einsicht in die Bruttolohnlisten, sondern im Gegenteil dessen Regulierung. Aus dem Fehlen einer entsprechenden Norm im MVG-EKD folgt deshalb, dass der Mitarbeitervertretung nicht lediglich Einsicht zu gewähren ist.
Die Beschränkung auf eine halbjährliche Aushändigung der Lohnlisten begründet der KGH pragmatisch: Sie ist verhältnismäßig und erlaubt es, etwaige Veränderungen nachzuvollziehen.
Verworfen hat der KGH die Erwägung, der Anspruch auf Aushändigung der Lohnlisten scheitere an dem Einwilligungsvorbehalt der einzelnen Arbeitnehmer für eine Einsicht der Mitarbeitervertretung in die Personalakte. Die Lohnabrechnung ist nach Auffassung des KGH nicht Bestandteil der Personalakte.
Ebenso verworfen hat der KGH datenschutzrechtliche Bedenken, weil die Mitarbeitervertretung im Verhältnis zur Dienststelle nicht eine „andere Stelle“ ist, sondern Teil der verantwortlichen Dienststelle, so dass gar keine Datenübermittlung vorliegt. Wollte man dies anders sehen, so genüge der Informationsanspruch gemäß § 34 Abs. 1 und 3 MVG-EKD als Ermächtigung für die Datenweitergabe.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung fällt in eine Zeit, in der auch in der Sozialbranche, die jahrzehntelang durch die Vergütung des öffentlichen Dienstes als Leitwährung geprägt war, individuelle Vergütungsvereinbarungen vermehrt abgeschlossen werden. Dies betrifft die Mangelberufe wie Ärzte und (besonders qualifizierte) Fachkräfte. Gleichzeitig wird in Folge knapper Finanzierung um die Absenkung des Vergütungsniveaus durch Sanierungs-Tarifverträge oder sog. Notlagenregelungen gekämpft. Damit stellt sich der Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit, die ohne Kenntnis der tatsächlichen Vergütungszahlungen nicht beantwortet werden kann.
Die Entscheidung berührt auch das Spannungsfeld von individualrechtlichem Schutz (insbesondere dem Schutz der Persönlichkeitsrechte) und den Handlungsmöglichkeiten der betrieblichen Interessenvertretung als kollektiver „Schutzmacht“. Hier ist gelegentlich eine für die Funktionsfähigkeit betrieblicher Interessenvertretung gefährliche Überbetonung des Individualschutzes festzustellen, wenn z.B. der (katholische) Kirchliche Arbeitsgerichtshof die Weitergabe der zum betrieblichen Eingliederungsmanagement führenden Daten von der Zustimmung der Betroffenen abhängig macht (KAGH, Urt. v. 28.11.2014 – M 06/2014) oder das VG Frankfurt (Main) dem Personalrat das Leserecht in EDV-gestützten Dienstplänen verweigert (VG Frankfurt, Beschl. v. 31.05.2010 – 23 K 500/10.F.PV). So wesentlich der Schutz der Persönlichkeitsrechte gerade im Arbeitsverhältnis ist, darf aber nicht übersehen werden, dass Einwilligungsvorbehalte der jeweiligen Arbeitnehmer immer dazu missbraucht werden können, die die Arbeitnehmer unterstützende Beteiligung der betrieblichen Interessenvertretung auszuhebeln. Die betriebliche Praxis zeigt, dass sich Arbeitnehmer aufgrund ihrer Abhängigkeit vom Arbeitgeber nur allzu oft überreden lassen, die betriebliche Interessenvertretung nicht dabeihaben zu wollen.
Hier hat der Kirchengerichtshof ein klares Signal gegeben: Der Informationsanspruch der Mitarbeitervertretung auch hinsichtlich der Vergütung der einzelnen Beschäftigten hängt nicht von deren Zustimmung ab. Er ist notwendig zur Erfüllung des gesetzlichen Schutzauftrags der Mitarbeitervertretung.
Den von der Vorinstanz erhobenen Einwand, der Arbeitgeber dürfe die Lohnhöhe nicht mitteilen, weil diese Bestandteil der Personalakte sei, in die die Mitarbeitervertretung nur mit schriftlicher Zustimmung des Betroffenen Einsicht nehmen dürfe, hat der Kirchengerichtshof noch nicht ausreichend beantwortet. Der Hinweis, die Gehaltsabrechnung sei regelmäßig nicht Bestandteil der Personalakte, kollidiert möglicherweise mit dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Personalakte. Richtigerweise wäre die Frage zu stellen, ob sich der Schutz der Personalakte insgesamt auch auf jede einzelne darin enthaltene Information bezieht. Das ist offensichtlich nicht der Fall, denn zahlreiche der Personalakte zuzuordnende Informationen sind notwendiger Inhalt der Unterrichtung der Mitarbeitervertretung. Dazu zählen die vollständigen Bewerbungsunterlagen anlässlich der Einstellung (§ 34 Abs. 3 Satz 2 MVG-EKD), die vorgesehene Eingruppierung und die Sozialdaten anlässlich einer Kündigung. Dem Schutzzweck folgend ist der Einwilligungsvorbehalt für die Einsicht der Mitarbeitervertretung in die Personalakte dahingehend auszulegen, dass er sich einerseits auf die Personalakte in ihrer Gesamtheit bezieht und andererseits auf diejenigen Informationen, die die Mitarbeitervertretung nicht zur Wahrnehmung ihres gesetzlichen Auftrags benötigt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung stärkt den Informationsanspruch der Mitarbeitervertretungen über den konkreten Gegenstand hinaus. Es bleibt abzuwarten, ob die katholischen Gerichte aufgrund vergleichbarer Rechtslage inhaltlich folgen.