Nachfolgend ein Beitrag vom 4.1.2017 von Fischer, jurisPR-ArbR 1/2017 Anm. 3

Leitsätze

1. Bejaht man einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats im Zusammenhang mit der Durchführung einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG, kann dieser nur der Sicherung seines Verhandlungsanspruchs dienen, nicht jedoch losgelöst hiervon auf die Untersagung der Betriebsänderung selbst gerichtet sein.
2. Jedenfalls dann, wenn eine Betriebsänderung bereits durchgeführt worden ist, kann der Betriebsrat seinen Verhandlungsanspruch nach § 112 BetrVG im Hinblick auf einen beabsichtigten Interessenausgleich nicht mehr durchsetzen, und ein im Wege der einstweiligen Verfügung durchzusetzender Unterlassungsanspruch des Betriebsrates scheidet aus.

A. Problemstellung

Wo wölbt sich über den Landesarbeitsgerichten der blaue Himmel, wo entsteht kein Ungemach durch Nichtzulassungsbeschwerden, Rechtsbeschwerden und Revisionen: Im Königreich der §§ 72 Abs. 4 und 92 Abs. 1 ArbGG. Dieses ist umso stolzer und mächtiger, je zeitsensibler eine rechtliche Streitigkeit ist. Ein geradezu klassisches Beispiel für dieses Phänomen ist die seit Jahrzehnten andauernde Kontroverse der Landesarbeitsgerichte zum so genannten betriebsrätlichen Unterlassungsanspruch bei Betriebsänderungen i.S.v. § 111 BetrVG. Im besprochenen Fall ging es um die ohne Mitwirkung eines schon bestehenden Betriebsrates erfolgte Errichtung und nachfolgenden Betrieb eines Gemeinschaftsbetriebes durch zwei Unternehmen. Kann ein betriebsrätlicher Unterlassungsanspruch auch dann noch erfolgreich sein, wenn die Zusammenlegung des Betriebes bereits stattgefunden hat?
Darüber hatte das LArbG Mainz zu entscheiden, nachdem das Arbeitsgericht einen entsprechenden Anspruch verneint hatte.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Eine Produktionsgesellschaft mit mehreren Betrieben einigte sich mit einer bis dahin arbeitnehmerlosen Vermögensverwaltungsgesellschaft, beide geführt vom selben Unternehmer, darauf, dass ein Betrieb der Produktionsgesellschaft – nach entsprechender Änderung des Gesellschaftszwecks der Vermögensverwaltungsgesellschaft – mit deren neu zu gründenden Betrieb zu einen Gemeinschaftsbetrieb zusammengefasst werden. Diese Vereinbarung wurde dann auch, ohne den bei dem Betrieb der Produktionsgesellschaft gebildeten Betriebsrat zu beteiligen, umgesetzt in der Weise, dass Arbeitnehmer, die zuvor im Produktionsbetrieb befristet beschäftigt waren, nach Auslaufen ihrer Verträge von dem neuen Betrieb der ehemaligen reinen Vermögensgesellschaft „neu“ eingestellt wurden (Honi soit qui mal y pense).
Das Landesarbeitsgericht lässt es dahingestellt, ob ein Verfügungsgrund im Sinne besonderer Dringlichkeit gegeben sei, ebenso ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 111 Satz 2 Nr. 3 BetrVG vorliegen. Ja, es lässt sogar die allseits bekannte Kontroverse der Landesarbeitsgerichte zum Unterlassungsanspruch bei mitwirkungs- bzw. mitbestimmungswidriger Betriebsänderung links liegen. Es entscheidet den Fall allein nach Maßgabe der Überlegung, dass der betriebsrätliche Rechtsschutz schon deshalb ausscheide, weil die Betriebsänderung, nämlich die Zusammenlegung des alten und des neuen Betriebs, schon faktisch durchgeführt sei. In dieser Phase des Geschehens, in der die Planung, von der § 111 Satz 1 letzter HS. BetrVG spricht, bereits vollendet sei, gäbe es nichts mehr zu unterrichten und zu verhandeln bzw. zu beraten und deshalb auch nichts mehr zu unterlassen.

C. Kontext der Entscheidung

Existierte ein Kompendium der arbeitsrechtlichen Ausprägung der Figur der „Normativen Kraft des Faktischen“, so müsste der Beschluss des Landesarbeitsgerichts einen Ehrenplatz darin einnehmen. Doch nun muss er sich meiner Kritik unterziehen. Diese bezieht sich nicht darauf, dass das Landesarbeitsgericht die oben genannten Fragen als letztlich für die Entscheidung nicht relevant unbeantwortet gelassen hat. Nur so viel: Der Verfasser dieser Anmerkung hat von Beginn der Kontroverse an die Auffassung vertreten, dass der vom Ersten Senat des BAG aus der Struktur des Betriebsverfassungsrechtes, auch in Ansehung des § 23 Abs. 3 BetrVG, abgeleitete allgemeine betriebsrätliche Unterlassungsanspruch gegen mitbestimmungswidriges Arbeitgeberverhalten nach § 111 BetrVG anzuwenden ist.
Da es mir bisher nicht gelungen ist, die dem nicht zustimmenden Landesarbeitsgerichte zu überzeugen und die übrigen Landesarbeitsgerichte nicht überzeugt werden müssen, belasse ich es bei dieser Feststellung und wende mich der wesentlichen materiell-rechtlichen These des besprochenen Beschlusses zu, wonach ein Unterlassungsanspruch nur der Sicherung des in § 111 BetrVG angelegten Verhandlungsanspruches des Betriebsrates diene. Sie lässt sich meines Erachtens angesichts des Wortlauts der Regelung und ihrer Teleologie nicht halten. Das Landesarbeitsgericht verkennt insofern die Struktur des Betriebsverfassungsgesetzes, als es nicht hinreichend beachtet, dass dieses deutlich unterscheidet zwischen einer originären Verpflichtung des Arbeitgebers, wie sie beispielsweise typisch für die §§ 111, 80 Abs. 2 Satz 1, 90 Abs. 1, 92 BetrVG ist und einem betriebsrätlichen Anspruch, wie er beispielsweise in den §§ 80 Abs. 2 Satz 2 oder 92a sowie 93 BetrVG geregelt ist. Dabei geht es nicht nur um eine semantische Unterschiedlichkeit, sondern um eine klare betriebsverfassungsrechtliche Rollenverteilung, insbesondere im Hinblick auf die aktive Rolle bzw. Initiativlast. § 111 Satz 1 BetrVG verpflichtet den Unternehmer, unabhängig davon, ob der Betriebsrat dieses aufgrund einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage erwartet, wünscht oder verlangt, zur rechtzeitigen und umfassenden Unterrichtung über eine geplante Betriebsänderung. Diese Verpflichtung ist kein Selbstzweck, sondern dient zunächst dazu, sicherzustellen, dass der Betriebsrat sich ein Bild von den Absichten des Arbeitgebers machen kann, auch dies wiederum kein Selbstzweck, sondern als Folge der Verpflichtung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, vertrauensvoll nach § 2 Abs. 1 BetrVG zusammenzuarbeiten und als Voraussetzung dafür, dass der Betriebsrat seine allgemeinen Aufgaben i.S.v. § 80 Abs. 1 BetrVG erfüllen kann und dann ggf. in eine Beratung i.S.v. § 111 Satz 1 BetrVG eintritt. Dass es sich bei den Tatbestandsvarianten des § 111 Satz 1 BetrVG um ganz wesentliche, die Belegschaft berührende Fragen handelt, ist im Kontext dieser Ausführungen so offensichtlich, dass dies nicht weiter ausgeführt werden muss. Dass der Gesetzgeber das auch so sieht, ergibt sich meines Erachtens daraus, dass dann, wenn zwischen Betriebsrat und Unternehmer ein Interessenausgleich über die Betriebsänderung nach § 111 BetrVG nicht zustande kommt, der Interessenausgleichsversuch nach § 111 BetrVG stattzufinden hat. Hier kommt die Rechtsprechung des Ersten Senats des BAG ins Spiel, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Interessenausgleich mit dem Betriebsrat innerbetrieblich zu versuchen, bei Scheitern ergebe sich dann eine weitergehende unternehmerische „Obliegenheit“, erforderlichenfalls auch die Einigungsstelle anzurufen (BAG, Urt. v. 26.10.2004 – 1 AZR 493/03). Das heißt, die gesetzlichen Vorschriften in der zweckorientierten Verknüpfung zwischen den §§ 111 und 112, ja auch mit 113 BetrVG belegten, dass ihr Sinn und Zweck darin besteht, auch ohne Initiative des Betriebsrates den Arbeitgeber/Unternehmer in die Pflicht zu nehmen in der Weise, dass er eine Betriebsänderung ohne Interessenausgleich oder jedenfalls hinreichenden Interessenausgleichsversuch, zur Not bis in eine Scheitern der Einigungsstelle, zu unterlassen hat.
Es mag sein, ohne dass ich das hier abschließend beurteilen will, dass die finale Verpflichtung zur Anrufung der Einigungsstelle lediglich eine Obliegenheit darstellt. Die Verpflichtung, den Betriebsrat zu informieren und die geplante Betriebsänderung mit ihm zu beraten, ist jedenfalls keine Obliegenheit, sondern eine echte Rechtsverpflichtung. Wieso diese nicht durch Unterlassung gesichert werden kann, leuchtet mir nicht ein. Denn es geht eben gerade nicht (nur) darum, dass ein wie auch immer strukturierter Verhandlungsanspruch des Betriebsrates, den das Landesarbeitsgericht als maßgeblich ansieht, gesichert werden soll. Nein. Es geht darum, dass der Arbeitgeber von Gesetzes wegen verpflichtet wird, den Betriebsrat initiativ vor einer geplanten Betriebsänderung zu informieren und mit ihm über diese zu beraten, ganz unabhängig davon, ob und in welcher Weise der Betriebsrat darüber verhandeln will oder nicht.
Nun ist der Einwand berechtigt, wozu das Ganze, wenn doch die Maßnahme schon durchgeführt ist. Aber auch die diesbezüglich angestellte Überlegung des Landesarbeitsgerichts ist meines Erachtens zu kurz gegriffen, jedenfalls was die vorliegende Fallgestaltung angeht. Diese zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass hier von einer „tabula rasa“, die die unternehmerische Entscheidung geschaffen hat, gerade nicht gesprochen werden kann. Wäre es um eine Betriebsänderung im Sinne beispielsweise der Stilllegung des ganzen Betriebes gegangen und wären alle Maschinen verschrottet und das Betriebsgebäude abgerissen, dann würde ein betriebsverfassungsrechtlicher Unterlassungsanspruch wahrscheinlich schon daran scheitern, dass sich keine Verfahrensvertretung finden würde, ein solches Verfahren durchzuführen, zumal ein Rechtsanwalt wenig Chancen hätte, für ein solches Verfahren die diesbezügliche materiell-rechtliche Kostenrechtsprechung des BAG zu aktivieren. Aber bei einem Betriebszusammenschluss gemäß § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG, wie hier, liegt die Sache anders. Er vollzieht sich ja gerade in der Zeit. Das in die Zukunft gerichtete fortdauernde Zusammenwirken zweier Betriebe macht seine Struktur aus. Demgegenüber geht es bei einer Betriebsschließung um einen Endpunkt ohne betriebliche Zukunftswirkung. Daraus folgt meines Erachtens, dass der Betriebsrat völlig richtig beantragt hatte, dass die Arbeitgeber es unterlassen sollten, bis zu einer betriebsverfassungsrechtlich konformen Lösung den gemeinsamen Betrieb zu betreiben. Er hatte zutreffenderweise gerade nicht beantragt, die Zusammenlegung rückgängig zu machen. Der „Nichtbetrieb“ eines Gemeinschaftsbetriebes wäre für eine vorübergehende Zeit der „betriebsverfassungsrechtlichen Nachholung“ ohne weiteres möglich und könnte dann auf „Betrieb“ umgeschaltet werden, wenn die betriebsverfassungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Das hat mit dem vom Landesarbeitsgericht diskutierten „Folgenbeseitigungsanspruch“, der bekanntlich im Betriebsverfassungsrecht, anders als z.B. im Berliner Personalvertretungsrecht (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 08.10.2015 – OVG 60 PV 4.15; Fischer, jurisPR-ArbR 45/2015 Anm. 5) abgelehnt wird, nichts zu tun, sondern ist lediglich Ausfluss einer exakten Analyse der konkreten Betriebsänderung und ihrer zeitlichen Dimension.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Beschluss bietet erneut Anlass, sich Gedanken über das arbeitsrechtliche Verhältnis von Richterrecht zu Gesetzesrecht Gedanken zu machen. Es ist schon erstaunlich, wenn das Landesarbeitsgericht sein Ergebnis unter anderem auch mit dem forschen Rechtssatz absichern will, über das Gesetz „hinausgehende Unterlassungsansprüche (seien) dem Gesetzgeber vorbehalten“, wenn man bedenkt, wie freihändig die Rechtsprechung in Sachen Arbeitskampfrecht mit dem Gesetzesvorbehalt umgeht. Es bleibt abzuwarten, ob nicht irgendwann doch einmal das BAG die Gelegenheit hat, die grundsätzliche Unterlassungsproblematik im Betriebsänderungsbereich zu entscheiden. Bis dahin sollten die letztinstanzlich urteilenden Landesarbeitsgerichte sorgfältig prüfen, ob tatsächlich eine Betriebsänderung bereits vollzogen ist oder nur, wie im vorliegenden Fall, scheinbar und dass nicht ein wie auch immer zu qualifizierender Verhandlungsanspruch des Betriebsrats im Vordergrund des § 111 BetrVG steht, sondern eine völlig unabhängig davon bestehende arbeitgeberseitige Primärverpflichtung.