Nachfolgend ein Beitrag vom 15.5.2018 von Müller-Christmann, jurisPR-BKR 5/2018 Anm. 5
Leitsätze
1. Der Behauptung des Kapitalanlegers, er sei vor seiner Anlageentscheidung über bestimmte Risiken und Eigenschaften der Anlage nicht mündlich aufgeklärt worden, darf die auf Schadensersatz in Anspruch genommene Anlageberatungsgesellschaft nicht nur bloße Vermutungen entgegensetzen. Auch mit Nichtwissen darf sie diese Behauptung nicht bestreiten.
2. Gleiches gilt für die Behauptung des Kapitalanlegers, ihm sei der Emissionsprospekt für die streitgegenständliche Kapitalbeteiligung nicht früher als am Tag seines Beitritts übergeben worden.
3. Derartige Formen des Bestreitens solcher negativen Tatsachen sind auch dann nicht zulässig, wenn die Anlageberatungsgesellschaft alle für sie verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft und dennoch keine eigenen Kenntnisse über den von einem für sie tätigen Handelsvertreter durchgeführten Beratungsvorgang gewonnen hat.
A. Problemstellung
In nahezu jeder Schadensersatzklage eines Anlegers wird der Ablauf des Beratungsgesprächs unterschiedlich dargestellt. Da die allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislastverteilung im Zivilprozess auch für die Haftungsklage des Anlegers gelten, muss dieser sämtliche anspruchsbegründenden Tatsachen darlegen und ggf. beweisen. Dies kann den Kläger in die unangenehme Situation bringen, eine negative Tatsache (z.B. das Fehlen eines Hinweises) nachweisen zu müssen. Die Rechtsprechung hilft dem Anleger insoweit mit einer sekundären Behauptungslast des Beraters, d.h. dieser muss darlegen, wie er die geschuldete Aufklärung vorgenommen hat.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger verlangte von der Beklagten Schadensersatz mit der Behauptung, er sei im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Beteiligung an einem geschlossenen Tankschiffsfonds fehlerhaft beraten worden. Im Einzelnen ging es um die Aufklärung über die Höhe der Eigenkapitalbeschaffungskosten, die 15% des vom Anleger einzubringenden Kapitals überschritten und über das Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung nach § 172 Abs. 4 HGB. Das Landgericht war zum Ergebnis gekommen, dass der Kläger über die beiden vorgenannten Umstände vor der Unterzeichnung der Beitrittserklärung mündlich nicht aufgeklärt wurde. Die Beklagte hatte „Hergang und Inhalt des Vermittlungsgesprächs“ mit Nichtwissen bestritten.
Das OLG Celle hat dieses Bestreiten mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) für unzulässig gehalten.
Die Behauptung des Klägers, über die Höhe der Eigenkapitalbeschaffungskosten sowie das Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung nicht aufgeklärt worden zu sein, betreffe eine negative Tatsache, die der Anspruchsgegner nicht mit Nichtwissen bestreiten dürfe. Den Anspruchsgegner, der die Behauptung einer negativen Tatsache nicht hinnehmen möchte, treffe eine eigene Darlegungslast, nicht nur eine Bestreitenslast.
C. Kontext der Entscheidung
I. Bestehen einer Aufklärungspflicht
Keiner weiteren Erörterung bedürfen die Ausführungen im Besprechungsurteil zur Notwendigkeit einer objektgerechten Aufklärung. Danach ist ein (freier) Anlageberater verpflichtet, den Anleger darüber aufzuklären, dass die Eigenkapitalbeschaffungskosten der empfohlenen Beteiligung eine Größenordnung von 15% des von den Anlegern einzubringenden Kapitals überschreiten (BGH, Urt. v. 03.03.2011 – III ZR 170/10 Rn. 16, 22 – WM 2011, 640). Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, dass Vertriebsprovisionen solchen Umfangs auf eine geringere Werthaltigkeit und Rentabilität der Kapitalanlage schließen lassen und dies einen für die Anlageentscheidung bedeutsamen Umstand darstellt. Die Beklagte musste den Kläger außerdem über das aus § 172 Abs. 4 HGB folgende Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung aufklären. Eine dahingehende Aufklärungspflicht trifft grundsätzlich jeden Anlageberater, und zwar auch dann, wenn nur ein Bruchteil der Zeichnungssumme als Haftkapital in das Handelsregister eingetragen wird (BGH, Urt. v. 04.12.2014 – III ZR 82/14 Rn. 10 f. – ZIP 2015, 79; BGH, Urt. v. 18.02.2016 – III ZR 14/15 – WM 2016, 504 m. Anm. Müller-Christmann, jurisPR-BKR 1/2017 Anm. 3).
Die ausführlichen und detaillierten Darlegungen im Urteil zur Beweiswürdigung sollen hier nicht weiter kommentiert werden, weil sie einzelfallbezogen sind. Von Interesse sind dagegen die grundsätzlichen Erwägungen zum Bestreiten mit Nichtwissen und zur sekundären Darlegungslast. Diese beiden prozessualen Aspekte sollen im Folgenden näher in den Blick genommen werden.
II. Bestreiten mit Nichtwissen
Der unter Berufung auf eine Entscheidung des BGH (Beschl. v. 10.02.2011 – IX ZR 45/08 Rn. 2) aufgestellte Rechtssatz, negative Tatsachen dürfe der Anspruchsgegner nicht mit Nichtwissen bestreiten, existiert so nicht. Zunächst kann der erwähnten Entscheidung des IX. Zivilsenats des BGH eine Aussage des Inhalts, wie vom OLG Celle wiedergegeben, nicht entnommen werden. Zwar taucht der Begriff der negativen Tatsache in der zitierten Randnummer des Urteils auf, die Kernaussage lautet jedoch nur, dass der (steuerliche oder rechtliche) Berater, dem ein Unterlassen der gebotenen Belehrung zur Last gelegt wird, sich nicht damit begnügen kann, eine Pflichtverletzung zu bestreiten oder allgemein zu behaupten, er habe den Mandanten ausreichend unterrichtet. § 138 Abs. 4 ZPO macht die Zulässigkeit des Bestreitens mit Nichtwissen nicht davon abhängig, ob Gegenstand der zu bestreitenden Behauptung das Vorliegen oder das Fehlen einer Tatsache ist. Die Vorschrift knüpft die Zulässigkeit des Bestreitens mit Nichtwissen allein daran, ob die zu bestreitende Tatsache Gegenstand eigener Handlungen oder Wahrnehmungen war. Eine Einschränkung wird von der h.M. (BGH, Urt. v. 07.10.1998 – VIII ZR 100/97 – NJW 1999, 53; Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 138 Rn. 15) lediglich insofern gemacht, als einer Partei eine Erkundigungspflicht auferlegt wird, sofern die maßgebenden Tatsachen Personen bekannt sind, die in ihrem Unternehmen oder sonst unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig sind (BGH, Urt. v. 22.04.2016 – V ZR 256/14 Rn. 20 ff. – WM 2016, 1384). Dies hat zur Folge, dass eine Erklärung mit Nichtwissen unzulässig ist, wenn und soweit diese Informationspflicht besteht. Um eine solche Situation handelt es sich im vorliegenden Fall jedoch nicht.
Die Frage ist nicht, ob die Voraussetzungen für ein Bestreiten mit Nichtwissen gegeben waren, sondern welche Anforderungen an ein Bestreiten der klägerischen Behauptung, nicht aufgeklärt worden zu sein, zu stellen sind. Der Umfang der Erklärungslast des Gegners (§ 138 Abs. 2 ZPO) als Ausfluss des Verhandlungsgrundsatzes und der Prozessförderungspflicht richtet sich nach dem Umfang des Vortrags der anderen Partei (BGH, Urt. v. 03.02.1999 – VIII ZR 14/98 – NJW 1999, 1404; Prütting in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9. Aufl. 2017, § 138 Rn. 10). Nur und erst durch substantiierten Vortrag des Klägers wird der Beklagte zu einer substantiierten Einlassung angehalten. Beschränkt sich der Anspruchsteller auf einen zwar schlüssigen, aber nicht weiter substantiierten Vortrag, kann sich der Anspruchsgegner auf das bloße Bestreiten beschränken. Ein einfaches Bestreiten genügt nicht mehr, wenn der Kläger genauere Angaben zu einer behaupteten Tatsache macht. Dann hat auf das substantiierte Vorbringen der einen Seite ein gezieltes Bestreiten auf der Gegenseite zu erfolgen, wobei die Gegenerklärung grundsätzlich die gleiche Substanz aufweisen muss (BGH, Urt. v. 11.03.2010 – IX ZR 104/08 Rn. 16 – NJW 2010, 1357; Gerken in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 138 Rn. 24). Ein einfaches Bestreiten genügt auch dann nicht, wenn den Anspruchsgegner eine erweiterte Darlegungslast trifft.
III. Sekundäre Darlegungslast
Von sekundärer Darlegungslast spricht man, wenn die nach allgemeinen Regeln darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der relevanten Tatsachen besitzt, während der Gegner diese Kenntnis hat (oder haben könnte) und ihm nähere Angaben zumutbar sind (BGH, Urt. v. 11.06.1990 – II ZR 159/89 – NJW 1990, 3151; BGH, Urt. v. 14.06.2005 – VI ZR 179/04 – NJW 2005, 2614; Fritsche in: MünchKomm ZPO, 5. Aufl. 2016, § 138 Rn. 22). Von der Partei, die die sekundäre Darlegungslast trifft, kann verlangt werden, konkrete und nachvollziehbare Tatsachen vorzutragen und dadurch im Einzelnen darzulegen, dass die zugrunde liegende Behauptung der beweisbelasteten Partei unzutreffend ist. Dafür genügt ein bloßes Bestreiten nicht, natürlich auch nicht ein Bestreiten mit Nichtwissen.
Eine solche Situation liegt allerdings in Anlageberatungsfällen nicht zwingend vor, weil der Anleger nicht außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs steht, sondern wie der Anlageberater Einblick in den Beratungsablauf hat. Auch wird man nicht sagen können, dass es bei der (fehlenden) Beratung um Umstände geht, die sich in der Sphäre des Beweisgegners abspielen und die der Anspruchsteller nicht kennen kann (so aber Laumen in: Handbuch der Beweislast, 3. Aufl. 2016, Kap. 20 Rn. 19). Gleichwohl ist dem OLG Celle zuzustimmen, dass dann, wenn ein Anspruchsteller eine negative Tatsache behauptet, der dies bestreitende Anspruchsgegner aktiv darlegen muss, wann und wie sich die Tatsache verwirklicht haben soll. Man muss nicht soweit gehen, darin eine „eigenständige prozessuale Rechtsfigur“ zu sehen (Besprechungsurteil Rn. 10). Wenn der Anspruchsteller die negative Tatsache behauptet, nicht aufgeklärt worden zu sein, gehört es zu der aus § 138 Abs. 2 ZPO folgenden Pflicht zur vollständigen Erklärung über die vom Gegner behaupteten Tatsachen, dass der Anspruchsgegner darlegt, wie er die Aufklärung vorgenommen hat. Auch wenn die Begründung einige Umwege geht, liegt das OLG Celle somit im Ergebnis richtig.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung ist ein weiterer Beleg für die These, dass der Ausgang von Schadensersatzprozessen wegen fehlerhafter Anlageberatung häufig von der Existenz und der Qualität der Beweismittel abhängt und letztlich Regeln der Darlegungs- und Beweislast das Ergebnis bestimmen.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Ebenfalls mit Fragen der Darlegungslast befassen sich die Ausführungen, mit denen ein Anspruch auf entgangenen Gewinn abgelehnt wird. Zutreffend weist das OLG Celle darauf hin, dass sich der Anleger insoweit zwar auf die allgemeine Lebenserfahrung berufen kann, dass Eigenkapital ab einer gewissen Höhe erfahrungsgemäß nicht ungenutzt liegen bleibt, sondern zu einem allgemein üblichen Zinssatz angelegt wird (BGH, Urt. v. 08.05.2012 – XI ZR 262/10 Rn. 64 – NJW 2012, 2427). Indes trägt der Geschädigte die Darlegungs- und Beweislast dafür, ob und in welcher Höhe ihm durch das schädigende Ereignis ein Gewinn entgangen ist. § 252 Satz 2 BGB enthält für den Geschädigten lediglich eine die Regelung des § 287 ZPO ergänzende Darlegungs- und Beweiserleichterung. Der Geschädigte kann sich deshalb zwar auf die Behauptung und den Nachweis der Anknüpfungstatsachen beschränken, bei deren Vorliegen die in § 252 Satz 2 BGB geregelte Vermutung eingreift. Die Wahrscheinlichkeit einer Gewinnerzielung i.S.v. § 252 BGB aufgrund einer zeitnahen alternativen Investitionsentscheidung des Geschädigten und deren Umfang kann jedoch nur anhand seines Tatsachenvortrages dazu beurteilt werden, für welche konkrete Form der Kapitalanlage er sich ohne das schädigende Ereignis entschieden hätte (BGH, Urt. v. 24.04.2012 – XI ZR 360/11 Rn. 13 – WM 2012, 1188).
Die pauschale Behauptung, „der Kläger hätte bei fehlerfreier Beratung durch die Beklagte sein Geld zinsträchtig anlegen können“ und er hätte „alternativ wenigstens die durch Festgeld erreichbare Durchschnittsrendite mit Wahrscheinlichkeit erzielt“, genügt den Anforderungen nicht.
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