Nachfolgend ein Beitrag vom 15.6.2016 von Ziemann, jurisPR-ArbR 24/2016 Anm. 1
I. Der Weg zur einheitlichen Streitwertrechtsprechung
Die Festsetzung der Streitwerte durch die Gerichte für Arbeitssachen erfolgte bundesweit sehr unterschiedlich. Die Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte richtete im Mai 2012 eine Streitwertkommission ein. Die Kommission erarbeitete in mehreren Sitzungen den Entwurf eines Streitwertkatalogs (Streitwertkatalog 2013), den die Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte auf ihrer Konferenz im Mai 2013 zur Kenntnis nahmen. Der Fachöffentlichkeit wurde der Streitwertkatalog von Bader/Jörchel (NZA 2013, 809) vorgestellt. Der Vorsitzende der 76. Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte in Deutschland leitete eine umfassende Diskussion der Arbeit der Streitwertkommission ein, indem er Stellungnahmen einholte bei den Landesarbeitsgerichten, der BRAK, dem DAV, der BDA, dem GDV und dem DGB. Die beteiligten Verbände erhielten Gelegenheit, ihre Stellungnahmen mündlich zu erläutern. Die Streitwertkommission überarbeitete den Streitwertkatalog 2013 unter umfassender Verwertung der zwischenzeitlich erfolgten Stellungnahmen und Erfahrungen mit der von einer Vielzahl von Arbeitsgerichten und Landesarbeitsgerichten erfolgten Orientierung an dem Streitwertkatalog. Der von der Streitwertkommission neu gefasste Streitwertkatalog (Streitwertkatalog 2014) wurde am 15.07.2014 veröffentlicht und im jurisPR-ArbR erläutert (vgl. Ziemann, jurisPR-ArbR 30/2014 Anm. 1 – nicht für die Streitwertkommission, sondern als Autor).
Die Streitwertkommission verstand den Streitwertkatalog stets als Angebot auf dem Weg zu einer möglichst einheitlichen Wertrechtsprechung in Deutschland, im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für alle Beteiligten. Die rechtliche Unverbindlichkeit des Streitwertkatalogs für die gebotene richterliche Ermessensausübung und Spruchpraxis wurde stets betont. Der Streitwertkatalog kann zudem nur praktisch wichtige Fallkonstellationen aufgreifen und die Streitwertproblematik nicht annähernd vollständig abbilden.
Der Streitwertkatalog erfuhr von Anfang an eine große Akzeptanz. Die weit überwiegende Anzahl der Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichte und auch das BAG orientieren sich an den Vorschlägen des Streitwertkatalogs 2014.
II. Streitwertkatalog 2016
Ab Herbst 2015 ist die Streitwertkommission wiederholt zusammengetreten, um unter Auswertung erneut eingeholter Stellungnahmen und Vorschläge aus der Anwaltschaft, von Seiten der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände, von Seiten der Versicherungswirtschaft und aus der Richterschaft eine überarbeitete Fassung des Streitwertkatalogs zu erstellen. Insbesondere die Gegenstandswerte des Beschlussverfahrens wurden einer Überprüfung unterzogen. Die Ergebnisse der Streitwertkommission wurden der 78. Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte in Deutschland in Nürnberg vorgestellt und dort beschlossen.
III. Neuregelungen und Klarstellungen im Streitwertkatalog 2016
In der Vorbemerkung zum Streitwertkatalog 2016 wird ausgeführt:
„Die Aussagen des Katalogs sind verfahrensbezogen zu sehen und gelten nicht verfahrensübergreifend.“
Damit wird verdeutlicht, dass eine Anrechnung von Werten wegen teilweiser oder vollständiger wirtschaftlicher Identität entsprechend § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG nur nach § 39 Abs. 1 GKG in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug möglich ist (vgl. bereits BAG, Beschl. v. 19.10.2010 – 2 AZN 194/10 (A)). Von Bedeutung ist dies in den Fällen der objektiven oder subjektiven Klagehäufung. Auch wenn unter Verletzung der anwaltlichen Pflicht zum kostengünstigen Weg durch eine objektive oder subjektive Verfahrenshäufung gezielt vermeidbare Kosten verursacht werden, ist dies für die Bemessung des Gegenstandswerts ohne Bedeutung, könnte jedoch ggf. einen nicht gebührenrechtlichen Einwand nach § 11 Abs. 5 GKG bilden.
Für das Urteilsverfahren (unter I. des Streitwertkatalogs 2016) hat die Streitwertkommission Erläuterungen für die Bemessung eines Vergleichsmehrwerts in den Katalog aufgenommen.
Unter Nr. 22.1 wird betont, dass ein Vergleichsmehrwert nur anfällt, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Der Wert des Vergleichs erhöht sich demnach nicht um den Wert dessen, was die Parteien durch den Vergleich erlangen oder wozu sie sich verpflichten. Dies entspricht der ganz herrschenden Meinung im Streitwertrecht. Danach ist Gegenstand des Vergleichs nicht das, worauf sich die Parteien einigen (Verhandlungsergebnisse/Zugeständnisse), sondern worüber sie gestritten bzw. wozu sie Unklarheiten bereinigt haben (BAG, Urt. v. 16.05.2000 – 9 AZR 279/99; OLG Hamm, Urt. v. 01.04.1992 – 20 U 283/91; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.06.2008 – 24 W 17/08). Der Gegenstand, aus dessen Wert sich die Einigungsgebühr berechnet, ist also nicht die nach dem Vergleich zu erbringende Leistung, sondern das Rechtsverhältnis, über das der Streit oder die Ungewissheit bestanden hat, die der Vergleich beseitigt (BGH, Urt. v. 28.05.1979 – III ZR 89/78; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.06.2008 – 24 W 17/08). Der Wert eines Vergleichs bemisst sich daher nach dem Gegenstand, über den sich die Parteien vergleichen, und nicht nach der Leistung, auf die sie sich verständigen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.04.2005 – 24 U 66/04; OLG Frankfurt, Beschl. v. 09.07.1985 – 5 W 12/85; OLG München, Beschl. v. 22.02.2000 – 14 W 333/99; OLG Bamberg, Beschl. v. 23.10.1990 – 2 WF 146/90; OLG Schleswig, Beschl. v. 27.11.1990 – 9 W 136/90; OLG Hamburg, Beschl. v. 12.06.1981 – 8 W 155/81; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.01.2008 – 4 U 145/07; LArbG Düsseldorf, Beschl. v. 19.02.2008 – 6 Ta 38/08; LArbG Düsseldorf, Beschl. v. 28.12.2007 – 6 Ta 610/07; LArbG Köln, Beschl. v. 12.02.2010 – 7 Ta 363/09; LArbG Köln, Beschl. v. 06.01.2010 – 8 Ta 210/09; LArbG Köln, Beschl. v. 29.03.2007 – 3 Ta 58/07; LArbG Hamm, Beschl. v. 10.12.2009 – 6 Ta 541/09; LArbG Hamburg, Beschl. v. 11.01.2008 – 8 Ta 13/07; LArbG Mainz, Beschl. v. 21.11.2006 – 6 Ta 212/06; LArbG Halle (Saale), Beschl. v. 08.12.2004 – 8 Ta 163/04; LArbG Stuttgart, Beschl. v. 23.12.2009 – 5 Ta 158/09; LArbG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 12.03.2009 – 17 Ta (Kost) 6011/09).
Nach Nr. 22.1.1 des Streitwertkatalogs führt die Veränderung des Beendigungszeitpunkts (auch bei Verknüpfung mit einer Erhöhung des Abfindungsbetrages – Turbo- oder Sprinterklausel) nicht zu einem Vergleichsmehrwert. Dies ist konsequent. Durch eine Turbo- oder Sprinterklausel wird der Streit über die Wirksamkeit einer streitbefangenen Kündigung beigelegt, wobei die Parteien einen Beendigungszeitpunkt festlegen und der klagenden Partei zudem ein Recht zum vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis durch einseitige Erklärung einräumen (zu den rechtlichen Anforderungen an die Lösungserklärung vgl. BAG, Urt. v. 17.12.2015 – 6 AZR 709/14). Die Parteien haben über den unbegrenzten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gestritten. Durch die Regelung im Vergleich regeln sie ein Minus, nämlich den begrenzten bzw. verkürzbaren Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Ein Recht zum vorzeitigen Ausscheiden ist regelmäßig nicht in Streit. Es handelt sich vielmehr um ein Verhandlungsergebnis im Zusammenhang mit der Bestandsschutzstreitigkeit. Die Regelung zur Erhöhung der Abfindung bleibt entsprechend § 42 Abs. 2 Satz 1 HS. 2 GKG ohne Ansatz.
Nach Nr. 22.1.2 des Streitwertkatalogs wird jedoch die Einigung auf eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines Abmahnungsrechtsstreits oder eines Streits über eine Versetzung zusätzlich bewertet. In Ansatz gebracht wird insoweit bei dem „umstrukturierenden Vergleich“ die sich aus der latenten Fortbestandsgefährdung ergebende Ungewissheit über das Arbeitsverhältnis.
Nach Nr. 22.1.3 des Streitwertkatalogs wird das Merkmal der „Ungewissheit“ in typischer Weise bei der Vereinbarung eines Arbeitszeugnisses mit inhaltlichen Festlegungen zum Leistungs- und Führungsverhalten in einem Rechtsstreit über eine auf Verhaltens- oder Leistungsmängel gestützte Kündigung gegeben sein; dies ist zusätzlich nach I. Nr. 25 des Streitwertkatalogs mit einem Monatsentgelt zu bewerten. Daraus folgt aber nicht, dass bei jeder Zusage eines „guten Zeugnisses“ solch ein Ansatz gerechtfertigt ist.
Unter Nr. 22.1.4 des Streitwertkatalogs wird klargestellt, dass nur dann, wenn eine Partei sich eines Anspruchs auf oder eines Rechts zur Freistellung berühmt hat, die Freistellungsvereinbarung mit bis zu 1 Monatsvergütung (unter Anrechnung des Werts einer Beschäftigungs- oder Weiterbeschäftigungsklage) zu bewerten ist. Die Freistellung wird nur zukunftsbezogen ab dem Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses berücksichtigt, etwaige Zeiten einer Freistellung zuvor spielen keine Rolle.
Nach 22.1.5 des Streitwertkatalogs erhöhen Ausgleichsklauseln den Vergleichswert nur, wenn durch sie ein streitiger oder ungewisser Anspruch erledigt wird.
Für die Gegenstandswerte des Beschlussverfahrens (unter II. des Streitwertkatalogs) wird unter Nr. 2.1, 8.2, 9.1, 10., 16.1 und 16.2 betont, dass „ausgehend vom Hilfswert nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG“ unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine Erhöhung bzw. ein Abschlag bzw. eine Herauf- oder Herabsetzung des Wertes ohne Staffelung in Betracht kommt. Eine schematische Heranziehung des Hilfswerts wird daher abgelehnt. Dies zeigt die Grenze für schematisierende Gegenstandswertvorschläge auf.
Schließlich stellt der Streitwertkatalog unter Nr. 13.7 klar, dass mit „Massenverfahren“ die objektive Antragshäufung und keine Verfahrenshäufung gemeint ist. Auch insoweit wird eine verfahrensübergreifende Bewertung abgelehnt.
IV. Zukunft des Streitwertkatalogs
Die Streitwertkommission erklärt in der Vorbemerkung zum Streitwertkatalog, dass dieser weiterentwickelt werden soll. Die betroffenen Verbände, die Anwaltschaft und die arbeitsgerichtliche Praxis bleiben aufgerufen, durch Kritik und Vorbringen von überzeugend begründeten Änderungsvorschlägen an der Weiterentwicklung des Streitwertkatalogs mitzuwirken.