Bertin Chab, München
Der Autor ist Rechtsanwalt und bei der Allianz Versicherung München tätig. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.
1. Direktanspruch
a) Voraussetzungen
Die Frage, ob der Geschädigte bei allen Pflichtversicherungen und nicht nur im Kfz-Bereich (§ 3 PflVG) nun auch unmittelbar gegen den Versicherer gerichtlich vorgehen kann, war im Gesetzgebungsverfahren bis zuletzt umstritten. Gem. § 115 Abs. 1 VVG n. F. bleibt es bei den Vorschriften über das Pflichtversicherungsgesetz (Ziff. 1); darüber hinaus gilt jetzt für alle Pflichtversicherungen, also auch für die Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwälte nach § 51 BRAO, dass der Geschädigte einen Anspruch gegen den Versicherer direkt hat, wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist (Ziff. 2). Das ist schon im Hinblick auf § 110 VVG n. F. letztlich nur eine bürokratische Erleichterung für alle Beteiligten. Der Insolvenzverwalter kann so von vornherein aus dem Geschehen herausgehalten werden. Der Direktanspruch wird auch dann ermöglicht, wenn der Aufenthalt des Versicherungsnehmers unbekannt ist (Ziff. 3). Hier kommt der Verbraucherschutzgedanke zum Tragen. Der Anspruchsteller hatte bisher nur die Möglichkeit der öffentlichen Zustellung nach § 185 ZPO. Mit dem so zu erlangenden Haftpflichttitel musste er sich anschließend mit dem Versicherer auseinandersetzen, für ihn also ein etwas steiniger Weg.
b) Folgen
Für die Praxis der Schadenbearbeitung erscheinen zwei Aspekte bedeutsam:
Zunächst kann man feststellen, dass sich insolvente und naturgemäß erst recht untergetauchte Versicherungsnehmer tendenziell wenig kooperativ zeigen. Gerade in der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung ist man aber im Schadenfall auf die Mithilfe des Versicherungsnehmers stärker angewiesen als beispielsweise bei Kfz-Schadenfällen, wo zumindest in schwerwiegenderen Fällen eine Unfallaufnahme durch die Polizei erfolgt und die Ermittlungsakten weiterhelfen können. Auch im Anwaltshaftungsfall stehen dem Versicherer – wenn er Glück hat – Handakten und Gerichtsakten eines Vorprozesses zur Verfügung; diesen kann aber das Entscheidende nicht immer entnommen werden. Schließlich kommt es häufig darauf an, was „außerhalb des Protokolls“ besprochen wurde. Insofern hat sich aber die Situation der Versicherer nicht wesentlich verschlechtert, bestanden doch diese Probleme bei nicht kooperierenden oder gar untergetauchten Versicherungsnehmern auch schon nach altem Recht. Bislang hatte man auf Seiten der Versicherung allenfalls mehr Zeit. Der Anspruchsteller musste nämlich zunächst gegen den Insolvenzverwalter oder den untergetauchten Versicherungsnehmer klagen und dabei die eigenen Obliegenheiten gegenüber der Versicherung beachten, insbesondere die Anzeigepflicht nach § 158 d VVG a. F. Hier bestand lange die zusätzliche Schwierigkeit, die richtige Gesellschaft zu ermitteln. Diese letzte Hürde wurde dem Geschädigten erst 2007 durch eine Änderung des § 51 Abs. 6 BRAO (Gesetz vom 26.3.2007, BGBl. I, 358) genommen. Das bedeutete für die potenziell Geschädigten in jedem Fall Aufwand und weitere (Kosten-)Risiken, die diese nicht immer bereit waren zu tragen. Nunmehr sind die Schadenabteilungen gezwungen, möglichst rasch aktiv zu werden, um denkbare Nachteile aufgrund der bisweilen eklatanten Informationsdefizite möglichst zu vermeiden. Sie werden noch eher als bisher auf eine enge Zusammenarbeit mit Rechtsanwaltskanzleien überall vor Ort angewiesen sein, die ggf. kurzfristig Akten einsehen und dann entsprechend prozessual reagieren können.
Der zweite Aspekt betrifft die Frage, ob und inwieweit der Versicherer nun bereits im Prozess mit dem Geschädigten deckungsrechtliche Fragen aufwerfen kann und muss, die eigentlich das Verhältnis zum Versicherungsnehmer betreffen. § 117 Abs. 1 VVG n. F. bestimmt, dass der Versicherer dem Direktanspruch des Dritten nicht entgegenhalten kann, dass Leistungsfreiheit besteht. Ebenso wie im § 158 c VVG a. F. sind damit Einwendungen gemeint, die sich auf Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers beziehen. Hat der Versicherungsnehmer den Schaden also beispielsweise verspätet gemeldet und will der Versicherer sich deshalb auf Leistungsfreiheit diesem gegenüber berufen, ist er auf den Gesamtschuldnerausgleich gem. § 116 VVG n. F. angewiesen. Besteht aber andererseits z. B. in zeitlicher Hinsicht außerhalb der in § 117 Abs. 2 VVG n. F. beschriebenen Sonderfälle keine Deckung, so kann und muss das sofort geltend gemacht werden, denn diese Einwendungen können dem Dritten gegenüber sehr wohl entgegengehalten werden (§ 117 Abs. 3 S. 1 VVG n. F.). Das gleiche gilt, wenn Ausschlussgründe wie insbesondere die „wissentliche Pflichtverletzung“ greifen. Gerade wenn die Voraussetzungen für den Direktanspruch vorliegen, kann das erfahrungsgemäß der Fall sein, weil der Anwalt z. B. ganz bewusst nicht mehr für die Mandanten tätig war oder weil er schlicht und ergreifend mit unterschlagenem Geld untergetaucht ist – mit Sicherheit kein Massenphänomen. Hinzu kommen allerdings noch die Fälle, in denen die Tätigkeit des Anwalts von vornherein nicht dem Versicherungsschutz unterliegt, weil sich der Auftrag z. B. auf eine verwaltende Treuhand ohne jede Rechtsberatung beschränkte (dazu Chab, AnwBl 2004, 440) oder weil im Rahmen eines Aufsichtsratsmandats gehandelt wurde. In all diesen Fällen gilt, dass das Trennungsprinzip zwischen Haftung und Deckung aufgehoben wird. Der Versicherer muss schon im Prozess gegen den Geschädigten entsprechende Einwendungen bringen, um der Eintrittspflicht nach außen zu entgehen. Unterlässt er das, wäre er auf den – dann in der Regel wohl wertlosen – Gesamtschuldnerausgleich gegenüber dem Versicherungsnehmer verwiesen.
2. Obliegenheitsverletzungen
Denkbare Schäden sind möglichst frühzeitig an die Versicherung zu melden. Die Schadenabteilungen der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherer sind in der Regel daran interessiert, so frühzeitig involviert zu werden, dass Rettungsmöglichkeiten wie Wiedereinsetzungsanträge nach Versäumung einer Notfrist noch intern abgestimmt werden können; hier zahlt sich die besondere Erfahrung bei den zuständigen Abteilungen bisweilen aus. So sehen es auch die einschlägigen Versicherungsbedingungen vor. Bislang galt für Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls, dass sich die Versicherer auf Leistungsfreiheit berufen konnten, wenn sich der Versicherungsnehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig verhielt, bei grober Fahrlässigkeit allerdings nur, soweit auch Feststellungsinteressen der Versicherung durch die Obliegenheitsverletzung tatsächlich berührt wurden (§ 6 Abs. 3 VVG a. F.).
§ 28 II VVG n. F. rückt vor allem vom „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ bei grober Fahrlässigkeit ab. Bei einfacher Fahrlässigkeit kann sich der Versicherer nie auf Leistungsfreiheit berufen, bei Arglist stets, auch wenn sich die Obliegenheitsverletzung nicht auf dessen Feststellungsinteressen ausgewirkt hat (§ 28 Abs. 3 VVG n. F.) Bei Vorsatz ist völlige Leistungsfreiheit möglich, wenn Ursächlichkeit hinzukommt; bei grober Fahrlässigkeit und Ursächlichkeit kann eine Leistungskürzung je nach Schwere der Schuld vorgenommen werden. Die neue Regelung verschlechtert die Position der Versicherer insofern, als diese bislang auf einen Deckungsprozess mit möglicherweise völligem Unterliegen des Versicherungsnehmers verweisen konnten; dieser kann jetzt damit rechnen, dass er auch im Prozess zumindest eine Quote erzielen wird. Da hierüber aber Unsicherheit besteht, werden verstärkt außergerichtliche Lösungen angestrebt werden. Was die Gerichte im Detail daraus machen werden, wenn sie doch einmal bemüht werden, bleibt abzuwarten.
3. Wegfall des Anerkenntnisverbots
Bislang sahen die Versicherungsbedingungen ein striktes Verbot von Anerkenntnissen des Versicherungsnehmers gegenüber dem Anspruchsteller vor. Bei Anerkenntnissen ohne Rücksprache mit dem Versicherer konnte dieser sich ohne weiteres auf Leistungsfreiheit berufen. Auch das ist jetzt nicht mehr möglich, § 105 VVG n. F. Das hat zur Folge, dass nunmehr Rechtsanwälte die Schadenersatzansprüche Ihrer Mandanten auch dann befriedigen können, wenn der Versicherer der Meinung ist, eine Haftung sei nicht gegeben. Der Anwalt muss nicht befürchten, dass ihm allein deshalb jeglicher Versicherungsschutz versagt wird. Freilich sind die Versicherungen auch nicht umgekehrt automatisch zur Leistung verpflichtet. Die Folge ist vielmehr eine Verlagerung des Prozessrisikos vom potenziell geschädigten Mandanten auf den Versicherungsnehmer, der nun den Haftpflichtprozess inzident in den Deckungsprozess mit dem Versicherer verlagern kann, wenn dieser Leistungen weiterhin ablehnt. Das kann erhebliche Auswirkungen haben. Zum einen schleicht sich hier – wenn man so will – ein weiterer Fall des Direktanspruchs durch die Hintertüre herein, denn der Versicherungsnehmer klagt im Prinzip für den Geschädigten und nimmt dessen Rolle ein. So werden aber auch Zeugenrollen „verschoben“. Im Prozess zwischen Versicherungsnehmer und Versicherung steht der Anspruchsteller als Zeuge zur Verfügung, während er als Partei im Haftpflichtprozess gegen den Anwalt diese Rolle nicht einnehmen kann. Dazu ein Beispiel:
Ein Rechtsanwalt hat eine Werklohnforderung seines Mandanten eingeklagt. Diese Klage wird wegen Verjährung abgewiesen. Im Prozess hatte der Gegner vorgetragen, dass eine Barzahlung auf der Baustelle erfolgte, konnte aber keine Quittung vorweisen. Wenn die Forderung nicht verjährt gewesen wäre, hätte er den Prozess wohl verloren, weil er die Erfüllung nicht hätte nachweisen können. Dennoch kann der Haftpflichtversicherer mit Erfolg die Kausalität bestreiten, weil der einstige Gegner des Mandanten jetzt im Haftpflichtprozess als Zeuge für die Zahlung aussagen kann, während dem Mandanten dies als Partei verwehrt ist. Erkennt aber nun der Anwalt den Schadenersatzanspruch nach neuem Recht an, so bleibt es zwar dabei, dass der Besteller, der frühere Gegner des Mandanten, nach wie vor Zeuge sein kann. Das gilt aber auch für den Mandanten. Die Zahlung, also Erfüllung, kann damit wieder aussichtsreicher bestritten werden. Ein „non liquet“ würde – wie im Vorprozess – zu Lasten des Versicherers gehen.
4. Wegfall der besonderen Verjährungsvorschriften
Die VVG-Reform folgt den allgemeinen Bestrebungen, besondere Verjährungsvorschriften möglichst abzuschaffen. § 12 Abs. 1 und § 12 Abs. 3 VVG a. F. wurden deshalb ersatzlos gestrichen, es gelten nunmehr die allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff BGB. Allein der besondere Hemmungstatbestand des § 12 Abs. 2 VVG a. F. ist als § 15 VVG n. F. stehen geblieben. Was damit in vielen Versicherungszweigen die Berufung des Versicherers auf Verjährung bzw. Versäumung der Ausschlussfrist erschweren wird, bedeutet im Gegenzug für die Anwaltshaftung den Verlust eines „beliebten“ Haftungsgrundes. Man wird ohne Übertreibung sagen können, dass eine bedeutende Quote von Haftungsfällen im Bereich des Versicherungsrechts darauf zurückzuführen wäre, dass es eben die Anwälte der Versicherungsnehmer waren, die schuldhaft diese Fristen versäumten. Diese Fälle gehören demnächst wohl der Vergangenheit an.