Nachfolgend ein Beitrag vom 26.4.2017 von von Roetteken, jurisPR-ArbR 17/2017 Anm. 6

Leitsätze

1. Die bevorzugte Beförderung von Frauen bei „im Wesentlichen gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung“ (§ 19 Abs. 6 Satz 2 LBG NRW i.d.F. des Dienstrechtsmodernisierungsgesetzes vom 14.06.2016, GV.NRW. S. 309) steht mit Verfassungsrecht in Einklang.
2. Die Verlagerung des Qualifikationsvergleichs bei einer Beförderungskonkurrenz von weiblichen und männlichen Beamten (§ 19 Abs. 6 Satz 3 LBG NRW verstößt jedoch gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG).
3. Der Verfassungsauftrag in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG rechtfertigt diese Einschränkung des Qualifikationsvergleichs nicht.
a) Zwischen Art. 3 Abs. 2 Satz 2 und Art. 33 Abs. 2 GG besteht im Grundsatz kein Widerspruch, der im Wege praktischer Konkordanz aufzulösen wäre. Vielmehr besteht eine Kongruenz in der Zielsetzung beider Vorschriften.
b) Die in der Realität bestehenden Defizite in der Gleichheit der Geschlechter bei der Besetzung von Beförderungsämtern können durch Maßnahmen im Vorfeld von Beförderungsentscheidungen ausgeglichen werden.
c) Hierfür bietet sich neben Fördermaßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie das Feld der dienstlichen Beurteilungen an, bei deren Erstellung die Befähigungs- und Eignungsmerkmale stärker gewichtet werden können als bisher üblich. Hierdurch wird zugleich erreicht, dass der Gleichberechtigungsgedanke vor allem Bediensteten mit einer frauentypischen Doppelbelastung zugutekommt und nicht ohne Grund an das weibliche Geschlecht als solches anknüpft.

A. Problemstellung

Das OVG Münster hatte über eine Reihe von Beschwerden in Eilverfahren zu entscheiden, in denen das erstinstanzliche Verwaltungsgericht die unter Bezug auf § 19 Abs. 6 Sätze 2 und 3 LBG NRW in seiner ab 2016 geltenden Fassung die Auswahlentscheidungen zugunsten einer Frau angehalten hatte. § 19 Abs. 6 Satz 2 LBG sieht vor, dass Frauen bei einer nach § 19 Abs. 6 Sätze 4 und 5 LBG NRW bestehenden Unterrepräsentanz von Frauen bei einer im Wesentlichen gleichen Qualifikation (Eignung, Befähigung, fachliche Leistung) im Verhältnis zu einem Mann zu befördern sind, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen. Nach § 19 Abs. 6 Satz 3 LBG NRW ist von einer im Wesentlichen gleichen Qualifikation auszugehen, wenn die jeweils aktuelle dienstliche Beurteilung der Bewerberin und des Mitbewerbers ein gleichwertiges Gesamturteil aufweisen. § 7 Abs. 3 Satz 4 LGG NRW lässt § 19 Abs. 6 Satz 3 LBG entsprechend für Auswahlentscheidungen gegenüber Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gelten, wenn die Auswahl auf der Grundlage dienstlicher Beurteilungen erfolgt. In der der Beschwerdeentscheidung zugrundeliegenden Ausgangsentscheidung hatte des VG Düsseldorf angenommen, § 19 Abs. 6 Satz 3 LBG NRW sei mit § 9 BeamtStG unvereinbar und verstoße zudem gegen Art. 33 Abs. 2 GG, da eine Rechtfertigung nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG nicht in Betracht komme (VG Düsseldorf, Beschl. v. 07.09.2016 – 2 L 2825/16).

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das OVG Münster lässt eingangs seiner Entscheidung im Gegensatz zum VG Düsseldorf (und anderen ähnlich entscheidenden Verwaltungsgerichten in Nordrhein-Westfalen) offen, ob § 19 Abs. 6 Satz 3 LBG NRW bereits deshalb verfassungswidrig ist, weil § 9 BeamtStG keine § 9 Satz 2 BBG entsprechende Regelung enthält und damit für einen landesrechtlichen Eingriff in das in § 9 BeamtStG abschließend definierte Prinzip der Bestenauslese bei gleichzeitig ausgesprochenem Verbot, mit Rücksicht auf das Geschlecht Ernennungen vorzunehmen, vereinbar sei.
Das Oberverwaltungsgericht sieht in § 19 Abs. 6 Satz 3 LBG NRW einen Eingriff in Art. 33 Abs. 2 GG, der auch für die Übertragung höherwertiger Dienstposten als Vorstufe einer späteren entsprechenden Beförderung (Ernennung) uneingeschränkt gelte. Der danach nötige Qualifikationsvergleich erfordere im Falle einer nach Maßgabe der Gesamturteile festgestellten im Wesentlichen gleichen Qualifikation im nächsten Schritt, auf einzelne Gesichtspunkte von besonderer Bedeutung abzustellen und dazu die dienstlichen Beurteilungen umfassend inhaltlich auszuwerten und Differenzierung in der Bewertung der einzelnen Leistungskriterien oder in der verbalen Gesamtwürdigung unter Anlegung gleicher Maßstäbe zur Kenntnis zu nehmen. Solange – entsprechende – unmittelbar leistungsbezogene Erkenntnisse für den Vergleich vorlägen, müssten sie vorrangig vor anderen Kriterien wie etwa dem der Frauenförderung oder dem Dienstalter herangezogen werden. Das sei im streitigen Auswahlverfahren im Hinblick auf § 19 Abs. 6 Satz 3 LBG NRW – zu Unrecht – unterblieben.
Das Oberverwaltungsgericht hält allerdings die Regelung in § 19 Abs. 6 Satz 2 LBG NRW für verfassungsrechtlich zulässig, da auf eine im Wesentlichen gleiche Qualifikation schon deshalb abgestellt werden dürfe, weil eine absolut gleiche Qualifikation allenfalls in Ausnahmefällen gegeben sei und geringfügige Qualifikationsunterschiede im Interesse einer praxisgerechten Handhabung vernachlässigt werden dürfen. Verfassungswidrig sei dagegen die Beschränkung des Qualifikationsvergleichs auf die Berücksichtigung der Gesamturteile in § 19 Abs. 6 Satz 3 LBG NRW. Auf der Ebene des Qualifikationsvergleichs, zu dem das Oberverwaltungsgericht auch die Ausschöpfung der Beurteilungen rechnet, ist seiner Auffassung nach kein Raum für eine Frauenförderung.
Zur Rechtfertigung beruft sich das Oberverwaltungsgericht darauf, Art. 3 Abs. 2 GG sei nicht darauf gerichtet, die Geltung des Leistungsgrundsatzes nach Art. 33 Abs. 2 GG zu beschränken. Die Berücksichtigung der Gleichberechtigung sei von Verfassungswegen auf die Fälle gleicher Qualifikation beschränkt. Im Übrigen sei die Herstellung einer ggf. nötigen praktischen Konkordanz zwischen Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 33 Abs. 2 GG auf eine Weise möglich, die in die Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG weniger stark eingreife. So kämen zur Beseitigung von Nachteilen von Frauen Maßnahmen im Vorfeld von Auswahlentscheidungen in Betracht, z.B. auf der Ebene der Qualifikationsbewertung. Eignungsaussagen müssten nicht zwingend allein oder vorrangig an die erbrachten dienstlichen Leistungen oder die im Beruf erworbenen Erfahrungen anknüpfen. So könnten tatsächliche Doppelbelastungen von Frauen stärker berücksichtigt werden. Auch könnten Befähigungsmerkmale stärker einfließen.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des OVG Münster beruht auf zwei Grundannahmen. Die erste geht dahin, Art. 33 Abs. 2 GG verlange eine Ausschöpfung dienstlicher Beurteilungen auch dann, wenn sich aus deren für maßgeblich erachteten Gesamturteilen der Schluss ziehen lässt, mehrere Personen seien jedenfalls im Wesentlichen gleich qualifiziert. Diese Auslegung setzt mit der vom Oberverwaltungsgericht genannten Rechtsprechung des BVerwG in seinen Urteilen vom 19.12.2002 (2 C 31/01 – ZBR 2003, 359) ein, wird in dessen Urteil vom 27.02.2003 (2 C 16/02 – ZBR 2003, 420) fortgeführt, findet sich aber auch z.B. in seinem Urteil vom 30.06.2011 (2 C 19/10 – ZBR 2012, 42, 43 Rn. 17) und dem grundlegenden Beschluss vom 20.06.2013 (2 VR 1/13 Rn. 46 – ZBR 2013, 376, 380). Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts (wie auch des BVerwG) hat sich das BVerfG bisher nicht auf eine solche weitgehende Auslegung von Art. 33 Abs. 2 GG festgelegt. In seinem – zur Topfwirtschaft nach § 18 Satz 2 BBesG ergangenen – Beschluss vom 16.12.2015 (2 BvR 1958/13 – ZBR 2016, 128) führt der 2. Senat aus, der durch Art. 33 Abs. 2 GG gebotene Qualifikationsvergleich sei vor allem (d.h. nicht allein) anhand dienstlicher Beurteilungen vorzunehmen. Die Beurteilungen seien, soweit aussagekräftig, in ihrer Gesamtheit zugrunde zu legen, wobei in erster Linie das Gesamturteil maßgebend sei. In bestimmten Fällen lasse Art. 33 Abs. 2 GG es allerdings zu, im Anschluss an den Vergleich der Gesamturteile wesentliche Einzelaussagen der Beurteilungen zur Vergleichsgrundlage zu nehmen. Das komme vor allem bei gleichen Gesamturteilen in Betracht (BVerfG, Beschl. v. 16.12.2015 – 2 BvR 1958/13 Rn. 58 f., 63 – ZBR 2016, 128).
Ausgehend davon lässt sich die vom BVerwG und ihm folgend vom Oberverwaltungsgericht aufgestellte These, Art. 33 Abs. 2 GG verlange für die Anwendung des Prinzips der Bestenauslese bei gleichen Gesamturteilen eine Ausschöpfung der dienstlichen Beurteilungen nach ihren Einzelaussagen, nicht aufrechterhalten. Der nach § 31 Abs. 1 BVerfGG insoweit bindende Beschluss des BVerfG spricht für die gegenteilige Ansicht. Er will eine Ausschöpfung dienstlicher Beurteilungen lediglich zulassen, ohne eine Verpflichtung verfassungsrechtlich zu begründen. Eine entsprechende Verpflichtung könnte sich allenfalls aus dem einfachen Recht ergeben, ist dort aber nicht aufgestellt worden.
Das Oberverwaltungsgericht nimmt diese Rechtsprechung nicht vollständig zur Kenntnis, obwohl es den Beschluss des BVerfG vom 16.12.2015 anführt. Für die weitreichende Annahme, ein förmliches Gesetz sei verfassungswidrig, muss verlangt werden, dass – ungeachtet des ggf. abweichenden eigenen Standpunkts – zumindest die bisher erfolgte Auslegung der maßgeblichen Bestimmung des GG vollständig und in ihren Differenzierungen tatsächlich zur Kenntnis genommen wird.
Im Übrigen ergibt sich aus den zuvor dargestellten Entscheidungsgründen des BVerfG, einer Senatsentscheidung, nicht nur eines Kammerbeschlusses, dass jedenfalls Art. 33 Abs. 2 GG einer landesrechtlichen Regelung i.S.d. § 19 Abs. 6 Satz 3 LBG NRW nicht entgegensteht. Der Landesgesetzgeber knüpft in § 19 Abs. 6 Satz 2 LBG NRW an den Tatbestand der im Wesentlichen gleichen Qualifikation an, wie er vom BVerfG ausdrücklich für richtig, zumindest aber zulässig gehalten wird (BVerfG, Beschl. v. 16.12.2015 – 2 BvR 1958/13 Rn. 59 f., 63). Wenn dieser Ansatz in § 19 Abs. 6 Satz 3 LBG NRW konkretisiert wird, indem bei gleichwertigen Gesamturteilen – was ggf. einen gewissen Prüfungsaufwand erfordern kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.12.2015 – 2 BvR 1958/13 Rn. 63) – eine Ausschöpfung der dienstlichen Beurteilungen untersagt wird, so hält sich dies eindeutig innerhalb des vom BVerfG im Jahr 2015 vorgezeichneten Rahmens. Die sich aus den dienstlichen Beurteilungen ergebenen Einzelwertungen sind damit nicht bedeutungslos, können aber die Annahme der in etwa gleichen Qualifikation nicht hindern, sondern müssen ggf. als individuelle Gründe in der Person des Mitbewerbers und der Bewerberin zur Erfüllung des unionsrechtlichen Gebots der Einzelfallprüfung in die Überlegungen einbezogen werden (zu diesem Gebot EuGH, Urt. v. 11.11.1997 – C-409/95 Rn. 33 f. – NZA 1997, 1337, 1338 f. – „Marschall“). Diese Einzelfallprüfung ist jedoch vom Qualifikationsvergleich selbst zu unterscheiden.
Soweit das OVG Münster anführt, auch der EuGH lasse eine Bevorzugung von Frauen bei Unterrepräsentanz nur bei gleicher Qualifikation zu, wird unterschlagen, dass der EuGH in seinem Urteil vom 06.07.2000 (C-407/98 – NZA 2000, 935 – „Abrahamsson u. Anderson“) eine solche Bevorzugung schon zulässt, wenn eine Bewerberin eine fast gleichwertige Qualifikation im Verhältnis zu einem Mann aufweist (EuGH, Urt. v. 06.07.2000 – C-407/98 Rn. 60 ff. – NZA 2000, 935 S. 939). Das ist genau das, was sich in § 19 Abs. 6 Sätze 2 und 3 LBG NRW wiederfindet. Auch hier wäre es angesagt gewesen, die einschlägige Rechtsprechung vollständig zur Kenntnis zu nehmen, zumal sie in dem der Neufassung von § 19 LBG NRW zugrunde liegenden Gutachten von Papier/Heidebach ausdrücklich und eingehend referiert worden ist (vgl. die Kurzfassung des Gutachtens in DVBl. 2015, 125).
Die zweite Grundannahme des OVG Münster fußt auf der Auslegung von Art. 3 Abs. 2 GG im Verhältnis zu Art. 33 Abs. 2 GG. Hier stützt sich das Oberverwaltungsgericht in der Sache auf die These des BVerwG, wonach Art. 3 Abs. 2 GG nicht auf eine Einschränkung von Art. 33 Abs. 2 GG ziele (BVerwG, Urt. v. 30.06.2011 – 2 C 19/10 Rn. 21 – ZBR 2012, 42, 43). Damit ist allerdings schon die Frage falsch gestellt. Es kann allein darauf ankommen, ob der Staat als Adressat seiner sich aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Verpflichtungen ggf. verfassungsrechtlich zumindest berechtigt ist, die mangelnde tatsächliche Chancengleichheit von Frauen beim Zugang zu öffentlichen Ämtern (EuGH, Urt. v. 11.11.1997 – C-409/95 Rn. 23 f. – NZA 1997, 1337, 1338) durch Maßnahmen zu kompensieren, die zwar äußerlich als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot in Erscheinung treten, in Wahrheit aber nur die in der sozialen Wirklichkeit bestehenden faktischen Ungleichheiten beseitigen oder verringern sollen (EuGH, Urt. v. 11.11.1997 – C-409/95 Rn. 26 m.w.N.). Dies als Ausgangspunkt genommen, besteht schon vom Ansatz her kein Gegensatz von entsprechenden Kompensationsmaßnahmen zu Art. 33 Abs. 2 GG, der vorrangig eine Konkretisierung des Rechts der staatsbürgerlichen Gleichheit darstellt. Ist diese im Geschlechterverhältnis nur unvollkommen gewährleistet, können sich entsprechende Ausgleichsmaßnahmen grundsätzlich nicht im Gegensatz zu Art. 33 Abs. 2 GG bewegen. Wenn gerade die Anwendung des Prinzips der Bestenauslese in der Praxis der Dienstherren und Gerichte dafür sorgt, dass die tatsächliche Chancengleichheit der Geschlechter nicht hinreichend durchgesetzt wird, kann das Prinzip der Bestenauslese in seiner bisherigen Anwendungsform nicht der Durchsetzung der Chancengleichheit entgegengesetzt werden, und zwar schon deshalb, weil es diese Chancengleichheit selbst beeinträchtigt. Das Oberverwaltungsgericht räumt dies auch ein, wenn es die Notwendigkeit von – anderweitigen – Kompensationsmaßnahmen ausdrücklich anspricht. Dabei verkennt es jedoch, dass Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG in erster Linie dem Gesetzgeber die Aufgabe zuweist, Nachteilsausgleichsmaßnahmen festzulegen und auch die dafür zu beschreitenden Wege vorzugeben. Die Gerichte haben diese bereits von Verfassungswegen bestehende Gestaltungs- und Entscheidungsprärogative zu akzeptieren, anstelle eigene Wertungen an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers zu setzen (zum Ermessensspielraum des Gesetzgebers BVerfG, Beschl. v. 02.04.1996 – 2 BvR 169/93 – NVwZ 1997, 54, 55). Diese grundlegenden Vorgaben lässt das OVG Münster außer Acht.
Davon abgesehen ergibt sich aus Art. 3 Abs. 2 GG sehr wohl die Berechtigung des Gesetzgebers, ggf. die Anwendung des Prinzips der Bestenauslese in Art. 33 Abs. 2 GG zum Ausgleich von Nachteilen, die von Verfassungs wegen zu beseitigen sind, für Zwecke der Frauenförderung einzuschränken (vgl. BVerfG, Beschl. v. 02.04.1996 – 2 BvR 169/93 – NVwZ 1997, 54, 55 dort zu Art. 6 Abs. 4 GG und § 125b BRRG). Weder das BVerwG noch das OVG Münster nehmen dies zur Kenntnis, da sie entgegen dem BVerfG von einer Unbeschränkbarkeit des Art. 33 Abs. 2 GG ausgehen, soweit dafür Art. 3 Abs. 2 GG herhalten soll.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des OVG Münster erinnert an die vermeintlich längst beendeten Auseinandersetzungen zur Verhältnis von Bestenauslese, Chancengleichheit und Frauenförderung in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Weil sich die zur Verbesserung der Chancen von Frauen bisher eingesetzten Mittel durchweg als zu wenig effektiv erwiesen haben, hat der Landesgesetzgeber in Nordrhein-Westfalen einen neuen Weg beschritten, der durch das sorgfältige Gutachten von Papier/Heidebach vorgezeichnet war. Eine Auseinandersetzung damit und mit dort festgestellten Defiziten im bisherigen Recht vermeidet das OVG Münster. Das geschah wohl auch deshalb, weil in dem Gutachten die verwaltungsgerichtliche Judikatur einer herben Kritik im Hinblick darauf unterzogen wird, was sie für die Einhaltung des Grundrechts der Gleichberechtigung geleistet hat.
Für die Praxis stellt sich die Lage als sehr schwierig dar, solange keine Klärung durch das BVerfG erfolgt ist. Allerdings sind die Arbeitsgerichte an die Auslegung des OVG Münster nicht gebunden, sondern können einen abweichenden Standpunkt einnehmen.
Werden Bewerberinnen unter Nichtanwendung von § 19 Abs. 6 Satz 3 LBG NRW abgelehnt und können sie geltend machen, bei Anwendung dieser Regelung eine realistische Erfolgschance zu haben, so können diese Frauen gegen die Auswahl eines männlichen Konkurrenten ebenfalls einen Konkurrenzschutzantrag stellen und als verletzte Rechte neben Art. 33 Abs. 2 GG auch Art. 3 Abs. 2 GG angeben. § 19 Abs. 6 Sätze 2 und 3 LBG NRW stellt nämlich eine Regelung zur Durchsetzung der Gleichberechtigung dar und nimmt damit am Schutz des Art. 3 Abs. 2 GG teil (vgl. zu § 611a BGB BVerfG, Beschl. v. 16.11.1993 – 1 BvR 258/86 – BVerfGE 89, 276, 287 f.). Insoweit kommt gegen eine für eine Bewerberin negative zweitinstanzliche Entscheidung im Eilverfahren auch eine Verfassungsbeschwerde und eine entsprechende einsteilige Anordnung nach § 32 BVerfGG in Betracht.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das OVG Münster ist der Frage der Vereinbarkeit von § 19 Abs. 6 Satz 3 LBG NRW mit § 9 BeamtStG nicht nachgegangen. Erstinstanzliche Verwaltungsgerichte haben insoweit die Auffassung vertreten, § 9 BeamtStG schließe eine Regelung aus, wie sie in § 19 Abs. 6 Satz 3 LBG NRW getroffen worden ist. Auch diese Frage stellt einen Wiedergänger der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts dar.
Der StGH Wiesbaden hat in seinem Beschluss vom 16.04.1997 (P.St. 1202 – ZBR 1997, 313, 315) angenommen, landesrechtliche Regelungen zur Frauenförderung verstießen nicht gegen § 7 BRRG, dem § 9 BeamtStG hinsichtlich der Aussagen zum Prinzip der Bestenauslese und des Verbots einer Benachteiligung wegen des Geschlechts entspricht. Das war und ist schon deshalb richtig, weil der Bundesgesetzgeber über Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG die Fragen der Gleichstellung in den öffentlichen Diensten der Länder keinesfalls abschließend, sondern allenfalls in Teilaspekten regeln kann, vorausgesetzt, § 9 BeamtStG stellt überhaupt eine Regelung der Statusrechte und -pflichten i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG dar. Das ist schon deshalb zumindest zweifelhaft, weil alle Laufbahnfragen dort der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder zugewiesen sind.
Auf eine Regelung gleichstellungsrechtlicher Fragen hat das BeamtStG bewusst verzichtet und damit das gesamte Themenfeld den einzelnen Ländern überlassen. Diese können an das BGleiG angelehnte Regelungen erlassen, aber auch eigene Wege gehen. § 9 BeamtStG steht dem nicht entgegen, da auch hier zu berücksichtigen ist, dass die Zielrichtung landesrechtlicher Gleichstellungsgesetze – bei im Übrigen angemessener Ausgestaltung – nur darauf gerichtet ist, die Vornahme einer Ernennung ohne Rücksicht auf das Geschlecht tatsächlich besser als bisher tatsächlich zu verwirklichen. Daher besteht bei Lichte besehen kein wirklicher Zielkonflikt. Da § 9 BeamtStG nicht näher angibt, auf welche Weise einerseits die Vornahme von Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung in der Praxis durchzuführen ist, andererseits die Beachtung der verbotenen Entscheidungsaspekte zu verwirklichen ist, bleibt die nähere Regelung aller dieser Fragen wie derjenigen des Laufbahnwesens im Übrigen den einzelnen Bundesländern überlassen. Soweit deren Gesetze keine weiteren Regelungen enthalten, können die einzelnen Arbeitgeber und Dienstherrn näheres bestimmen. Deren Praxis darf lediglich nicht dazu führen, die in § 9 BeamtStG genannten Vorgaben für Ernennung in Frage zu stellen, die kompetenzrechtliche Zulässigkeit dieser Bestimmung vorausgesetzt.