Nachfolgend ein Beitrag vom 14.2.2017 von Viefhues, jurisPR-FamR 3/2017 Anm. 5

Leitsätze

1. Jenseits der Verpflichtung zur Sicherstellung des Mindestkindesunterhalts und der damit einhergehenden gesteigerten Unterhaltspflicht ist die Berücksichtigung überobligatorischen Einkommens beim Unterhaltspflichtigen auch im Kindesunterhalt an den Grundsätzen von Treu und Glauben zu messen. Im Rahmen der vorzunehmenden Billigkeitsabwägung kann als maßgeblicher Gesichtspunkt gegen eine Heranziehung des aus einer überobligatorischen Nebentätigkeit stammenden Einkommens sprechen, dass der Unterhaltspflichtige seine Nebentätigkeit erst nach Trennung bzw. nach der Scheidung der Ehe mit der Mutter der unterhaltsberechtigten Kinder aufgenommen hat.
2. Die Kostentragungspflicht wegen der vorprozessualen Verletzung einer unterhaltsrechtlichen Auskunftspflicht setzt die Ursächlichkeit der Auskunftspflichtverletzung für den Ausgang des nachfolgenden Unterhaltsverfahrens voraus.

A. Problemstellung

Beim Unterhaltsanspruch minderjähriger Kinder wird oft über die Obliegenheit des barunterhaltspflichtigen Elternteils gestritten, eine Nebentätigkeit auszuüben. Wird eine Nebenbeschäftigung tatsächlich ausgeübt, dreht sich der Streit um die Anrechenbarkeit des dadurch erzielten Einkommens.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beteiligten streiten um die Höhe des vom Antragsgegner zu zahlenden Kindesunterhalts. Die Ehe der Eltern der bei ihrer Mutter lebenden Kinder ist seit 2012 rechtskräftig geschieden. Der Kindesvater hat regelmäßig freiwillige Zahlungen erbracht. Es wird höherer Unterhalt im Hinblick auf Nebeneinkünfte des Vaters geltend gemacht.
Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass auf das Unterhaltsverhältnis als gesetzliches Schuldverhältnis die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) Anwendung finden und daran die Heranziehung des vom Unterhaltspflichtigen aus überobligatorischer Tätigkeit erzielten Einkommens zu messen ist. Das gilt auch beim Kindesunterhalt (vgl. BGH, Urt. v. 12.01.2011 – XII ZR 83/08 – FamRZ 2011, 454).
Das OLG Koblenz hat Einkünfte aus der vom Kindesvater ausgeübten Nebentätigkeit nach Abzug der Berufsaufwandspauschale i.H.v. 350,60 Euro errechnet.
Zwar werde bei voller Anrechnung dieser Nebeneinkünfte die Grenze zur nächsten Tabellenstufe der Düsseldorfer Tabelle überschritten. Es sei jedoch abzulehnen, im Hinblick auf diese Nebentätigkeitseinkünfte den Kindesunterhalt nach dieser höheren Tabellenstufe festzulegen. Denn im konkreten Fall sei der Mindestunterhalt der Kinder auch ohne Anrechnung der Einkünfte aus der Nebentätigkeit gesichert. Im Umfang der zusätzlichen Beschäftigung unterliege er somit keiner gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB. Als weiterer maßgeblicher Gesichtspunkt komme hinzu, dass der Kindesvater seine Nebentätigkeit erst nach Trennung und Scheidung der Ehe begonnen habe. Folglich stünden die Einkünfte hieraus für den Unterhalt der Antragsteller während des ehelichen Familienzusammenlebens noch nicht zur Verfügung.
Ob und inwieweit der Antragsgegner die zusätzliche Beschäftigung im Hinblick auf höhere Umgangskosten aufgenommen habe, lasse das Oberlandesgericht dahinstehen. Denn bereits wenn man das Nebeneinkommen lediglich zu 4/5 berücksichtigt, sei der Antragsgegner nur noch in der Einkommensgruppe 4 der Düsseldorfer Tabelle (115%) anzusiedeln. Umstände, die es im Rahmen der Abwägung aller für die Billigkeitsentscheidung in Betracht kommenden Gesichtspunkte angemessen erscheinen lassen, diese Einkünfte in einem größeren Umfang einzustellen, seien nicht erkennbar.

C. Kontext der Entscheidung

Die Nebentätigkeitsobliegenheit wird bei der verschärften Haftung gegenüber minderjährigen Kindern aus § 1603 Abs. 2 BGB bejaht, soweit der Mindestunterhalt sonst nicht geleistet werden kann (BGH, Beschl. v. 24.09.2014 – XII ZB 111/13 – FamRZ 2014, 1992; BGH, Beschl. v. 22.01.2014 – XII ZB 185/12 – FamRZ 2014, 637). Auch bei lediglich fiktiven Einkünften aus einer zumutbaren vollschichtigen Tätigkeit kommt – fiktives – Einkommen aus einer zusätzliche zuzumutenden Nebentätigkeit in Betracht (BGH, Beschl. v. 24.09.2014 – XII ZB 111/13).
Trotz der gesteigerten Unterhaltspflicht ergeben sich die Grenzen der vom Unterhaltspflichtigen zu verlangenden Tätigkeiten aus den Vorschriften des Arbeitsschutzes und den Umständen des Einzelfalls. Die Anforderungen dürfen nicht dazu führen, dass eine Tätigkeit trotz der Funktion des Mindestunterhalts, das Existenzminimum des Kindes zu sichern, unzumutbar erscheint (vgl. BGH, Urt. v. 04.05.2011 – XII ZR 70/09 – BGHZ 189, 284 Rn. 29 ff. m.w.N.).
Im Rahmen der Zumutbarkeitsabwägungen einer zusätzlichen (am Wochenende oder am Abend auszuübenden) Tätigkeit wird abgestellt auf den durch das Arbeitszeitgesetz gezogenen äußeren Rahmen von maximal 48 Arbeitsstunden pro Woche und auf die Belastung bei der ausgeübten Haupttätigkeit, z.B. durch Überstunden und wechselnde Arbeitszeiten (Schichtdienst), durch lange Fahrzeiten, ggf. gesundheitliche Aspekte, aber auch den zeitlichen Umfang des Umgangs mit seinen Kindern (ausführlich Viefhues in: jurisPK-BGB, § 1603 Rn. 775 ff.).
Wird eine solche Obliegenheit bejaht, ist es Sache des Unterhaltspflichtigen, darzulegen und ggf. unter Beweis zu stellen, warum er keine Nebentätigkeit ausüben kann. Auch zur Höhe des erzielbaren Einkommens muss substantiiert vorgetragen werden.

D. Auswirkungen für die Praxis

Wird dem Unterhaltspflichtigen vorgehalten, er genüge seiner Obliegenheit zur Ausübung einer Nebentätigkeit nicht, ist anwaltlicher Sachvortrag zu den geschilderten Zumutbarkeitsüberlegungen unverzichtbar. Vor allem die zeitlichen Einschränkungen aufgrund der tatsächlich ausgeübten Umgangskontakte müssen ausreichend detailliert dargestellt werden.
Geht es um die Anrechnung tatsächlich erzielter Einkünfte aus einer solchen Tätigkeit, sind Gesichtspunkte für die konkret im Einzelfall vorzunehmende Abwägung vorzutragen.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das OLG Koblenz hat sich weiter intensiv mit der Kostenentscheidung befasst, die nach § 243 FamFG abweichend von den Kostenvorschriften der Zivilprozessordnung zu treffen ist.
Das Oberlandesgericht hat hinsichtlich der laufenden Unterhaltsverpflichtung ab August 2015 das Vorliegen eines sofortigen Anerkenntnisses bejaht und ist auch davon ausgegangen, dass der Antragsgegner auch keine Veranlassung für das Verfahren gegeben hatte.
Der am 30.07.2015 zunächst im Verfahrenskostenhilfeverfahren bei Gericht eingereichte Unterhaltsantrag wurde dem Antragsgegner förmlich im schriftlichen Vorverfahren am 30.09.2015 zugestellt. Mit seinem darauf folgenden Schriftsatz vom 07.10.2015 erklärte der Antragsgegner für den laufenden Unterhalt ab August 2015 ein Anerkenntnis nach Maßgabe der 4. Einkommensgruppe (115%). Unterhalt entsprechend dieser zahlte er bereits seit April 2015. Die Rückstände aus der Differenz zwischen der 3. und der 4. Einkommensgruppe für die Zeit von April bis Juli 2015 hatte er dabei noch vor Eingang dieser bei Gericht ausgeglichen. Da der Antragsgegner auch nie zu einer freiwilligen Titulierung aufgefordert worden war, hatte er ebenfalls keine Veranlassung für das Unterhaltsverfahren gegeben, soweit der laufende Unterhalt ab August 2015 betroffen war.
Er hatte auch nicht lediglich Teilleistungen auf den geschuldeten Unterhalt erbracht. In diesem Fall hätte es keiner vorgerichtlichen Aufforderung zur Titulierung bedurft (vgl. BGH, Beschl. v. 02.12.2009 – XII ZB 207/08 – FamRZ 2010, 195). Denn es stand den Antragstellern kein höherer Unterhalt als der gezahlte zu.
Die Antragsteller können sich schließlich auch nicht auf § 243 Satz 2 Nr. 2 FamFG berufen. Denn die unvollständige Auskunft im Jahr 2014 war nicht ursächlich für den Ausgang des hier erst am 31.07.2015 eingeleiteten gerichtlichen Unterhaltverfahrens. Dies wäre indes Voraussetzung für eine kostenrechtliche Sanktionierung (vgl. Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl., 2014, § 243 FamFG Rn. 8).