Nachfolgend ein Beitrag vom 25.11.2016 von Schott, jurisPR-BGHZivilR 20/2016 Anm. 1

Leitsatz

1a. Die Frage, ob eine Erklärung als (rechtsverbindliche) Willenserklärung zu werten ist, beurteilt sich nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Maßstäben (im Anschluss an BGH, Urt. v. 07.11.2001 – VIII ZR 13/01 – NJW 2002, 363, unter II 3 b aa, und BGH, Urt. v. 22.01.2014 – VIII ZR 391/12 – NJW 2014, 1951 Rn. 14). Bei der Abgrenzung einer Allgemeinen Geschäftsbedingung von einer unverbindlichen Erklärung ist daher der für die inhaltliche Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen geltende Grundsatz der objektiven Auslegung heranzuziehen (im Anschluss an Senatsurt. v. 04.02.2009 – VIII ZR 32/08 – BGHZ 179, 319 Rn. 11, 22 und v. 09.04.2014 – VIII ZR 404/12 – BGHZ 200, 362 Rn. 24 f.).
1b. Dabei kommt allerdings nicht die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung. Denn diese setzt voraus, dass es sich bei der in Frage stehenden Erklärung um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt (im Anschluss an Senatsurt. v. 04.02.2009 – VIII ZR 32/08 Rn. 22, m.w.N.).
1c. Ob es sich bei einer in einem „verbindlichen Bestellformular“ über den Ankauf eines Kraftfahrzeugs vorgedruckten und durch eine individuelle Datumsangabe ergänzte Erklärung „Datum der Erstzulassung lt. Fzg-Brief“ um eine rechtsverbindliche Erklärung handelt oder nicht, ist nach objektiven Maßstäben zu entscheiden. Denn für den Fall ihrer Rechtsverbindlichkeit käme allein eine Einordnung als Allgemeine Geschäftsbedingung oder als typische, im Gebrauchtwagenhandel übliche Individualerklärung in Betracht. Auch im letztgenannten Fall gilt ein objektiver, von den Vorstellungen der konkreten Parteien und der Einzelfallumstände losgelöster Auslegungsmaßstab (im Anschluss an BGH, Urt. v. 25.10.1952 – I ZR 48/52 – BGHZ 7, 365, 368, und BGH, Urt. v. 29.10.1956 – II ZR 64/56 – BGHZ 22, 109, 113).
2a. Die in einem „verbindlichen Bestellformular“ über den Ankauf eines Kraftfahrzeugs vorgedruckte und mit einer individuellen Datumsangabe versehene Erklärung „Datum der Erstzulassung lt. Fzg-Brief“ stellt keine auf den Abschluss einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB über eine bestimmte Höchststandzeit zwischen Herstellung und Erstzulassung des Fahrzeugs oder eine bestimmte Modellreihenzugehörigkeit gerichtete Willenserklärung, sondern allein eine Wissenserklärung dar (im Anschluss an Senatsurt. v. 04.06.1997 – VIII ZR 243/96 – BGHZ 135, 393, 398; v. 12.03.2008 – VIII ZR 253/05 – NJW 2008, 1517 Rn. 13 und Senatsbeschl. v. 02.11.2010 – VIII ZR 287/09 – DAR 2011, 520 Rn. 4).
2b. Anders als bei Neuwagen und „Jahreswagen“, bei denen vor der Erstzulassung eine Standzeit von höchstens zwölf Monaten hinzunehmen ist (vgl. Senatsurt. v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02, unter II 3, und v. 07.06.2006 – VIII ZR 180/05 – NJW 2006, 2694 Rn. 7 ff.), lassen sich bei (sonstigen) Gebrauchtwagen keine allgemein gültigen Aussagen dahin treffen, ab welcher Grenze eine Standzeit zwischen Herstellung und Erstzulassung eine Beschaffenheit darstellt, die nicht mehr üblich ist und die der Käufer auch nicht erwarten musste (Fortentwicklung von Senatsurt. v. 10.03.2009 – VIII ZR 34/08 – NJW 2009, 1588 Rn. 14).
3. Dem Berufungsgericht ist gemäß § 513 Abs. 1, § 546 ZPO selbst bei – vom Revisionsgericht nur beschränkt überprüfbaren – Individualerklärungen eine unbeschränkte Überprüfung der vorinstanzlichen Vertragsauslegung dahin eröffnet, ob diese bei Würdigung aller dafür maßgeblichen Umstände sachgerecht erscheint (im Anschluss an Senatsurt. v. 14.07.2004 – VIII ZR 164/03 – BGHZ 160, 83, 88 ff.).
4. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO tritt eine Bindung des Berufungsgerichts an die Tatsachenfeststellung der ersten Instanz nicht bereits dann ein, wenn diese keine Verfahrensfehler aufweist (im Anschluss an BGH, Urt. v. 09.03.2005 – VIII ZR 266/03 – BGHZ 162, 314, 316 f., und BGH, Urt. v. 07.02.2008 – III ZR 307/05 – NJW-RR 2008, 771 Rn. 13). Vielmehr sind auch verfahrensfehlerfrei getroffene Tatsachenfeststellungen für das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht bindend, soweit konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen. Solche Zweifel können sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertungen ergeben (im Anschluss an Senatsurt. v. 09.03.2005 – VIII ZR 266/03 – BGHZ 162, 317; Anschluss an BVerfG v. 12.06.2003 – 1 BvR 2285/02 – NJW 2003, 2524, und BVerfG v. 22.11.2004 – 1 BvR 1935/03 – NJW 2005, 1487).

A. Problemstellung

1. Zur Abgrenzung der Wissens- von der Willenserklärung (hier: im Gebrauchtwagenhandel).
2. Ist ein Sachmangel schon dann zu bejahen, wenn ein Gebrauchtwagen vor der Erstzulassung längere Zeit als zwölf Monate stand?
3. Wann ist das Berufungsgericht an Feststellungen des erstinstanzlichen Richters gebunden?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger kaufte im Juni 2012 von dem beklagten Kraftfahrzeughändler einen gebrauchten Pkw. In dem Bestellformular war in dem vorgedruckten Feld „Datum der Erstzulassung lt. Fzg.-Brief“ der 18.02.2010 eingetragen. Nach Übergabe des Fahrzeugs stellte der Kläger fest, dass es bereits am 01.07.2008 hergestellt worden war und damit zur Modellreihe „2009“ gehörte. Er berief sich daher auf einen Sachmangel, den er in einer Standzeit von 19,5 Monaten und der Zugehörigkeit zu einer älteren Modellreihe sah, und trat von dem Kaufvertrag zurück. Der auf die Rückzahlung des Kaufpreises gerichteten Klage gab das Landgericht statt, das Berufungsgericht wies die Klage dagegen ab und ließ die Revision zu. Diese hatte keinen Erfolg.
Auf entsprechende Rügen der Revision behandelt der BGH eingehend die Prüfungskompetenz eines Berufungsgerichts nach den §§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Insoweit ist bei der Auslegung von Vereinbarungen zu unterscheiden. Die in diesen Vorschriften geregelte Bindung eines Berufungsrichters kann sich von vornherein nur auf die Feststellungen zum tatsächlichen Erklärungstatbestand und der sonstigen relevanten tatsächlichen Umstände beziehen. Die Würdigung der rechtlichen Bedeutung dieser Tatsachen und die Bestimmung des Inhalts des Vertrages sind demgegenüber von normativen Vorgaben geleitet und gehören danach zum Bereich des materiellen Rechts. Das bedeutet, dass die eigentliche Vertragsauslegung durch das Gericht erster Instanz vom Berufungsgericht ohne Einschränkungen zu überprüfen ist und ihm eine eigenständige Vertragsauslegung obliegt (möglicherweise unter Bindung an die Feststellungen der ersten Instanz zu den tatsächlichen Verhältnissen).
Weiter erörtert der BGH den Umfang der Bindung an eine Tatsachenfeststellung des erstinstanzlichen Gerichts. Sie ist nicht schon dann zu bejahen, wenn dem Berufungsgericht kein Verfahrensfehler vorzuwerfen ist, da auch verfahrensfehlerfrei getroffene Feststellungen aufgrund konkreter Anhaltspunkte Zweifeln begegnen können. Solche Zweifel sind auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertungen herleitbar. Die Berufungsinstanz ist eine zweite – wenn auch eingeschränkte – Tatsacheninstanz, die zu einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung führen soll, wie der BGH betont.
In der Sache selbst folgt der BGH der Auslegung der streitigen Angabe als unverbindlicher Wissenserklärung durch das Berufungsgericht. Er bestätigt seine Rechtsprechung, nach der diese Frage nach den Maßstäben für die Auslegung für Willenserklärungen zu beantworten ist. Da es sich entweder um eine Allgemeine Geschäftsbedingung oder um eine über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus verwendete Individualerklärung handelt, ist diese Prüfung nach objektiven Maßstäben vorzunehmen, also nach dem objektiven Inhalt und dem typischen Sinn. Auf dieser Grundlage gelangt der BGH – ebenso wie das Berufungsgericht – zu dem Ergebnis, dass die Angabe „Datum der Erstzulassung lt. Kfz-Brief“ als Wissenserklärung aufzufassen ist, wobei er sich ungeachtet seiner Funktion als Revisionsgericht angesichts des dargelegten Charakters der Angabe zu einer unbeschränkten Überprüfung befugt sieht. Er schließt an seine Rechtsprechung an, nach der Zusätze wie „laut Fahrzeugbrief“, „laut Vorbesitzer“ oder „soweit ihm bekannt“ nur Wissenserklärungen sind. Er stellt auch auf die typische Interessenlage ab und hebt hervor, dass der Käufer eines Gebrauchtwagens nicht erwarten kann, dass der Verkäufer bei der Angabe von technischen Daten, die er selbst nicht überprüfen kann, eine vertraglich bindende Erklärung abgeben will, wenn keine besonderen Umstände vorliegen. Die Annahme einer Beschaffenheitsvereinbarung kann damit nicht bejaht werden.
Auch ein Mangel i.S.v. § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB scheidet aus. Das Fahrzeug wies die bei Gebrauchtwagen übliche Beschaffenheit auf, was von den Umständen des Einzelfalles und davon abhängt, was ein Käufer in objektiv berechtigter Weise erwartet. Danach war hier eine Standzeit von 19,5 Monaten – anders als bei Neuwagen und Jahreswagen – nach Auffassung des BGH unerheblich. Dies ist hinsichtlich der Standzeit eines gewöhnlichen Gebrauchtwagens in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten. Der BGH schließt sich der Ansicht an, dass die Rechtsprechung zum Jahreswagen nicht allgemein auf Gebrauchtfahrzeuge übertragen werden kann. In Bezug auf derartige Fahrzeuge lassen sich keine allgemein gültigen Aussagen treffen. Es kommt vielmehr auf Verhältnisse im Einzelfall an, etwa die Dauer der Zulassung im Straßenverkehr, die Laufleistung, die Zahl der Vorbesitzer oder die Art der Vorbenutzung, und die hierauf gegründete berechtigte objektive Käufererwartung. Auf dieser Grundlage billigt der BGH die Feststellungen des Berufungsgerichts, nach denen bei dem vom Kläger erworbenen Gebrauchtwagen eine Standzeit von 19,5 Monaten nicht unüblich ist und er nicht erwarten konnte, dass das Fahrzeug höchstens zwölf Monate vor der Erstzulassung gestanden hatte und zu einer aktuellen Modellreihe gehörte.

C. Kontext der Entscheidung

Was die prozessuale Problematik angeht, bringt die Entscheidung des BGH keine Überraschungen. Sie bekräftigt die bisherige und recht umfangreiche Rechtsprechung (vgl. aus neuerer Zeit BGH, Urt. v. 21.06.2016 – VI ZR 403/14 Rn. 10, 11; BGH, Beschl. v. 22.12.2015 – VI ZR 67/15 – NJW 2016, 713 Rn. 7; BGH, Urt. v. 03.06.2014 – VI ZR 394/13 – NJW 2014, 2797 Rn. 10), die häufig zu einer Korrektur der Haltung von Berufungsgerichten geführt hat. Erinnert sei an die Entscheidung des BGH vom 14.07.2004 (VIII ZR 164/03 – BGHZ 160, 83, 86 f.), mit der er klargestellt hat, dass die dem Berufungsgericht obliegende Kontrolle nicht denselben Einschränkungen wie diejenige des Revisionsgerichts unterliegt (vgl. auch BGH, Urt. v. 28.03.2006 – VI ZR 46/05 – NJW 2006, 1589 Rn. 30). Das belegt die besprochene Entscheidung exemplarisch, weil das Revisionsgericht die Auslegung von Individualerklärungen nur beschränkt überprüft, nämlich darauf, ob Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt wurden oder der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt wurde oder seine Feststellung auf Verfahrensfehlern beruht (BGH, Urt. v. 20.07.2016 – IV ZR 45/16 – VersR 2016, 1108 Rn. 10).
Die in § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO genannten Zweifel an den erstinstanzlichen tatsächlichen Feststellungen ergeben sich zwar in erster Linie aus Verfahrensfehlern, sind darauf aber nicht beschränkt (BGH, Urt. v. 12.03.2004 – V ZR 257/03 – BGHZ 158, 269, 280). Vielmehr liegen solche Zweifel nach der vom BGH ständig benutzten Formulierung auch vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle einer Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (BGH, Urt. v. 15.07.2003 – VI ZR 361/02 – NJW 2003, 3480, 3481). Zweifel können sich auch aus neuen Tatsachen ergeben, die in zulässiger Weise in das Berufungsverfahren eingeführt sind (BGH, Urt. v. 19.03.2004 – V ZR 104/03 – BGHZ 158, 295, 301). Dabei muss sich das Berufungsgericht im Einzelnen mit den vom Berufungsführer vorgebrachten Einwänden auseinandersetzen (vgl. zum Beispiel das in einem patentrechtlichen Berufungsverfahren ergangene Urteil des BGH v. 24.02.2015 – X ZR 31/13 – GRUR 2015, 768 Rn. 265 ff. „Coenzym Q 10“).
Ein materieller Schwerpunkt des Urteils liegt auch in der Klärung der Streitfrage, ob bei Gebrauchtwagen stets eine Standzeit von mehr als zwölf Monaten als Sachmangel zu qualifizieren ist, ohne dass es auf den tatsächlichen konkreten Zustand des Fahrzeugs ankäme. Der BGH verneint dies in Abgrenzung zu seiner Rechtsprechung betreffend „Jahreswagen“ oder Neufahrzeuge, was im Hinblick auf die gänzlich verschiedene Ausgangslage und die darauf basierende Verkehrsanschauung überzeugt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Käufer eines Gebrauchtwagens, die Wert auf die Richtigkeit der vom Verkäufer gemachten technischen Angaben legen, müssen darauf drängen, dass der Verkäufer diese Richtigkeit in vertraglich bindender Weise – etwa in einem besonderen Zusatz – zusagt, zumal eine Beschaffenheitsvereinbarung in einem Vertrag über einen Verbrauchsgüterkauf nur noch in eindeutigen Fällen in Betracht kommt.