Nachfolgend ein Beitrag vom 10.10.2017 von Viefhues, jurisPR-FamR 20/2017 Anm. 3
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen der Mutwilligkeit bei Beantragung von Verfahrenskostenhilfe in Umgangsverfahren, wenn vor Anrufung des Familiengerichts das Jugendamt nicht beteiligt worden ist.
A. Problemstellung
In der Praxis ist noch nicht abschließend geklärt, unter welchen Voraussetzungen der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe für ein gerichtliches Umgangsverfahren wegen Mutwilligkeit zurückgewiesen werden kann, wenn der Antragsteller nicht zuvor das Jugendamt eingeschaltet hat. Das OLG Frankfurt befasst sich detailliert mit dieser Fallgestaltung.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die nicht verheirateten Beteiligten sind Eltern eines 2013 geborenen Kindes. Der Kindesvater hatte sich erfolglos um das gemeinsame Sorgerecht bemüht. Nach ihrer Trennung verblieb das Kind bei der Kindesmutter. Nachdem der Kindesvater eine eigene Wohnung bezogen hatte, bat er um Umgang mit dem Kind und erneut um das gemeinsame Sorgerecht. Die Kindesmutter war dem überhaupt nicht mehr zugänglich und beschimpfte den Vater. Er würde das Kind nicht bekommen und auch nicht sehen können. Es solle zunächst das Jugendamt eingeschaltet werden.
Nachdem der Kindesvater mehrere Monate lang regelmäßig ohne Erfolg Umgang verlangte, wurde in der Umgangsrechtsangelegenheit das Jugendamt eingeschaltet. In mehreren gemeinsamen Gesprächen wurden Umgangslösungen erarbeitet und sodann für die Dauer von wenigen Wochen praktiziert, bis die Kindesmutter dazu überging, den Umgang wieder einzuschränken. Nur zeitweise fand der Umgang durch Besuche des Vaters bei der Mutter in deren Wohnung statt. Nach einer Unterbrechung der Umgangskontakte Ende 2015 verlangte der Vater mit anwaltlicher Unterstützung Umgangskontakte. Im Antwortschreiben ihrer Anwältin stellte die Mutter das Umgangsrecht nicht grundsätzlich in Abrede, machte aber inhaltlich starke Einschränkungen und schlug vor, dass der Umgang zunächst einige Monate einmal wöchentlich oder alle zwei Wochen in den Räumlichkeiten des Jugendamtes stattfinde. Mit weiterem anwaltlichen Schreiben bezichtigte die Mutter den Vater der sexuellen Nötigung. Im Wiederholungsfall drohte sie Anträge nach dem Gewaltschutzgesetz an.
Der Kindesvater leitete daraufhin beim Familiengericht ein Umgangsverfahren ein und beantragte Verfahrenskostenhilfe. Unmittelbar nach Zustellung der Antragsschriften fand beim Jugendamt ein Besprechungstermin statt, an dem beide Beteiligten eine Urkunde über die gemeinsame elterliche Sorge nach § 1626a BGB errichteten sowie eine Umgangsvereinbarung unterzeichneten. Danach teilte der Kindesvater mit, das Verfahren habe sich erledigt und bat um Aufhebung des anberaumten Termins. Das Amtsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss festgestellt, dass sich das Umgangsverfahren erledigt hat und den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Umgangsverfahren zurückgewiesen, weil die Rechtsverfolgung mutwillig sei.
Das OLG Frankfurt hat mit ausführlicher Begründung Verfahrenskostenhilfe bewilligt.
Die Rechtsverfolgung ist nach Auffassung des Oberlandesgerichts nicht mutwillig gewesen. Es sei jedenfalls nicht grundsätzlich mutwillig, das Familiengericht ohne vorherige Inanspruchnahme des Jugendamtes anzurufen. Allein das familiengerichtliche Verfahren biete einen effektiven Rechtsschutz. Beratungs- und Hilfemöglichkeiten des Jugendamtes könnten nämlich versagen, wenn der Antragsteller die Durchsetzung seiner Rechte gegen den expliziten Willen des anderen Elternteils anstrebe. Eine Vereinbarung beim Jugendamt bleibe mangels einer gerichtlichen Durchsetzbarkeit nach den §§ 88 ff. FamFG in ihren Möglichkeiten zugunsten des umgangsberechtigten Elternteils beschränkt und komme daher vor allem dann in Betracht, wenn die Umgangsgewährungsbereitschaft des betreuenden Elternteils sich als tatsächlich vorhanden erweise.
Daraus folge aber nicht, dass die Anrufung des Familiengerichts bei unterbliebener Inanspruchnahme des Jugendamtes unter keinen Umständen mutwillig sein könne. Es gebe in Kindschaftsverfahren durchaus Fallkonstellationen, in denen die sofortige Anrufung des Familiengerichts ohne vorherige außergerichtliche Bemühungen (insbesondere über das Jugendamt) als mutwillig angesehen werden könne. Hierbei sei insbesondere zu beachten, dass durch die vorherige Einschaltung des Jugendamtes eine Vermittlung zwischen den Eltern bereits auf einer deutlich niedrigeren Eskalationsstufe erfolgen und unter Umständen sogar einer Beschleunigung dienen könne. Je nach Personalsituation gäbe es Jugendämter, deren Fachkräfte besonders kompetent seien, Streitigkeiten zwischen Eltern in verhältnismäßig kurzer Zeit einer vernünftigen Lösung zuzuführen. Ein reines „Titulierungsinteresse“ an einem freiwillig gewährten, überwiegend unproblematisch und reibungslos funktionierenden Umgang mit dem eigenen Kind könne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nicht rechtfertigen.
Letztlich hat das OLG Frankfurt auf den konkreten Kontext der beantragten Umgangsregelung abgestellt. Entscheidend sein könnten dabei das Konfliktniveau zwischen den Eltern, ein möglicher enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Trennung und der sofortigen Inanspruchnahme des Familiengerichts sowie die Vorgeschichte. Vor diesem Hintergrund war es aus Sicht des Kindesvaters aussichtslos, dass sich die Beteiligten beim Jugendamt auf den Umgang verständigen würden und die Mutter darüber hinaus sogar noch die elterliche Mitsorge für das Kind einräumen würde. Diese Entwicklung war nicht als wahrscheinlich vorauszusehen, so dass die Inanspruchnahme des Familiengerichtes nicht als mutwillig eingestuft werden könne.
Aufgrund der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ist ihm weiterhin gemäß § 78 Abs. 2 FamFG seine Verfahrensbevollmächtigte beigeordnet worden.
C. Kontext der Entscheidung
In Umgangs- und Sorgerechtssachen ist in der Rechtsprechung und der Literatur umstritten, ob die Rechtsverfolgung mutwillig ist, wenn der Bedürftige vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens keinen Versuch einer außergerichtlichen Streitschlichtung unter Vermittlung des Jugendamtes unternommen hat.
Nach einer strengen Ansicht wird dies unter Hinweis auf die Subsidiarität und den Sozialhilfecharakter der Verfahrenskostenhilfe bejaht, so dass vom Hilfsbedürftigen immer zunächst zu verlangen sei, dass er die kostenfreien Angebote zur Erreichung seines Ziels wenigstens versuchsweise wahrgenommen habe, bevor er gerichtliche Hilfe in Anspruch nehme (OLG Köln, Beschl. v. 17.12.2012 – II-4 WF 156/12 – FamRZ 2013, 1241; Markwardt in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, 6. Aufl. 2015, § 114 ZPO Rn. 28; Keuter, FamRZ 2009, 1891). Die Gegenansicht verneint generell Mutwilligkeit, wenn ein Elternteil das Familiengericht anruft, ohne vorher die Beratung und Hilfe des Jugendamts in Anspruch genommen zu haben, weil dies nicht vorgeschrieben sei und die Erledigung verzögere (Zimmermann, in: Keidel, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 76 Rn. 17.; OLG Hamm, Beschl. v. 14.03.2011 – II-8 WF 61/11 – FamFR 2011, 304; OLG Hamm, Beschl. v. 03.03.2011 – 8 WF 34/11 – NJW-RR 2011, 1577).
Nach einer vermittelnden Auffassung wird dem Hilfsbedürftigen zwar zunächst abverlangt werden, dass er die für ihn kostenfreien Angebote und Vermittlungsbemühungen des Jugendamtes zur Erreichung seines Zieles wenigstens versuchsweise wahrnehme, bevor er gerichtliche Hilfe in Anspruch nimmt. Nur soweit solche Bemühungen seitens des Jugendamtes bereits fehlgeschlagen oder erkennbar aussichtslos seien, könne die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe in Betracht kommen, da anderenfalls eine weitere Zeitverzögerung drohe (OLG Hamm, Beschl. v. 09.03.2016 – II-2 WF 38/16 – FamRZ 2016, 1375; OLG Hamm, Beschl. v. 14.10.2014 – II-6 WF 110/14 – NZFam 2015, 510; OLG Brandenburg, Beschl. v. 02.02.2015 – 9 WF 323/14 – FamRZ 2015, 1040; OLG Rostock, Beschl. v. 08.03.2011 – 10 WF 23/11 – FamFR 2011, 305; Viefhues in: MünchKomm FamFG, 2. Aufl. 2013, § 76 Rn. 55, jeweils m.w.N.). Weiter wird vertreten, die sofortige Inanspruchnahme des Familiengerichts könne nur dann als mutwillig angesehen werden, wenn nach den konkreten Umständen im Einzelfall aussichtsreiche Möglichkeiten einer vorgerichtlichen Verständigung bestanden, die jedoch nicht genutzt wurden (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.01.2016 – 20 WF 209/15 – NJW 2016, 1522; Hennemann in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2017, § 1684 Rn. 100).
D. Auswirkungen für die Praxis
Bei Streitigkeiten über Umgangskontakte ist es – nicht nur wegen der stark differierenden Ansichten der Rechtsprechung – immer sinnvoll, erst einmal das Jugendamt einzuschalten. Geschieht dies in „normalen Fällen“ nicht und wird sofort das Gericht eingeschaltet, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Vorgehensweise als Mutwilligkeit eingestuft und Verfahrenskostenhilfe verweigert wird (so auch LG Karlsruhe, Beschl. v. 07.01.2016 – 20 WF 209/15 – NJW 2016, 1522). Kommt es mit Hilfe des Jugendamts nicht zu einer Einigung durch die Vermittlung des Jugendamtes und wird der Weg zum Gericht nötig, hat das Jugendamt sich bereits mit der Sache befasst und ist daher in der Lage, innerhalb der kurzen, durch den Beschleunigungsgrundsatz des § 155 FamFG gesetzten Frist bis zum Termin einen inhaltlich fundierten Bericht abzugeben, ohne den das Familiengericht keine Entscheidung treffen kann.
Wer sich stattdessen sofort direkt an das Familiengericht wendet, sollte – jedenfalls dann, wenn keine ratenfreie Verfahrenskostenhilfe zu erwarten ist – immer auch die kostenrechtlichen Konsequenzen bedenken, die in derartig streitigen Verfahren durch die regelmäßig notwendige Bestellung eines Verfahrensbeistandes ausgelöst werden. Da die Verfahrenskosten regelmäßig zwischen den Beteiligten aufgeteilt werden, treffen die Kosten des Verfahrensbeistandes beide Eltern zur Hälfte.
Wenn die Beteiligten ohne Einschaltung des Gerichts keine rechtsverbindliche Regelung treffen können, wie z.B. bei der Änderung des Sorgerechts, ist die Einschaltung des Gerichts der einzig mögliche Weg, so dass Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen ist. Davon zu unterscheiden ist die – ebenfalls umstrittene – Frage, ob auch eine Anwaltsbeiordnung geboten ist.
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