Nachfolgend ein Beitrag vom 4.10.2018 von Wenker, jurisPR-VerkR 20/2018 Anm. 4

Orientierungssatz

Bei der Regulierung eines Verkehrsunfalls ist für ein bundesweit tätiges Mietwagenunternehmen hinsichtlich der Ortsüblichkeit von Verbringungskosten und UPE-Aufschlägen nicht ohne Weiteres der Geschäftssitz maßgeblich. Steht weder fest, an welchem Ort das Fahrzeug dauerhaft stationiert ist noch, dass sämtliche Fahrzeuge des Unternehmens bei einer bestimmten Werkstatt repariert werden, hat sich das Unternehmen zumindest auf die günstigeren Reparaturkosten in der Unfallregion verweisen zu lassen.

A. Problemstellung

Im Rahmen der fiktiven Abrechnung der unfallbedingten Reparaturkosten eines Mietwagens hatte sich das LG Osnabrück mit der Frage zu befassen, ob bei den erforderlichen ortsüblichen Sätzen diejenigen des Firmensitzes (wo das Fahrzeug auch zugelassen ist) zugrunde zu legen sind oder diejenigen der Region, in der sich der Unfall ereignet hat.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten um die Höhe der zu ersetzenden Reparaturkosten nach einem Auffahrunfall in Osnabrück zwischen einem Mietwagen der Klägerin, einer bundesweit tätigten Fahrzeugvermieterin, und einem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug. Die Haftung der Beklagten ist unstreitig. Die Klägerin macht die Reparaturkosten auf der Basis eines von ihr eingeholten Privatgutachtens geltend. In dem Gutachtens wurden dabei UPE-Aufschläge i.H.v. 22% und Verbringungskosten i.H.v. 125 Euro in Ansatz gebracht und von der Beklagten nicht reguliert. Ebenso auch die für die außergerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwaltes bei der Klägerin entstandenen Kosten.
Die Klägerin hat behauptet, dass die Berechnung von UPE-Aufschlägen, sowie Verbringungskosten im Raum München bei Opel-Vertragswerkstätten ortsüblich seien. Die Beklagte hat vorgetragen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug in Osnabrück stationiert gewesen sei, sodass es nicht darauf ankomme, was im Raum München ortsüblich sei. Sie meint, dass die Ersatzteilaufschläge und Verbringungskosten nicht zu ersetzen seien, da sie nicht angefallen seien, und die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich gewesen seien. Das Amtsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben.
Mit Ausnahmen eines geringfügigen Zinsanspruchs hatte die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten Erfolg.
Der gerichtliche Sachverständige hat unter Berücksichtigung der Ortsüblichkeit für den Großraum Osnabrück unter Annahme der bestrittenen Ortsüblichkeit von UPE-Aufschlägen und Verbringungskosten ausweislich seiner Kalkulation erforderliche Reparaturkosten festgestellt, die den bereits von der Beklagten gezahlten Betrag noch unterschreiten. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist nicht generell auf ihren Geschäftssitz zur Höhe der Reparaturkosten abzustellen. Vielmehr richten sich die Höhe der Reparaturkosten und damit die Wahl des berücksichtigenden Reparaturkostenstandorts nach der Erforderlichkeit i.S.d. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Aus der Norm leitet der BGH ein allgemeines Wirtschaftlichkeitspostulat ab, nach dem der Geschädigte unter mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten diejenige zu wählen hat, die den geringsten Aufwand erfordert. Die dem Geschädigten durch § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB eröffnete Möglichkeit, die Restitution in Eigenregie durchzuführen, beschränkt ihn deshalb auf Maßnahmen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen. Da aber vorliegend weder feststeht, an welchem Ort das Fahrzeug dauerhaft stationiert ist, es keine feste Reparaturwerkstatt des Fahrzeugs gibt und die Klägerin unstreitig nicht sämtliche Mietwagen bei Schäden im gesamten Bundesgebiet für eine Reparatur bzw. Service nach München verbringt, hat sie sich zumindest auf die günstigeren Reparaturkosten der Unfallregion – hier in Osnabrück – verweisen zu lassen. Denn ein verständiger, wirtschaftlich denkenden Mensch in der Lage der Geschädigten hätte das Fahrzeug auch in Unfallnähe reparieren lassen, um nicht nur die günstigeren Werkstattkosten nutzen, sondern auch die Abschleppkosten zum weit entfernten Geschäftssitz zu sparen, zumal sie mit ihrer Mietstation in Osnabrück auch ein Interesse an dem Verbleib des Fahrzeugs in der Region haben könnte. Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen dies keine zu komplexen, unpraktikablen Überlegungen dar, da in solchen Fällen lediglich ein Vergleich mit der Unfallregion und dem Geschäftssitz der Geschädigten vorzunehmen ist.
Ein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht nicht, da die Beauftragung nach den Umständen weder erforderlich noch zweckmäßig war, zumal die Beauftragung bereits innerhalb von weniger als zwei Monaten nach dem Schadensereignis und vor der schriftlichen Zahlungsaufforderung der Klägerin stattfand. Die Klägerin hätte unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht zunächst selbst zur Regulierung auffordern müssen. Es handelte sich um einen häufig und unstreitig vorliegenden Auffahrunfall, der keine Regulierungsschwierigkeiten erwarten ließ. Überdies war der Beklagten erkennbar zumindest ein gewisser Prüfungszeitraum zuzubilligen, der noch nicht abgelaufen war.

C. Kontext der Entscheidung

Die Fragen des Anspruchs auf die Erstattung von Kosten für die Verbringung des Fahrzeugs zu einer Lackiererei und von Aufschlägen auf die Preisempfehlungen der Hersteller für Original-Ersatzteile („UPE“) bei fiktiver Abrechnung des Schadens sind seit Jahren umstritten. Die Rechtsprechung ist entsprechend uneinheitlich (vgl. dazu ausführlich: Anm. Wenker, jurisPR-VerkR 23/2014 Anm. 3 zu AG Aachen, Urt. v. 11.12.2013 – 101 C 65/12). Zunehmend orientiert sich die Rechtsprechung insoweit an der Ortsüblichkeit, also den konkreten regionalen Gegebenheiten (vgl. z.B. OLG Frankfurt, Urt. v. 15.04.2014 – 16 U 213/13; OLG München, Urt. v. 28.02.2014 – 10 U 3878/13 und OLG Hamm, Urt. v. 30.10.2012 – 9 U 5/12). Die Halterin des klägerischen Pkws – ein großes Mietwagenunternehmen – hat Ihren Sitz in München. Dort war das Fahrzeug auch zugelassen. Der übliche Standort des Fahrzeuges war jedoch die Niederlassung der Klägerin in Osnabrück, in deren Nähe sich auch der Unfall ereignete. In dem von der Klägerin vorgelegten Schadensgutachten wurden die üblichen Sätze ihres Firmensitzes in München kalkuliert. Dagegen hat die Beklagte auf der Basis der üblichen Sätze am Schadensort in Osnabrück abgerechnet.
Nach Auffassung des erstinstanzlichen Amtsgerichtes ist bei der Üblichkeit der streitigen Positionen auf den Ort des klägerischen Firmensitzes in München abzustellen. Soweit das Amtsgericht darauf hingewiesen hat, dass sich ein Ort einer dauerhaften Stationierung des Mietwagens nicht feststellen lasse, ist zutreffend darauf hinzuweisen, dass dann auch nicht beurteilt werden könnte, wo sich das beschädigte Fahrzeuge während der gesamten Nutzungszeit befindet, so dass zur Frage einer regionalen Üblichkeit – mangels festen Standorts – keine Aussage getroffen werden kann. Dies hätte die Konsequenz, dass die Erforderlichkeit der streitigen Positionen zulasten der Klägerin als nicht nachgewiesen angesehen werden müssen. Unstreitig verbringt die Klägerin nicht alle ihre Mietwagen aus dem gesamten Bundesgebiet für Reparaturen oder Wartungsarbeiten nach München. Auch wenn die Möglichkeit besteht, dass Fahrzeuge bei sog. Einwegmiete an anderen Stationen abgegeben werden, als wo sie angemietet wurden, so ist doch wohl davon auszugehen, dass die Fahrzeuge überwiegend im Großraum der Anmietstation bewegt werden.
Da die Klägerin bundesweit mehrere hundert Anmietstationen unterhält, besteht jedenfalls kein sachlicher Grund, bei den erforderlichen Reparaturkosten im Rahmen einer fiktiven Abrechnung immer auf die – hohen – Preise in München abzustellen. Da ein dauerhafter Standort des Mietwagens in einer bestimmten Region nicht festgestellt werden kann, hat das Landgericht daher mit plausibler Begründung entschieden, dass dann auf die in der Unfallregion üblichen (günstigeren) Reparaturkosten abzustellen ist, denn dort würde auch ein wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage der Geschädigten sein Fahrzeug reparieren lassen. Dies korrespondiert auch mit dem in § 254 Abs. 2 BGB normierten Gebot einer wirtschaftlichen Behebung des Schadens.

D. Auswirkungen für die Praxis

Bei fiktiver Abrechnung des Fahrzeugschadens sind die Fragen des Anspruchs auf die Erstattung von Verbringungskosten und UPE-Aufschlägen umstritten. Vermittelnd orientiert sich die Rechtsprechung zunehmend an der regionalen Üblichkeit dieser Positionen. Bei dem Schaden an einem Fahrzeug eines bundesweit tätigen Mietwagenunternehmens ist insoweit nicht ohne weiteres auf den Firmensitz abzustellen. Wenn weder feststeht, an welchem Ort das Fahrzeug dauerhaft stationiert ist noch, dass sämtliche Fahrzeuge des Unternehmens bei einer bestimmten Werkstatt repariert werden, hat sich das Unternehmen auf die günstigeren Reparaturkosten in der Unfallregion verweisen zu lassen. Entsprechendes muss auch für die Betreiber anderer, überregional tätiger Betreiber größerer Fahrzeugflotten gelten.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Die Klägerin, ein großes und bundesweit tätiges Mietwagenunternehmen, hatte mit der Schadensregulierung einen Rechtsanwalt beauftragt, ohne zuvor die Ansprüche bei der Beklagten auch nur geltend gemacht zu haben. Die Schwelle, bei der die Kosten der Rechtsverfolgung für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall als erforderlich i.S.d. § 249 Abs. 2 BGB angesehen werden, ist nach gefestigter Rechtsprechung sehr niedrig (vgl. LG Köln, Beschl. v. 12.08.2015 – 11 S 173/15 und AG Balingen, Urt. v. 28.10.2014 – 4 C 322/14).
Vorliegend war jedoch zu berücksichtigen, dass es sich bei der Klägerin um ein bundesweit tätiges Mietwagenunternehmen handelt, bei dem eine entsprechende Geschäftsgewandtheit angenommen werden darf. Ferner handelte es sich um einen einfach gelagerten Unfallhergang, mit anfänglich unstreitiger Haftung, nämlich einem Auffahrunfall. Außerdem hat die Klägerin mit der Durchsetzung ihrer Ansprüche bereits einen Rechtsanwalt beauftragt, ohne zuvor die Ansprüche überhaupt bei der Beklagten selbst geltend gemacht zu haben.
Das Landgericht hat daher zutreffend entschieden, dass die Beauftragung eines Rechtsanwaltes unter diesen Umständen nicht erforderlich war (vgl. ebenso BGH, Urt. v. 08.11.1994 – VI ZR 3/94; LG Bochum, Urt. v. 29.09.2014 – 5 O 91/14; LG Frankfurt, Urt. v. 27.01.2010 – 2/16 S 162/09 und AG Frankfurt, Urt. v. 03.04.2018 – 31 C 3053/17-83). Allerdings kann der Geschädigte – auch ein Mietwagenunternehmen – die weitere Bearbeitung der Angelegenheit zulasten des Schädigers einem Rechtsanwalt übertragen, wenn nach der konkreten Anmeldung der Ansprüche keine zeitnahe Regulierung erfolgt (vgl. BGH, Urt. v. 08.11.1994 – VI ZR 3/94).

Ortsübliche Reparaturkosten bei bundesweit tätigem Mietwagenunternehmen
Andrea KahleRechtsanwältin

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