Nachfolgend ein Beitrag vom 1.3.2017 von Donner, jurisPR-ArbR 9/2017 Anm. 3
Leitsatz
Auch eine schwere Adipositas ist kein verbotenes Merkmal i.S.v. § 7 Abs. 1 AGG.
A. Problemstellung
Das LArbG Hannover hatte darüber zu entscheiden, ob Adipositas eine Behinderung darstellt und ob die zwischen den streitbeteiligten Parteien bestehende Befristungsabrede aufgrund von § 7 Abs. 2 AGG unwirksam ist.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der an Adipositas Grad III leidende Kläger begehrt von der Beklagten die Feststellung der Unwirksamkeit der Befristung seines Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger war seit dem 03.03.2014 bei der Beklagten zunächst befristet als Kraftfahrer beschäftigt. Im September 2015 war er anlässlich einer Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu einer ärztlichen Untersuchung aufgefordert worden, die trotz seines massiven Übergewichts die uneingeschränkte Eignung für die ausgeübte Tätigkeit ergab. Demungeachtet sah die Beklagte von einer Fortführung des Arbeitsverhältnisses ab. Von der die Untersuchung durchführenden Ärztin habe die Beklagte telefonisch erfahren, dass angesichts der Adipositas mittelfristig mit einer Gesundheitsgefährdung des Klägers zu rechnen sei.
Nach Meinung des Klägers ist die Befristungsabrede unwirksam, da sie erst schriftlich vereinbart worden sei, nachdem man ihn „herumgeführt und ihm Verschiedenes gezeigt“ habe. Darüber hinaus sieht er sich aufgrund einer Behinderung benachteiligt, da der Vertrag aufgrund der Adipositas nicht entfristet worden sei, die Esssucht auf eine psychische Beeinträchtigung zurückzuführen sei und somit eine Behinderung darstelle.
Das ArbG Celle hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Befristungsabrede genüge dem Schriftformerfordernis, eine Adipositas an sich stelle keine Behinderung im Sinne des AGG dar und weitere Beeinträchtigungen seien nicht vorgetragen worden.
Der Kläger trägt zur Begründung seiner Berufung vor, er sei allein wegen der Adipositas nicht in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen worden, denn er habe stets gute Leistungen gezeigt. Die Adipositas stelle eine Behinderung dar, da sie ihn in den Verrichtungen des täglichen Lebens hindere, indem Beweglichkeit und Ausdauer gemindert seien. Seine Esssucht sei auf psychische Ursachen zurückzuführen. Die Beklagte benachteilige ihn durch eine negative Gesundheitsprognose, ohne dass hierfür Anhaltspunkte bestünden. Eine Teilhabeminderung zeige sich durch die Nichtfortsetzung des Arbeitsverhältnisses.
Nach Ansicht der Beklagten habe der Kläger weder vor dem schriftlichen Abschluss des Arbeitsvertrages Arbeitsleistungen erbracht noch habe er das Bestehen einer Behinderung substantiiert vorgetragen.
Das LArbG Hannover hat die Berufung zurückgewiesen.
C. Kontext der Entscheidung
Der Entscheidung liegen zwei Schwerpunkte zugrunde: Zunächst behauptet der Kläger, die Befristungsabrede sei unwirksam, da er bereits vor ihrem Abschluss eine Tätigkeit bei der Beklagten aufgenommen habe. Die Konsequenz des klägerischen Vortrags wäre ein konkludent geschlossener unbefristeter Arbeitsvertrag. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist eine sachgrundlose Befristung nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Dementsprechend hätte der befristete Arbeitsvertrag des Klägers nicht mehr auf § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG gestützt werden können.
Jedoch konnte der Kläger nicht darlegen, welche Arbeitsleistungen er vor Abschluss des befristeten Vertrags erbracht haben will. Darüber hinaus war ihm im Einladungsschreiben erklärt worden, dass man beabsichtige, einen befristeten Arbeitsvertrag zu schließen. Hat der Arbeitgeber in den Vertragsverhandlungen der Parteien den Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags ausdrücklich unter den Vorbehalt eines schriftlichen Vertragsschlusses gestellt oder dem Arbeitnehmer die schriftliche Niederlegung des Vereinbarten angekündigt, so ist diese Erklärung grundsätzlich dahingehend zu verstehen, dass der Arbeitgeber dem Schriftformgebot des § 14 Abs. 4 TzBfG entsprechen will und seine auf den Vertragsschluss gerichtete Erklärung nur durch eine Unterzeichnung der Vertragsurkunden angenommen werden kann, die der Form des § 126 Abs. 2 BGB genügt (BAG, Urt. v. 16.04.2008 – 7 AZR 1048/06 Rn. 14). Dieser Rechtsprechung des BAG gemäß weist das Landesarbeitsgericht darauf hin, dass zwischen den Parteien lediglich ein faktisches Arbeitsverhältnis entsteht, wenn ein Arbeitnehmer vor diesem Zeitpunkt die Arbeit aufnimmt (Rn. 22).
Des Weiteren beruft sich der Kläger – wohl hilfsweise – darauf, dass er aufgrund seiner Behinderung diskriminiert worden sei. Stellt eine Befristung eine Diskriminierung dar, ist sie gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Dabei handelt es sich um eine andere Sachlage als diejenige, die § 15 Abs. 6 AGG im Sinn hat, wonach ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG keinen Anspruch auf Abschluss eines Beschäftigungsverhältnisses begründet (vgl. BAG, Urt. v. 21.09.2011 – 7 AZR 150/10 Rn. 44 ff.). Das Landesarbeitsgericht weist indes darauf hin, dass der Kläger lediglich die Unwirksamkeit der Befristungsabrede begehrt, nicht aber die Begründung eines weiteren Arbeitsverhältnisses geltend macht. Diesbezüglich ist jedoch der Klageantrag schon nicht schlüssig. Beantragt wurde, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufgrund der Befristung nicht beendet worden war. Dies aber würde voraussetzen, dass die Befristungsabrede durch eine nachträgliche Diskriminierung quasi rückwirkend unzulässig geworden wäre. Denn die Untersuchung fand erst im September 2015 statt, wohingegen der Arbeitsvertrag im März 2014 abgeschlossen worden war.
Darüber hinaus wurde das Bestehen einer Behinderung nicht hinreichend dargelegt. Im Rahmen der Rechtssache „Kaltoft“ entschied der EuGH, dass eine Adipositas an sich kein von der RL 2000/78/EG geschütztes Merkmal sei EuGH, Urt. v. 18.12.2014 – (C-354/13 Rn. 35). Darüber hinaus enthalte das Primärrecht keine Bestimmung, die eine Ungleichbehandlung aufgrund von Adipositas verbiete (EuGH, Urt. v. 18.12.2014 – C-354/13 Rn. 33). Seit der Entscheidung in der verbundenen Rechtssache „Ring und Skouboe Werge“, die nach der Ratifikation des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Namen der Europäischen Gemeinschaft erging (ABl Nr. 2010, L 23, S. 35), definiert der EuGH den Begriff der Behinderung in Anlehnung an Art. 1 Abs. 2 UN-BRK dergestalt, „dass er eine Einschränkung erfasst, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können“ (EuGH, Urt. v. 11.04.2013 – C-335/11 und C-337/11 Rn. 38).
Eine Adipositas Grad III stellt eine körperliche Beeinträchtigung dar, jedoch ergibt sich aus ihr selbst noch keine Einschränkung, die zur Hinderung der Teilhabe am Berufsleben führt. Diese Einschränkung muss separat vorgetragen werden. Es ist nicht ausreichend, sich in diesem Zusammenhang darauf zu berufen, dass die diskriminierende Handlung des Arbeitgebers eine Einschränkung darstelle, die wiederum eine Behinderung begründe; vielmehr muss die Einschränkung, die zur Behinderung führt, unabhängig von der konkreten Maßnahme des Arbeitgebers bestehen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Wer sich auf eine Diskriminierung aufgrund der Behinderung beruft, sollte wissen, wann eine solche vorliegt, und dies entsprechend vortragen. Denn hinsichtlich des Merkmals i.S.d. § 1 AGG trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast; die Vermutungsregelung des § 22 AGG unterstellt die Kausalität lediglich für die Benachteiligung und wird erst relevant, wenn feststeht, dass ein Diskriminierungsmerkmal nach § 1 AGG vorliegt.
Der unionsrechtliche Behinderungsbegriff und dementsprechend auch derjenige des § 1 AGG unterscheidet im Rahmen der Behinderung nicht nach Schweregraden. Eine behördliche Anerkennung eines GdB ist folglich nicht erforderlich, um sich auf den Schutz vor Diskriminierungen aufgrund einer Behinderung zu berufen; hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast für das tatsächliche Bestehen einer Behinderung ist dies aber hilfreich. Liegt eine Behinderung vor, verbietet das AGG eine Benachteiligung aufgrund dieser (§§ 7 Abs. 1 HS. 1 i.Vm. 1 AGG). Wird ein Arbeitnehmer also tatsächlich nur deshalb befristet, weil er behindert ist, und wird er dadurch benachteiligt, ist die Befristungsabrede gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Dann wäre zudem die Möglichkeit eröffnet, gemäß § 15 AGG Schadensersatzansprüche geltend zu machen.