Kleine Nachlese

Thomas Fischer ist Bundesrichter in Karlsruhe und schreibt für ZEIT und ZEIT ONLINE über Rechtsfragen. In losen Abständen veröffentlichen wir hier (teilweise auszugsweise) einige seiner informativen und gleichermaßen humorvollen, oftmals auch sehr bissigen Beiträge und Kolumnen. Viele zeichnen sich durch Erinnerungen an (nicht nur) seine Kindheit und Jugend oder aktuellen Beispielen aus Politik, Gesellschaft und Zeitgeschehen aus und lassen die in diesem Zusammenhang „gezeichneten“ Bilder klar vor Augen erscheinen – mit einem Wort: lesenswert!


5. Juli 2016

Viele Menschen haben die vergangenen Kolumnen zur Strafrechtsreform gelesen. Einige waren schwer empört. Warum bloß?

Verehrte Leser, was ist eine menschenverachtende, zutiefst zynische, rechtszerstörende, gewaltbefürwortende, abstoßende und ekelhafte Argumentation? Ja, genau – die Meinungsäußerung oder Handlungsweise eines anderen Menschen damit zu „erklären“, dass die Person einem bestimmten Geschlecht angehört.

Beispielsweise ist es eine menschenverachtende Herabwürdigung der personalen Würde, wenn jemand äußert, gewisse Verhaltensweisen eines portugiesischen Fußballspielers seien „hormongesteuert“. Fast schon verfassungswidrig ist es auch zu behaupten, Redakteure gewisser Magazine für Männerspaß dächten eher mit dem Unterleib als mit dem Gehirn. Eine Menschenrechtsverletzung ersten Ranges schließlich ist der Hinweis, in der Diskussion über das Sexualstrafrecht würden von manchen Personen gelegentlich Argumente allein deshalb vertreten, weil sie Männer sind.

All das würden Feministinnen – also die Guten (!) unter uns – niemals tun. Keiner Journalist_In würde es je einfallen zu schreiben, irgendein Schmierencasanova sei „testosterongesteuert“. Und – Sie werden es nicht glauben, liebe Leser – noch nie hat zum Beispiel eine Journalistin das Tun, Lassen oder Äußern von Herrn Dieter Bohlen oder von Herrn Gerhard Schröder schon einmal mit „Hormonen“ in Verbindung gebracht! Das wäre doch sexistisch!

Und es gibt noch schlimmere Verbrechen des Kolumnistentums. Zum Beispiel frech zu behaupten, die berufliche Tätigkeit eines Baustellen-Klo-Aufstellers bestehe darin, fremde Fäkalien einzusammeln und zu entsorgen. Oder zu behaupten, die Berufstätigkeit einer Prostituierten bestehe darin, gegen Entgelt fremde Geschlechtsteile in sich eindringen zu lassen. Die allerschlimmste Menschenverachtung aber ist es zu sagen, die Berufstätigkeit einer Person bestehe überwiegend darin, ihre künstlich stark vergrößerten sekundären Geschlechtsmerkmale vorzuzeigen und fotografieren zu lassen. Dies ist dem Model Lohfink, nach zahllosen Detailbeschreibungen in der Lohfink-Presse, nun auch in dieser Kolumne widerfahren. Die Betroffenheit der Menschenfreundinnen ist unermesslich.

Der Kolumnist freilich hat niemals das Geringste gegen Klo-Aufsteller, Prostituierte oder Busenwunder gehabt oder geäußert. Er meint, dass es darunter etwa genauso viele gute und auch schlechte Menschen gibt wie unter Redakteuren oder Richtern. Nicht die Brustvorzeigerin ist pervers, sondern die Gesellschaft, die sie dazu macht (in memoriam Rosa von Praunheim). Nicht das Einkommen der Brustvorzeigerin ist verächtlich, sondern die moralinverseucht-spießige Widersprüchlichkeit von Geilheit und Verachtung, die unsere Gesellschaft – Männer wie Frauen – pflegt und die solch schöne Berufe hervorbringt.

Jedoch: Wenn sie mal kocht, die Seele, dann kocht sie halt. Dann muss es raus. Dann kennen der und die Deutsche kein Pardon. Allein die Tatsache, dass der Kolumnist der sogenannten Reform des Sexualstrafrechts sich entgegenstemmt, kann von den Gläubigen nur als ultimative Unverschämtheit wahrgenommen werden, nicht mehr erklärbar mit Argumenten, sondern nur noch mit Feindschaft, Ignoranz, bösem Willen.

Im Folgenden stelle ich Ihnen einige ausgewählte Stimmen aus den Veröffentlichungen und aus Leserbrief-Zusendungen vor, die jenseits des Kommentar-Forums bei der Redaktion eingegangen sind, und füge ein paar kleine Anmerkungen hinzu. Die Leserbriefe sind gekürzt, aber nicht sachlich entstellt.

Sehr geehrte Zeit!

Was BGH-Richter Thomas Fischer in seiner Zeit-Kolumne gegen die geplante Reform des Sexualstrafrechts herumschwadroniert, ist platter, reaktionärer, unverhohlener Antifeminismus. Die sehr wohl bestehenden Probleme des aktuell geltenden Strafrechts mit sexueller Gewalt und Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung der Frau sind diesem „Herren der alten Schule“ erkennbar unbekannt. … Das alles ist zudem gepaart mit einem zwischen den Zeilen aufglimmenden Hass auf jene neuen Frauen, vor deren Aufstieg in Führungspositionen sich dieser Alte ganz offenkundig fürchtet. (…) Bedenklich, dass solche Männer als Vorsitzende an einem höchsten Bundesgericht noch eine ganze Weile werden Recht sprechen dürfen. (…)

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. S.R., Hamburg

Frau R. (Jahrgang 1949, also vier Jahre älter als der Kolumnist) meint das Wort „alt“ ersichtlich im Sinne Dick Cheneys (vgl. „altes Europa“, im Gegensatz zum drohnenkrieggeilen „jungen Amerika“). Das ist also etwas sehr Schlechtes. Jedenfalls bei Männern. Alte Frauen sind entweder Opfer der Umstände oder trotz allem unglaublich jung.

Das Schlimmste überhaupt sind alte weiße Männer: der Feind der Feinde, die verachtungswürdigste unter allen Kreaturen des Schreckens, die der Absolventin eines Studiums der Angewandten Kulturwissenschaften begegnen. Der Begriff stammt direkt aus dem amerikanischen Soziologen-Jargon, seine Verwendung verleiht der Sprecherin also per se den Adel der Hochqualifikation, selbst wenn sie eine 22 Jahre alte Studentin aus Passau ist und junge schwarze, mittelalte gelbe oder uralte braune Männer nur aus dem Fernsehen kennt. Keine Angst: Der Kolumnist weiß, dass wir über die Farben der Seele sprechen, nicht über die der Geschlechtsteile.

Im Missy Magazine, dem „feministischen Magazin für Popkultur, Politik und Style, Transfamilien, Sexarbeit, Mösendampfbäder, Bike Polo, Fat Acceptance, Computerspiele, Vereinbarkeit, Asyl und Alltag, The Knife, Anal Plugs, Katzen und Männer, Menstruation in Horrorfilmen“, äußerte Frau Dr. Ulrike Lembke, wissenschaftliche Assistentin aus Greifswald mit den beiden Veröffentlichungsthemen Sexualität und Raumnutzungsmanagement, folgenden herrlichen Text:

Bundesrichter Fischer pöbelt gegen die Reform des Sexualstrafrechts.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Fischer, ich bin gebeten worden, auf Ihre letzte „Kolumne“ zu antworten, und zwar in so einer Art Gegenprogramm mit möglichst vielen Daten, Fakten und meines Wissens zutreffenden Behauptungen. Ich könnte also schreiben, dass in Bezug auf sexualisierte Gewalt in Deutschland nichts sinkt außer der Verurteilungsquote und dem Niveau einer gewissen Zeit-Kolumne, (…) dass Ihre Darstellung der Rechtslage ein bisschen unvollständig ist, weil zufällig die Normen fehlen, nach denen die von Ihnen beschriebenen Konstellationen strafbar sein sollen, und ich könnte ein paar Ausführungen zu Rechtsgutspyramiden, Sachverständigengutachten und Bundestagsanhörungen machen. Aber ehrlich: Wer will das lesen?

Dr. jur. Ulrike Lembke

Gute Frage! Die Rechtswissenschaftlerin Lembke beschränkt sich daher aufs – wie sie es ausdrückt – „Plaudern“. Das ist gut so, denn schon die bloße Drohung mit einem Vortrag über „Rechtsgutspyramiden“ treibt dem Strafrechtler den Angstschweiß auf die Stirn. Gerade noch mal gut gegangen!

Die nächste Leserin beschwert sich darüber, dass der Kolumnist „Namen unterschlägt“. Gleichzeitig regt sie an, den Kolumnisten durch einen besseren zu ersetzen, zum Beispiel durch sie selbst.

Sehr geehrte Redaktion,

Am 22.6. hat der Kolumnist die Grenze des Erträglichen überschritten, indem er mehrere Teilnehmerinnen der Bundestagsanhörung zu Sexualstrafrecht persönlich beleidigt und diffamiert hat. (…) Es spricht auch Bände, dass der Kolumnist eine Universitätsprofessorin zwar beschreibt, aber ihren Namen unterschlägt. Ich werde die Kolumne in Zukunft nicht mehr lesen (…) Einige von uns können auch ganz gut schreiben.

Mit freundlichen Grüßen,

Prof. Dr. M.W., Fachhochschule Dortmund

Wer „uns“ ist, erfährt man von der FH-Professorin für „rechtliche Grundlagen der sozialen Arbeit“ nicht. Irgendeine strafrechtliche Spur hat sie in der Wissenschaft bislang nicht hinterlassen. Ihre Klage steht in krassem Gegensatz zu anderen Beschwerden, die mir gerade umgekehrt vorwerfen, Namen genannt zu haben. Im Übrigen: Nichts liegt mir ferner als den Namen von Frau Prof. Tatjana Hörnle aus Berlin zu „unterschlagen“. Sie ist eine herausragende Wissenschaftlerin, die ich seit Langem kenne und schätze und mit deren Rechtsmeinungen ich in vielen Bereichen ganz übereinstimme. Der des Sexualstrafrechts gehört nicht dazu.

Etwas übers Ziel hinausgeschossen

Nun ein paar Beispiele für die sehr große Fallgruppe „Fassungslosigkeit“. Darunter tut es eine ordentlich empörte Feministin nicht. „Kritik“ oder „andere Meinung“ ist viel zu wenig. Die zu verwendenden Vokabeln müssen lauten: Entsetzen, Fassungslosigkeit, Unglauben, Verzweiflung, Unfassbarkeit und so weiter. Noch besser ist es, wenn die Fassungslosigkeit „völlig“ und das Entsetzen „vollkommen“ sind. Es muss also, mit anderen Worten, die im Leserbrief symbolisierte Erschütterung an die äußersten Grenzen des sprachlich Möglichen vorangetrieben werden, um die Bedeutung des Gedankens über die Schwelle zu tragen.

Liebe Zeit Online Redaktion,

ich bin zutiefst erschüttert über die menschenverachtenden Äußerungen Ihres Kolumnisten Thomas Fischer. Bis vor kurzem las ich dessen Kolumne noch gern. Jetzt möchte ich Sie dazu auffordern, diese sofort einzustellen!

Ich und andere Betroffene sexualisierter Gewalt werden von diesem Menschen offen diskriminiert und lächerlich gemacht. Darüber hinaus ignoriert Fischer ganz bewusst seriöse wissenschaftliche Studien zu den Ausmaßen von sex. Gewalt und nutzt seine mächtige Position und IHRE Zeitung um antifeministische Propaganda, verpackt als Herrenwitz, zu betreiben. Ich bin derart verärgert, dass ich im geisteswissenschaftlichen Bereich der TU Dresden noch heute darauf aufmerksam machen werde, welches Niveau Ihre Zeitung erreicht hat.

Mit freundlichen Grüßen,

Nora M.

Sehr geehrte Damen und Herren der Zeit-Online-Redaktion,

mit großem Entsetzen habe ich soeben den Artikel „Eine Vergewaltigung ist kein Hausfriedensbruch“ bzw. den darin verlinkten Kolumnen-Beitrag des Herrn Fischer gelesen. Ist es in Deutschland wirklich möglich, dass sich ein Richter am Bundesverfassungsgericht in dieser unflätigen und herabwürdigenden Weise über Sexual-Strafrecht (und anderes) äußert UND dies von ZEIT-Online unkommentiert veröffentlicht wird?

Ist nicht jeder Richter qua Berufung – vor allem aber einer am BVG – zumindest moralisch verpflichtet, sich politisch und juristisch neutral zu verhalten und keinesfalls mit Stammtisch-Parolen an die Öffentlichkeit zu treten und dort seine vermutet eher rechtslastige Gesinnung zum Besten zu geben? (…) Es ist leider so, dass „Die Zeit“ durch einen solchen Beitrag stark ins Zwielicht gerät und es einer machtvollen Demonstration Ihrer Seite bedarf, dieses Zwielicht durch ein klares, helles Licht zu ersetzen, indem Sie z. B. eine weitere Zusammenarbeit mit Herrn Fischer ablehnen und Sie als Chefredakteur eindeutig Stellung gegen solch diffamierende Aussagen einer Person der Öffentlichkeit beziehen.

Herrn Fischer sei nahegelegt, nicht nur die Arbeit an seiner Kolumne aufzugeben, …sondern auch und vor allem sein Amt als Richter am BVG, denn er hat mit seinen Aussagen bewiesen, dass er weder neutral noch ausreichend sachkundig ist.

Sein respektloses Jonglieren mit den Worten Opfer und Täter, seine Sicht auf Frauen, die sich seiner Meinung nach nur durch die Größe ihrer Brüste definieren, seine Einlassung über die Worte Nein und Ja – all dies ist nicht geeignet, Frauen den Mut zu geben, gegen Vergewaltiger vorzugehen und spricht eher für einen unbedarften Menschen, der sich mit der Materie nicht auseinandergesetzt hat. Auch beleidigt er den Berufstand der Anwälte und Anwältinnen (…) Ein solcher Mensch hat das Recht verwirkt … zu urteilen und seine juristische Arbeit muss beendet werden. Ich hoffe, lieber Herr Wegner, dass Sie geeignete Schritte gehen werden!

Herzliche Grüße aus Stuttgart,

Uwe W.,  Stuttgart

Der Herr aus Stuttgart verspürt „großes Entsetzen“. Gut, dass er uns das sagt, sonst hätten wir am Ende noch gedacht, sein Entsetzen sei eher mittel. Gerade noch rechtzeitig vor dem Wort „zu leben“ hat Herr W. die Kurve gekriegt und sich mit dem verwirkten Recht „zu urteilen“ begnügt. Sonst hätte ich glatt meinen Humor verloren. Aber die Verwirkung des Rechts zu arbeiten (sei es bei den Berliner Verkehrsbetrieben BVG, sei es anderswo) ist ja auch schon eine Forderung aus ungeahnten argumentativen Höhen.

Leser W. sei geraten, die Sache mit den Brüsten noch einmal nachzulesen. Er ist da etwas übers Ziel hinausgeschossen. Immer wieder schön dagegen ist die Frage danach, was in Deutschland (alternativ „In diesem Lande“) heutzutage schon (wieder, noch) „möglich“ sei. Das bringt den Hauch von Weltläufigkeit und Geschichte in die Suppe, der notwendig ist, wenn man eine machtvolle Demonstration für ein helles, klares Licht fordert.

Forderungen nach Sprech- und Veröffentlichungsverbot sind überhaupt recht oft vertreten. Hier kommt gleich die nächste:

„Irgendwie unfassbar, dass die ‚Zeit‘ diesem arroganten zynischen Richter weiterhin die Möglichkeit gibt, sich öffentlich aufzuplustern (…) Ein Vorbild für den Richterberuf (beim BGH!) sieht anders aus. Spontan denke ich an die Kündigung des abos, dafür will ich nichts bezahlen. Was für ein Problem hat dieser Mann bloß?

Ulrike S.-L., Flensburg

Zum irgendwie unfassbaren Wirken von Frau Staatsanwältin S.-L. vgl. auch Rückert, Nichts als die Unwahrheit, ZON, 3. April 2008. Sie möchte zur Strafe für die ZON-Kolumne, für die sie nichts bezahlen will, deren Abonnement kündigen, das nichts kostet.

Eine erstaunlich große Zahl von Lesern stört sich auf vertrackte Weise an der Kritik des Kolumnisten an der Selbstdefinition mancher Rechtsanwälte/Rechtsanwältinnen als „Opferanwältin/Opferanwalt“. Beispielhaft:

„ich möchte hiermit mein Bedauern angesichts der letzten Kolumne des Strafrichters Thomas Fischer äußern(…) Aus der Sicht eines weißen männlichen Akademikers in Europa (und somit von vorneherein strukturell privilegiert!!) verkennt er die Tatsache, was Angriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung für Personen bedeuten können. Frau Claudia Clemm, die er hier als „Opferanwältin“ betitelt, legt gute Gründe dar, das System zu reformieren. Zudem trifft die Bundesregierung eine völkerrechtliche Pflicht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention.

Mit freundlichen Grüßen Mareike S.

Ähnlich:

Liebe Redaktion der Zeit, ich bin fassungslos und maßlos enttäuscht, dass Ihr Blatt zu einer Plattform von Hate-Speech geworden ist. Die Ausdrucksweise von Herrn Fischer ist sexistisch und menschenfeindlich. Die Tirade über Rechtsanwältin Christina Clemm ist unsachlich und diffamierend. Dass ein Bundesrichter so undifferenziert und wütend spricht (und denkt), ist ein Armutszeugnis für dieses Land.

Rechtsanwältin Dr. Laura A., Bremen

Rechtsanwältin Mediatorin

Erstaunlich daran ist, dass die Leser/innen den Begriff „Opferanwalt“ scheinbar selbst irgendwie für herabsetzend oder gar „diffamierend“ halten, ihn also nicht etwa gegen den Kolumnisten verteidigen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

(…) Meist haben wir nicht einmal Einfluss darauf, dass man dann plötzlich als Opferanwältin tituliert wird und sich nicht mehr dazu positionieren kann.

Mit freundlichen Grüßen

Martina L., Fachanwältin für Strafrecht

Der Kolumnist schätzt Frau Rechtsanwältin Clemm als kluge und kompetente Juristin. Anders als die meisten Schreihälse hat sie hohe Fachkenntnis in der (strafrechtlichen) Sache, um die es geht. Den Begriff „Opferanwältin“ hat nicht der Kolumnist für sie geprägt. Zuletzt konnte man ihn am 16. Juni 2016 als Groß-Überschrift über ihrem Interview im ARD-Morgenmagazin lesen. Eine Protestwelle bei der ARD oder beim ZDF ist nicht bekannt geworden. Ansonsten empfehle ich Google.

Der folgende Leser hat besonders hohe Ansprüche und dementsprechend viele Wünsche:

Sehr geehrte Zeit-Online Redaktion,

(…) Fischers diffuse Argumentation … wäre sicherlich auch ein Anlass für Kritik, genauso wie die Arroganz und Dummheit, die Stil und Inhalt des Textes vermitteln. …

Das Erste die misogynistische und beleidigende Sprache Fischers. Die Arbeit von Frau Lohfink als das „Vorzeigen von dicken Silikonbrüsten“ zu bezeichnen und im Bezug auf die Brigitte-Redaktion dumme Witze über Hormone zu reißen ist vom Niveau her nichts mehr als Stammtischparolen….

Zweitens möchte ich auf die schon fast peinlichen Pegida-Vergleiche Fischers hinweisen (…)Die Behauptung (Fischers) ist am Ende nichts andres als Hetze. (Man könnte) Fischers „Lüge“-Rufe (…) fast mit den stupiden „Lügenpresse“-Rufen der von Fischer erwähnten Pegida vergleichen.

Die Zahl 160.000 jährliche Vergewaltigungen in Deutschland ist leider nicht wie Fischer behauptet „frei erfunden“, sondern gut begründet von Terre des Femmes erarbeitet worden. Diese Studie zu finden sollte doch auch für einen Bundesrichter möglich sein.

Ich denke, dass es offensichtlich ist, dass ein bewusst verzerrender Text wie der von Herr Fischer zu dieser Vergewaltigungs-Kultur beiträgt. (…) Ich möchte daher an Sie, die Redaktion, appellieren, 1) den Artikel aus dem Netz zu entfernen 2) Herr Fischer zu einer öffentlichen Entschuldigung auffordern und, bestenfalls, 3) die Kolumne von Herr Fischer ganz abzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen,

Carl D.

Ausgeprägtes Selbstbewusstsein ohne Fundament

Die Aufforderung an die Redaktion, mich zu einer öffentlichen Entschuldigung aufzufordern, ist eine einfallsreiche Ergänzung all der übrigen Straf-Fantasien. Früher, in der Sowjetunion und beim Kommunistischen Bund Westdeutschland, nannte man das „Aufforderung zur Selbstkritik“. Sie führte, wenn man Glück hatte, anschließend ins Umerziehungslager.

Zur „von Terre des Femmes erarbeiteten“ Studie so viel: Die Organisation schrieb dazu: „Alle drei Minuten wird in Deutschland eine Frau vergewaltigt! Die Täter werden nur in den seltensten Fällen zur Rechenschaft gezogen, obwohl heutzutage die Anzeigebereitschaft bei Vergewaltigungen weitaus höher ist als noch vor 20 Jahren. Dies zeigt eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e. V., die im April 2014 veröffentlicht wurde.“

Knapp vorbei, Leser Deussen. Niemand wirft Ihnen vor, diese Studie nicht zu kennen. Gern wüsste man aber, welche Anstrengungen Sie unternommen haben, sie zu lesen und zu überprüfen. Tatsächlich handelt es sich um das Werk Repräsentativbefragung zu Viktimisierungserfahrungen in Deutschland von D. Hellmann, 2014; ich empfehle es zum häuslichen Eigenstudium. Beinahe alle empirischen Behauptungen in der aktuellen Debatte stützen ihre Weisheit auf – mehr oder weniger seriös herausgesuchte – Zitate dieser Studie. Ein paar Ergebnisse seien hier zitiert:

Sexuelle Gewalt umfasst ein breites Spektrum an Handlungen und reicht von einer unzulässigen Belästigung bis hin zur Vergewaltigung (S. 21).

Insgesamt widerfährt rund fünf von hundert Frauen in ihrem Leben sexuelle Gewalt (S. 180).

Bei der Interpretation von Hellfelddaten zu sexueller Gewalt ist zu berücksichtigen, dass solche Delikte nur zu einem geringen Anteil angezeigt werden. Möglicherweise ist die Anzeigebereitschaft bei männlichen Betroffenen von sexueller Gewalt besonders gering (S. 181). Von sexueller Gewalt betroffene Jungen und Männer weisen eine erheblich niedrigere Anzeigebereitschaft auf als betroffene Mädchen und Frauen (S. 23).

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffentlichte im Jahr 2004 einen Forschungsbericht, der sich auf 10.264 Interviews stützte. Dazu wurden in Deutschland lebende Frauen im Alter von 16 bis 85 Jahren repräsentativ ausgewählt und zu erlebter körperlicher Gewalt, sexueller Gewalt, sexueller Belästigung und psychischer Gewalt befragt. Dort berichteten 7 % der befragten Frauen, die sich zum Befragungszeitpunkt oder zuvor in einer Partnerschaft befanden bzw. befunden hatten, von erzwungenen sexuellen Handlungen innerhalb der Paarbeziehung (S. 26) … (Das) deutete auf einen rückläufigen Trend in der Häufigkeit sexueller Gewalt innerhalb von Ehe und Partnerschaft hin.

Insgesamt bejaht 27,2 % der Befragten die Frage „Sind Sie schon einmal absichtlich geschlagen, getreten, verprügelt, gestoßen, gewürgt oder auf andere Weise tätlich angegriffen worden?“ Der Anteil der männlichen Betroffenen lag mit 34,2 % bezogen auf das gesamte Leben deutlich über dem der betroffenen Frauen (S. 65).

Insgesamt waren lediglich 15,5 % (n = Ergebnisse zu persönlichen Viktimisierungserfahrungen aus dem Fragebogen der sexuellen Gewaltviktimisierungen zur Anzeige gebracht worden (S. 147). Insgesamt wird lediglich ungefähr jede sechste sexuelle Gewaltviktimisierung den Strafverfolgungsbehörden bekannt gemacht. Ungefähr jede sechste Betroffene hat die erlebte sexuelle Gewalt nicht angezeigt, weil sie diese als „nicht so schlimm“ bewertet hat (S. 181).

Insgesamt betrachtet hat sich folglich das Risiko sexueller Gewalt inner- und außerhalb von Haushalt und Familie für Frauen deutlich reduziert (von 4,7 % in 1992 auf 2,4 % in 2011) (S. 154).

Und zur Erinnerung noch einmal die Eingangsdefinition dieser Studie: „Sexuelle Gewalt umfasst ein breites Spektrum an Handlungen und reicht von einer unzulässigen Belästigung bis hin zur Vergewaltigung.“ (S. 21)

Zum verantwortungsvollen Umgang von Terre des Femmes mit den Fakten und Worten weise ich auf die unübertreffliche Ausführung hin: „Kaum ein Verbrechen in Deutschland wird so selten bestraft wie eine Vergewaltigung, obwohl es eine der häufigsten Formen von Gewalt an Frauen ist. Ein Grund liegt in den gravierenden Lücken des Gesetzes zu Vergewaltigung (§177 StGB).“ Unerhört: Verbrechen, die einen Tatbestand des Strafgesetzbuchs nicht erfüllen, werden nicht bestraft!

Und weiter geht es: „Im Zuge einer möglichen Reform des Paragrafen 177 StGB muss zwingend auch der Paragraf 179 StGB verschärft bzw. abgeschafft werden. Dieser regelt, dass der sexuelle Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person nur halb so hoch bestraft werden kann wie der sexuelle Missbrauch einer widerstandsfähigen Person. Diese Regelung betrifft insbesondere Frauen mit Behinderungen oder Frauen, die unter Medikamente (K.O. Tropfen) gesetzt worden sind. Hier muss eine Strafrahmenanpassung vorgenommen werden.“

Ziemlich viel falsch, muss man dazu sagen: Missbrauch widerstandsunfähiger Personen: sechs Monate bis zehn Jahre. Bei Eindringen in den Körper: ein Jahr bis 15 Jahre. Missbrauch widerstandsfähiger Personen (falls das überhaupt gemeint ist): drei Monate bis fünf Jahre. Missbrauch von Kindern: wie bei Widerstandsunfähigen. Nötigung: ein Jahr bis 15, bei Eindringen zwei Jahre bis 15 (vermutlich ist das gemeint). Der Grund der etwas niedrigeren Mindeststrafe liegt darin, dass § 177 Zwang voraussetzt, § 179 nicht. § 179 betrifft mitnichten „insbesondere Frauen mit Behinderungen“: Der Regelfall sind schwer Betrunkene. Verabreichen von „K.-o.-Tropfen“ ist Gewalt; das ist überhaupt kein Fall des § 179. Aus dem Vergleich der Mindeststrafen von sechs Monaten bei Paragraf 179 und einem Jahr bei Paragraf 177 abzuleiten, dass Missbrauch von Widerstandsunfähigen „nur halb so hoch bestraft werden kann“, ist eine offenkundig bewusste Verdrehung mit der Tendenz zur Lüge.

Es folgt ein weiterer Aufruf zur Zensur:

Sehr geehrte Zeit-Redaktion, (…) Ich hoffe, Sie lassen künftig mehr Sorgfalt walten, was Sie ihre Gastautoren veröffentlichen lassen.

Beste Grüße, Helena P.

Und noch einer:

„Sehr geehrter Herr di Lorenzo,

bisher habe ich Ihre Zeitung für Ihren seriösen Journalismus geschätzt. Die Äußerungen Herrn Fischers auf Zeit-online zur Frage der Sexualstrafreform sind nach meinem Empfinden persönlich in hohem Maße beleidigend (…) und unglaublich unseriös (…). Die Frauenverachtung ist unfassbar, die für mich aus den Zeilen spricht und dies von einem Juristen. Es ist vollkommen unverständlich, dass er bei Ihnen für derartige Äußerungen ein Forum findet!!

Mit freundlichen  Grüßen,

Martha-Lina B.
Rechtsanwältin

Die Äußerungen von Frau B. aus Bochum, dortselbst Fachanwältin für Arbeits- und Sozialrecht, sind zwar nicht vollkommen, aber doch insoweit unverständlich, als sie die Äußerungen Herrn Fischers zur Sexualstrafrechtsreform als „unglaublich unseriös“ bezeichnen. Gern hätte man von der Leserin Seriöses zur Reform gehört, allein dazu reichte es vor lauter Unfassbarkeit nicht mehr…

Eine Bewerbung ist auch dabei:

„Liebe Zeit- Redaktion,

gestern haben wir die neuerliche Kolumne von Thomas Fischer auf Zeit Online gelesen und sind – als Juristinnen, Frauen und Menschen – nicht zum ersten Mal entsetzt über den Ton und den Inhalt von Thomas Fischers Ausführungen zur Reform des Sexualstrafrechts.

Angesichts der Brisanz des Themas und der anstehenden diesbezüglichen politischen Entscheidungen, hoffen wir sehr, dass zeitnah eine Gegendarstellung erfolgt.

Mit freundlichen Grüßen,

Theresa Richarz, Humboldt Universität zu Berlin und Universität Heidelberg und Franziska Brachthäuser, Humboldt Universität zu Berlin und Université Panthéon Assas Paris“

Die Damen haben inzwischen die gewünschte Gegendarstellung selbst geliefert: Vergewaltigung ist kein Hausfriedensbruch, (ZON vom 28. Juni 2016).

Auszug:

Umso bedenklicher für diese staatsnahe Position (gemeint: Richter): Er wählt einen Ton, der Frauen aufgrund ihres Aussehens und Verhaltens herabwürdigt und beleidigt. (…) Dieses Muster ist altbekannt und absolut zynisch in einem Kontext, in dem es um Gewalt an Frauen geht. Fischer lenkt von den realen gesellschaftlichen Missständen durch juristische Wortklaubereien ab. Fischers Beitrag erinnert an eine Stammtischrunde. Ist sich ein Bundesrichter nicht einmal zu schade, sich darüber zu echauffieren, dass eine Frau, die er nur über ihre Brüste definieren kann, mehr verdient als er? So viel jedenfalls zu dem wissenschaftlichen Anspruch des Beitrages.

Allgemein ist zu den Zuschriften von Hochschullehrerinnen und Assistentinnen anzumerken: Keine der Zitierten hat, soweit ich erkennen kann, jemals irgendetwas zum materiellen Strafrecht oder zum Strafprozessrecht geschrieben. Woher die wissenschaftliche Kompetenz kommen soll, strafrechtsdogmatische Fragen als belanglos oder gar als uninteressant („Wer will so was lesen?“) zu übergehen, ist mir ein Rätsel. Offenbar qualifiziert die bloße Tatsache, eine Frau zu sein, Wissenschaftlerinnen beliebiger Fachgebiete dazu, profunde, unwiderlegliche „Überzeugungen“ zu generieren über Einzelheiten strafrechtsdogmatischer und -systematischer Behandlung von Sexualstraftaten. Da scheint mir ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein ohne Fundament am Werk.

Bezeichnend ist, dass keine einzige der sich äußernden Rechtsgelehrten ein Wort auf die systematische Stimmigkeit des Gesetzentwurfs, also auf die Sache selbst verwendet. So könnte man ja, verehrte Reformerinnen mit „juristischen Hintergründen“, einmal einen Blick auf die Paragrafen 176, 176a StGB werfen: sexueller Missbrauch von Kindern: Meinen jetzt plötzlich alle Feministinnen, dass Kinder den an ihnen vollzogenen oder von ihnen verlangten sexuellen Handlungen stets zustimmen?, hätten also keinen „entgegenstehenden Willen“? Das wäre eine tatsächlich unerhörte neue Theorie! In welchem Verhältnis steht nun aber die „Nein ist Nein“-Theorie der Nötigung zum sexuellen Missbrauch von Kindern? Oder von Patienten? Oder Gefangenen? Haben diese Personengruppen alle keinen Willen? – Dies nur mal so als Anregung, fürs „Plaudern“, Frau Dr. Lembke.

Zum Abschluss noch drei allgemeine Verdammungen:

Hallo liebe Zeit,

ich bin entsetzt was der gute Herr Fischer in seiner Kolumne „Fischer im (Un)Recht“ schreibt. Zutiefst frauenverachtend und sexistisch, ich bin entsetzt, dass die Zeit sich mit jemanden rühmt der aktiver Befürworter des sogenannten victim shaming ist und offen die Sexualstrafrechtsreform angreift. Ich bin mir sicher, dass dieser weiße, reiche MANN in seinem Leben keine Diskriminierung und Gott sei Dank keine Vergewaltigung erfahren musste. Umso schlimmer ist es, wie er seine Augen vor dem Unrecht was andere erleiden verschließt. Was ER betreibt ist Hetze…

MfG, Elisabeth A.

Victim Shaming ist „ein Vorgehen, das die Schuld für eine Straftat beim Opfer sucht“ (Wikipedia), natürlich erfunden im US-Strafprozess. Wo ich solches Tun jemals „aktiv befürwortet“ haben könnte, ist mir ein Rätsel. Da aber auf derselben Ebene der Entsetzlichkeit das Verbrechen des „offenen Angreifens einer Strafrechtsreform“ liegt, mag das dahinstehen.

Sehr geehrte Leserin: Dass man in diesem Lande (wo, in der Tat, mehrheitlich der weiße reiche Mann und die reiche weiße Frau wohnen, letzte sogar mit einem leichten statistischen Übergewicht) eine geplante Gesetzesänderung „offen angreifen“ darf, zählt zu den Grundprinzipien unserer Verfassung. Ihre „entsetzte“ Ansicht, das Kritisieren von Änderungen, die Sie selbst für richtig halten, sei in höchstem Maße illegitim, ist die Offenbarung eines bedauerlichen Defizits an rechtsstaatlicher Gesinnung.

Im Übrigen ist es verwunderlich, dass Sie über „sichere“ Erkenntnisse aus meiner Biografie zu verfügen behaupten, die mich nach Ihrer Ansicht disqualifizieren. Ich habe mich, soweit ich weiß, allerdings weder über meine eigenen Viktimisierungserfahrungen noch über solche meiner Familie und enger Freunde jemals geäußert und beabsichtige auch nicht, dies in einem solch albernen Kontext zu tun. Seien Sie aber gewiss, dass der Kolumnist weiß, wie sich Schmerz und Verzweiflung anfühlen.

Noch eine Entsetzte:

„Sehr geehrte Zeit-Redaktion,

Ich (…) möchte Ihnen gerne mein Entsetzen über den Beitrag … äußern. …Die Art in der Herr Fischer hier über ein sensibles Thema wie sexuelle Gewalt schreibt ist zutiefst verletzend und respektlos den Opfern und den von ihm beleidigten Kolleginnen und Politikerinnen gegenüber. Auch als Frau fühle ich mich von dieser regelrecht bösartigen Sprache angegriffen.

Ich bin kein Freund von Gina-Lisa (…) Dennoch muss sich auch ein Bundesrichter an ein Mindestmaß an Umgangsformen halten. Ich bedaure Jeden, der sich vor diesem Richter rechtfertigen muss.

Mit freundlichen Grüßen, Martha H.

„Ich als Frau“ ist ein Terminus, der immer wieder Fragen aufgibt. Er klingt wie „Wir als Grüne“ oder „Ich als SPD“. Seinem Sinn nach ist er eine Reduktion eines „Ich“ auf ein „Als“, eines Ganzen auf einen Teil. Man denkt: Max Weber? Idealtypus? Der Mensch als Autofahrer? Ich als Steuerzahler?

So weit, so gut. Aber beleidigt kann doch wohl nur das Ich selbst sein, nicht sein autofahrender Teil! Ich könnte mir nicht vorstellen, „als Steuerzahler“ beleidigt zu sein, als Ich aber nicht. Bleibt die Frage, ob „ich als Mann“ ein beleidigungsfähiges Etwas bin, oder Ich als Deutscher, während der gebührenzahlende Teil meines Selbst unbehelligt bleibt. Viele denken, dass das auf jeden Fall geht. Wir als Menschen können ja mal zusammen darüber nachgrübeln.


„Sehr geehrte Damen und Herren,

die neueste Kolumne von Thomas Fischer … ist eine große Frechheit. Ich bin empört, dass die ZEIT ihm eine so große Plattform bietet seine selbstbestimmungsfeindliche Ansicht breitzutreten. Die Zynik und Verachtung der Opfer (…) ist unglaublich (…)

Mit freundlichen Grüßen Lea M.“

Tja. Wie beklagte Liza Grime, Autorin des berühmten Artikels Wie mein Muschi-Tattoo mich zu einer besseren Feministin gemacht hat, kürzlich in dem Folgeaufsatz Warum meine Brustvergrößerung und Feminismus kein Widerspruch sind bitterlich: Sie sei von den Schwestern „kollektiv als Schlampe betitelt worden“. Die Huffington Post meinte zum nämlichen Thema: „Sascha Schewtschenko, eine der Gallionsfiguren der Organisation ‚Femen‘, hat ein Zitat von Lenin auf ihrer Brust tätowiert und disqualifiziert sich allein dadurch als glaubwürdige Feministin.“

Wie auch immer: Hintergründigkeit, Differenziertheit und irgendeine nachvollziehbare Art von Humor sind des fanatisch orientierten Feminismus hervorstechende Kennzeichen nicht. Von jeglicher Form der Distanz zu sich selbst ganz zu schweigen: Hier geht es stets und über alle Maßen ernsthaft zu. Über Hormone macht man keine Witze (außer über Testosteron). Über Geschlechtsorgane schon gar nicht (außer über männliche). Über sexistische Verengungen niemals (außer über männliche). Die Sprache dieses amtlichen Feminismus ist die der Häme und einer mit Rachsucht unterlegten Aggression, gegen den ewigen Feind auf der anderen Seite, falls gerade keiner greifbar ist, gegen die stets insuffiziente Konkurrenz aus dem eigenen Lager. Die „Rache“ wird überwiegend im Wege des Stellvertreterkriegs vollzogen, gerade deshalb aber umso unerbittlicher. Das ist wie in einer K-Gruppe der 1970er Jahre.

Ganz wichtig: bestimmte Substantive unbedingt immer mit bestimmten Attributen kombinieren: also Witz immer mit „zynisch“, Kritik immer mit „frauenverachtend“, Vergewaltigung nie ohne „brutal“. Sonst kommt die Leserin am Ende noch auf eigene Gedanken.

Im Laufe meines einigermaßen facettenreichen Lebens bin ich vielen Fanatikern begegnet: Pol-Pot- oder Mao-Anbetern, Bhagwan-Jüngern, Getreidebrei-Fressern, religiösen Eiferern jeder Art, „Bewegungs“-Fetischisten allerlei Couleur. Auch unter Feministinnen gibt es eine Menge Eiferer. Sie bestimmen die Tonlage, obgleich sie nicht die Mehrheit sind. Sie sind wie alle Fanatiker: Nichts gilt ihnen außer der eigenen Wahrheit, die sie mit verstellten Mikroskopen noch aus den Fußnoten der harmlosesten Werke filtern; jeder Kritiker ist ein Feind, jedes Gegenargument eine neue Kriegserklärung; eigene Fehler sind schlimmstenfalls unwichtige Verirrungen auf dem Weg zum Paradies.

Ich glaube nicht daran. Dies ist übrigens, mit Verlaub, das Motto und der Antrieb dieser Kolumne (nur für den Fall, dass Sie es noch nicht bemerkt haben). Ich glaube nicht an Heilslehren und Einseitigkeiten, nicht an das Niederbrüllen von Ungläubigen und an den einen, alles entscheidenden Menschheitsfehler. Ich glaube nicht, dass alles in Wirklichkeit ganz einfach wäre, wenn man nur die Richtigen kaltstellt oder wegschafft oder fertigmacht, kastriert oder abknallt. Ich glaube auch nicht, dass ich oder irgendjemand sonst sich von einem aufgehetzten, vielfach uninformierten Mob das Maul verbieten lassen sollte.

Früher einmal, vor vielen Jahren, liebe Kinder, herrschten in der deutschen Meinungslandschaft Kinder von Marx und Engels. Niemand wusste genau, ob sie legitime Kinder waren oder nicht, aber das war ja gerade die Kunst. Sie waren ganz fest überzeugt, die Wissenschaft habe herausgefunden, dass allein der Proletarier die Welt retten könne. „Okay“, sagte der Proletarier, „ist klar“, und bestellte sich ein Bier. Ja was nun?, fragte die Wissenschaft. „Keine Lust“, antwortete der Proletarier, „aber vorerst schon mal schönen Dank“. Dumm gelaufen, könnte man sagen (aber das wäre ja wieder der „pure Zynismus“).

Ähnlich ist es mit dem Feminismus: als Religion schwer erträglich.

Von |2017-09-14T07:56:19+02:00Dienstag, 5. Juli 2016|Kategorien: Strafrecht / Strafvollstreckung|Kommentare deaktiviert für Kleine Nachlese

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