Nachfolgend ein Beitrag vom 05.10.2016 von Hamann, jurisPR-ArbR 40/2016 Anm. 1
Orientierungssatz zur Anmerkung
Eine vorsorgliche Überlassungserlaubnis des (Schein-)Werkunternehmers verhindert im Fall einer verdeckt betriebenen Arbeitnehmerüberlassung das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes mit dem (Schein-)Werkbesteller.
A. Problemstellung
Der Fremdpersonaleinsatz hat weiterhin Hochkonjunktur. Weil der Einsatz von Leiharbeitnehmern gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nur noch vorübergehend zulässig ist (BAG, Beschl. v. 10.07.2013 – 7 ABR 91/11 – AP Nr. 33 zu § 1 AÜG, m. Anm. Hamann), greifen Unternehmen verstärkt auf Werkverträge zurück. Mithilfe sog. Onsite-Werkverträge werden Aufgaben, die zum Kernbereich der Wertschöpfungskette gehören, zumeist dauerhaft auf externe Unternehmen verlagert (Hertwig/Kirsch/Wirth, ArbuR 2016, 141, 142). Damit begibt man sich in die Grauzone zu Scheinwerkverträgen. Um das Risiko im Fall der Aufdeckung der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung zu minimieren, verfügt der Auftragnehmer vorsorglich über eine Überlassungserlaubnis. Diese verhindert nach verbreiteter Ansicht jedenfalls den GAU, die illegale Arbeitnehmerüberlassung (etwa Brauneisen/Ibes, RdA 2014, 213; Deinert, RdA 2014, 65, 73; Lembke, NZA 2013, 1312, 1317; Hamann, ArbuR 2016, 136; Hamann/Rudnik, NZA 2015, 449, 450ff. ; Maschmann, NZA 2013, 1305, 1310 f.; Schüren, NZA 2013, 176, 177; a.A. Ulber/J. Ulber, AÜG, 4. Aufl. 2011, Einl. C Rn. 89). Zu Irritationen in der Praxis hatte ein Beitrag von Brose (DB 2014, 1739) geführt, die die Ansicht vertritt, eine Überlassungserlaubnis legalisiere nur die offen betriebene Arbeitnehmerüberlassung, nicht jedoch Scheinwerkverträge. Im gegebenen Fall hatte das BAG Gelegenheit, für Rechtssicherheit zu sorgen.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin war seit dem 09.04.2004 bei der I.-GmbH als CAD-Konstrukteurin beschäftigt. Die I.-GmbH verfügt seit 1998 über eine unbefristete Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Eingesetzt wurde die Klägerin von Beginn an im Werk U. der Beklagten. Grundlage hierfür waren als Werkverträge bezeichnete Vereinbarungen zwischen der I.-GmbH und der Beklagten. Für die Zeit nach dem 31.12.2013 erhielt die I.-GmbH keine Aufträge mehr von der Beklagten. Deshalb kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31.01.2014.
Die Klägerin macht geltend, zwischen ihr und der Beklagten bestehe seit dem 09.02.2004 ein Arbeitsverhältnis. Denn sie sei unter Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nicht nur vorübergehend als Leiharbeitnehmerin bei der Beklagten eingesetzt worden. Auf die der I.-GmbH erteilte Überlassungserlaubnis könne sich die Beklagte gem. § 242 BGB nicht berufen.
Die Klage war in allen Instanzen erfolglos. Das BAG ließ es dahinstehen, ob die Klägerin als Erfüllungsgehilfin im Rahmen eines Werkvertrags oder verdeckt als Leiharbeitnehmerin bei der Beklagten tätig war. Selbst wenn Letzteres der Fall gewesen sein sollte, wäre kein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zustande gekommen. Die Fiktion des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG könne nicht eintreten, weil die I.-GmbH während der Tätigkeit der Klägerin bei der Beklagten durchgehend im Besitz einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis gewesen sei. Die der I.-GmbH vor dem Inkrafttreten des „Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – Verhinderung des Missbrauchs der Arbeitnehmerüberlassung“ vom 28.04.2011 (BGBl I, 642; künftig: Missbrauchsverhinderungsgesetz) am 01.12.2011 erteilte Erlaubnis habe nicht nur die vorübergehende Überlassung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG erfasst. Das Reformgesetz enthalte keine dahingehende Beschränkung. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 HS. 1 AÜG könne die Erlaubnis nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die Erlaubnisbehörde aufgrund einer geänderten Rechtslage berechtigt wäre, die Erlaubnis zu versagen. Das sei nicht geschehen.
Die Erlaubnis erfasse auch die im Rahmen eines Werkvertrags verdeckt betriebene Arbeitnehmerüberlassung. Die Erlaubnis sei ein Verwaltungsakt, der Geltung beanspruche. Dem Gesetz seien keine Anhaltspunkte zu entnehmen, wonach die Erlaubnis nur die offen betriebene Arbeitnehmerüberlassung umfasse.
Dass sowohl der Scheinwerkvertrag gem. § 117 Abs. 1 BGB als auch der verdeckte Arbeitnehmerüberlassungsvertrag wegen Nichtbeachtung des gesetzlichen Formerfordernisses nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG gem. § 134 BGB bzw. § 125 Satz 1 BGB nichtig seien, führe nicht zur Folge des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG. Voraussetzung hierfür sei allein das Fehlen der Überlassungserlaubnis.
Auch eine analoge Anwendung von § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG scheide aus. Hierfür fehle bereits die erforderliche planwidrige Regelungslücke. Das Problem der legalisierenden Wirkung einer sog. Vorratserlaubnis sei bereits vor dem Inkrafttreten des Missbrauchsverhinderungsgesetzes am 01.12.2011 kontrovers diskutiert worden. Dennoch sei keine Regelung dieser Frage erfolgt. Eine Regelung sei vielmehr erstmals in dem vom Bundeskabinett am 01.06.2016 beschlossenen Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Missbrauchs bei Leiharbeit und Werkverträgen vorgesehen. Das stehe der Annahme entgegen, das AÜG geltender Fassung sei planwidrig unvollständig.
Der Fall der fehlenden Erlaubnis sei zudem mit der hier gegebenen Konstellation nicht vergleichbar. Fehle die Überlassungserlaubnis, sei auch der Leiharbeitsvertrag gem. § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam. Um den Leiharbeitnehmer nicht schutzlos zu stellen, bedürfe es der Fiktion des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG. Die Praktizierung eines Scheinwerkvertrags lasse dagegen die Wirksamkeit des Arbeitsvertrags unberührt.
Die Auswechslung des Arbeitgebers aufgrund einer analogen Anwendung von § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG sei darüber hinaus verfassungsrechtlich bedenklich. Eine derart weitreichende Rechtsfolge bedürfe einer klaren gesetzlichen Regelung.
Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Scheinwerkbesteller sei auch europarechtlich nicht geboten. Die Auswahl wirksamer, angemessener und abschreckender Sanktionen i.S.v. Art. 10 Abs. 2 Richtlinie 2008/104/EG vom 19.11.2008 über Leiharbeit sei Sache des Gesetzgebers und nicht der Gerichte für Arbeitssachen (BAG, Urt. v. 10.12.2013 – 9 AZR 51/13; Hamann, jurisPR-ArbR 8/2014 Anm. 1, zur nicht vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung).
Schließlich sei unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs kein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zustande gekommen. Dieser setze voraus, dass ein Vertragspartner eine an sich zulässige Gestaltung in einer mit Treu und Glauben unvereinbaren Weise nur dazu verwende, sich zum Nachteil des anderen Vertragspartners Vorteile zu verschaffen, die nach dem Zweck der Norm oder des Rechtsinstituts nicht vorgesehen sind (BAG, Urt. v. 15.05.2013 – 7 AZR 494/11; Hamann/Rudnik, jurisPR-ArbR 39/2013 Anm. 2). Habe der Gesetzgeber aber entschieden, einen Verstoß nicht mit einer bestimmten Sanktion zu versehen, dürfe diese nicht über § 242 BGB herbeigeführt werden. Damit würde unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers eingegriffen (BAG, Urt. v. 10.12.2013 – 9 AZR 51/13).
C. Kontext der Entscheidung
Mit dem überzeugend begründeten Urteil bestätigt das BAG die Auffassung der ganz h.M. und schafft so Rechtssicherheit, insbesondere für Alt-Erlaubnisinhaber, also solche, die bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Missbrauchsverhinderungsgesetzes am 01.12.2011 über eine Überlassungserlaubnis verfügten. Entgegen der vom ArbG Frankfurt/Oder (Urt. v. 17.04.2013 – 6 Ca 1754/12; Hamann, jurisPR-ArbR 34/2013 Anm. 1) vertretenen Ansicht ist die Erlaubnishörde auch nicht verpflichtet, diese Erlaubnisse gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 AÜG wegen geänderter Rechtslage aufzuheben und neu zu erteilen. Die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 AÜG zuständige Bundesagentur für Arbeit ist nach geltendem Recht auch weder befugt, die Überlassungserlaubnis auf die offen betriebene Arbeitnehmerüberlassung zu beschränken, noch die Verlängerung einer befristeten Erlaubnis zu versagen, weil der Erlaubnisinhaber in der Vergangenheit nicht als Verleiher aufgetreten ist und die Erlaubnis nur als Vorratserlaubnis beantragt hat (Hamann/Rudnik, NZA 2015, 449, 455).
D. Auswirkungen für die Praxis
Für die Praxis steht nun fest, dass eine Vorratserlaubnis Scheinwerk- und Scheindienstverträge legalisiert. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass andere beachtliche Risiken für die beteiligten Arbeitgeber bleiben. Der Werk-/Dienstvertrag ist als Scheingeschäft gem. § 117 Abs. 1 BGB nichtig, der verdeckte Arbeitnehmerüberlassungsvertrag formnichtig (§ 125 Satz 1 BGB i.Vm. § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG, § 117 Abs. 2 BGB). Es besteht also keine vertragliche Grundlage für Erfüllungs-, Gewährleistungs- oder Schadensersatzansprüche. Ein Verschulden seiner Arbeitnehmer kann dem Scheinwerkunternehmer nicht gem. § 278 BGB zugerechnet werden. Weil die Geltung eines für den Arbeitgeber günstigeren Tarifvertrags der Leiharbeitsbranche bei der verdeckten Überlassung typischerweise nicht vertraglich vereinbart wird, ist der Vertragsarbeitgeber verpflichtet, seinen Arbeitnehmern die im Betrieb des Auftraggebers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren, § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG. Noch nicht geklärt ist, ob der Auftraggeber als Entleiher für diese Ansprüche als zusätzlicher Haftungsschuldner entsprechend § 28e Abs. 2 Satz 1, 2 SGB IV einzustehen hat (befürwortend Hamann/Rudnik, NZA 2015, 449, 455, m.w.N.). In jedem Fall haftet er als selbstschuldnerischer Bürge für die auf die Equal-Pay-Ansprüche entfallenden Sozialversicherungsbeiträge und zwar nach dem im Sozialversicherungsrecht geltenden Entstehensprinzip (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) unabhängig davon, ob der Leiharbeitnehmer diese überhaupt einfordert.
Für Überlassungen ab dem 01.01.2017 wird sich die Gesetzeslage höchstwahrscheinlich ändern. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 02.06.2016 (BR-Drs. 294/16) sieht in § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG-E vor, dass Verleiher und Entleiher die Überlassung von Leiharbeitnehmern in ihrem Vertrag ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen haben. Gegen dieses Offenlegungsgebot wird verstoßen, wenn Arbeitnehmerüberlassung verdeckt als Scheinwerk- oder Dienstvertrag praktiziert wird. Zwar wird die Arbeitnehmerüberlassung wie bisher nicht illegal, wenn der Verleiher über eine Überlassungserlaubnis verfügt. Allerdings löst die – gewerberechtlich legale – verdeckte Arbeitnehmerüberlassung die gleichen Folgen wie eine illegale Arbeitnehmerüberlassung aus: Gemäß den §§ 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 9 Nr. 1a AÜG-E kommt kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis mit dem Auftraggeber (= Entleiher) zustande. Diese Folge tritt wiederum nicht ein, wenn der Leiharbeitnehmer schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher erklärt, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Vertragsarbeitgeber (= Verleiher) festhält. Da der Scheinwerkunternehmer und sein Auftraggeber in aller Regel einen Wechsel des Arbeitnehmers zum Auftraggeber vermeiden wollen, müssen sie zusätzlich zur Vorratserlaubnis dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer eine Festhaltenserklärung abgibt. Hier stellt sich das Problem, diese zeitlich korrekt in die Monatsfrist zu platzieren. Zum einen ist eine vor Beginn der Frist abgegebene Erklärung unwirksam, § 9 Abs. 2 AÜG-E. Zum anderen darf die Monatsfrist auch nicht überschritten sein. Zur gleichen Formulierung „dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt“ in § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG geltender Fassung hat das BAG jüngst entschieden, dass damit die tatsächliche Arbeitsaufnahme des Leiharbeitnehmers beim Entleiher gemeint ist (BAG, Urt. v. 20.01.2016 – 7 AZR 535/13; Hamann, jurisPR-ArbR 32/2016 Anm. 3). Damit scheidet eine prophylaktische, vom Arbeitnehmer vor der Arbeitsaufnahme zu unterzeichnende Festhaltenserklärung aus (BR-Drs. 294/16, S. 22).
Wie aber ist bei einem Scheinwerk- oder Scheindienstvertrag der „zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehene Zeitpunkt“ zu bestimmen? War den beteiligten Arbeitgebern von Vornherein bewusst, dass sie den Deckmantel des Werk-/Dienstvertrags wählen, um die eigentlich gewollte Arbeitnehmerüberlassung zu tarnen, beginnt die Frist mit der tatsächlichen Arbeitsaufnahme. Schlägt ein korrekt begonnener Werkvertragseinsatz erst im Laufe der Vertragsdurchführung in eine Arbeitnehmerüberlassung um, ist dies der maßgebliche Zeitpunkt (BR-Drs. 294/16, S. 21). Es müssen zwei Voraussetzungen für den Fristbeginn erfüllt sein: Objektiv müssen die Merkmale der Arbeitnehmerüberlassung gegeben sein, subjektiv muss dies der von den beteiligten Arbeitgebern gewollten Vertragspraxis entsprechen (BAG, Urt. v. 15.04.2014 – 3 AZR 395/11; Hamann, jurisPR-ArbR 27/2014 Anm. 3; LArbG Mainz, Urt. v. 14.03.2016 – 3 Sa 476/15; Hamann, jurisPR-ArbR 25/2016 Anm. 5).
Macht ein (Leih-)Arbeitnehmer gegenüber dem Auftraggeber (= Entleiher) die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses geltend, bietet sich prozessual folgende Strategie an: Der Entleiher bestreitet, dass ein Scheinwerk-/Scheindienstvertrag vorliegt. Hilfsweise beruft er sich auf die (unstreitige) Festhaltenserklärung. Sollte es dem Arbeitnehmer gelingen, die Hürde der Darlegungs- und Beweislast für die übereinstimmend von den beteiligten Arbeitgebern gewollte Arbeitnehmerüberlassung zu nehmen, steht zunächst einmal fest, dass ein Arbeitsverhältnis kraft Fiktion zustande gekommen ist. Um sein Klagevorbringen nicht unschlüssig zu machen, muss er außerdem behaupten, dass die (unstreitige) Festhaltenserklärung verfristet sei, also entweder vor Beginn der Arbeitnehmerüberlassung oder erst nach Ablauf eines Monats ab deren Beginn abgegeben wurde. Es ist dann Sache des beklagten Arbeitgebers, die Rechtzeitigkeit der (unstreitigen) Festhaltenserklärung nachzuweisen. Denn prozessual handelt es sich um eine rechtsvernichtende Tatsache, die das kraft Gesetzes zustande gekommene Arbeitsverhältnis wieder beseitigt. Deren Wirksamkeitsvoraussetzungen und damit auch deren Rechtzeitigkeit hat der Anspruchsgegner, also der beklagte Auftraggeber, zu beweisen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl. 2016, Vor § 284 Rn. 17a).
Verkompliziert werden könnte die Situation noch dadurch, dass die Wirksamkeit der Festhaltenserklärung die Kenntnis oder zumindest das Kennenmüssen des Arbeitnehmers von der tatsächlich praktizierten Arbeitnehmerüberlassung voraussetzt. Ein solches subjektives Element für den Fristbeginn ist im geplanten Gesetzestext zwar nicht enthalten. Allerdings heißt es in der Entwurfsbegründung:
„Es entspricht dem Gedanken des Arbeitnehmerschutzes, dass die Erklärung erst während des Laufs der Monatsfrist, somit in Kenntnis der alternativen Vertragspartner abgegeben wird.“
Zum Nachweis der Rechtzeitigkeit der Festhaltenserklärung käme dann für den beklagten Entleiher noch der Nachweis hinzu, dass dem Arbeitnehmer diejenigen Umstände, die den vermeintlichen Werk-/Dienstvertrag zur Arbeitnehmerüberlassung machen, nicht länger als einen Monat nach deren Eintritt bekannt waren. Ansonsten wäre die Festhaltenserklärung verfristet und unwirksam.
Um diesen Unwägbarkeiten aus dem Weg zu gehen, sollten Auftraggeber und Auftragnehmer ihre Vorgehensweise abstimmen, sobald greifbare Anhaltspunkte für eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung bekannt werden. Folgende Möglichkeiten kommen in Betracht: Kritische Punkte der Vertragsabwicklung werden zukünftig abgestellt, und man hofft, dass der Arbeitnehmer keine Rechte aus einer Arbeitnehmerüberlassung herleitet. Zu denken wäre des Weiteren an eine Vertragsbeendigung und einen Neuabschluss, falls möglich verbunden mit einem Wechsel des Fremdpersonals. Schließlich könnte in geeigneten Fällen die „Flucht nach vorn“ ein gangbarer Weg sein. Der Vertragsarbeitgeber oder der Auftraggeber informiert den Arbeitnehmer über die Praktizierung eines Scheinwerk-/Scheindienstvertrags und über die alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Damit wird die Monatsfrist in Gang gesetzt. Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass sich der Arbeitnehmer innerhalb der Monatsfrist für eine Beschäftigung beim Auftraggeber entscheiden könnte. Ein späteres Bestreiten der Arbeitgeberstellung wäre dann widersprüchlich und dürfte kaum Aussicht auf Erfolg haben.
Umgekehrt stellt sich aus Sicht eines Arbeitnehmers, der form- und fristgerecht eine Festhaltenserklärung abgegeben hat, die Frage, ob er gleichwohl noch erfolgreich das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Auftraggeber geltend machen kann. Die Festhaltenserklärung ist materiell-rechtlich eine einseitige rechtsgestaltende Willenserklärung (BR-Drs. 294/16, S. 22), die mit Zugang beim Verleiher oder Entleiher wirksam wird (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sie beendet das kraft Gesetzes zustande gekommene Arbeitsverhältnis. Ein Widerruf der Erklärung ist gesetzlich nicht vorgesehen. Wurde die Erklärung auf Veranlassung des Verleihers oder des Entleihers unterzeichnet, kommt eine Anfechtung gem. § 123 Abs. 1 BGB in Betracht. Allerdings setzt diese den Nachweis einer widerrechtlichen Täuschung bzw. Drohung voraus. Diesen wird der insoweit beweisbelastete Arbeitnehmer nur ganz ausnahmsweise erbringen können.
Wurde dem Arbeitnehmer eine vom Verleiher/Entleiher vorbereitete Festhaltenserklärung zur Unterzeichnung vorgelegt, stellt sich die Frage nach einer AGB-Kontrolle. Obwohl es sich bei der Festhaltenserklärung nicht um eine Vertragsbedingungen im eigentlichen Sinne handelt, werden von den §§ 305 ff. BGB auch von einem Verwender vorformulierte einseitige Erklärungen des Vertragspartners erfasst, wenn sie im Zusammenhang mit einer vertraglichen Beziehung stehen (Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl. 2016, § 305 Rn. 5). Dass die vorformulierte Erklärung womöglich nur zur einmaligen Verwendung vorgesehen war, steht gem. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB einer Klauselkontrolle ebenfalls nicht entgegen. Inhaltlich unterliegt die Klausel wegen § 307 Abs. 3 BGB allein der Transparenzkontrolle gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Entscheidung, die dem Arbeitnehmer abverlangt wird, modifiziert selbst keine gesetzliche Regelung. Vielmehr entscheidet er sich zwischen zwei vom Gesetz vorgegebenen Möglichkeiten. Ist die Erklärung eindeutig formuliert, hält sie einer Transparenzkontrolle stand. Zu empfehlen wäre etwa folgende Formulierung:
„Mir ist bekannt, dass nach dem Gesetz ein Arbeitsverhältnis zwischen mir und der X (Bezeichnung des Auftraggebers) als zustande gekommen gilt. Ich widerspreche der Entstehung eines Arbeitsverhältnisses mit der X und möchte mein Arbeitsverhältnis mit meinem Vertragsarbeitgeber Y (Bezeichnung des Vertragsarbeitgebers) fortsetzen.“
Der Arbeitnehmer muss sich also gut überlegen, ob er eine solche Erklärung unterschreiben soll.