Nachfolgend ein Beitrag vom 12.4.2017 von Steiner, jurisPR-ArbR 15/2017 Anm. 4

Leitsatz

Eine Betriebsvereinbarung, die eine Verpflichtung des Arbeitgebers festschreibt, den Betriebsrat zu Personalgesprächen einzuladen, die disziplinarische Maßnahmen gegenüber einzelnen Mitarbeitern zum Gegenstand haben, ist wirksam, wenn der betroffene Mitarbeiter die Gesprächsteilnahme des Betriebsrats ablehnen kann.

A. Problemstellung

Das LArbG Düsseldorf hatte sich mit der immer wieder aktuellen Frage zu beschäftigen, ob und inwieweit es die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten gegenüber dem Betriebsrat zu schützen gilt. Regelmäßig ist diese Frage Thema bei der Gestaltung von Betriebsvereinbarungen. Sei es bei der Einführung technischer Einrichtungen, die geeignet sind Leistung und Verhalten der Beschäftigten zu kontrollieren (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) oder sei es bei Fragen, die das Ordnungsverhalten im Betrieb betreffen (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).
Aus Sicht des Arbeitgebers ist der Beschäftigte zwingend davor zu schützen, dass im Falle von Verstößen gegen die Ordnung im Betrieb, den Arbeitsvertrag oder gar das Gesetz der Betriebsrat Kenntnis davon erlangt. Das gebiete der Schutz der Persönlichkeit des Beschäftigten. Die Position des Betriebsrats ist erfahrungsgemäß konträr. Zum Schutz der Persönlichkeit des Beschäftigten ist dieser im bevorstehenden Kritik- und Personalgespräch vor Überrumpelung oder gar einer Übervorteilung zu schützen. Die Anwesenheit des Betriebsrats dient dem Schutz und der Unterstützung von Beschäftigten in solchen für sie kritischen Situationen, weshalb die Anwesenheit eins Mitglieds des Betriebsrats bei solchen Gesprächen geboten sei.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Betriebsrat eines Berufsförderungswerks mit ca. 300 Beschäftigten hatte mit dem Arbeitgeber eine Rahmenbetriebsvereinbarung zur Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung geschlossen. Darin heißt es unter § 4 Ziffer 1:
„Zu Gesprächen, die im Rahmen des Prozesses zur Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung zwischen Geschäftsleitung, Abteilungsleitung und den Arbeitnehmern stattfinden, in denen es sich um disziplinarische (arbeitsrechtliche) Maßnahmen handelt, wird der Betriebsrat gleichzeitig zu den Gesprächen eingeladen.
Unter disziplinarische Maßnahmen verstehen wir:
– Ermahnungen
– Abmahnungen
– Verwarnungen
– Kündigungsbegehren
– Versetzung
Der Mitarbeiter kann arbeitsrechtlich so entscheiden, dass er diese Gespräch ohne Beteiligung eines Betriebsratsmitglieds führen möchte.
Bei Nichtbeachtung der ordnungsgemäßen Einladung des Betriebsrates und des Arbeitnehmers hat das Gespräch keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen.“
Eine Verfahrensregelung ergänzt folgendermaßen:
„Bei MitarbeiterInnengesprächen … erfolgt die Einladung der Betroffenen und des Betriebsrats vereinbarungsgemäß gleichzeitig.
Der Betriebsrat informiert die Betroffenen über ihr Recht auf Gesprächsführung ohne Beteiligung des Betriebsrates.
Wenn die Betroffenen die Nichtbeteiligung des Betriebsrates ausdrücklich wünschen, erklären diese ihren Willen durch Unterzeichnung eines entsprechenden Vordrucks.
Eine Zweitschrift der Erklärung verbleibt beim Betriebsrat.
Die Originalerklärung händigen die Betroffenen dem Arbeitgebervertreter zu Beginn des Gesprächstermins aus.“
Fast 13 Jahre lang wurde nach dieser Vereinbarung verfahren, bis der Arbeitgeber im Oktober 2015 mitteilte, dass er der Meinung sei, die Vorschriften aus der Betriebsvereinbarung verstießen gegen das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Es sei rechtswidrig, den Betriebsrat automatisch gleichzeitig zum Gespräch einzuladen. Der Betriebsrat machte daraufhin seinen Durchführungsanspruch aus § 77 Abs. 1 BetrVG geltend – in der zweiten Instanz auch mit Erfolg.

C. Kontext der Entscheidung

Sehr überzeugend führt das LArbG Düsseldorf aus, dass zwar auch der Betriebsrat das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten zu beachten habe. Dies ergibt sich aus § 78 BetrVG. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann jedoch außerhalb des Kernbereichs privater Lebensführung durchaus Einschränkungen erfahren. Solche Einschränkungen dürfen auch durch Betriebsvereinbarungen festgelegt werden. Allerdings darf die Einschränkung nicht unverhältnismäßig sein, denn auch die Betriebsverfassung garantiert das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (§ 75 Abs. 2 BetrVG). Die streitigen Bestimmungen in der Rahmenbetriebsvereinbarung dienen ersichtlich dem Schutz des Betroffenen. Es ist beabsichtigt, einem Ungleichgewicht in der Gesprächssituation entgegenzuwirken und die Gesprächsatmosphäre zu verbessern. Der Beschäftigte wird durch die Verfahrensweise der oftmals unangenehmen Situation entzogen, aktiv die Gegenwart eines Betriebsratsmitglieds einzufordern. Er muss nicht abwägen, ob ihm seine Forderung eventuell negativ auslegt werden könnte. Durch die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds soll ein etwa vorhandenes intellektuelles Übergewicht des Arbeitgebers ausgeglichen oder abgemildert werden, auch Gründe der „Waffengleichheit“ sind von Bedeutung, insbesondere dann wenn Personen des Gesprächs später als Zeugen zur Verfügung stehen, betonte das BAG schon in seiner Entscheidung vom 16.11.2004 (1 ABR 53/03 – BAGE 112, 341), die sich mit der Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern bei Personalgesprächen auseinandersetzt.
Es mag dem Betroffenen zwar im Einzelfall peinlich sein, dass der Betriebsrat über das bevorstehende Gespräch informiert wird. Dadurch wird zwar das Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten tangiert. Der Eingriff ist aber unter Berücksichtigung der oben genannten Ziele verhältnismäßig und die Besserstellung der Beschäftigten wiegt schwerer als der Eingriff.
Zu bedenken ist, dass der Betriebsrat auch jenseits der in der Rahmenbetriebsvereinbarung getroffenen Regelungen, weitgehende Rechte hat. Insbesondere im Rahmen der Mitbestimmung nach § 99 BetrVG bei Versetzungen und nach § 102 BetrVG bei Kündigungen bekommt er tiefen Einblick in oftmals sehr Persönliches. Auch die Pflicht, nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, die Einhaltung der Gesetze zu überwachen, gibt dem Betriebsrat einen sehr weitgehenden Auskunftsanspruch.
Dass der Betriebsrat verpflichtet ist, die Erkenntnisse aus den Gesprächen vertraulich zu behandeln, ergibt sich im Rahmen des § 82 Abs. 2 BetrVG direkt aus dieser Vorschrift und im Übrigen aus den Vorschriften des BDSG. Allerdings nicht, wie das LArbG Düsseldorf meint, aus § 3 Ziff. 7 BDSG, sondern direkt aus § 5 BDSG (Datengeheimnis).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung reiht sich ein in eine Reihe weiterer Entscheidungen, die sich mit Eingriffen in Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten durch den Betriebsrat befassen. So hat das BAG z.B. bereits bestätigt, dass dem Betriebsrat nicht mit Verweis auf das Persönlichkeitsrecht und datenschutzrechtliche Bestimmungen die Auskunft verweigert werden kann, welche Arbeitnehmer für ein betriebliches Eingliederungsmanagement vorzusehen sind (BAG, Beschl. v. 07.02.2012 – 1 ABR 46/10 – BAGE 140, 350). Auch der Einblick in die Bruttolohn- und Gehaltsliste kann nicht aus Gründen des Persönlichkeitsrechts und des Datenschutzes von einer Einwilligung der Beschäftigten abhängig gemacht werden (BAG, Beschl. v. 14.01.2014 – 1 ABR 54/12 – NZA 2014, 738).
Die Entscheidung des LArbG Düsseldorf ergänzt die genannten BAG-Entscheidungen. Das Landesarbeitsgericht musste sich mit der Frage auseinandersetzen, welche Abwägungskriterien bei einer freiwilligen Betriebsvereinbarung eine Rolle spielen, wenn die Regelung das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten berührt.