BGH, Pressemitteilung vom 28.06.2017
Urteil vom 28. Juni 2017 – 5 StR 8/17
Das Landgericht hat den heute 34-jährigen Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Entziehung Minderjähriger, Freiheitsberaubung mit Todesfolge und Körperverletzung, in einem Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes und Vergewaltigung, im anderen Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Sicherungsverwahrung hat es nicht angeordnet.
Nach den Feststellungen des Landgerichts entführte der Angeklagte am 8. Juli 2015 in Potsdam einen sechsjährigen Jungen. Danach vergewaltigte und erstickte er ihn. Die Leiche vergrub er in seinem Gartengrundstück in Luckenwalde. Am 1. Oktober 2015 entführte er auf dem Gelände des Landesamts für Gesundheit und Soziales („LaGeSo“) in Berlin-Moabit den vierjährigen Sohn einer Asylbewerberin. Er verbrachte ihn in seine Wohnung, missbrauchte ihn sexuell und erwürgte ihn.
Der 5. („Leipziger“) Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat das – nach Verwerfung der Revision des Angeklagten im Beschlusswege im Übrigen bereits rechtskräftige – Urteil aufgehoben, soweit das Landgericht Potsdam von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat.
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist vom Gesetzgeber neben lebenslanger Freiheitsstrafe im Jahr 2002 ausdrücklich zugelassen worden. Das gilt auch für die hier in Frage stehende Ermessensanordnung (§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB). Die Novellierung des Rechts der Sicherungsverwahrung im Jahr 2013 hat daran nichts geändert. Vielmehr sprechen nach neuem Recht weitere Gesichtspunkte dafür, dass lebenslange Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung kumulativ verhängt bzw. angeordnet werden dürfen. Unter anderem wird nunmehr einem zu Freiheitsstrafe Verurteilten bei zusätzlicher Anordnung der Sicherungsverwahrung bereits im Strafvollzug besondere Betreuung gewährt (§ 66c Abs. 2, 1 Nr. 1 StGB). Es liegt nahe, dass der Gesetzgeber dieses Betreuungsangebot auch zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten nicht hat vorenthalten wollen, bei denen ein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten festgestellt ist. Entsprechendes gilt für die durch § 67a Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 StGB ermöglichte nachträgliche Überweisung eines Verurteilten, bei dem zugleich Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, bereits aus dem Strafvollzug in eine Maßregel nach § 63 StGB (Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus) oder § 64 StGB (Unterbringung in der Entziehungsanstalt).
Die Entscheidung des Landgerichts, von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abzusehen, hatte keinen Bestand. Denn die Schwurgerichtskammer hat einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass sie für die Annahme des Merkmals des Hangs zur Begehung erheblicher Straftaten (§ 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB) zu Unrecht einen symptomatischen Zusammenhang zwischen einer bei dem Angeklagten vorliegenden Persönlichkeitsstörung und den von ihm begangenen Straftaten vorausgesetzt hat. Ein solcher ist jedoch nicht erforderlich, weil es nach der Gesetzesfassung auf die Ursache des Hangs nicht ankommt. Darüber hinaus sind in die landgerichtliche Gesamtwürdigung zum Tatbestandsmerkmal des Hangs nicht alle relevanten Faktoren eingestellt worden.
Die Sache bedarf danach allein zur Frage der Sicherungsverwahrung neuer Verhandlung und Entscheidung.
Vorinstanz:
Landgericht Potsdam – Urteil vom 26. Juli 2016 – 21 Ks 2/16
Karlsruhe, den 28. Juni 2017
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