Nachfolgend ein Beitrag vom 16.3.2018 von Starnecker, jurisPR-ITR 5/2018 Anm. 5

Leitsatz

Die Aufzeichnung von Verkehrsverstößen anderer Verkehrsteilnehmer durch im eigenen PKW installierte On-Board-Kameras erfolgt weder für ausschließlich persönliche oder familiäre Tätigkeiten (§ 38 Abs. 5 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 2 BDSG) noch ist diese Videoüberwachung nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG gerechtfertigt.

A. Problemstellung

Die richtungsweisenden Entscheidungen zu Dashcams stammen bisher überwiegend aus zivil- oder strafrechtlichen Sachverhalten, in denen Dashcam-Aufnahmen als problematische Aspekte der Beweiserhebung und -verwertung zu thematisieren waren. Die öffentlich-rechtliche Beurteilung fristet dagegen bislang ein Schattendasein. Lediglich zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen betrachten das Phänomen Dashcam aus der Sicht des öffentlichen Rechts, genauer des Datenschutzrechts. Einerseits das Urteil des VG Ansbach aus dem Jahr 2014 (VG Ansbach, Urt. v. 12.08.2014 – AN 4 K 13.01634) und andererseits der Beschluss des VG Göttingen aus dem Jahr 2016 (VG Göttingen, Beschl. v. 12.10.2016 – 1 B 171/16; vgl. auch Starnecker/Wessels, ZD 2017, 46), der dem Besprechungsurteil in derselben Sache zum Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO vorangegangen ist. In der Sache hat das Verwaltungsgericht seine Rechtsansichten bestätigt, die es auch schon im Eilrechtsschutzverfahren vertreten hatte.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beklagte wollte durch eine datenschutzrechtliche Anordnung unterbinden, dass der Kläger weiterhin mit seiner Dashcam Aufnahmen im öffentlichen Straßenverkehrsraum anfertigt. Der Kläger zeigte in den vergangenen Jahren über 50.000 Verkehrsordnungswidrigkeiten bei den entsprechenden Behörden an. Unter anderem legte er bei der Anzeige Aufnahmen seiner Dashcam vor. Hieraufhin erließ die Beklagte einen Bescheid, in dem sie eine datenschutzwidrige Verwendung der Dashcam untersagte und die Löschung der bereits gefertigten Aufnahmen verlangte.
Das VG Göttingen hat die datenschutzrechtliche Anordnung der Beklagten gegenüber dem Kläger als rechtmäßig bestätigt.
Grundlage für die Anordnung der datenschutzkonformen Ausgestaltung der Dashcam sowie das Löschungsverlangen der bereits angefertigten Dashcam-Aufnahmen war § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG. Das beschriebene Verhalten des Klägers sei ein Verstoß gegen § 6b BDSG. Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass § 6b BDSG auch für mobile Videoüberwachungseinrichtungen Anwendung findet. Begründet wird die Anwendbarkeit mit dem eindeutigen Wortlaut des § 6b Abs. 1 BDSG.
Positiv hervorzuheben ist auch, dass die sog. „Hilfssheriff“-Rechtsprechung aus der Eilrechtsschutzentscheidung (Starnecker/Wessels, ZD 2017, 46) fortgeführt wurde. Das Verwaltungsgericht stellt klar, dass kein berechtigtes Interesse i.S.v. § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG vorliegt, wenn der Verwender der Dashcam diese lediglich zum Zwecke der Anzeige von Verkehrsordnungswidrigkeiten betreibt. Die Aufgabe der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten obliege dem Staat und nicht Privaten. Außerdem stellt das Verwaltungsgericht klar, dass selbst bei Annahme eines berechtigten Interesses die Interessenabwägung im Rahmen von § 6b Abs. 1 BDSG zulasten des Dashcam-Verwenders ausgehen müsste. Das Verwaltungsgericht stützt dies insbesondere auf das nicht überwiegende Interesse des Klägers an der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten.
Hervorzuheben ist noch, dass das Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen § 6b Abs. 2 BDSG – die Hinweispflicht – feststellt. Das Verwaltungsgericht qualifiziert dabei konsequent § 6b Abs. 2 BDSG als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung einer Videoüberwachung. Dadurch erteilt das Verwaltungsgericht der weithin vertretenen Meinung eine Absage, dass § 6b Abs. 2 BDSG für die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung keine zwingende Rolle spiele (so etwa: Atzert/Franck, RDV 2014, 136, 138; Wessels, JurPC 2015 Web-Dok. 186/2015 Abs. 60 f.). Dieser Aspekt der Entscheidung trägt der Bedeutung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen und dem Wortlaut des § 6b Abs. 2 BDSG maßgebend Rechnung.

C. Kontext der Entscheidung

In der Entscheidung des VG Göttingen sucht man vergebens nach Aussagen zur Schnittstelle von Recht und Technik bei Dashcams, d.h. zur datenschutzkonformen Ausgestaltung. Denn das Verwaltungsgericht konnte bereits ein berechtigtes Interesse verneinen sowie einen Verstoß gegen § 6b Abs. 2 BDSG annehmen. Das VG Ansbach (Urt. v. 12.08.2014 – AN 4 K 13.01634) dagegen musste sich nach der Annahme eines berechtigten Interesses i.S.v. § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG mit einer Dashcam-Nutzung ohne spezifische technische Modifikationen beschäftigen und erklärte diese für unvereinbar mit dem Datenschutzrecht.
Die Rechtsprechung zu Dashcams umfasst jedoch nicht nur eine datenschutzrechtliche Komponente, sondern wie bereits in der Einleitung angedeutet, ebenfalls diejenige der Beweisverwertung in zivil- und strafrechtlichen Prozessen. Gerade für die prozessuale Verwertbarkeit der Aufnahmen ist nicht alleine die datenschutzrechtliche Beurteilung maßgebend. Das Datenschutzrecht betrifft zunächst nur die sog. Beweiserhebung; hiervon zu trennen ist die Beweisverwertung (Nugel, DAR 2017, 662). Für die Beweisverwertung ist stets eine umfassende Güterabwägung aller vorhandenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Im Zuge dessen erlangt natürlich auch die datenschutzrechtliche Beurteilung Bedeutung, aber nicht zwingend ausschlaggebenden Charakter. Vielmehr sind die widerstreitenden Rechtspositionen der Parteien gegeneinander abzuwägen (vgl. Nugel, DAR 2017, 662, 663).
Um den Anforderungen des Datenschutzrechts zu genügen und einer Verwertung in jedem Fall offenzustehen, müssen Dashcams strengen rechtlichen wie technischen Anforderungen entsprechen (vgl. 10-Punkte-Katalog zur Dashcam in: Starnecker, Videoüberwachung zur Risikovorsorge, 2017, S. 361 ff.). Vor allem muss auch der Erkennbarkeit der Dashcam – beispielsweise durch ein Schild auf dem Dach des Pkw – Rechnung getragen werden (Starnecker, Videoüberwachung zur Risikovorsorge, S. 336 ff.). Dieses Erfordernis resultiert nicht nur aus der Qualifizierung des § 6b Abs. 2 BDSG als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung, sondern auch aus der Bedeutung im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen. Der Verwender einer Dashcam kann sich also in diesem Bereich nicht auf eine schwierige praktikable Umsetzung berufen, sondern muss Lösungen finden, um die Offenheit der Videoüberwachung zu gewährleisten.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Betrachtung des Phänomens Dashcam aus datenschutzrechtlicher Sicht zeigt, dass die Mehrheit der bisher verwendeten Dashcams gegen das Datenschutzrecht verstößt. Vor allem wird das Transparenzgebot nach § 6b Abs. 2 BDSG vielfach missachtet. Konsequenzen dieser Verstöße können nicht nur Anordnungen nach § 38 Abs. 5 BDSG sein, sondern auch Bußgelder gemäß § 43 BDSG und sogar Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 BDSG.

Dashcam alleine wegen Verstoßes gegen § 6b Abs. 2 BDSG rechtswidrig
Carsten OehlmannRechtsanwalt

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