Nachfolgend ein Beitrag vom 25.10.2018 von Makoski, jurisPR-MedizinR 9/2018 Anm. 2

Orientierungssatz zur Anmerkung

Wird ein Patient künstlich ernährt durch eine PEG-Sonde und verändert sich seine Situation dahingehend, dass die Beendigung der künstlichen Ernährung medizinisch vertretbar ist, hat der behandelnde Arzt mit dem Betreuer zu erörtern, ob die künstliche Ernährung beendet werden soll. Geschieht dies nicht, kann dies zu einer Haftung des Arztes führen.

A. Problemstellung

Die moderne Medizin kann das Leben immer mehr verlängern. Zugleich stellen sich neue Fragen, wann noch eingegriffen werden soll – oder wann eine Behandlung beendet werden soll. Während früher der Vorwurf eher lautete, dass ein Arzt eine Behandlung zu früh beendet habe, geht es jetzt auch um Fälle, in denen die Behandlung – unnötigerweise oder gegen den Willen des Patienten – verlängert wurde.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Vater des Klägers war schwer pflegebedürftig. Im Jahr 2006 wurde bei ihm zur künstlichen Ernährung eine PEG-Sonde angelegt. Ab 2010 verschlechterte sich der Zustand des Patienten. Der Kläger behauptet nunmehr, dass spätestens seit dieser Zeit das Belassen der PEG-Sonde nicht mehr medizinisch indiziert gewesen sei; der Beklagte als behandelnder Hausarzt hätte das Therapieziel ändern müssen, um das Sterben des Patienten zu ermöglichen. Der Patient verstarb im Oktober 2011.
Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Zwar habe eine medizinische Indikation zur Fortsetzung der künstlichen Ernährung spätestens ab 2010 nicht mehr vorgelegen. Auch habe der Beklagte seine Pflichten verletzt, weil er nicht mit dem Betreuer erörtert habe, ob die Sondenernährung abgebrochen werden solle. Allerdings habe der Kläger nicht nachweisen können, dass dieses Versäumnis ursächlich für die Fortsetzung der künstlichen Ernährung gewesen sei.
Auf die Berufung des Klägers hin hat das OLG München die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und den beklagten Arzt zu Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt, den Anspruch auf Schadensersatz aber zurückgewiesen.
Der Anspruch auf Schmerzensgeld bestehe aus ererbtem Recht des Klägers. Der Beklagte habe seine Pflicht aus dem Behandlungsvertrag i.V.m. § 1901b Abs. 1 BGB verletzt. Danach habe der Arzt zu prüfen, welche medizinische Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert sei, und diese Maßnahme mit dem Betreuer unter Berücksichtigung des Patientenwillens zu erörtern. Mithin schulde der Arzt dem Betreuer eine Aufklärung (vgl. § 630e Abs. 1 BGB). Zwar habe der Betreuer 2010 keinen Informationsbedarf mehr gehabt, da ihm bewusst gewesen sei, dass es nur noch um die Erhaltung des aktuellen Zustandes des Patienten und nicht mehr um eine Verbesserung gegangen sei. Jedoch habe der Beklagte mit dem Betreuer erörtern müssen, ob die Sondenernährung fortgesetzt oder beendet werden solle.
Die Frage der künstlichen Ernährung von Demenzpatienten mittels PEG sei in den Fachkreisen intensiv diskutiert worden. Die DGEM-Leitlinie Enterale Ernährung habe gefordert, das Fortbestehen der Indikation für eine Sondenernährung in regelmäßigen Abständen zu überprüfen; das Behandlungsziel könne auch von der Sicherung der Lebensdauer auf Sicherung von Lebensqualität geändert werden. Die Leitlinie sehe vor, dass Sondenernährung in finalen Krankheitszuständen nicht indiziert sei, insbesondere nicht bei finalen Demenzerkrankungen. Die Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung der BÄK aus 2004 sahen eine Änderung des Behandlungszieles vor, wenn lebenserhaltende Maßnahmen Leiden nur verlängern würden. Die Neufassung aus 2011 beinhalte das Gebot, das Behandlungsziel zur palliativmedizinischen Versorgung zu ändern, wenn lebenserhaltende Maßnahmen Leiden nur verlängern würden. In den Empfehlungen der BÄK zum Umfang mit Patientenverfügungen aus 2010 seien Ausführungen zu Konfliktsituationen enthalten, die auf den bestehenden Gesprächsbedarf hinwiesen; es könne aber nicht verlangt werden, dass der Arzt eine medizinisch nicht indizierte Maßnahme durchführe. Der Leitfaden des Bayerischen Landespflegeausschusses fordere eine regelmäßige Überprüfung, ob die Sondenernährung noch notwendig sei; übersteige die Belastung durch die Sondenernährung die möglichen Vorteile für den Patienten, sei sie einzustellen.
Aus diesen Ausführungen hätten die Sachverständigen gefolgert, dass die medizinische Indikation für die Fortsetzung der Sondenernährung jedenfalls seit 2010 „möglicherweise“ nicht mehr vorgelegen habe. Eine infauste Prognose habe bis September 2011 nicht bestanden, weil es keine Hinweise gegeben habe, dass der Patient in absehbarer Zeit verstorben wäre.
Das Oberlandesgericht äußert zwar Zweifel an den Gutachten der Sachverständigen, lässt diese aber dahinstehen, weil alle einschlägigen Leitlinien und Empfehlungen die Beendigung der künstlichen Ernährung in dem weit fortgeschrittenen und irreversiblen Krankheitsstadium, in dem sich der Patient befand, nahelegen. Der Beklagte habe es versäumt, dem Betreuer diesen Umstand mitzuteilen. Dabei hätte der Beklagte auch darüber informieren müssen, dass – anders als bei Wachkomapatienten – jede Möglichkeit der Remission ausgeschlossen gewesen sei, das bei der Anlage der Sonde 2006 verfolgte Ziel, Aspirationspneumonien zu vermeiden, nicht erreicht worden sei und mit weiteren Komplikationen zu rechnen sei, dass der Grundsatz „in dubio pro vita“ nur bei medizinisch indizierten Maßnahmen gelte, dass ohne medizinische Indikation der Arzt Behandlungswünsche nicht erfüllen müsse und dass die Einstellung der Sondenernährung und eine Umstellung auf palliativmedizinische Maßnahmen zu erwägen sei, wenn die Belastungen durch die Fortführung die möglichen Vorteile für den Patienten übersteigen. Eine derartige Diskussion habe es nicht gegeben.
Es sei nicht mehr aufzuklären gewesen, welche Entscheidung der Betreuer getroffen hätte, wenn der Beklagte ihm die vorstehend genannten Informationen gegeben hätte. Zwar habe der Betreuer angegeben, der Wille des Patienten sei eher auf Lebenserhaltung gerichtet gewesen; allerdings sei er nicht der Überzeugung, dass ein Patient um jeden Preis und in allen Fällen am Leben erhalten werden müsse.
Hätte der Betreuer nach dem Gespräch mit dem Beklagten das Betreuungsgericht eingeschaltet, hätte dieses nach § 1901b Abs. 2 BGB den Kläger angehört. Dieser habe (glaubhaft) dargelegt, dass er sich gegen eine Fortführung der künstlichen Ernährung ausgesprochen hätte; allerdings hätte er nichts zum mutmaßlichen Willen seines Vaters sagen können. Ein mutmaßlicher Wille des Patienten habe sich daher nicht feststellen lassen.
Daher wäre nicht eine Entscheidung für oder gegen die Fortsetzung determiniert gewesen; es hätte also auch zu einer Einstellung der künstlichen Ernährung kommen können.
Auch aus dem Grundsatz „in dubio pro vita“ ergebe sich nichts anderes. Maßstab für das Handeln des Betreuers sei das (subjektive) „Wohl des Betreuten“. Soweit der Gesetzgeber in der Begründung zu § 1901a Abs. 2 BGB ausgeführt habe, dass im Zweifel der Schutz des Lebens Vorrang habe, beziehe sich dies nur auf indizierte ärztliche Maßnahmen.
Soweit der Arzt gegen seine Pflicht zur Information nach § 1901b BGB verstoßen habe, handele es sich nicht um einen Behandlungsfehler und nicht um ein Problem der Sicherungsaufklärung, sondern um eine Verletzung der Aufklärungspflicht, um eine wirksame Einwilligung des Betreuers in die Fortsetzung der Behandlung zu erhalten. Dies bedeutet, dass die Folgen der Nichtaufklärbarkeit, ob der Betreuer sich für oder gegen die Fortsetzung entschieden hätte, vom Beklagten zu tragen seien. Denn der Behandelnde müsse nachweisen, dass der Patient im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte. Hier habe der Kläger einen Entscheidungskonflikt plausibel dargelegt.
Der Beklagte habe sich nicht entlasten können. Insbesondere könne er sich nicht auf einen Rechtsirrtum berufen, weil die vorliegende relevante Rechtsfrage jedenfalls mit der Einführung von § 1901b BGB in 2009 geklärt gewesen sei. Auch wenn das OLG Naumburg in einem anderen Fall eine Verpflichtung der Ärzte angenommen habe, einen Wachkomapatienten weiterzubehandeln, könne sich der Beklagte nicht darauf berufen, denn es habe sich um einen Fall aus 2004 gehandelt und im zu entscheidenden Fall habe der Beklagte erst gar nicht das Für und Wider der Behandlungsalternativen erörtert.
Ebenso helfe es dem Beklagten nicht, dass die ärztliche Diskussion seinerzeit keine klare Vorgabe enthalten habe; vielmehr sei gerade in Fällen mit unklarer Indikation eine besonders gründliche Erörterung erforderlich gewesen.
Der Beklagte dürfe auch nicht wegen seiner persönlichen Einstellung in Fragen der passiven Sterbehilfe dem Betreuer die erforderlichen Informationen vorenthalten.
Schließlich könne der Beklagte als betreuender Hausarzt nicht darauf verweisen, dass die Fachärzte in der Klinik, in der der Patient mehrfach behandelt worden sei, nicht von sich aus eine Beendigung der Sondenernährung zur Diskussion gestellt hätten. Auch wenn diese Ärzte die Frage der Fortsetzung der Sondenernährung ebenfalls hätten ansprechen müssen, habe es sich doch nur um kurze Behandlungsepisoden gehandelt; außerdem könne sich ein Schädiger nicht auf Verursachungsbeiträge Dritter berufen.
Der ersatzfähige Schaden bestehe grundsätzlich in der Lebens- und gleichzeitig Leidensverlängerung des Patienten. Es sei nicht geklärt, ob dieses (Weiter-)Leben, wenn auch mit Beeinträchtigungen, gegenüber dem Tod einen Schaden im Rechtssinne darstellen könne. Dies sei in diesem Fall zu bejahen, da die Sondenernährung einen einwilligungsbedürftigen Eingriff in die körperliche Integrität darstelle. Entgegen einiger Auffassung in der Literatur (z.B. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. 2014, Rn. 986) sei eine Haftungsbeschränkung auf vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln nicht angezeigt. Ebenso sei die Rechtsprechung zum Schadensersatz bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht übertragbar. Der Schadensersatzanspruch sei auch übertragbar, denn dies sei in den Konstellationen, in denen die schädigende Handlung zum Tode führe, in der Regel der Fall. Der Schadensersatzanspruch sei auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Betreuer nach § 1904 BGB das Betreuungsgericht hätte anrufen können.
Ein Mitverschulden des Betreuers müsse sich der Kläger nicht anrechnen lassen. Der Betreuer sei zwar gesetzlicher Vertreter des Patienten; allerdings ergebe sich aus der Beweiserhebung, dass der Betreuer nicht hinreichend informiert worden sei und er sich auf die ärztliche Beurteilung durch den Beklagten verlassen durfte.
Die Ersatzpflicht umfasse ein Schmerzensgeld, wobei dieser Anspruch uneingeschränkt vererblich sei. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte zwar die Grunderkrankung (einschließlich der fortgeschrittenen Demenz) nicht zu vertreten habe, aber es seine Verantwortung sei, dass der Patient in diesem Zustand weiter gelebt habe und leben habe müssen. Das Schmerzensgeld müsse daher über einen symbolischen Betrag hinausgehen.
Ein Anspruch auf Ersatz materieller Schäden bestehe hingegen nicht, da eine Vermögensminderung nicht erkennbar sei. Zwar habe sich das Barvermögen verringert; zugleich dürfte der Wert des Immobilienvermögens des Patienten gestiegen sein. Der Kläger habe hierzu nicht hinreichend vorgetragen.
Beide Parteien haben Revision eingelegt; diese ist unter dem Aktenzeichen VI ZR 13/18 anhängig.

C. Kontext der Entscheidung

I. Die moderne Medizin ermöglicht es, dass Menschen deutlich länger leben. Zugleich ist die Angst in der Bevölkerung gestiegen, auch gegen seinen Willen durch die „Apparatemedizin“ am Leben gehalten zu werden – gerade dann, wenn man sich selbst nicht mehr äußern kann.
II. Der Gesetzgeber hat auf diese Sorgen reagiert. So wurden bereits 2007 die Regelungen zur Patientenverfügung und den Entscheidungsmöglichkeiten durch Vertreter neu gefasst (§§ 1901 ff. BGB, Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts v. 29.07.2009, BGBl I, 2286). Ist ein Patient nicht mehr selbst in der Lage, sich zur Behandlung zu äußern, ist ein Betreuer zu bestellen. Eines Betreuers bedarf es dann nicht, wenn der Patient einen Bevollmächtigten in einer Vorsorgevollmacht genannt hat. Die Bevollmächtigung ist die vorzugswürdige Variante, weil der Bevollmächtigte im Regelfall den Patienten besser kennt und daher eher in der Lage ist, dessen mutmaßlichen Willen zu erkennen. Eine Patientenverfügung ist nur dann alleine entscheidend, wenn sie sich genau auf den zu regelnden Fall bezieht; meist ist sie aber zu weit gefasst, so dass sie nur eine grobe Handlungshilfe bietet (vgl. BGH, Beschl. v. 06.07.2016 – XII ZB 61/16 – FamRZ 2016, 1671; BGH, Beschl. v. 08.02.2017 – XII ZB 604/15 – NJW 2017, 1737)
Die Rechtsprechung hat sich ebenfalls mehrfach zu diesen Fragen geäußert. So ist inzwischen unstreitig, dass es wertungsmäßig keinen Unterschied macht, ob eine Behandlung unterlassen oder beendet wird. Eine zwangsweise Behandlung ist nur unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig; hierzu gehört nicht alleine die Handlungsunfähigkeit aufgrund des Krankheitsverlaufs. Wird eine Behandlung fortgesetzt, obwohl sie weder indiziert ist noch dem Willen des Patienten entspricht, ist sie zu beenden; weigern sich die Behandler, die Behandlung zu beenden, dürfen die Angehörigen sogar zur Selbsthilfe greifen (BGH, Urt. v. 25.06.2010 – 2 StR 454/09 – BGHSt 55, 191; StA Berlin, Vfg. v. 25.11.2012 – 234 Js 25/12).
Der Arzt selbst darf den Patienten bei einem eventuellen Sterbewunsch nur sehr beschränkt unterstützen, da ansonsten eine Strafbarkeit nach § 217 StGB droht; erlaubt ist aber eine Begleitung des Patienten (vgl. Bundesärztekammer, Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB): Hinweise und Erläuterungen für die ärztliche Praxis, DÄBl 2017, A 334).
III. Für den Arzt ergibt sich hieraus die folgende Prüfkette: Zunächst geht es darum, welche Behandlungsmaßnahme indiziert ist, d.h. welches Behandlungsziel soll erreicht werden, ist dieses Ziel realistisch und ist die Maßnahme geeignet, das Ziel zu erreichen. Sodann ist zu prüfen, ob der Patient in diese Behandlungsmaßnahme einwilligt (§ 630d Abs. 1 BGB), entweder selbst oder durch einen Betreuer oder Bevollmächtigten. Im letzteren Fall müssen Arzt und Betreuer gemeinsam überlegen, ob die Behandlungsmaßnahme dem Willen des Patienten entsprochen hätte (zum Schutz des Patientenwillens vgl. Lanzrath, MedR 2017, 102).
Nur wenn beide unterschiedlicher Auffassung sind (§ 1904 Abs. 4 BGB), ist das Betreuungsgericht einzuschalten, soweit durch die Vornahme oder Nichtvornahme der Maßnahme erhebliche Gefahren drohen. Dieses hat dann die Argumente zu prüfen, die von beiden Seiten vorgebracht werden, und ggf. auch weiter zu ermitteln, damit die dann getroffene Entscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit derjenigen entspricht, die der Patient selbst getroffen hätte, wenn er noch entscheidungsfähig gewesen wäre (§ 1904 Abs. 3 BGB).
Sind sich Arzt und Betreuer zwar einig, was der Wille des Patienten gewesen wäre, rufen sie aber trotzdem das Betreuungsgericht an, hat dieses ein sog. „Negativattest“ auszustellen, d.h. den Beteiligten zu bescheinigen, dass sie das Gericht gar nicht hätten bemühen müssen (BGH, Beschl. v. 17.09.2014 – XII ZB 202/13 – BGHZ 202, 226; LG Kleve, Beschl. v. 31.05.2010 – 4 T 77/10 – NJW 2010, 2666; siehe auch UK Supreme Court, Urt. v. 30.07.2018 – [2018] UKSC 46).
IV. Wird eine Behandlung, die einmal zulässigerweise begonnen wurde (zweifelhaft für den konkreten Fall Bruns, ArztR 2018, 178, 179), auch über den Punkt hinaus fortgesetzt, zu dem sie nicht mehr oder nur noch relativ indiziert ist, muss der Arzt das Gespräch mit dem Patienten bzw. dem Betreuer suchen über die Fortsetzung der Therapie. Dies nicht getan zu haben, war der Kern des Vorwurfs gegen den Arzt in diesem Fall (vgl. auch zur Vorinstanz Duttge, MedR 2017, 892, 894). Daraus ergibt sich die Pflicht für den Arzt, gerade bei einer langfristigen und dauerhaften Behandlung den Patienten oder Betreuer immer wieder einzubinden und zu erörtern, ob weiterbehandelt werden soll. Diese Erörterung erfolgt im Rahmen der therapeutischen Aufklärung, d.h. der Aufklärung über die Erforderlichkeit der Behandlung – und nicht wie vom Oberlandesgericht angenommen im Rahmen der Risikoaufklärung (so auch Sarangi, GuP 2018, 157, 158).
Eine mutmaßliche Einwilligung hat das Gericht in diesem Fall verneint. Bei der Lektüre der Urteilsgründe kann man sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass das Oberlandesgericht seine Wertungen hat einfließen lassen. Denn gerade bei der Frage, ob eine künstliche Ernährung fortgesetzt werden soll oder nicht (dann mit der Folge des Todes), geht es um den Kern der Existenz. Und in diesem Bereich kommt es sehr auf die persönliche Einstellung an (vgl. Tolmein, F.A.Z. v. 19.04.2018, S. 12). Jedenfalls gibt es keine zwingenden Vorgaben, welche medizinischen Maßnahmen in jedem Fall angemessen sind (vgl. auch EGMR, Urt. v. 27.06.2017 – 39793/17 „Gard u.a. ./. Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland“).
V. Problematisch ist die weitere Annahme des Gerichts, wonach das „Weiterleben“ des Patienten einen Schmerzensgeldanspruch begründen kann. Denn auch wenn der Patient während seines weiteren Lebens Beeinträchtigungen erlitten hat, die er ohne die Fortsetzung der Therapie nicht erlitten hätte, ist dagegen zu berücksichtigen, dass er überhaupt gelebt hat. Die Argumente, die unter dem Stichwort „wrongful life“ ausgetauscht wurden (vgl. Zuck in Quaas/Zuck, Medizinrecht, 3. Aufl. 2014, § 68 Rn. 128 m.w.N.), sind auch in diesem Fall anwendbar. Als Schaden hat der BGH mögliche Unterhaltsansprüche oder zusätzliche Aufwendungen anerkannt, aber keinen eigenen Anspruch des Kindes (vgl. BGH, Urt. v. 18.01.1983 – VI ZR 114/81 – BGHZ 86, 240). Diese Rechtsprechung ist mit Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar (BVerfG, Beschl. v. 12.11.1997 – 1 BvR 479/92, 1 BvR 307/94 – BVerfGE 96, 375). Hier geht es aber um eigene Ansprüche des Patienten, die nicht entstanden wären, wenn die Behandlung beendet worden wäre (vgl. umfassend Ludyga, NZFam 2017, 595).
Andererseits wollte das Gericht auf diese Weise vermutlich überhaupt eine Sanktion für den Arzt begründen. Denn ohne diesen Schmerzensgeldanspruch wäre die festgestellte Verletzung des Selbstbestimmungsrechts folgenlos geblieben. Nur Schmerzensgeldansprüche sind vererblich; Ansprüche wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts, die sonst auch in Betracht gekommen wären, hätte nur der Patient geltend machen können, aber nicht sein Erbe (vgl. BGH, Urt. v. 29.04.2014 – VI ZR 246/12 – BGHZ 201, 45).
VI. Einen Punkt hat die Entscheidung nicht angesprochen: Haben Krankenkasse und Pflegeversicherung in derartigen Konstellationen einen Schadensersatzanspruch gegen den Behandler aus übergegangenem Recht (§ 116 SGB X, § 86 VVG)? Falls ja, dann erhöht sich das finanzielle Risiko erheblich, weil die Behandlungskosten für Patienten im Endstadium hoch sind. Und auch wenn sich die Versicherungsträger die Beiträge des Patienten im entsprechenden Zeitraum zugutehalten lassen müssen, dürften die Kosten deutlich höher liegen – was vielleicht auch ein Anreiz für Pflegeheime ist, eine Behandlung zu verlängern (so Bruns, ArztR 2018, 178, 179).

D. Auswirkungen für die Praxis

Das OLG München hat deutlich gemacht, dass gerade bei Dauerbehandlungen immer wieder das Gespräch mit Angehörigen und Betreuern gesucht werden sollte, insbesondere dann, wenn sich die Indikation einer Behandlungsmaßnahme verändert. Diese Gespräche sollten dokumentiert werden, damit belegt werden kann, dass nach der übereinstimmenden Einschätzung von Behandler und Betreuer die Therapie fortgesetzt werden sollte. Diese Empfehlung gilt besonders in den Fällen, in denen der Betreuer nicht der (mögliche) Erbe ist.

Kooperations- und Informationspflichten bei fortdauernder künstlicher Ernährung
Andrea KahleRechtsanwältin

Mühlhausen
Telefon: 03601 48 32 0

Leinefelde
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Gotha
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