Nachfolgend ein Beitrag vom 12.10.2016 von Baumann-Czichon, jurisPR-ArbR 41/2016 Anm. 6

Orientierungssatz zur Anmerkung

Die Wertung des § 121 Abs. 3 ZPO ist auf die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers zu übertragen, so dass die Reisekosten eines im Bezirk des Gerichts niedergelassenen Anwalts als Vertreter der Mitarbeitervertretung erstattungsfähig sind.

A. Problemstellung

Streitigkeiten der nach kirchlichem Recht gebildeten Mitarbeitervertretungen werden von kirchlichen Gerichten entschieden. Die Zahl der mit kirchlichem Arbeitsrecht vertrauten Anwälte ist überschaubar. Mitarbeitervertretungen finden häufig keinen ortsansässigen Anwalt, so dass zusätzliche Reisekosten anfallen. Um deren Erstattung durch den Arbeitgeber wird gestritten.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Arbeitgeber begehrte die Ersetzung der von der Mitarbeitervertretung verweigerten Zustimmung zu einer verhaltensbedingten Kündigung. Die in Arnstadt (Thüringen) ansässige Mitarbeitervertretung beauftragte mit ihrer Vertretung vor dem Kirchengericht in Halle (Saale) einen in Norddeutschland niedergelassenen Anwalt. Dieser verlangt die Erstattung seiner Reisekosten in der Höhe, wie sie von Arnstadt aus angefallen wären.
Das Kirchengericht erster Instanz hat festgestellt, dass die Mitarbeitervertretung einen am Sitz des Gerichts ansässigen Anwalt hätte beauftragen müssen, so dass keine Reisekosten und Abwesenheitsgelder zulasten des Arbeitgebers anfallen. Dies gälte unbeschadet der besonderen fachlichen Spezialisierung des mandatierten Anwalts.
Der Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland hat der sofortigen Beschwerde abgeholfen und dem Arbeitgeber die Kosten des Bevollmächtigten zu den Bedingungen eines in Arnstadt ansässigen Anwaltes auferlegt.
Die durch die Beauftragung eines auswärtigen Anwaltes entstehenden Kosten sind dann erforderlich und vom Arbeitgeber zu tragen, wenn die Mitarbeitervertretung nach verständiger und pflichtgemäßer Abwägung zu dem Ergebnis kommt, dass die Mehrkosten sachlich gerechtfertigt sind. Dabei muss die Mitarbeitervertretung ihr Interesse an einer sachgerechten Vertretung dem Interesse des Arbeitgebers an einer Begrenzung der Kosten gegenüberstellen. Bei dieser Abwägung kann die Mitarbeitervertretung die besondere Sachkompetenz oder ein Vertrauensverhältnis zu dem zu beauftragenden Anwalt berücksichtigen.
Das Gericht ist in seiner weiteren Begründung über den Antrag hinausgegangen und hat die Wertung des § 121 Abs. 3 ZPO aufgegriffen, nach der sozialstaatliche Unterstützung für einen im Gerichtsbezirk ansässigen Anwalt gewährt wird. Es sei kein Gesichtspunkt erkennbar, nach dem für die Vertretungen von Mitarbeitervertretungen ein strengerer Maßstab gelten sollte.

C. Kontext der Entscheidung

Der KGH.EKD ist von seiner früheren Rechtsprechung (KGH.EKD, Beschl. v. 08.08.2007 – I-0124/N25-2007) abgerückt, nach der nicht die besondere Fachkunde des zu beauftragenden Anwalts die Übernahme von Reisekosten durch den Arbeitgeber rechtfertigt, sondern nur der Umstand, dass am Gerichtsort ein übernahmebereiter Anwalt nicht zur Verfügung steht. Der Anspruch der Mitarbeitervertretung auf freie Anwaltswahl war damit übermäßig eingeschränkt. Dieser Richtungswechsel war schon in der Entscheidung vom 27.03.2015 (II-0124/04-2015) angelegt. Der KGH.EKD erlegte dem Arbeitgeber die Übernahme der Reisekosten auf, die durch die Vertretung einer in der Pfalz ansässigen Mitarbeitervertretung vor dem Kirchengericht in Hannover durch einen in Bremen niedergelassenen Anwalt entstanden.
Die vom KGH.EKD vorgenommene Neujustierung war überfällig. Reisekosten sind nicht erst dann erforderlich, wenn sie unausweichlich sind. Zwar trägt allein der Arbeitgeber die Kosten der Tätigkeit der Mitarbeitervertretung und damit auch die Kosten ihrer Rechtsvertretung. Sein Interesse an Kostenschonung ist aber nicht das allein bestimmende Kriterium. Es bedarf vielmehr einer Abwägung der beiderseitigen Interessen. Mit dieser Feststellung des KGH.EKD hat er zugleich die notwendige Balance beider Seiten (wieder) hergestellt. Der Maßstab ist auch auf die Frage anzuwenden, ob die Hinzuziehung eines Anwaltes überhaupt erforderlich ist. Vereinzelt ist bei erstinstanzlichen Kirchengerichten die Auffassung vorzufinden, dass die Mitarbeitervertretung nur ausnahmsweise eines anwaltlichen Beistandes bedarf, denn der (kirchliche) Richter könne für die angemessene Berücksichtigung der Auffassung der Mitarbeitervertretung zur Sach- und Rechtslage schon sorgen – eine trotz Amtsermittlungsgrundsatz mit rechtsstaatlichen Vorstellungen nur schwer zu vereinbarende Auffassung. Arbeitgeber haben jederzeit Zugang zu juristischer Expertise, ohne dass dies im Verfahren sichtbar werden muss. Zunehmend werden auch überregional tätige Großkanzleien beschäftigt, von denen bekannt ist, dass sie nicht zu den gesetzlichen Gebühren arbeiten. Angesichts dieses strukturellen Ungleichgewichts bedarf es auch einer Korrektur der Rechtsprechung, nach der die Beauftragung eines Anwaltes durch den Arbeitgeber es noch nicht erforderlich macht, dass sich auch die Mitarbeitervertretung anwaltlich vertreten lässt (z.B. KGH.EKD, Beschl. v. 31.10.2015 – II-0124/L8-2005). Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit, der nach dem Verständnis des kirchlichen Gesetzgebers zu einer gemeinsamen Verantwortung von Dienststellenleitung und Mitarbeitervertretung für den Auftrag der Einrichtung anwächst, gebietet „Waffengleichheit“ zumindest insoweit, dass die Mitarbeitervertretung einem anwaltlich vertretenen Arbeitgeber nicht ohne Rechtsbeistand gegenüberstehen muss.
Im Übrigen wird es Zeit, dass der im Personalvertretungsrecht geltende Grundsatz, nach der der Personalrat einen Anwalt auf Kosten der Dienststelle hinzuziehen kann, es sei denn, die Rechtsverfolgung erfolgt mutwillig oder aus haltlosen Gründen (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 02.11.2010 – PB 15 S 127/10), auch im Mitarbeitervertretungsrecht angewendet wird. Denn es geht um die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes auch im kirchlichen Bereich.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des Kirchengerichtshofs erleichtert den Mitarbeitervertretungen den anwaltlich begleiteten Zugang zu den kirchlichen Gerichten. Die sich aus § 61 Abs. 4 MVG.EKD ergebende Beschränkung der Postulationsfähigkeit auf die Anwälte, die einer christlichen Kirche angehören, schränkt den Kreis übernahmebereiter Anwälte deutlich ein. Die Entscheidung enthebt die auf die Vertretung von Mitarbeitervertretungen spezialisierten Kanzleien von der Notwendigkeit, die teils erheblichen Reisekosten aus den gesetzlichen Gebühren zu bestreiten.
Der von einer Mitarbeitervertretung beauftragte Anwalt hat zu prüfen, ob die Hinzuziehung eines Anwaltes erforderlich ist. Dazu gehört auch die Prüfung, ob die Mehrkosten bei Hinzuziehung eines auswärtigen Anwaltes erforderlich sind. Bei Beauftragung eines Anwaltes aus dem Gerichtsbezirk begegnet dies regelmäßig keinen Bedenken. Bei größeren Gerichtsbezirken (das Kirchengericht der EKD ist für das gesamte Bundesgebiet zuständig) wird gleichwohl abzuwägen sein, ob für die Beauftragung sachliche Gründe wie dessen besondere Sachkenntnis oder ein Vertrauensverhältnis sprechen.