Nachfolgend ein Beitrag vom 19.7.2018 von Kloth, jurisPR-VersR 7/2018 Anm. 1
Leitsätze
1. Die Hinweispflicht des Versicherers in der Unfallversicherung gemäß § 186 VVG besteht nur gegenüber dem Versicherungsnehmer und nicht auch gegenüber der versicherten Person. Bei einem rechtzeitig dem Versicherungsnehmer erteilten Hinweis kann sich der Versicherer auch gegenüber Ansprüchen der versicherten Person auf die in den Versicherungsbedingungen statuierten Ausschlussfristen (hier: zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung) berufen.
2. Der dem Versicherer obliegende Nachweis, dass der unfallursächliche Sturz aus einem Fenster nur entweder auf Freiwilligkeit (suizidale Absicht) oder auf einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung beruhen kann, ist nicht geführt, wenn ein vom Versicherten dargestellter plausibler Ablauf, bei dem der Sturz auf dem bloßen Verlust des Gleichgewichts ohne innere Ursache beruhen kann, nicht widerlegt ist.
A. Problemstellung
Ob im Rahmen der Erfüllung der gesetzlichen Hinweispflicht nach § 186 VVG neben dem Versicherungsnehmer auch noch die versicherte Person auf die zu beachtenden Invaliditätsfristen hingewiesen werden muss, ist streitig. Das OLG Karlsruhe bezieht in der besprochenen Entscheidung eindeutig Stellung.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin ist versicherte Person im Rahmen eines ursprünglich zwischen ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann und der Beklagten bestehenden Unfallversicherungsvertrages und macht Ansprüche aus dieser Unfallversicherung geltend. Sie stürzte aus dem Fenster im zweiten Obergeschoss des damals von ihr und ihrem Ehemann bewohnten Anwesens. Hierdurch erlitt sie schwere Verletzungen.
Die Beklagte hatte nach Erhalt der Unfall-Schadenanzeige gegenüber dem Ehemann der Klägerin als damaligem Versicherungsnehmer unter anderem ausdrücklich auf die Frist von 15 Monaten für die schriftliche Feststellung der Invalidität durch einen Arzt, die Voraussetzung für eine Invaliditätsleistung sei, hingewiesen. Sie lehnte später eine Leistung aufgrund des streitgegenständlichen Vorfalls mit der Begründung ab, es habe sich um einen Suizidversuch gehandelt.
Zwischenzeitlich verstarb der damalige Versicherungsnehmer, der Ehemann der Klägerin, weshalb der Vertrag sodann auf die Klägerin als Versicherungsnehmerin umgeschrieben wurde.
Die Klägerin begehrt nun klageweise Invaliditäts- und Rentenleistungen auf Basis eines behaupteten unfallbedingten Invaliditätsgrades von mindestens 60%. Zudem verlangt sie die Zahlung weiterer Krankenhaustagegelder. Die Beklagte wandte auch im Rahmen des Rechtsstreits ein, es habe eine Suizidabsicht vorgelegen. Alternativ könne der Sturz nur im Zustand einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung geschehen sein. Dies ergebe sich aus diversen Umständen, die der Ermittlungsakte zu entnehmen seien. Zudem liege auch keine fristgerechte ärztliche Invaliditätsfeststellung vor.
Das erstinstanzlich zuständige LG Heidelberg hatte die Klage vollumfänglich abgewiesen. Als Ursache für den Fenstersturz kämen nur eine kurzzeitige gesundheitsbedingte Bewusstseinsstörung oder eine suizidale Absicht in Betracht. In beiden Fällen sei ein Leistungsanspruch allerdings ausgeschlossen. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Klägerin unter anderem mit dem Argument, das Landgericht habe nicht ohne Beweisaufnahme eine leistungsausschließende Bewusstseinsstörung als mögliche Ursache für den Sturz ansehen dürfen. Auf Hinweis des Gerichts legte die Klägerin dann in zweiter Instanz weitere ärztliche Atteste als ärztliche Feststellung der Invalidität vor.
Das OLG Karlsruhe hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klägerin einen weitergehenden Anspruch auf Krankenhaustagegeld zugesprochen.
Ein Unfallereignis liege unzweifelhaft vor. Zudem sei die Gesundheitsschädigung auch unfreiwillig erfolgt. Die Unfreiwilligkeit werde nach § 178 Abs. 2 Satz 2 VVG bis zum Beweis des Gegenteils vermutet (vgl. BGH, Urt. v. 29.04.1998 – IV ZR 118/97 Rn. 10). Den Beweis des Gegenteils habe die Beklagte nicht erbracht. Ein Anscheinsbeweis für eine vorsätzliche Selbsttötung scheide aus, da es um eine individuelle Willensentscheidung gehe, die einer typisierenden Betrachtung nicht zugänglich sei (BGH, Urt. v. 18.03.1987 – IVa ZR 205/85 – BGHZ 100, 214 Rn. 7; Knappmann in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 178 Rn. 26 m.w.N.; Leverenz in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 178 Rn. 199). Zwar komme grundsätzlich ein Indizienbeweis in Betracht. Das Gericht könne allerdings in freier Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) aufgrund von Erfahrungssätzen und Hilfstatsachen zu der Überzeugung gelangen, die Vermutung sei widerlegt (BGH, Urt. v. 18.03.1987 – IVa ZR 205/85; OLG Köln, Urt. v. 26.02.2003 – 5 U 178/99 Rn. 2; OLG Hamm, Urt. v. 16.02.1979 – 20 U 257/77 – VersR 1982, 64; KG, Urt. v. 10.02.1987 – 6 U 5076/86 – VersR 1987, 777; Knappmann in: Prölss/Martin, VVG, § 178 Rn. 26; Leverenz in: Bruck/Möller, VVG, § 178 Rn. 198). Dies erfordere ein für das praktische Leben brauchbares Maß an Gewissheit, das restlichen Zweifeln Schweigen gebiete. Im konkreten Fall lasse sich aber weder aus den unstreitigen noch aus den von der Beklagten unter Beweis gestellten Umständen schließen, dass sich die Klägerin willentlich aus dem Fenster gestürzt habe. Dies wird seitens des OLG Karlsruhe weiter ausgeführt. Insbesondere wird auch Bezug genommen auf eine Erklärung der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht. Diese Erklärung sei plausibel und nicht widerlegt. In der Gesamtschau sei ein sicherer Schluss auf einen Suizidversuch bzw. die Freiwilligkeit der Gesundheitsschädigung nicht zulässig.
Die Beklagte habe auch nicht bewiesen, dass der Sturz alternativ auf eine Bewusstseinsstörung i.S.v. Ziffer 5.1.1 AUB 2000 zurückgeführt werden müsse. Auch dies wird unter Berücksichtigung der eigenen Erklärung der Klägerin und der Erkenntnisse anhand der Ermittlungsakte ausgeführt. Da die Beklagte nicht bestritten habe, dass sich die Klägerin in dem geltend gemachten Zeitraum wegen des Unfalls in medizinisch notwendiger vollstationärer Heilbehandlung befunden habe, bestehe daher ein entsprechender Anspruch auf Krankenhaustagegeld.
Hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche auf eine Invaliditätsleistung und auf eine Unfallrente sei die Klage dagegen unschlüssig. Es fehle an einer erforderlichen ärztlichen Invaliditätsfeststellung, bei der es sich um eine Anspruchsvoraussetzung handelt (Knappmann in: Prölss/Martin, VVG, Ziff. 2 AUB 2010 Rn. 12; Rixecker in: Langheid/Rixecker, VVG, 5. Aufl., § 186 Rn. 5). Eine solche ergebe sich weder aus dem mit der Klage vorgelegten Entlassungsbericht noch aus dem im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Attest. Das Oberlandesgericht führt aus, dass inhaltlich keine hohen Anforderungen an die Feststellung gestellt würden, eine solche aber dem Versicherer Gelegenheit geben müsse, seine Leistungspflicht zu prüfen und Spätschäden abzugrenzen (BGH, Urt. v. 07.03.2007 – IV ZR 137/06 Rn. 11; Rixecker in: Langheid/Rixecker, VVG, § 186 Rn. 5 f.). Daher müsse die Erklärung in der Sache bestätigen, dass innerhalb der Jahresfrist ein bestimmter, die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigender gesundheitlicher Dauerschaden eingetreten sei, der auf den streitgegenständlichen Unfall ursächlich zurückzuführen sei (BGH, Urt. v. 07.03.2007 – IV ZR 137/06 Rn. 12 ff.; BGH, Urt. v. 16.12.1987 – IVa ZR 195/86 Rn. 18). Unzureichend sei die bloße Darstellung der erhobenen Befunde und Diagnosen, wenn hierin keine wertende Prognose einer dauernden Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit enthalten ist (BGH, Urt. v. 07.03.2007 – IV ZR 137/06 Rn. 14; OLG Saarbrücken, Urt. v. 20.06.2007 – 5 U 70/07 – VersR 2008, 199; Rixecker in: Langheid/Rixecker, VVG, § 186 Rn. 7; Leverenz in: Bruck/Möller, VVG, AUB, Ziff. 2.1 Rn. 99 f.).
Das Oberlandesgericht erläutert dann anschließend, warum die genannten hier vorgelegten Berichte diesen Anforderungen nicht entsprechen. Der Entlassungsbericht enthielt schon keine Schlussfolgerung auf eine fortdauernde Beeinträchtigung der Klägerin. Aus dem in zweiter Instanz vorgelegten Attest lasse sich zudem nicht entnehmen, dass die Invalidität binnen Jahresfrist eingetreten ist und welche dauerhaften Beeinträchtigungen infolge des Unfalls vorliegen.
Ein weiteres in der Sitzung vom 01.02.2018 vorgelegtes Attest dürfte den inhaltlichen Anforderungen an eine Invaliditätsfeststellung zwar genügen, die Feststellung sei allerdings nicht innerhalb der 15-Monatsfrist erfolgt. Auf die Versäumung dieser Frist könne sich die Beklagte auch berufen, weil sie den Ehemann der Klägerin als damaligen Versicherungsnehmer den Anforderungen des § 186 VVG entsprechend rechtzeitig schriftlich auf die Notwendigkeit der Erstellung einer ärztlichen Invaliditätsfeststellung binnen einer Frist von 15 Monaten hingewiesen hat. Teilweise werde von einem Teil der Literatur die Auffassung vertreten, der Versicherer müsse bei einer Versicherung für fremde Rechnung auch die versicherte Person i.S.d. § 186 VVG aufklären, weil deren Informationsinteresse größer sei als das des Versicherungsnehmers (Brömmelmeyer in: Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG, 3. Aufl., § 186 Rn. 6; Götz in: Looschelders/Pohlmann, VVG, 3. Aufl., § 186 Rn. 5; Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl., AUB 2010 Nr. 2, Rn. 16; Kloth, RuS 2007, 397, 398). Teilweise werde eine Hinweispflicht gegenüber der versicherten Person nur dann angenommen, wenn diese selbst den Versicherungsfall angezeigt habe (Knappmann in: Prölss/Martin, VVG, § 186 Rn. 9; Jakob, Unfallversicherung, 2. Aufl., AUB 2014 Nr. 2.1 Rn. 110a; Rüffer in: HK-VVG, 3. Aufl., § 186 Rn. 3). Auch danach hätte hier im konkreten Fall ein Hinweis gegenüber der Klägerin erfolgen müssen, da sie nach ihrer unwidersprochen gebliebenen Behauptung in der Klageschrift den Schaden selbst gemeldet hatte.
Das OLG Karlsruhe schließt sich diesen Auffassungen allerdings nicht an. Ein Hinweis an den Versicherungsnehmer sei auch bei einer Versicherung für fremde Rechnung und bei einer Anzeige durch den Versicherten grundsätzlich ausreichend (so auch OLG Saarbrücken, Urt. v. 13.01.2016 – 5 U 13/15 Rn. 73 ff.; OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.01.2017 – 5 U 126/16 Rn. 17, für den Fall, dass die Verfügungsbefugnis – wie hier (Ziff. 12.1 AUB 2000) – nach den AUB dem Versicherungsnehmer zugewiesen ist; Leverenz in: Bruck/Möller, VVG, § 186 Rn. 20; Rixecker in: Langheid/Rixecker, VVG, § 186 Rn. 4; Kloth/Piontek, RuS 2017, 561, 562).
Aus § 191 VVG, wonach unter anderem von den §§ 178 Abs. 2 Satz 2 und 186 VVG nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers oder des Versicherten abgewichen werden darf, lasse sich kein Argument für eine analoge Anwendung des § 186 VVG auf den Versicherten ableiten. Die Erwähnung des Versicherten in § 191 VVG sei konsequent, weil § 178 Abs. 2 Satz 2 VVG sich auf die versicherte Person beziehe und bei einer Versicherung für fremde Rechnung die Nachteile in der Person des Versicherten eintreten (OLG Saarbrücken, Urt. v. 13.01.2016 – 5 U 13/15 Rn. 80).
Auch der Schutzzweck des § 186 VVG erfordere keine analoge Anwendung. Bei einer Versicherung für fremde Rechnung sei davon auszugehen, dass der Versicherungsnehmer, dem nach § 44 VVG grundsätzlich die alleinige Verfügungsbefugnis zugewiesen ist, auch für die Einhaltung der Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzung sowie Fristen zugunsten der versicherten Person Sorge tragen wird.
Eine generelle Hinweispflicht auch gegenüber dem mit dem Versicherungsnehmer nicht identischen Versicherten würde im Übrigen dem Normzweck des § 44 VVG widersprechen. Die grundsätzliche Zuweisung der Verfügungsbefugnis an den Versicherungsnehmer solle gewährleisten, dass sich der Versicherer im Interesse der Rechtssicherheit und der zweckmäßigen Abwicklung des Vertrages im Regelfall nur an den Versicherungsnehmer halten müsse (vgl. Klimke in: Prölss/Martin, VVG, § 44 Rn. 1).
Die Frage, ob der Versicherte bei offenkundiger Aufgabe der Verfügungsbefugnis durch den Versicherungsnehmer zugunsten des Versicherten (vgl. Leverenz, a.a.O.) gemäß § 186 VVG hinzuweisen ist, bedürfe keiner Entscheidung. Zu einer für den Versicherer erkennbaren Aufgabe der Verfügungsbefugnis zugunsten der Klägerin war es im konkreten Fall nicht gekommen. Vielmehr ist nach Ziffer 12.1 AUB 2000 die Befugnis, Rechte aus dem Vertrag gegenüber dem Versicherer geltend zu machen, ausschließlich dem Versicherungsnehmer zugewiesen (vgl. OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.01.2017 – 5 U 126/16).
Schließlich sei es auch unerheblich, dass die Beklagte Leistungen zunächst mit der Begründung, es handele sich um einen Suizidversuch, abgelehnt habe. Eine Leistungsablehnung des Versicherers ändere schließlich nichts daran, dass der Anspruch des Versicherungsnehmers nicht entstehe, wenn die Invalidität nicht (fristgerecht) ärztlich festgestellt worden ist (BGH, Urt. v. 07.03.2007 – IV ZR 137/06 Rn. 10 m.w.N.).
Im Hinblick auf die klärungsbedürftige Rechtsfrage, ob der Hinweis nach § 186 VVG auch gegenüber der versicherten Person erfolgen müsse, wurde die Revision zugunsten der Klägerin zugelassen.
C. Kontext der Entscheidung
Der Versicherer berief sich hier zunächst darauf, es läge ein freiwilliges Ereignis vor, andererseits könne der Fenstersturz nur als Folge einer Bewusstseinsstörung erklärt werden. Daher bedürfe es hier keiner näheren Entscheidung, warum nun letztlich kein Anspruch besteht. Entsprechend urteilte das LG Heidelberg. Auch das LG Dortmund (Urt. v. 28.02.2008 – 2 O 242/07 – VersR 2008, 1639) hatte in einer ähnlichen Fallkonstellation eine entsprechende Wahlfeststellung angenommen.
Das OLG Karlsruhe setzt sich in der Entscheidung insbesondere ausführlich mit den Erklärungsversuchen der Klägerin selbst auseinander und hält diese für plausibel, was bei näherer Auseinandersetzung mit dem veröffentlichten Akteninhalt allerdings durchaus kritisch gesehen werden kann. Schließlich muss berücksichtigt werden, dass nach einer Leistungsablehnung des Versicherers aufgrund einer behaupteten Freiwilligkeit seitens des Versicherungsnehmers nahezu regelmäßig weitere Erklärungsversuche nachgeschoben werden; dies entweder durch den Versicherungsnehmer selbst und/oder die versicherte Person, die bei einem entsprechenden Ereignis nicht zu Tode kam. Die gerichtliche Praxis zeigt, dass hier selbst bei evidenten Suizidversuchen oder auch Selbstverstümmelungssachverhalten teilweise doch recht abstruse Erklärungsversuche präsentiert werden. Das wirtschaftliche Interesse der jeweiligen Anspruchsteller ist in der Regel immens, da oftmals hohe Versicherungsleistungen im Streit stehen. Umso kreativer werden häufig die nachträglichen Erklärungsversuche, die sich spätestens dann im Prozess auch mit den detaillierten seitens des Versicherers eingewandten Indizien auseinandersetzen und diese entkräften sollen. Bei der Würdigung der seitens des Versicherers vorgetragenen Indizien einerseits und den oftmals nachträglich angepassten Erklärungsversuchen des Versicherungsnehmers und/oder des Versicherten andererseits ist eine besonders kritische Herangehensweise der Gerichte unter Beachtung der objektivierbaren Umstände und der gegenläufigen Interessen der Beteiligten erforderlich. Bei nachträglich angepassten Schilderungen ist die Plausibilität des Vortrages des Versicherungsnehmers und/oder des Versicherten gerade dann besonders kritisch zu betrachten, wenn es erhebliche Abweichungen zu den objektivierbaren zeitnah nach dem streitgegenständlichen Vorfall festgestellten Umständen gibt und auch Zeugenaussagen eindeutig für eine Freiwilligkeit sprechen.
Auch wenn sich aus der besprochenen Entscheidung sicher nicht die gesamten Einzelheiten des Vortrages der Klägerin ergeben und natürlich auch kein Eindruck von der Person der Klägerin und ihrem Auftreten vor Gericht nachvollzogen werden kann, erscheint es doch zweifelhaft, die nachträglichen Erklärungen der Klägerin tatsächlich als plausibel und nicht widerlegt anzusehen. Letztlich kam es im Hinblick auf die wirtschaftlich bedeutsamen geltend gemachten Ansprüche (Invaliditätsleistung/Rentenleistungen) auf diesen Umstand nicht entscheidend an, da ja lediglich ein verhältnismäßig geringer weiterer Krankenhaustagegeldanspruch zugesprochen wurde.
Das OLG Karlsruhe führt zutreffend aus, dass es sich bei der Vorlage einer inhaltlich ausreichenden ärztlichen Invaliditätsbescheinigung um eine Anspruchsvoraussetzung handelt. Demnach muss eine entsprechende Bescheinigung in jedem Fall vorgelegt werden. Sie kann auch nachträglich, also nach Ablauf der vertraglich vereinbarten Fristen, vorgelegt werden und erstellt worden sein, wenn sie inhaltlich ausreichend ist und sich der Versicherer auf das Fristversäumnis nicht wirksam berufen kann. Dies ist dann der Fall, wenn der Versicherer nicht nachweisen kann, dass er seiner Hinweispflicht nachgekommen ist. Diese Hinweispflicht besteht nach wohl überwiegender Auffassung allein gegenüber dem Versicherungsnehmer, wenn auch im konkreten Fall ein zusätzlicher Hinweis gegenüber der versicherten Person durchaus sinnvoll sein kann. Da der Meinungsstreit höchstrichterlich entschieden werden soll, hat das OLG Karlsruhe die Revision zugelassen. Die Revision wurde auch eingelegt. Das Aktenzeichen des BGH lautet IV ZR 73/18.
Die von Leverenz aufgeworfene Frage, ob der Versicherte bei offenkundiger Aufgabe der Verfügungsbefugnis durch den Versicherungsnehmer zugunsten des Versicherers anstelle des Versicherungsnehmers entsprechend § 186 VVG auf die Fristen hingewiesen werden muss, bedurfte im konkreten Fall keiner Entscheidung. Sollte nun der BGH entscheiden, wäre auch die Klärung dieser Frage wünschenswert.
Man wird eine solche Hinweispflicht in einer derartigen Fallkonstellation gegenüber dem Versicherten tatsächlich annehmen können. Ähnlich argumentiert wird bei der Frage der Aktivlegitimation der versicherten Person, wenn außergerichtlich allein mit dieser korrespondiert wurde. Auch hier wird zugunsten der versicherten Person die Aktivlegitimation bejaht, da sich der Versicherer außergerichtlich auf die Führung der Korrespondenz allein mit ihr eingelassen hat (OLG München, Urt. v. 22.04.2008 – 25 U 1834/08; OLG Köln, Beschl. v. 14.01.2008 – 20 U 161/07 – RuS 2008, 391; vgl. hierzu auch die Ausführungen des BGH, Urt. v. 13.09.2017 – IV ZR 302/16 Rn. 22).
D. Auswirkungen für die Praxis
In Anbetracht des Umstandes, dass die gegen die Entscheidung des OLG Oldenburg (Beschl. v. 09.01.2017 – 5 U 126/16) eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH zurückgewiesen wurde (BGH, Beschl. v. 06.12.2017 – IV ZR 31/17), wird abzuwarten sein, ob der BGH überhaupt weiteren Klärungsbedarf sieht. Das OLG Karlsruhe erläutert jedenfalls mit nachvollziehbaren Argumenten, warum in der Regel die nach § 186 VVG zu erteilenden Hinweise lediglich gegenüber dem Versicherungsnehmer erfolgen müssen und nicht auch gegenüber der versicherten Person. Da nicht selten darüber gestritten wird, ob der Versicherer inhaltlich ausreichende Hinweise erteilt hat, wäre eine klarstellende Entscheidung des BGH wünschenswert.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die inhaltlichen Anforderungen an eine ärztliche Invaliditätsfeststellung werden vom OLG Karlsruhe unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des BGH zutreffend dargestellt. Hierbei wird insbesondere verwiesen auf die Entscheidung des BGH vom 07.03.2007 (IV ZR 137/06), wobei zu erwähnen ist, dass sich der BGH zuletzt auch ergänzend zu dem geforderten Inhalt einer ärztlichen Invaliditätsfeststellung geäußert hat (BGH, Urt. v. 01.04.2015 – IV ZR 104/13).
Das OLG Karlsruhe sprach Krankenhaustagegeld in Höhe von insgesamt 6.264,00 Euro zu und führte zudem aus, dass die Beklagte auch verpflichtet ist, die Klägerin von ihren Rechtsanwaltskosten als Verzugsschaden freizustellen (§§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 2, 249 BGB). Als erstattungsfähig wurden Kosten in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr aus einem Streitwert von 6.300 Euro nebst Auslagenpauschale (Nr. 7200 VV-RVG) und Umsatzsteuer (Nr. 7800 VV-RVG) angesehen. Aufgrund einer vorgelegten Erklärung des Rechtsschutzversicherers bestanden keinerlei Zweifel an der auch insoweit gegebenen Aktivlegitimation der Klägerin.
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