Nachfolgend ein Beitrag vom 25.7.2018 von Gutt, jurisPR-VerkR 15/2018 Anm. 2

Leitsätze

1. Bei einer geringen Fahrleistung kann die Anmietung eines Ersatzwagens nicht erforderlich sein.
2. Wenn die Anmietung eines Ersatzwagens nicht erforderlich war, steht dem Geschädigten regelmäßig eine Nutzungsausfallentschädigung zu.

A. Problemstellung

Grundsätzlich hat der Geschädigte auch einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Schädiger und dessen Versicherer, wenn er seine Mobilität durch Nutzung eines Mietwagens aufrecht erhalten möchte. Da die Mietwagenkosten regelmäßig jedoch deutlich höher als die Nutzungsausfallentschädigung oder die Kosten der Nutzung des ÖPNV sind, setzt die Schadensminderungspflicht der Anmietung Grenzen. Mit diesen Grenzen hat sich das OLG Hamm im Rahmen der klägerischen Berufung auseinandergesetzt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger verlangte von den Beklagten Schadensersatz zu 100%. Die Quote war in der Berufungsinstanz nicht mehr streitig, sondern nur noch die Mietwagenkosten und die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Der Kläger mietete zur Erhaltung seiner Mobilität ein Ersatzfahrzeug an. Telefonisch beauftragte die vom Kläger aufgesuchte Werkstatt am gleichen Tag am Nachmittag einen Sachverständigen, der das klägerische Fahrzeug am nächsten Morgen besichtigte und am darauf folgenden Tag das Schadensgutachten erstellte. In diesem erteilte der Sachverständige aufgrund eines von ihm kalkulierten wirtschaftlichen Totalschadens keine Reparaturfreigabe. Die Reparatur werde vier bis fünf Arbeitstage dauern. Etwas mehr als eine Woche später rechnete die beauftragte Werkstatt die Reparatur ab.
Die Beklagten haben die Erforderlichkeit der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs bestritten. Denn der Kläger habe unstreitig insgesamt mit dem Fahrzeug nur 239 Kilometer zurückgelegt. Ferner habe für die Anmietung für elf Tage keine Veranlassung bestanden, da die erforderliche Reparaturdauer nur vier bis fünf Tage betragen habe. Die Mietwagenkosten seien zudem der Höhe nach übersetzt. Auch bei der Anmietung eines klassentieferen Wagens müsse ein Abzug von 10% wegen der „Schonung“ des eigenen PKW berücksichtigt werden.
Das Landgericht hatte die geltend gemachten Mietwagenkosten nicht als ersatzfähig angesehen. Nach dem vom Kläger eingeholten Schadensgutachten habe er nur mit einer Wiederherstellungsdauer von vier bis fünf Tagen zu rechnen gehabt. Für diese wenigen Tage sei es ihm zumutbar gewesen, für anstehende Fahrten ein Taxi zu benutzen, zumal er den beschädigten PKW nicht für berufliche Zwecke gebraucht habe. Da das Landgericht die Mietwagenkosten nicht als ersatzfähigen Schaden angesehen hatte, hat es die ersatzfähigen vorgerichtlichen Anwaltskosten entsprechend reduziert.
Der Kläger verfolgte mit seiner Berufung die Mietwagenkosten und die nicht zugesprochenen vorgerichtlichen Anwaltskosten weiter. Zwar ergebe sich aus dem Schadensgutachten eine geschätzte Reparaturdauer von nur vier bis fünf Arbeitstagen. Die tatsächliche Reparaturdauer habe (unstreitig) aber elf Tage betragen. Das diesbezügliche Prognoserisiko müssten die Beklagten tragen. Die Inanspruchnahme eines Mietwagens sei auch erforderlich gewesen. Die Beklagten gestanden eine Reparaturdauer von elf Tagen nicht zu, sondern wiesen ausdrücklich auf die nach dem Schadensgutachten erforderliche Reparaturdauer von nur vier bis fünf Tagen hin.
Das OLG Hamm hat die zulässige Berufung des Klägers nur als teilweise begründet angesehen.
Der Kläger habe Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung i.H. v. 115 Euro. Einen Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten habe der Kläger nicht. Das Landgericht habe zutreffend die Anmietung eines Ersatzwagens als nicht erforderlich angesehen.
Nach gefestigter ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung könne der Geschädigte vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten dürfe. Der Geschädigte sei hierbei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen.
Gegen die Erforderlichkeit der Anmietung eines Mietwagens spreche das den Kläger treffende Wirtschaftlichkeitsgebot.
Das Fahrzeug sei nach dem Unfall unstreitig fahrbereit gewesen. Der Mietwagen sei schon vor der Einholung eines Sachverständigengutachtens in Anspruch genommen worden. Wann genau mit der Reparatur des Wagens begonnen worden sei, habe auch im Rahmen des Senatstermins nicht endgültig geklärt werden können. Durch das Schadensgutachten wurde eine Reparaturfreigabe nicht erteilt.
In Übereinstimmung mit dem vorgerichtlich beauftragten Schadensgutachter sei von einer tatsächlichen Reparaturdauer von fünf Tagen auszugehen. Da der PKW fahrbereit gewesen sei, habe diese Reparatur geplant werden können und sei auch geplant worden. Eine längere tatsächliche Reparaturdauer könne nicht festgestellt werden. Die in der Klageschrift aufgestellte Behauptung, die Reparatur des PKW des Klägers habe elf Tage gedauert, sei durch das vom Kläger vorgelegte Schadensgutachten widerlegt.
Gegen die Annahme, dass die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs maximal nur an fünf Tagen erforderlich sei, spreche nicht das sog. Prognoserisiko. Das Oberlandesgericht verkenne nicht, dass bei der Instandsetzung eines beschädigten Kraftfahrzeugs der Schädiger als Herstellungsaufwand nach § 249 Satz 2 BGB grundsätzlich auch die Mehrkosten schulde, die ohne eigene Schuld des Geschädigten die von ihm beauftragte Werkstatt infolge unwirtschaftlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen verursacht habe. Die Werkstatt sei nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten. Der Schädiger trage das sog. Prognoserisiko.
Vorliegend gehe es aber nicht um die Zurechnung eines Verschuldens der Werkstatt. Der Kläger habe vielmehr nach den Erklärungen seines Prozessbevollmächtigten die Schadensabwicklung am Tag der Besichtigung durch den Sachverständigen vollständig aus der Hand gegeben. Er habe damit gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen.
Hinzu käme, dass der Kläger in elf Tagen nur 239 Kilometer gefahren sei. Eine Fahrtstrecke von ca. 65 km entfalle hierbei auf die Strecke vom Wohnort des Klägers bis zum Autohaus N2 GmbH. Sofern diese Strecke herausgerechnet werde, sei der Kläger nur ca. 16 km pro Tag gefahren. Es sei dem Kläger zwar grundsätzlich unbenommen, eine Werkstatt seiner Wahl mit der Schadensbeseitigung zu beauftragen. Die Grenze sei aber die ihm obliegende Schadensminderungspflicht.
Es sei davon auszugehen, dass ein tägliches Fahrbedürfnis von weniger als 20 km am Tag einen Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht darstelle. Allein die tatsächliche Fahrtstrecke sei zwar nicht entscheidend. Es sei anerkannt, dass kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vorliege, wenn der Geschädigte auf die ständige Verfügbarkeit eines KFZ angewiesen gewesen wäre oder der Fahrbedarf nicht voraussehbar gewesen sei. Der insoweit sekundär darlegungsverpflichtete Kläger habe zu diesen Gesichtspunkten aber nichts vorgetragen. Er habe nur vorgetragen, dass ein Taxi für jede Fahrt telefonisch hätte bestellt werden müsse. Dies reiche aber nicht für die Annahme aus, dass der Kläger auf die ständige Verfügbarkeit eines KFZ angewiesen gewesen sei.
Aufgrund des für den Kläger absehbaren deutlich unterdurchschnittlich geringen Fahrbedarfs hätte er vorab den Preis des Mietfahrzeugs überschlägig erfragen und eine überschlägige Gegenüberstellung zu den voraussichtlichen Taxikosten vornehmen müssen. Dann hätte sich ihm aufdrängen müssen, dass die Mietwagenkosten von ca. 111 Euro pro Tag die voraussichtlichen Taxikosten um ein Mehrfaches übersteigen. Diese Überlegungen hätten sich für den Kläger auch deswegen aufdrängen müssen, weil die geltend gemachten Mietwagenkosten über ¼ der Reparaturkosten betragen hätten. Berufsbedingt habe der Kläger einen Ersatzwagen nicht benötigt, auch nicht seine Ehefrau.
In der Gesamtschau dieser Faktoren sei die Anmietung eines Ersatzwagens durch den Kläger nicht erforderlich.
Dem Kläger stehe aber ein Anspruch auf Zahlung von Nutzungsausfallschaden für fünf Tage zu je 23 Euro, d.h. von 115 Euro zu. Nach der Rechtsprechung des BGH könne ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung demjenigen Geschädigten zustehen, der Ersatz für einen Mietwagen nicht beanspruchen könne. Dieser Anspruch könne auch konkludent hilfsweise geltend gemacht werden. Nach den Erörterungen im Senatstermin sei hiervon auszugehen.
Entsprechend der berechtigten Schadensersatzansprüche habe der Kläger auch Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren.

C. Kontext der Entscheidung

Mietwagenkosten sind grundsätzlich erstattungsfähig, wenn und soweit sie sich nach § 249 Abs. 2 BGB im Rahmen des Erforderlichen halten. Es gibt also Grenzen, die von dem Geschädigten zu berücksichtigen sind. Solche Grenzen ergeben sich namentlich aus § 254 BGB (Schadensminderungspflicht). Nach ständiger Rechtsprechung verstößt der Geschädigte bei geringem Fahrbedarf mit der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs regelmäßig gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht, sodass unter Umständen nur die entsprechenden Kosten für Fahrten mit einem Taxi zu erstatten sind (vgl. z.B. AG Kehl, Urt. v. 18.02.2015 – 4 C 344/14). Überwiegend wird die Grenze bei 20 km/Tag gezogen (vgl. z.B. OLG Hamm, Urt. v. 21.05.2001 – 6 U 243/00; OLG Hamm, Urt. v. 23.01.1995 – 13 U 178/94; OLG München, Urt. v. 17.03.1992 – 5 U 6062/91; OLG Frankfurt, Urt. v. 06.11.1991 – 17 U 185/89; LG Essen, Urt. v. 15.07.1988 – 1 S 128/88; LG Saarbrücken, Urt. v. 07.04.1981 – 9 O 475/80 und AG Osnabrück, Urt. v. 30.04.2009 – 14 C 120/09).
Das OLG Hamm sieht die Grenze auch in diesem Fall bei einem täglichen Fahrbedürfnis von unter 20 km. Das stelle einen wichtigen Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar (vgl. auch OLG München, Urt. v. 17.03.1992 – 5 U 6062/91 – NZV 1992, 362; auch OLG Hamm, Urt. v. 21.05.2001 – 6 U 243/00 – NZV 2002, 82). Dabei darf man aber nicht starr die gefahrenen Kilometer heranziehen. Es ist nämlich auch anerkannt, dass kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vorliegt, wenn der Geschädigte auf die ständige Verfügbarkeit eines KFZ angewiesen ist (vgl. BGH, Urt. v. 05.02.2013 – VI ZR 290/11 – NJW 2013, 1149; Burmann, jurisPR-VerkR 8/2013 Anm. 1) oder der Fahrbedarf nicht voraussehbar war (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB Rn. 175). Hierzu bedarf es aber eines konkreten Vortrags des Geschädigten.
Ob ein konkreter Ausnahmefall für die Anmietung auch nur bei geringer Kilometerleistung besteht, ist stets eine Frage des Einzelfalls (BGH, Urt. v. 05.02.2013 – VI ZR 290/11; LG Stendal, Urt. v. 20.10.2005 – 22 S 86/05 – NZV 2006, 42). Berücksichtigt werden können berufliche und familiäre Gründe oder ganz allgemein gesagt solche Gründe, die quasi ständig die Abrufbarkeit des Fahrzeugs begründen (OLG Hamm, Urt. v. 23.01.1995 – 13 U 178/94). Ein weiterer Grund kann eine (krankheitsbedingte) Einschränkung des Geschädigten sein (LG Stendal, a.a.O.). Ebenfalls kann es eine Rolle spielen, wenn der Geschädigte ländlich und ohne Anbindung an den ÖPNV wohnt (OLG München, Urt. v. 14.06.2013 – 10 U 3314/12).
Liegen solche besonderen Umstände nicht vor, so kann der Geschädigte entweder auf die günstigeren Kosten für den ÖPNV verwiesen werden oder aber einen Anspruch auf Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung haben. Das stellt keinen Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO dar, wonach nichts zugesprochen werden darf, was nicht beantragt wurde. Erteilt das Gericht beispielsweise einen Hinweis darauf, dass statt der Kosten für den Mietwagen auch ein Anspruch auf Erstattung der Nutzungsausfallentschädigung bestehen könnte und stellen die Parteien im Anschluss die Anträge, so ist hierin konkludent zu erkennen, dass die klagende Partei dies zur Kenntnis genommen und sich zu eigen gemacht hat (BGH, Urt. v. 05.02.2013 – VI ZR 290/11). Darin ist keine Verletzung des § 308 Abs. 1 ZPO zu erkennen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Ich bin bei der Inanspruchnahme eines Mietwagens durch meine Mandanten immer skeptisch. Grund dafür sind die hiermit zusammenhängenden Probleme. Damit meine ich nicht nur die Frage nach dem Normaltarif und der Anwendung der jeweiligen Liste, sondern auch solche speziellen Probleme wie dieses hier. Oft ist es eine Frage der Bequemlichkeit, wenn der Mandant einen Ersatzwagen nimmt. Darauf hat er freilich auch einen Anspruch. Nutzt er den Wagen allerdings kaum, kann er – wie diese Entscheidung sehr schön aufzeigt – auf Kosten sitzen bleiben. Denn die Nutzungsausfallentschädigung ist günstiger als die Mietwagenkosten.
Deshalb versuche ich, wenn es irgendwie möglich ist, den Mandanten die Nutzungsausfallentschädigung schmackhaft zu machen. Ansonsten weise ich zwischenzeitlich insbesondere auf die verschiedenen Abrechnungsmethoden hin sowie darauf, dass der Mietwagen tatsächlich auch regelmäßig genutzt werden muss. Diese Entscheidung des OLG Hamm bestätigt mich darin, dass der Anwalt im Hinblick auf die Anmietung eines Fahrzeugs weiterhin eher vorsichtiger sein sollte, zumindest aber umfassend beraten muss.

Ersatzwagen bei nur geringer Nutzung
Andrea KahleRechtsanwältin

Mühlhausen
Telefon: 03601 48 32 0

Leinefelde
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Gotha
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Telefon: 03621 510 18 00 (StB)

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