Nachfolgend ein Beitrag vom 30.8.2017 von Brink/Schwab, jurisPR-ArbR 35/2017 Anm. 4
Orientierungssätze zur Anmerkung
1. Arbeitnehmern steht ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch während der Arbeitszeit zu. Eingriffe sind nur im gesetzlich vorgegebenen Rahmen zulässig.
2. Bei schwerwiegenden Verletzungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist der Arbeitgeber zur Entschädigung verpflichtet.
3. Bei der Beurteilung eines schwerwiegenden Eingriffs müssen die besonderen Umstände des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt werden.
A. Problemstellung
Haben Arbeitgeber den Verdacht, dass Arbeitnehmer bei der Angabe von Arbeitszeiten betrügen, greift der ein oder andere zu einem angeblich bewährten Mittel: dem Einsatz von Detektiven. Dass das Gesetz hierfür enge Grenzen setzt, ist vielen Arbeitgebern oft nicht bekannt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagte betreibt an fünf Standorten Unternehmen zur Instandsetzung und -haltung von Schienenfahrzeugen. Der Kläger ist Betriebsrats- sowie Gesamtbetriebsratsvorsitzender. Nachdem die Beklagte ihn bis zur Wahl des Gesamtbetriebsrats freiwillig von seiner Tätigkeit freistellte, verlangte dieser eine Freistellung über die Wahl hinaus. Gerichtlich wurde festgestellt, dass ein Freistellungsanspruch nicht bestand. Durch einen anonymen Hinweis erfuhr der Kläger, dass die Beklagte ihn durch eine Detektei observieren ließ. Die Observation fand an 20 Arbeitstagen statt und wurde nach der Einleitung des Beschlussverfahrens zum Freistellungsantrag beauftragt. Die Kosten für die Observation beliefen sich bei einem Stundenhonorar pro Detektiv von 69 Euro auf insgesamt 39.197,85 Euro. Die Beklagte legte dem Gericht ein Bestätigungsschreiben der Detektei vor. In diesem heißt es sinngemäß: „Inhalt des von der Beklagten erteilten Auftrags war die Observation des Klägers mit dem Ziel, vertragswidriges Verhalten bzw. Fehlverhalten im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Beklagten festzustellen; im Raum stand der Verdacht eines Arbeitszeitbetrugs, der verifiziert bzw. falsifiziert werden sollte; die Observation fand ausschließlich während der Arbeitszeit statt; Kommunikationskanäle, wie Telefon und E-Mail, wurden nicht abgefangen; es wurden weder Fotos noch Filmaufnahmen gefertigt noch ein Bewegungsprofil erstellt; Gegenstand der Observation war ausschließlich der Kläger.“
Die vom Kläger auf Entschädigung gerichtete Klage wurde vom Arbeitsgericht abgewiesen. Gegen eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts spreche, dass die Überwachung nur während der Arbeitszeit stattgefunden habe und der Bereich privater Lebensführung nicht tangiert worden sei. Außerdem seien – zwischen den Parteien streitig – keine Film- oder Videoaufnahmen gefertigt worden. Die Observierung durch eine Detektei sei im Vergleich zu einer angewiesenen Überwachung durch einen Vorgesetzten oder Kollegen keine weitergehende Beeinträchtigung.
Die vom Kläger eingelegte Berufung war erfolgreich. Das LArbG Mainz hat dem Kläger eine Entschädigung i.H.v. 10.000 Euro zugesprochen.
Das Landesarbeitsgericht folgte der Rechtsprechung des BAG, wonach das aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht auch im Arbeitsverhältnis zu beachten sei. Ein auf § 823 Abs. 1 BGB gestützter Anspruch auf Geldentschädigung komme nur bei einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung in Betracht und setze voraus, dass die Beeinträchtigung nicht auf andere Weise befriedigt werden könne. Ohne einen Anspruch auf Geldentschädigung bliebe die Verletzung der Würde und der Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion, mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. Anders als bei einem Anspruch auf Schmerzensgeld stehen die Genugtuung des Opfers und die Prävention von Verstößen im Vordergrund.
Ob eine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliege, beurteile sich nach den Umständen des Einzelfalls. Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung seien insbesondere die Bedeutung und die Tragweite des Eingriffs, der Anlass und die Beweggründe des Handelnden sowie der Grad des Verschuldens zu berücksichtigen. Die Beklagte habe durch die in Auftrag gegebene Observation schwerwiegend das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers verletzt. Dass die Observation nur zu Arbeitszeiten stattgefunden habe, Kommunikationskanäle nicht abgefangen, keine Film- oder Videoaufzeichnungen gefertigt oder kein Bewegungsprofil erstellt worden sei, ändere daran nichts. Bereits die heimliche Observation des Klägers für eine Dauer von 20 Arbeitstagen stelle eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung dar. Ausweislich der Rechnung durch die Detektei habe die Beklagte den Kläger täglich über viele Stunden von mehreren Detektiven heimlich überwachen lassen. Hierdurch steige die Intensität des Eingriffs.
Die Observation sei neben dem parallel geführten Beschlussverfahren nicht gerechtfertigt. Die heimliche Überwachung verstoße gegen betriebsverfassungsrechtliche Schutzbestimmungen, wodurch der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht verstärkt werde. Die Beklagte habe keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Zweitbeschäftigung des Klägers vorgetragen. Der Umstand, dass die Beklagte bezweifelte, dass die Betriebsratstätigkeit des Klägers einen Umfang wie vor der Gesamtbetriebsratswahl angenommen habe, rechtfertige die Überwachung durch eine Detektei nicht. Der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten der Beklagten habe nicht bestanden.
Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls sei eine Geldentschädigung i.H.v. 10.000 Euro angemessen. Bei der Bemessung der Entschädigungshöhe sei die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung sowie die lange Dauer der Observation, die sich die Beklagte rund 39.200 Euro habe kosten lassen, zu berücksichtigen. Von der Höhe der Geldentschädigung müsse ein echter Hemmungseffekt ausgehen.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des LArbG Mainz lässt das Herz der Datenschützer höher schlagen. Die zugesprochene Entschädigung von 10.000 Euro kann mit Blick auf das Urteil des BAG vom 19.02.2015 (8 AZR 1007/13), bei dem eine Arbeitgeberin eine Geldentschädigung i.H.v. nur 1.000 Euro zahlen musste, als erstaunlich bezeichnet werden. Bei diesem vom BAG entschiedenen Fall ließ eine Arbeitgeberin eine ihrer Beschäftigten von einem Detektiv überwachen, obwohl eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt wurde. Die Rechtsprechung des BAG ist in diesem Themenkreis recht uneinheitlich. So gibt es Fälle, bei denen eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – richtigerweise sollte es „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ heißen – nicht angenommen wurde, obwohl diese erkennbar vorlag (vgl. BAG, Urt. v. 22.09.2016 – 2 AZR 848/15 m. Anm. Brink/Schwab, jurisPR-ArbR 8/2017 Anm. 2).
In anderen Fällen wird eine Verletzung zwar bejaht, ein Entschädigungsanspruch aber mit Verweis auf eine fehlende schwerwiegende Beeinträchtigung verneint. Das Arbeitsverhältnis ist bereits kraft seiner Natur von einem Ungleichgewicht der Vertragsparteien geprägt. Bei der Frage, ob eine schwerwiegende Beeinträchtigung vorliegt, muss die gegenüber seinem Arbeitgeber schwächere Position des Beschäftigten Berücksichtigung finden. Gerade wenn das Arbeitsverhältnis trotz einer Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts fortbesteht, muss bedacht werden, dass die Vertragsparteien zukünftig täglich aufeinander treffen. Nimmt ein Beschäftigter den für ihn meist schweren Weg einer gerichtlichen Geltendmachung seines Entschädigungsanspruchs auf sich und spricht das Gericht ihm diesen wegen einer vorgeblich fehlenden schwerwiegenden Beeinträchtigung nicht zu, wird er bei der nächsten Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vermutlich gleich klein beigeben.
Die Höhe der zugesprochenen Entschädigung überrascht insbesondere vor dem Hintergrund, dass nicht festgestellt wurde, ob Foto- oder Videoaufzeichnungen des Klägers angefertigt wurden. In Konsequenz ist das zwar nachvollziehbar, denn durch die langfristige Überwachung an 20 Arbeitstagen von gleich mehreren Detektiven steht die Intensität des Eingriffs außer Frage. Wenn Foto- oder Videoaufzeichnungen gefertigt wurden, hätte dies die Intensität jedoch unzweifelhaft verstärkt, was vermutlich zur Steigerung der Höhe der zugesprochenen Entschädigung geführt hätte.
Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend feststellt, ist es unerheblich, ob die Observation ausschließlich während der Arbeitszeit stattgefunden hat. Arbeitnehmern steht ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung selbstverständlich nicht nur in ihrer Freizeit zu; mit Betreten der Arbeitsstätte geben sie es nicht an der Pforte oder beim Scannen des Fingerabdrucks zur Erfassung der Arbeitszeit ab. Alles andere wäre nicht nur in Anbetracht der täglichen Arbeitszeit von Arbeitnehmern ein verfassungswidriges Ergebnis.
Leider lässt das Landesarbeitsgericht die hier einschlägige zentrale Vorschrift zum Beschäftigtendatenschutz, § 32 BDSG, unerwähnt. § 32 BDSG schützt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von Arbeitnehmern. Zu den schutzwürdigen Interessen Beschäftigter zählt regelmäßig, am Arbeitsplatz nicht einer dauerhaften Beobachtung unterworfen zu sein. Kontrollen des Arbeitgebers sind stichprobenartig, aber nicht lückenlos zulässig; ein andauernder Überwachungsdruck würde jeden Arbeitnehmer massiv und unzumutbar beeinträchtigen (Brink in: NK-Gesamtes Arbeitsrecht, § 32 BDSG Rn. 111). Sind die Voraussetzungen von § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG jedoch gegeben, stehen Arbeitgebern weitergehende Kontrollbefugnisse zu; für diese stellt der Gesetzgeber jedoch hohe Anforderungen auf.
Das Landesarbeitsgericht subsumiert die Tatbestandsmerkmale des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG zwar – jedoch ohne die Vorschrift selbst zu nennen – und gelangt so zum richtigen Ergebnis: Nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG dürfen personenbezogene Daten von Beschäftigten zur Aufdeckung von Straftaten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat. Darüber hinaus muss die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung der Straftat erforderlich sein und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung darf nicht überwiegen. Insbesondere dürfen Art und Ausmaß der Maßnahme im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sein. Dass letztere Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG vorliegend nicht gegeben sind, liegt ganz klar auf der Hand. Die lange Überwachungsdauer durch mehrere Detektive steht völlig außer Verhältnis zum Anlass der Maßnahme. Darüber hinaus war der Anlass der Maßnahme nicht, wie vom klaren Wortlaut des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG gefordert, der Verdacht einer Straftat; hier bestanden lediglich Zweifel – solche genügen aber nicht. Würde man bereits Zweifel an der Rechtschaffenheit des Arbeitnehmers genügen lassen, wäre wohl ein Großteil der Arbeitnehmer gegenüber unzulässigen Überwachungsmaßnahmen ihrer Arbeitgeber schutzlos.
Zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme hätte das Landesarbeitsgericht vorliegend überhaupt nicht vordringen dürfen, weil es bereits an der Erforderlichkeit der Maßnahme mangelte. Es standen gleich geeignete mildere Mittel zur Verfügung: Die Arbeitgeberin hätte sich selbst durch, im zulässigen Rahmen zu haltende, Kontrollbesuche von der Arbeitsleistung des Klägers überzeugen können. Dieser Aufwand hätte sie zudem bestimmt nicht rund 39.000 Euro gekostet.
D. Auswirkungen für die Praxis
Von der Entscheidung wird für die meisten Arbeitgeber – hoffentlich – ein gewisser Abschreckungseffekt ausgehen, wenn sie mit dem Gedanken spielen, ihre Mitarbeiter in gesetzeswidriger Weise zum Opfer von Überwachungsmaßnahmen zu machen. Die Rechtsprechung sollte sich bei Bemessung der Höhe von Entschädigungsansprüchen an der Entscheidung des LArbG Mainz ein Beispiel nehmen. Nur bei der Verurteilung zur Zahlung hoher und damit empfindlicher Entschädigungsansprüche werden alle Arbeitgeber ihr Handeln überdenken. 1.000 Euro tun den meisten Unternehmen nicht weh, so dass sie beim nächsten Mal nicht unbedingt zögern werden, erneut das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ihrer Arbeitnehmer zu verletzen.