Nachfolgend ein Beitrag vom 03.08.2016 von Gravenhorst, jurisPR-ArbR 31/2016 Anm. 4

Leitsätze

1. Ein Privathaushalt stellt unabhängig von der Anzahl der dort beschäftigten Arbeitnehmer keinen Betrieb i.S.d. § 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 KSchG dar.
2. Die Herausnahme der Beschäftigten in Privathaushalten aus dem allgemeinen Schutz des KSchG verletzt diese weder in ihrer Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG noch stellt sie eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG dar.

A. Problemstellung

Stehen Arbeitsverhältnisse eines Privathaushalts, der unstreitig mehr als zehn Vollzeit-Arbeitnehmer beschäftigt, unter dem Schutz des KSchG?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die knapp 60-jährige Klägerin K stand seit rund anderthalb Jahren in den Diensten eines großen Privathaushaltes, der – unstreitig – regelmäßig mehr als zehn Vollzeit-Arbeitnehmer beschäftigte. Der Arbeitgeber sprach Ende September 2015 eine Kündigung per 31.10.2015 aus.
K erhob fristgerecht Kündigungsschutzklage. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen, weil Angestellte in Privathaushalten nicht in einem „Betrieb“ beschäftigt seien und sich deshalb nicht auf Kündigungsschutz berufen könnten. Die zugelassene Revision ist nach Mitteilung der Prozessvertreterin der Klägerin eingelegt.

C. Kontext der Entscheidung

I. Die Wörter „in demselben Betrieb oder Unternehmen“ in § 1 Abs. 1 KSchG sowie die Wörter „Betriebe und Verwaltungen des privaten und öffentlichen Rechts“ in § 23 Abs. 1 KSchG wären schlicht überflüssig, wenn sie nicht den Sinn hätten, Arbeitnehmer von Privathaushalten vom Kündigungsschutz auszunehmen. Nach ständiger Rechtsprechung und einhelliger Ansicht ist der gesetzgeberische Sinn und Zweck der genannten Formulierungen nichts anderes als der Ausschluss der Arbeitnehmer von Privathaushalten aus dem Kündigungsschutz.
II. Gleiches gilt für die Wörter „in dem Betrieb oder Unternehmen“ in § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB. Während § 622 Abs. 1 BGB uneingeschränkt sämtliche Arbeitsverhältnisse unter eine (Grund-)Kündigungsfrist von „vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats“ stellt, gelten die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB nur für Arbeitsverhältnisse in einem „Betrieb oder Unternehmen“. Auch diese gesetzgeberische Einschränkung dient ganz bewusst dazu, Arbeitsverhältnisse in Privathaushalten von der Geltung verlängerter Kündigungsfristen bei längerer Betriebszugehörigkeit auszuschließen. Auch dies entspricht der überwiegenden Ansicht (Ausnahme: LArbG Stuttgart, Urt. v. 26.06.2015 – 8 Sa 5/15, mit im Prinzip zust. Anm. W. Gravenhorst, jurisPR-ArbR 12/2016 Anm. 4; vgl. auch Kocher, NZA 2013, 929. In diesem Fall hatte ein Privathaushalt seiner – einzigen – Haushaltshilfe nach mehr als 35-jähriger Tätigkeit mit der Grundfrist von vier Wochen gemäß § 622 Abs. 1 BGB gekündigt. Das LArbG Stuttgart hat zu helfen versucht, in dem es den Privathaushalt in „verfassungskonformer Auslegung“ als „Betrieb“ i.S.v. § 622 Abs. 2 BGB interpretiert hat. Näheres hierzu bei W. Gravenhorst, jurisPR-ArbR 12/2016 Anm. 4).
III. Im vorliegenden Fall betrug die Kündigungsfrist wegen der kurzen Betriebszugehörigkeit von weniger als zwei Jahren gemäß § 622 Abs. 1 BGB nur vier Wochen. Wegen der unstreitig mehr als zehn Vollzeit-Arbeitnehmer machte K aber geltend, sie stehe unter Kündigungsschutz. Nach dem Inhalt des Urteils waren rechtserhebliche Kündigungsgründe nicht geltend gemacht. Es kam also darauf an: Gilt Kündigungsschutz oder gilt er a limine nicht?
Das LArbG Düsseldorf hat in ausführlicher Argumentation gemeint, der Ausschluss der Klägerin als einer Hausangestellten vom allgemeinen Kündigungsschutz sei gerechtfertigt, auch unter dem Gesichtspunkt der Art. 12 und 3 GG. Das kann im Endergebnis nicht überzeugen:
IV. Es ist durchaus richtig, dass Privathaushalte wegen des Privaten und Intimen besonderen Schutzes bedürfen. Es mag auch richtig sein, dass dieser Schutz es erfordert, eine Hausangestellte nicht durch Richterspruch wieder in Küche, Bad und Schlafzimmer zurückzuschicken.
Die Alternative voller Kündigungsschutz oder gar kein Kündigungsschutz wird der erforderlichen Interessenabwägung aber nicht gerecht. Vollständiger Ausschluss der Hausangestellten von den verlängerten Kündigungsfristen und vom allgemeinen Kündigungsschutz des KSchG ist zu radikal und nimmt sie zu weit von den Schutzvorschriften aus (Bekanntlich finden die verlängerten Fristen des § 622 Abs. 2 BGB sogar auf Organmitglieder entsprechende Anwendung.). Eine Lösung könnte darin liegen, sowohl die verlängerten Fristen anzuwenden als auch § 14 Abs. 2 KSchG analog.
Wer eine Hausangestellte 35 Jahre lang beschäftigt hat, dem ist durchaus zuzumuten, die längeren Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB einzuhalten. Gleichermaßen ist einem Privathaushalt mit mehr als zehn Vollzeit-Mitarbeitern jedenfalls wirtschaftlich zumutbar, eine Abfindung nachden §§ 14 Abs. 2, 9, 10 KSchG aufbringen zu müssen. In beiden Fällen wird der Arbeitgeber keinen wirtschaftlichen Ruin erleiden.
Falls das BAG sich nicht selbst zu einer derartigen Lösung durchringen kann, sollte es die derzeitige Regel wegen Verfassungswidrigkeit gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG vorlegen, damit das BVerfG seinerseits dem Gesetzgeber den Rahmen für eine verfassungskonforme Rechtsänderung vorgeben kann. Die gegenwärtige Gesetzeslage ist nicht vertretbar. (Erinnert sei an die seinerzeitige Parallelsituation unterschiedlicher Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte.)

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Ausgang des Revisionsverfahrens bleibt abzuwarten.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Verständlicherweise hat das Besprechungsurteil eine Frage nicht thematisiert, die de lege ferenda hinter dem Gesamtthema des Kündigungsschutzes und auch der Kleinbetriebsproblematik steht:
Ist der Kündigungsschutz in der derzeitigen Form des strikten Bestandsschutzes eigentlich noch zeitgemäß, oder wäre nicht ein legislativer Übergang zu einem System des Kündigungsschutzes durch Abfindungsschutz besser? Die Selbstverpflichtung des Gesetzgebers aus Art. 30 Abs. 1 Nr. 1 des Einigungsvertrages (vom 18.09.1990!), „das Arbeitsvertragsrecht […] möglichst bald einheitlich neu zu kodifizieren“, ist noch immer nicht eingelöst. Das ist nicht weniger als ein ausgemachter Skandal, auch angesichts der umfangreichen und fachkundigen Vorarbeiten. Aber auch in diesen Vorarbeiten wird das geltende System eines Kündigungsschutzes durch Bestandsschutz prinzipiell nicht in Frage gestellt, die Hinwendung zu einem Kündigungsschutz durch Abfindungsschutz nach dem Vorbild von § 14 Abs. 2 KSchG nicht einmal in Erwägung gezogen (vgl. hierzu näher W. Gravenhorst, Bestandsschutz: „Heilige Kuh“ und Lebenslüge des deutschen Arbeitsrechts, FA 2007, 290, sowie W. Gravenhorst, Systemfehler beim Kündigungsschutz und ihre Behebung, FA 2006, 193; ausführlich: Fröhlich, Betriebsgrößenunabhängigkeit und Monetarisierung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes, 2008). Sollte sich der Gesetzgeber seiner selbst gestellten Aufgabe doch noch einmal zuwenden, dürfte sich das derzeitige System eines Kündigungsschutzes durch Bestandsschutz im Zuge der rasanten Veränderungen der Arbeitswelt und des Arbeitsmarktes zunehmend weiter überlebt haben. Vielleicht gelingt dann doch noch eine Systemänderung durch Hinwendung zu einem Kündigungsschutz durch Abfindungsschutz.