Nachfolgend ein Beitrag vom 18.4.2017 von Henning, jurisPR-BKR 4/2017 Anm. 3

Orientierungssatz zur Anmerkung

Wird dem Anleger offenbart, dass die ihn beratende Bank das Agio erhält und wird gleichzeitig verschwiegen, dass tatsächlich noch ein Teil der im Prospekt ausgewiesenen Position „Eigenkapitalvermittlungsprovision“ hinzukommt, beginnt die Verjährungsfrist nicht zu laufen.

A. Problemstellung

Der vorliegende Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO – dem ein Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO vom 21.07.2016 voranging – beschäftigt sich mit zwei häufig auftretenden Problemen, wenn ein geschädigter Anleger seinen Schadensersatzanspruch auf die unterbliebene Aufklärung über die Höhe der von der beratenden Bank vereinnahmten Rückvergütungen stützt: zum einen mit der Widerlegung der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens (wegen anderweitiger Zeichnungen, bei denen eine Offenbarung der Rückvergütungen / Provisionen erfolgte), und zum anderen der Verjährung (wenn der Kunde wusste, dass die Bank Rückvergütungen erhält und lediglich deren genaue Höhe nicht kannte).

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin begehrt von der beklagten Bank Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung, nachdem diese ihr im Jahr 2007 die treuhänderische Beteiligung an einem als GmbH & Co. KG organisierten geschlossenen Fonds (nachfolgend: Fonds A) empfohlen hatte, der in Lebensversicherungen investierte. Die Bank erhielt neben dem Agio von 5% zusätzlich Provisionen aus den im Fondsprospekt offen ausgewiesenen Vertriebsprovisionen in einer Höhe von – so die Klägerin – bis zu weiteren 17% bzw. – so die Beklagte – jedenfalls weiteren 9%. Über den Erhalt des Agios wurde die Klägerin in Kenntnis gesetzt, die Offenbarung des Erhalts der weiteren Provisionen war streitig.
Im Jahr 2010 beteiligte sich die Klägerin an einem offenen Investmentfonds mit Kapitalerhaltgarantie (nachfolgend: Fonds B), wobei ihr vor dessen Zeichnung offenbart wurde, dass die beklagte Bank eine Rückvergütung von 4%, eine Restrukturierungsgebühr von weiteren 2,7% sowie eine jährliche Vertriebsprovision von 0,28% erhielt.
Das LG Frankfurt hatte der Klage stattgegeben (Urt. v. 23.03.2016 – 2-25 O 709/15). Zwischen den Parteien sei ein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen, dessen Pflichten die Beklagte dadurch verletzt habe, dass sie unstreitig die genaue Höhe der an sie fließenden Rückvergütungen nicht genannt habe. Die Kausalitätsvermutung sei trotz der späteren Zeichnung des Fonds B und der Kenntnis der dort an die Beklagte geflossenen Positionen nicht widerlegt, weil die Vergütung weitaus geringer als beim Fonds A sei und sich die Anlageprodukte strukturell unterschieden (Fonds B: mit Kapitalgarantie). Der Schadensersatzanspruch sei nicht verjährt, da der Berater falsche Angaben zur konkreten Rückvergütungshöhe gemacht habe, auch wenn er nicht ausdrücklich gesagt habe, die Bank erhalte „nur“ oder „ausschließlich“ das Agio. Die von ihm genannten „zusätzlichen Leistungen“ hätten seinen Angaben zufolge nur Werbegeschenke wie Kugelschreiber, Bücher oder Gummibärchen umfasst.
Das OLG Frankfurt hat mit Beschluss vom 21.07.2016 darauf hingewiesen, dass die Berufung der Beklagten offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe. Der vernommene Berater habe selbst nicht von den weiteren Vergütungen der Beklagten gewusst, sodass er darüber auch nicht habe aufklären können. Selbst wenn man davon ausgehe, dass nur weitere 9% geflossen seien, hätte die Klägerin bei deren Kenntnis Fonds A nicht gezeichnet. Die Klägerin habe aufgrund des Hinweises des Beraters, dass die Bank das fünfprozentige Agio erhalte, davon ausgehen dürfen, dass keine weiteren Vermittlungsprovisionen (gemeint: Rückvergütungen) geflossen seien, sodass eine konkrete, aber fehlerhafte Angabe zur Höhe der Rückvergütungen vorliege, die nicht zum Anlaufen der Verjährung schon bei Zeichnung geführt habe.
Im Zurückweisungsbeschluss hat das OLG Frankfurt diese Rechtsansicht weiter vertieft und insbesondere ausgeführt, aus den vom Berater erwähnten „zusätzlichen Leistungen“ könne nicht geschlossen werden, dass er die Klägerin damit auch auf weitere zugunsten der Beklagten fließende Provisionen (gemeint: Rückvergütungen) hingewiesen oder diesbezüglich eine Nachfrageobliegenheit ihrerseits ausgelöst habe.

C. Kontext der Entscheidung

I. Anlageberatungsvertrag
Die mittlerweile sehr verästelte Rechtsprechung des BGH zur Aufklärungsbedürftigkeit von Rückvergütungen (dazu Henning, jurisPR-BKR 7/2015 Anm. 2) setzt zunächst einen – hier unproblematisch zu bejahenden – Anlageberatungsvertrag voraus. Dagegen ist diese zum Beispiel nicht auf Finanzierungsberatungen durch eine Bank übertragbar (BGH, Urt. v. 29.11.2011 – XI ZR 220/10 Rn. 39 – WM 2012, 30 und BGH, Urt. v. 01.07.2014 – XI ZR 247/12 Rn. 20).
II. Pflichtverletzung
Liegt ein solcher Vertrag vor, hat der Bankberater dabei – anders als ein freier Anlageberater (vgl. BGH, Urt. v. 03.03.2011 – III ZR 170/10 Rn. 21 – WM 2011, 640) – ungefragt nicht nur über das Ob, sondern auch über die Höhe der Rückvergütungen aufzuklären (vgl. BGH, Urt. v. 19.12.2006 – XI ZR 56/05 Rn. 24 – BGHZ 170, 226 sowie BGH, Beschl. v. 19.07.2011 – XI ZR 191/10 Rn. 9). Das gilt im Übrigen unabhängig von der Rückvergütungshöhe (BGH, Beschl. v. 20.01.2009 – XI ZR 510/07 Rn. 12).
Eine solche umfassende Aufklärung über die konkrete – seitens der Beklagten auch im Prozess nie wirklich offenbarte – Höhe der Rückvergütungen war unstreitig nicht erfolgt. Lediglich der Erhalt des fünfprozentigen Agios wurde der Klägerin mitgeteilt.
III. Kausalität
Derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, ist beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 08.05.2012 – XI ZR 262/10 – BGHZ 193, 159). Das Berufungsgericht ist danach zutreffend von der Darlegungs- und Beweislast der Beklagten für die mangelnde Kausalität der unterlassenen Aufklärung über die Höhe der geflossenen Rückvergütungen für die Beteiligung der Klägers am Fonds A ausgegangen.
Relevante Indizien für die fehlende Kausalität können sich dabei sowohl aus dem vorangegangenen als auch aus dem nachfolgenden Anlageverhalten des Anlegers ergeben. Insbesondere die Kenntnis des Anlegers von Provisionen oder Rückvergütungen, die die beratende Bank bei vergleichbaren früheren – oder wie hier späteren (vgl. BGH, Urt. v. 24.09.2013 – XI ZR 204/12 Rn. 40) – Anlagegeschäften erhalten hat, kann ein Indiz dafür sein, dass der Anleger die empfohlene Kapitalanlage auch in Kenntnis der Rückvergütung erworben hätte (BGH, Urt. v. 08.05.2012 – XI ZR 262/10 Rn. 50 – BGHZ 193, 159).
In diesem Zusammenhang spielt die im Jahr 2010 unter vorheriger Aufklärung über eine Gesamtvergütung der Beklagten von jedenfalls 6,98% gezeichnete Beteiligung am Fonds B eine Rolle. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass streng genommen in die Gesamtabwägung nur die 4%ige Rückvergütung, wohl aber nicht die weiteren offenen Positionen von 2,7% (Restrukturierungsgebühr) und 0,28% (jährliche Vertriebsprovision) einzustellen sein dürften. Denn grundsätzlich kann aus dem Einverständnis mit Provisionszahlungen nicht auf ein Einverständnis mit Rückvergütungen geschlossen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 19.07.2011 – XI ZR 191/10 Rn. 9 zu Wertpapiergeschäften).
Unabhängig davon scheitert die Widerlegung der Kausalitätsvermutung aber an der von Land- und Oberlandesgericht zu Recht verneinten Vergleichbarkeit der Produkte (zu diesem Kriterium: BGH, Beschl. v. 19.07.2011 – XI ZR 191/10 Rn. 9 und BGH, Urt. v. 08.05.2012 – XI ZR 262/10 Rn. 50 – BGHZ 193, 159): Zum einen war die Höhe der Vergütung der Beklagten bei Fonds B im Jahr 2010 selbst unter Anrechnung der beiden obigen Positionen mit knapp 7% weniger als halb so hoch wie die Vergütung der Beklagten bei Fonds A, bei dem zwischen 14% und 17% in Rede standen. Es liegt nahe, dass die Klägerin bei Kenntnis dieser Höhe nicht gezeichnet hätte (vgl. ihre Aussage vor dem LG Frankfurt, Urt. v. 23.03.2016 – 2-25 O 709/15 Rn. 32). Zum anderen bot der (offene) Fonds B anders als der (geschlossene) Fonds A nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts eine Kapitalerhaltgarantie und war damit ganz anders strukturiert. Die Inkaufnahme einer knapp 7%igen Vergütung bei diesem Vorteil lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass die Klägerin auch eine mehr als doppelt so hohe Rückvergütung bei dem – einem Totalverlustrisiko ausgesetzten – Fonds A akzeptiert hätte.
IV. Verjährung
Die Verjährung des auf die unterlassene Aufklärung über Rückvergütungen gestützten Schadensersatzanspruchs ist der wohl heikelste Punkt der Entscheidung. Die beratende Bank muss den Anleger zwar über Grund und Höhe einer Rückvergütung ungefragt aufklären, so dass die unterlassene Mitteilung über die Höhe der Rückvergütung ein anspruchsbegründender Umstand ist. Von diesem Umstand hat ein Anleger aber denknotwendig bereits dann positive Kenntnis, wenn er weiß, dass die ihn beratende Bank für das von ihm getätigte Anlagegeschäft Provisionen erhält, deren Höhe ihm die Bank nicht mitteilt. Die fehlende Kenntnis des Anlegers von der Höhe der Rückvergütung steht allenfalls in solchen Fällen dem Verjährungsbeginn entgegen, in denen die beratende Bank konkrete, jedoch fehlerhafte Angaben zur Höhe der Rückvergütung macht. Denn in diesen Fällen meint der Anleger, über die Höhe der Rückvergütung pflichtgemäß aufgeklärt worden zu sein, weshalb es an der Kenntnis der tatsächlichen Umstände fehlt, aus denen sich die Verletzung der Aufklärungspflicht durch die beratende Bank ergibt (BGH, Urt. v. 26.02.2013 – XI ZR 498/11 Rn. 30 – BGHZ 196, 233).
Unstreitig hat der Berater der Klägerin offenbart, dass die Beklagte das Agio erhalte. Ausdrücklich als abschließend hat er diese Größe von 5% aber wohl nicht bezeichnet (vgl. Landgericht Rn. 39). Sonst wäre ohne weiteres von einer nicht verjährungsbeginnauslösenden Falschangabe auszugehen. Der Fall entscheidet sich also danach, ob man von einer bloßen und durch nichts gestützten Vermutung der Klägerin ausgeht, das Agio sei abschließend (dann Verjährung, vgl. BGH, Urt. v. 08.04.2014 – XI ZR 341/12 Rn. 30), oder ob man mit dem Oberlandesgericht meint, die Angabe, die Beklagte erhalte das Agio, könne vom Anleger nur in dem Sinne verstanden werden, dass sie lediglich das Agio und keine darüber hinausgehenden Positionen erhalte (Hinweisbeschluss Rn. 24). Hier spricht viel für die Ansicht des Berufungsgerichts (vgl. dazu auch Henning, jurisPR-BKR 7/2015 Anm. 2).
Verkompliziert wird der Fall noch dadurch, dass der Berater neben der als abschließend verstandenen Angabe über den Verbleib des Agios auf weitere „zusätzliche Leistungen“ hingewiesen haben will, die er erstinstanzlich noch als bloße Werbegeschenke in Form von Kugelschreibern oder Gummibärchen verstanden wissen wollte (Landgericht Rn. 42). Gerade vor dem Hintergrund, dass er nach eigenen Angaben gar nicht gewusst habe, dass die Bank zusätzliche Geldleistungen von der Fondsgesellschaft bekomme (Besprechungsentscheidung Rn. 20), kann man schwerlich davon ausgehen, er habe der Klägerin damit dennoch zu verstehen gegeben, dass sich die Vergütung der Beklagten nicht im Agio erschöpfe. Denn der Berater kann nicht über weitere Provisionsflüsse aufklären, die er gar nicht kennt (so zutreffend das Oberlandesgericht Rn. 20).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Rückvergütungsfälle werden in der Praxis immer seltener, doch scheint das Thema noch nicht gänzlich ausgeschrieben zu sein, wie der hier besprochene Beschluss zeigt. Wie immer kommt es auf die Würdigung der erhobenen Beweise an, wobei das Hauptaugenmerk nunmehr auf der Kausalitätsproblematik und dem sonstigen Anlageverhalten sowie den Angaben der Berater zur Höhe der der Bank zufließenden Positionen liegt. Es gilt abzuschichten, was die Berater zur (maximalen) Höhe tatsächlich gesagt haben, und was nur auf nicht durch den Berater genährten Vorstellungen des Kunden beruht.