Nachfolgend ein Beitrag vom 18.9.2018 von Tiedemann, jurisPR-BKR 9/2018 Anm. 3
Leitsatz
Der Kläger kann sich hinsichtlich der Ursächlichkeit der behaupteten Prospektfehler auch nicht auf die Behauptung stützen, dass die streitgegenständliche Anlage ohne die angeblich fehlerhaften Prospektpassagen niemals in den Vertrieb genommen worden wäre und er so die Anlage in der Folge nicht hätte zeichnen können. Für derart weitgehende Kausalitätserwägungen besteht kein Raum. In der auch höchstrichterlichen Rechtsprechung ist insoweit anerkannt, dass nicht jede auch nur entfernte kausale Verbindung zur Begründung einer rechtlichen Haftung ausreicht. Deutlich wird dies anhand der Rechtsprechung für den speziellen Bereich der Emissionspapierhaftung nach dem Börsengesetz alter Fassung (vgl. BGH, Urt. v. 19.07.2004 – II ZR 218/03 Rn. 43; BGH, Urt. v. 14.07.1998 – XI ZR 173/97 Rn. 29 m.w.N.). Eine derart ausufernde Haftung wäre auch nicht mehr vom Schutzzweck der im Raum stehenden Haftungsnorm gedeckt.
Orientierungssatz zur Anmerkung
Voraussetzung für einen Anspruch des Anlegers ist nach wie vor, dass er nachweist, Anteile aufgrund eines Verkaufsprospektes erworben zu haben. Nach ganz herrschender Meinung ist eine haftungsgründende Kausalität nur dann gegeben, wenn der Fondsprospekt dem Anleger zumindest vorgelegen hat.
A. Problemstellung
Das LG Lübeck befasst sich mit der Kausalität einer Prospekthaftung bei nicht übergebenem Emissionsprospekt. Das Landgericht ist grundsätzlich der Ansicht, dass ein Prospekt, der bei Zeichnung keinerlei Verwendung gefunden hat, nicht kausal für eine Prospekthaftung sein kann. Diese grundsätzlich herrschende Meinung wird auch nicht dadurch modifiziert, dass das streitgegenständliche Anlagevehikel ohne die angeblich fehlerhaften Prospektpassagen niemals in den Vertrieb genommen worden wäre. Für eine derart weitgehende Kausalitätserwägung besteht in dieser Fallkonstellation kein Raum, so das LG Lübeck.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Grundsätzlich ist der Sachverhalt sehr dünn beschrieben. Der Leser der Entscheidung erhält keinen Tatbestand, da das Gericht nach § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hierauf verzichtete. Der entscheidende Sachverhalt ist allerdings dem Urteil zu entnehmen:
Der klagende Anleger hat Anleihen erworben. Einen Emissionsprospekt hat er nicht erhalten. Der Kläger rügt unterschiedliche Prospektfehler, die für die Entscheidungsfindung des Landgerichts allerdings nicht wesentlich waren. Denn das Landgericht konnte eine Entscheidung über vermeintliche Prospektfehler offenlassen, da es zumindest Schadenersatzansprüche aufgrund mangelnder Kausalität verneinte. So gelangte das LG Lübeck zu der Überzeugung, dass der Prospekt bis zur Zeichnung der Anlage durch den Kläger keinerlei Verwendung gefunden hat. Dabei konnte der Kläger nach Auffassung des Landgerichts nicht schlüssig vortragen, dass er sich bei seiner Anlageentscheidung in irgendeiner Weise durch den Prospekt beeinflussen ließ. Insoweit fehle es hier an einer Kausalität. Ein Vortrag dahingehend, dass eine telefonische Beratung durch den Anlagevermittler vorlag, reiche als substantiierten Vortrag nicht aus. Dass und wie konkret einzelne Prospektpassagen erörtert worden seien, müsse vorgetragen werden. Dies sei hier nicht der Fall.
Auch könne sich der Kläger nicht auf die Ursächlichkeit der behaupteten Prospektfehler dahin ehend stützen, dass die streitgegenständliche Anlage ohne die angeblich fehlerhaften Prospektpassagen niemals in den Vertrieb genommen worden wäre und er so die Anlage in der Folge nicht hätte zeichnen können. Für derart weitgehende Kausalitätserwägungen besteht nach Auffassung des LG Lübeck kein Raum. Dabei verweist das Landgericht auf die höchstrichterliche Rechtsprechung im Urteil des BGH vom 19.07.2004 (II ZR 218/03 Rn. 43) und vom 14.06.1998 (X ZR 173/97 Rn. 29). Hier hat der BGH entschieden, dass sich die Anleger nicht darauf berufen können, dass die Anlagevehikel ohne Prospektfehler nicht in den Handel geraten wären. Solche Kausalitätserwägungen ließ der BGH bereits damals nicht ausreichen.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung erscheint richtig. Allerdings ist es schade, dass sich das LG Lübeck nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die Nichtübergabe eines Emissionsprospektes an sich schadenersatzbewehrt sein kann.
1. Die Herleitung der Kausalität ist vom Landgericht richtigerweise erfolgt. Ein Anspruch besteht nur dann, wenn der Anleger die Anlagevehikel „aufgrund“ des Verkaufsprospektes oder neuerdings der Produktinformationsblätter (wesentliche Anlageinformationen, Produktinformationsblatt, Vermögensinformationsblatt) erworben hat. Diesen haftungsbegründenden Kausalitätszusammenhang musste nach alter Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Anpassung von Gesetzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes vom 15.07.2014 (BGBl I 2014, 934, 945) der Anleger beweisen, ohne dass ihm eine generelle Vermutung oder der Anscheinsbeweis zu Hilfe käme (Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechtes, § 5 Rn. 402).
Mit der Neufassung des § 306 KAGB hat der Gesetzgeber reagiert und eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität explizit eingeführt. Voraussetzung für den Anspruch des Anlegers ist danach vielmehr, dass er nachweist, Anteile aufgrund eines Verkaufsprospektes erworben zu haben (Schnauder, NJW 2013, 3207, 3209 ff.; Schürnbrand, ZGR 2014, 256, 280; Hanke, BKR 2014, 441, 447).
Nach herrschender Meinung in der Literatur, bspw. zu § 127 Abs. InvG (welches aufgehoben wurde), ist eine haftungsbegründende Kausalität deshalb nur dann gegeben, wenn der Fondsprospekt dem Anleger zumindest vorgelegen hat (Schmies in: Beckmann/Scholtz/Vollmer, Investment, § 127 InvG Rn. 12 ff.).
Eine Entscheidung des BGH zu der angesprochenen Frage existiert allerdings nicht. Ein vom LG Frankfurt zu § 20 Abs. 1 Satz 1 KAGB, dem Vorläufer des § 127 Abs. 1 Satz 1 InvG a.F., angenommenes Redaktionsversehen des Gesetzgebers bei Abfassung des Gesetzes liegt wohl fern (vgl. hierzu LG Frankfurt, Urt. v. 20.12.2002 – 2-21 O 15/02 – ZIP 2003, 295, 302). Das bedeutet mithin, wenn der Verkaufsprospekt dem Anleger nicht körperlich vorgelegen, sondern er diesen im Internet eingesehen hat, wird man verlangen müssen, dass er Letzteres nachweist. Insoweit ist die Rechtslage für Prospektverantwortliche aufgrund des § 306 Abs. 1 Satz 1 KAGB bei geschlossenen Fonds günstiger als bisher (Schnauder, NJW 2013, 3207, 3209 ff.). Die Herleitung der Kausalität durch das LG Lübeck erscheint richtig.
Auch bei der Geltendmachung der Informationsdelikthaftung nach § 826 BGB wegen fehlender Ad-hoc-Publizität ist der Nachweis der konkreten Kausalität der Täuschung für die Willensbildung des Anlegers notwendig (BGH, Beschl. v. 26.06.2006 – II ZR 153/05 – WM 2007, 486). Dafür reicht das generelle Vertrauen des Anlegers in die Richtigkeit allgemeiner Informationen über das Unternehmen sowie der Glaube an dessen wirtschaftliche Substanz nicht aus (Bamberger in: Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht Band 2, 3. Aufl., § 52 Rn. 256). Insoweit hat hier das LG Lübeck ebenfalls richtig entschieden, dass die streitgegenständliche Anlage ohne die angeblich fehlerhaften Prospektpassagen niemals in den Vertrieb genommen worden wäre und der Anleger die Anlage nicht hätte zeichnen können.
2. Leider setzte sich das LG Lübeck nicht mit der Frage auseinander, ob die mangelnde Übergabe eines Emissionsprospektes an sich schadensersatzbewehrt ist. Dies ist bis heute nicht abschließend geklärt (vgl. hierzu Tiedemann/Neumann, VuR 2012, 433, 434).
Es existieren nur wenige Entscheidungen auf Landgerichtsebene. Das LG Essen ist der Ansicht, dass eine Pflichtverletzung vorliegt, da der Kläger einen Emissionsprospekt nicht erhalten hat (vgl. LG Essen, Urt. v. 11.01.2011 – 19 O 190/10 – BKR 2011, 123). Auch das LG Rottweil meint, dass eine Pflichtverletzung vorliegt, da ein Prospekt nicht überlassen wurde (LG Rottweil, Urt. v. 07.05.2009 – 3 O 345/08 – BKR 2009, 482).
Die Frage gilt neuerdings natürlich nicht nur für Emissionsprospekte, sondern auch für die Prospektinformationsblätter. Dabei wird grundsätzlich gefordert, dass diese rechtzeitig vor Abschluss eines Geschäfts zur Verfügung gestellt werden sollen (§ 15 FinVermV, § 31 Abs. 3a WpHG a.F., § 297 KAGB).
Zu § 31 Abs. 2 Nr. 1 WpHG a.F. befand der BGH jedoch, dass nach § 31 WpHG a.F. dem Anleger keine schützende Wirkung zukomme (BGH, Urt. v. 19.02.2008 – XI ZR 170/07 – ZIP 2008, 873). Entsprechend lehnte der BGH bezüglich § 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG a.F. eine Schutzeigenschaft ab (BGH, Urt. v. 19.12.2006 – XI ZR 56/05 und zu § 34a Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. BGH, Urt. v. 22.06.2010 – VI ZR 212/09 – ZIP 2010, 1433).
Allerdings muss beachtet werden, dass § 31 Abs. 3a Nr. 7 WpHG a.F. – laut der Gesetzesbegründung – ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB darstellt. So heißt es in der Gesetzesbegründung: „[…] die Minimalanforderung an die Informationsblätter, deren Verletzung zivilrechtliche Haftungsansprüche aus Schutzgesetzverletzung (§ 823 Abs. 2 BGB) begründen kann.“ (BT-Drs. 17/3628, S. 21).
Insoweit hätte das LG Lübeck Anlass gehabt zu prüfen, ob die Nichtübergabe von Prospekten und ggf. Informationsblättern an sich zur Haftung führen kann. Dies ist leider unterblieben.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die hier besprochene Entscheidung des LG Lübeck wird wohl keine große Auswirkung auf die Praxis haben. Letztendlich hat das LG Lübeck deutlich Stellung zur Kausalität bezogen. Diesbezüglich verweist das Landgericht auf die bereits existierende Literatur und Rechtsprechung. Insoweit sind der Entscheidung keine Neuheiten zu entnehmen.
Da möglichen Fragen bezüglich der Haftung aufgrund einer Pflichtverletzung durch Unterlassung der Übergabe von Prospekten und Informationsblättern ebenfalls nicht nachgegangen wurde, wird das Urteil auch diesbezüglich nicht auf große Aufmerksamkeit stoßen.
Mühlhausen
Telefon: 03601 48 32 0
Leinefelde
Telefon: 03605 544 330
Gotha
Telefon: 03621 510 18 60 (RAe)
Telefon: 03621 510 18 00 (StB)
oder schreiben Sie hier eine Mail: