Nachfolgend ein Beitrag vom 19.4.2017 von Klostermann-Schneider, jurisPR-ArbR 16/2017 Anm. 3

Leitsätze

1. Kein Schadensersatzanspruch wegen der Rücknahme einer Einstellungszusage, nach der Ankündigung der Lehrkraft im Unterricht ein Kopftuch tragen zu wollen.
2. § 61b Abs 1 ArbGG findet keine analoge Anwendung im Verwaltungsprozess.
3. Maßgeblich für den zu beurteilenden Sachstand ist grundsätzlich das Erkenntnismaterial, das der Behörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung vorliegt.
4. Eine Ungleichbehandlung wegen der Religion liegt nicht vor.
5. Offengelassen: ob § 51 Abs. 3 NSchG (juris: SchulG ND) in derselben Art verfassungskonform auszulegen ist, wie das BVerfG es in seiner Entscheidung vom 27.01.2015 bezogen auf die Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NW (juris: SchulG NW 2005) vorgenommen hat.
6. Darüber hinaus – und insoweit selbstständig tragend – ist selbst bei Vorliegen einer Benachteiligung i.S.d. § 7 AGG diese nach § 8 AGG gerechtfertigt.

A. Problemstellung

Die Entscheidung des VG Osnabrück wirft im Grunde drei entscheidende Fragen auf: 1. Auf welchen Zeitpunkt kommt es bei der Bewertung der Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Einstellungszusage an? 2. Ist § 61b Abs. 1 ArbGG auch im Verwaltungsprozess anwendbar? 3. Ist die Rücknahme einer Einstellungszusage rechtmäßig, wenn diese darauf beruht, dass die betroffene Mitarbeiterin bei der Ausübung ihrer Lehrtätigkeit an einer staatlichen Schule ein Kopftuch tragen will?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin bekam am 12.06.2013 eine Einstellungszusage der Beklagten als Lehrerin für den niedersächsischen Schuldienst als Beamtin auf Probe. Diese Einstellungszusage nahm die Beklagte mit Bescheid vom 10.07.2013 zurück. Die Rücknahme hatte ihren Grund darin, dass die Klägerin mitteilte, sie beabsichtige ihr Kopftuch in den Unterrichtsstunden zu tragen. Zur Begründung verwies die Beklagte auf § 51 Abs. 3 des Niedersächsischen Schulgesetzes und die Verpflichtung zu einer religiös und weltanschaulich neutralen Amtsführung. Durch das Tragen des Kopftuchs aus religiösen Gründen werde die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler verletzt und dem Tragen des Kopftuchs im Unterricht ein religiöser Gehalt beigemessen.
Die Klägerin verlangte mit Antrag vom 10.05.2015 (Zugang am 12.05.2015) und damit fast zwei Jahre nach der Rücknahme der Einstellungszusage, Entschädigung wegen Ungleichbehandlung nach dem AGG aufgrund des Kopftuchverbots der Beklagten.
Die Klägerin verwies in ihrem Antrag auf die Pressemitteilung des BVerfG vom 13.03.2015, wonach das „Kopftuchverbot“ verfassungswidrig sei. Der diesbezügliche Beschluss des BVerfG stammt vom 27.01.2015 (1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10). Die Beklagte hatte den Antrag mit Bescheid vom 20.10.2015 abgelehnt. Der Bescheid war ohne Rechtsbehelfsbelehrung ergangen. Die Klägerin hat am 16.03.2016 Klage auf Entschädigung nach § 15 AGG erhoben.
Streitpunkte zwischen den Parteien waren in der Folge die Einhaltung der Zwei-Monats-Frist des § 15 Abs. 4 AGG, die Einhaltung der Drei-Monatsfrist des § 61b Abs. 1 ArbGG sowie die (fehlende) Widerrechtlichkeit der Rücknahme.
Das VG Osnabrück hat die Klage abgewiesen:
I. Die Klage sei zulässig. Insbesondere spiele die Drei-Monatsfrist des § 61b Abs. 1 ArbGG im Verwaltungsprozess keine Rolle (Geltendmachung der Entschädigung nach § 15 AGG im Klagewege binnen drei Monaten nach schriftlicher Geltendmachung des Anspruchs). Für eine analoge Anwendung fehle es an der planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe die Vorschrift mehrfach modifiziert, ohne eine Erstreckung auf den Verwaltungsprozess vorzunehmen, obwohl erkennbar gewesen sei, dass Entschädigungsansprüche nach dem AGG wegen Diskriminierung im Beamtenbewerberverfahren auch für die Verwaltungsgerichte relevant sein würden.
II. Die Klage sei jedoch unbegründet. Die Klägerin habe dem Grunde nach keinen Anspruch auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
1. Die Zwei-Monats-Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG sei gewahrt. Für den Fall einer Bewerbung sei § 15 Abs. 4 AGG dahin auszulegen, dass die Ausschlussfrist mit dem Zeitpunkt beginnt, zu dem dem Beschäftigten die Ablehnung zugegangen ist und er zusätzlich Kenntnis von der Benachteiligung erlangt hat. Der Zeitpunkt des Zugangs der Ablehnung stelle damit den frühestmöglichen Zeitpunkt des Fristbeginns dar. Der Lauf der Ausschlussfrist beginne im Falle einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage aber erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die Erhebung einer Klage für den Betroffenen zumutbar sei. Die entscheidungserhebliche Rechtslage sei durch die Veröffentlichung des Beschlusses des BVerfG vom 27.01.2015 (1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10) am 13.03.2015 geklärt worden. Die Ausschlussfrist endete daher am 13.05.2015 um 24.00 Uhr (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Mit ihrem am 12.05.2015 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben hat die Klägerin den Anspruch daher rechtzeitig geltend gemacht.
2. Die Klägerin habe jedoch keinen Entschädigungsanspruch aus den §§ 15 Abs. 2 i.V.m. 24 Nr. 1 AGG.
a) Für die Bewertung der Rechtmäßigkeit komme es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Bescheid-Erlasses an. Die Einstellung eines Beamtenbewerbers setze eine Eignungsbeurteilung (Feststellung diesbezüglicher Tatsachen) und einen prognostischen Akt wertender Erkenntnis voraus. Dieser sei nur eingeschränkt gerichtlich nachprüfbar und enthalte maßstabbildende Elemente, die der Dienstherr im Hinblick auf den zu besetzenden Dienstposten selbst festzulegen habe. Maßgeblich für den zu beurteilenden Sachstand sei deshalb grundsätzlich das Erkenntnismaterial, das der Behörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung vorliegt.
b) Es liege keine unmittelbare Benachteiligung vor. Die Beklagte habe bei der Einstellung keine Differenzierung anhand der Religion vorgenommen, sondern alle Bewerber bei der Einstellung gleich behandelt, indem sie diese an § 51 Abs. 3 Satz 1 NSchG maß.
(1) Da es der Klägerin nicht um eine Verpflichtung der Beklagten zur Einstellung in das Beamtenverhältnis gehe, sondern um die Zahlung von Schadensersatz für eine in der Vergangenheit liegende Handlung der Beklagten, sei die Rechtsprechung des BVerfG (Beschl. v. 27.01.2015 – 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10) nicht einschlägig. In dieser Entscheidung hatte das BVerfG befunden, dass das Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild, das bereits die abstrakte Gefahr einer Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausreichen lässt, nicht verfassungsgemäß sei. Erforderlich sei vielmehr eine hinreichend konkrete Gefahr.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts sei auf die dem Beschluss des BVerfG vom 27.01.2015 (1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10) vorhergehende Rechtsprechung abzustellen. Zu dieser Zeit ging das BVerfG (Urt. v. 24.09.2003 – 2 BvR 1436/02) davon aus, dass es für Lehrer keine ungeschriebene Dienstpflicht gebe, auf Erkennungsmerkmale ihrer Religionszugehörigkeit in Schule und Unterricht zu verzichten. Es bedürfe insoweit einer gesetzlichen Regelung des Landesgesetzgebers. Eine solche Regelung sei mit § 51 Abs. 3 Sätze 1 und 4 NSchG beschlossen worden. Danach dürfe das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften in der Schule, auch wenn es von einer Lehrkraft aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen gewählt wird, keine Zweifel an der Eignung der Lehrkraft begründen, den Bildungsauftrag der Schule (§ 2) überzeugend erfüllen zu können. Die Regelung des § 51 Abs. 3 Satz 1 NSchG verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 2 und Art. 33 Abs. 3 GG. Sie sei auch mit Art. 9 und 14 EMRK vereinbar.
(2) Eine Ungleichbehandlung wegen der Religion liege nicht vor, da eine Gleichbehandlung aller bei der Erbringung ihrer geschuldeten Leistung ungeachtet ihrer Religion verlangt werde.
c) Eine mittelbare Benachteiligung entfalle ebenfalls, da die Notwendigkeit, das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer zu beenden, der wegen seiner Glaubensüberzeugungen subjektiv nicht in der Lage ist, die vertraglich übernommenen Aufgaben zu verrichten, ein rechtmäßiges Ziel i.S.d. § 3 Abs. 2 AGG sei (BAG, Urt. v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09). § 1 AGG verbiete allein die Ungleichbehandlung wegen der Religion. Er gebiete indes nicht die Ungleichbehandlung zur Ermöglichung der religiösen oder weltanschaulichen Betätigung innerhalb eines Arbeitsverhältnisses.
Eine Regelung, die Lehrern untersage, äußerlich dauernd sichtbar ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft oder Glaubensrichtung erkennen zu lassen, ist Teil der Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Religion im Bereich der Schule (BVerfG, Urt. v. 24.09.2003 – 2 BvR 1436/02). Der Staat sei daher berechtigt, soweit er im Schulgesetz des Landes eine entsprechende gesetzliche Grundlage schaffe, das Tragen religiöser Symbole zu verbieten. Die Einhaltung der Vorgaben des Neutralitätsgebots stelle eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung i.S.d. § 8 AGG dar. Da § 51 Abs. 3 Satz 1 NSchG der Einhaltung dieser staatlichen Neutralität diene, stelle die Rücknahme des Einstellungsbescheides gegenüber der Klägerin demnach keine unzulässige Benachteiligung dar.
d) Unabhängig davon wäre eine Benachteiligung i.S.v. § 7 AGG jedenfalls durch § 8 AGG gerechtfertigt. Kein Verstoß gegen das AGG liege vor, sofern das Benachteiligungsverbot nach § 7 AGG durch § 8 AGG eine zulässige Einschränkung erfährt. Das BVerfG führte diesbezüglich in seinem Beschluss vom 27.01.2015 (1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10) aus:
„Auch wenn ein islamisches Kopftuch nur der Erfüllung eines religiösen Gebots dient und ihm von der Trägerin kein symbolischer Charakter beigemessen wird, sondern es lediglich als Kleidungsstück angesehen wird, das die Religion vorschreibt, ändert dies nichts daran, dass es in Abhängigkeit vom sozialen Kontext verbreitet als Hinweis auf die muslimische Religionszugehörigkeit der Trägerin gedeutet wird. In diesem Sinne ist es ein religiös konnotiertes Kleidungsstück. Wird es als äußeres Anzeichen religiöser Identität verstanden, so bewirkt es das Bekenntnis einer religiösen Überzeugung, ohne dass es hierfür einer besonderen Kundgabeabsicht oder eines zusätzlichen wirkungsverstärkenden Verhaltens bedarf. Dessen wird sich die Trägerin eines in typischer Weise gebundenen Kopftuchs regelmäßig auch bewusst sein. Diese Wirkung kann sich – je nach den Umständen des Einzelfalls – auch für andere Formen der Kopf- und Halsbedeckung ergeben.“
Die Beklagte habe es als Widerspruch zu dem Neutralitätsgebot öffentlicher Schulen, dem Mäßigungsgebot für Beamtinnen und Beamte sowie der negativen Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler angesehen, dass die Klägerin ein Kopftuch im Unterricht tragen wolle. Damit habe die Beklagte bereits aufgrund einer von ihr angenommenen abstrakten Gefahr eine Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität für die Anwendung von § 51 Abs. 3 NSchG ausreichen lassen. Dies sei nicht zu beanstanden und habe der damaligen Rechtslage entsprochen. Nach der Ansicht des BVerwG (Urt. v. 24.06.2004 – 2 C 45/03) gehe von dem Tragen eines islamischen Kopftuchs durch eine Lehrerin eine abstrakte Gefährdung der weltanschaulich-religiösen Neutralität der Schule und des religiösen Schulfriedens aus. Zum Zeitpunkt der Rücknahme der Einstellungszusage am 10.07.2013 habe eine Rechtfertigung der – unterstellten – Benachteiligung der Klägerin aus Gründen der Religion vorgelegen.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist im Grunde konsequent und erscheint in weiten Teilen sowohl hinsichtlich der Begründung als auch dem Ergebnis nach richtig.
I. Anwendbarkeit § 61b Abs. 1 ArbGG auf den Verwaltungsprozess
Das Verwaltungsgericht verneint die analoge Anwendung des § 61b Abs. 1 ArbGG im Verwaltungsprozess. Diese Norm verlangt vom Anspruchsteller einer Entschädigung nach § 15 AGG, dass dieser den Anspruch schriftlich geltend macht und binnen drei Monaten nach schriftlicher Geltendmachung entsprechende Klage erhebt. Das Verwaltungsgericht hat die Anwendung des § 61b Abs. 1 ArbGG im Rahmen der Zulässigkeit der Klage verortet. Dies scheint in der verwaltungsgerichtlichen Praxis üblich zu sein (VG Sigmaringen, Urt. v. 15.09.2015 – 7 K 4881/13; VG Trier, Urt. v. 21.07.2015 – 1 K 556/15.TR). Aus arbeitsrechtlicher Sicht handelt es sich bei § 61b Abs. 1 ArbGG um eine materielle Ausschlussfrist. Die Nichteinhaltung führt zur Unbegründetheit der Klage (Germelmann in: Germelmann/Matthes/Prütting, 8. Aufl. 2013, ArbGG, § 61b Rn. 10; Hamacher in: BeckOK-ArbR, 42. Ed. 01.12.2016, § 61b ArbGG, Rn. 7 f.; Koch in: ErfKomm, 17. Aufl. 2017, § 61b ArbGG Rn. 2).
Richtig erscheint, dass das Verwaltungsgericht § 61b Abs. 1 ArbGG im Verwaltungsprozess nicht anwendet (vgl. Roloff in: BeckOK-ArbR, 42. Ed. 01.12.2016, § 15 AGG Rn. 16). Schon die systematische Stellung des § 61b Abs. 1 ArbGG innerhalb des ArbGG „Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen“ spricht für den ausschließlichen Anwendungsbefehl für das arbeitsgerichtliche Verfahren (VG Sigmaringen, Urt. v. 15.09.2015 – 7 K 4881/13). Dass für eine Analogie kein Raum ist, ist folgerichtig. Der Gesetzgeber hat die Norm des § 61b Abs. 1 ArbGG nicht auf den Verwaltungsprozess erstreckt, obwohl ihm dies in Kenntnis der vergleichbaren Probleme bei der Entschädigung wegen Diskriminierung im Rahmen öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse klar gewesen ist (VG Trier, Urt. v. 21.07.2015 – 1 K 556/15.TR). Die Kenntnis des Gesetzgebers zeigt sich etwa in § 24 AGG (VG Trier Urt. v. 21.07.2015 – 1 K 556/15.TR). Hinzu kommt, dass mit einer Ausschlussfrist Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verbunden sind (VG Sigmaringen, Urt. v. 15.09.2015 – 7 K 4881/13).
II. Beginn der Frist des § 15 Abs. 4 AGG
Das Verwaltungsgericht hat außerdem entschieden, dass es für den Beginn der Frist des § 15 Abs. 4 AGG entscheidend auf die Zumutbarkeit der Erhebung der Klage ankomme. Das hat seinen Grund darin, dass Kenntnis von der Diskriminierung vorliegen muss. Es ist daher anerkannt, dass die Frist erst mit Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen zu laufen beginnt, falls der Bewerber erst nach der Ablehnung von der Diskriminierung erfahren hat (Schlachter in: ErfKomm, 17. Aufl. 2017, § 15 AGG Rn. 18). Es ist daher für den Fall einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage geboten, den Lauf der Ausschlussfrist zu dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, ab dem die Erhebung einer Klage für den Betroffenen zumutbar ist, d.h. die Klage hinreichend aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos ist. Daher ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass für den Fristlauf die objektive Klärung der Rechtslage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung maßgeblich war (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.10.2014 – 2 C 6/13; Roloff in: BeckOK-ArbR, 42. Ed. 01.12.2016, § 15 AGG Rn. 13). Jedoch stützt das Verwaltungsgericht seine Entscheidung nicht auf diese Rechtsprechung, sondern erklärt sie für den Fall für nicht einschlägig. Es erscheint daher zweifelhaft, dass für die Wahrung der Ausschlussfrist diese später irrelevante neue Entscheidung die Klage aussichtsreicher gemacht hat als sie es vorher war. Nach diesseitiger Auffassung fehlt es bei Zugrundelegung der Rechtsprechung vor der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2015 an der Wahrung der Ausschlussfrist. Die reine (abstrakte) Möglichkeit, dass eine neue höchstrichterliche Entscheidung etwas ändert, kann nicht ausreichen, um die Ausschlussfrist zu wahren, wenn sich herausstellt, dass die Entscheidung überhaupt keine Berücksichtigung findet.
III. Ungleichbehandlung
Entscheidender Aspekt und Weichenstellung für die Urteilsfindung des Verwaltungsgerichts war die Überlegung, welche Rechtslage der Entscheidung zugrunde zu legen war. Das Verwaltungsgericht stellte auf den Zeitraum ab, in dem die Rücknahme-Entscheidung der Verwaltungsbehörde erfolgte (2013), während es auch denkbar gewesen wäre, auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG (2015) abzustellen.
1. Zeitpunkt
Das Verwaltungsgericht hat sich zu Recht auf die Rechts- und Sachlage im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung gestützt. Dies erscheint zwar zunächst widersprüchlich, denn bei der Frage der Fristwahrung i.S.v. § 15 Abs. 4 AGG wurde gerade auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG abgestellt (vgl. dazu oben unter 2.). Die Beurteilung durch das Verwaltungsgericht ist insoweit aber richtig. Es ist übliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, dass es für Fragen der Rechtmäßigkeit eines Ablehnungsbescheides hinsichtlich der Einstellung auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung ankommt (BVerwG, Urt. v. 24.06.2004 – 2 C 45/03; VGH Mannheim, Urt. v. 31.05.2011 – 4 S 187/10). Etwas anderes gilt dann, wenn es um die Frage geht, ob einem Einstellungsantrag im Hinblick auf ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal aus Rechtsgründen stattgegeben werden muss oder nicht (BVerwG, Urt. v. 24.06.2004 – 2 C 45/03; VGH Mannheim, Urt. v. 31.05.2011 – 4 S 187/10). Dies ist bei einer Eignungsentscheidung hinsichtlich der persönlichen Eignung jedoch nicht der Fall, da diese – wie das Verwaltungsgericht herausgearbeitet hat – eine prognostische Entscheidung des Dienstherrn voraussetzt.
2. Benachteiligung
Das Verwaltungsgericht sieht zu Recht keine Benachteiligung der Klägerin. Da die Beklagte die Regelung auf alle ihre Beschäftigten gleichermaßen anwendet, kann keine Ungleichbehandlung vorliegen. Den Ausführungen zu unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligung des Verwaltungsgerichts ist daher zu folgen.
Dass eine Diskriminierung nach § 7 AGG auch dann nach § 8 AGG gerechtfertigt wäre, wenn die Rechtsprechung des BVerfG aus dem Jahr 2015 zugrunde zu legen gewesen wäre, ist zweifelhaft. Dort hat das BVerfG eine abstrakte Gefahrenannahme wegen des Tragens eines Kopftuches gerade nicht ausreichen lassen. Es spricht daher einiges dafür, dass auch insoweit eine konkrete Gefährdung für die staatliche Neutralität gefordert wäre.

D. Auswirkungen für die Praxis

Für die Praxis hat diese Entscheidung kaum Auswirkungen, da sie einen „Altfall“ zur landesrechtlichen Regelung in Niedersachsen enthält. Die etwas abseits liegenden verfassungsrechtlichen Erwägungen sind aber bedeutsam. Es ist für die Rechtmäßigkeit eines „Kopftuchverbots“ notwendig, dass von diesem bzw. dem daraus resultierenden Bekenntnis eine konkrete Gefahr für schützenswerte Rechtgüter ausgeht. Dies hat das BVerfG (Beschl. v. 18.10.2016 – 1 BvR 354/11) für die Frage des Kopftuchtragens einer Erzieherin in einer Kita bei öffentlicher Trägerschaft erneut ausgeführt. Das Tragen des Kopftuchs allein begründet danach eine solche konkrete Gefährdung nicht.
Praxisrelevant für das Arbeitsrecht erscheint in diesem Zusammenhang die kürzlich ergangene Entscheidung des EuGH (Urt. v. 14.03.2017 – C-157/15) zum Kopftuchverbot in privaten Unternehmen. Der EuGH befand, „dass das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt. Eine solche interne Regel eines privaten Unternehmens kann hingegen eine mittelbare Diskriminierung i.S.v. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der RL 2000/78 darstellen, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden, es sei denn, sie ist durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Kunden sachlich gerechtfertigt, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich“. Es ist garantiert, dass die Fragen rund um das Kopftuchverbot weiterhin Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzung sein werden. Es wird sich in Zukunft die Frage stellen, wann eine konkrete Gefahr durch das Tragen eines Kopftuches entstehen kann und wie diese Gefahr nachzuweisen ist.