Nachfolgend ein Beitrag von Chab, AnwBl 2009, 379-381
Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht das Gleiche
Bertin Chab, München
Der Autor ist Rechtsanwalt und bei der Allianz Versicherung München tätig. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.
Dass Anwälte selbst dann haften, wenn auch dem für das Verfahren zuständigen Gericht Fehler unterlaufen, ist nicht immer leicht vermittelbar. In Seminaren wird das Thema oft emotional besetzt diskutiert. Nachdem sich die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2002 in einem Nichtannahmebeschluss (NJW 2002, 2937) dazu geäußert hatte, erschienen binnen kurzer Zeit etliche Beiträge – auch in dieser Zeitschrift (siehe nur Medicus AnwBl 2004, 257). Zwei neuere Urteile des BGH geben Anlass, noch einmal darüber nachzudenken, wie man die damit zusammenhängenden Fragen richtig einordnet und zu sachgerechten Ergebnissen kommen kann.
I. Das Urteil des BGH v. 18.12.2008 – IX ZR 179/07 (AnwBl 2009, 306)
1. Sachverhalt
Die Mandantin hatte als Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses die Mieter einer ihrer Wohnungen auf Zahlung von Nebenkosten in Anspruch genommen. Der schriftliche Mietvertrag sah die anteilige Übernahme von Versicherung und Grundsteuer nicht vor. Allerdings hatten die Mieter jahrelang widerspruchslos die entsprechenden Umlagen bezahlt. Darin sah das AG die Zustimmung zu einer Vertragsänderung und gab der Klage statt. Die erste Instanz führte die Vermieterin noch selbst; als die Mieter Berufung einlegten, beauftragte sie eine Rechtsanwältin, die Beklagte des späteren Regressprozesses. In der Berufungsinstanz unterlag die Vermieterin, weil der Berufungskammer die vorbehaltlosen Zahlungen nicht ausreichten, um von einer konkludenten Vertragsänderung auszugehen. Das Berufungsurteil wurde lediglich auf ältere Rechtsprechung und Literatur gestützt; insbesondere eine Entscheidung des BGH vom 29.5.2000 (NJW-RR 2000, 1463) blieb unberücksichtigt. Diese Entscheidung war zwar zum gewerblichen Mietrecht ergangen, mit einer Übertragung der Grundsätze zur Vertragsänderung bei jahrelangen widerspruchslosen Zahlungen auf den Bereich des Wohnraummietrechts durfte man aber zumindest rechnen. Tatsächlich entschied der BGH kurz nach Abschluss des Ausgangsprozesses auch in diesem Sinne (BGH, NJW-RR 2004, 877).
2. Weitere Prozessgeschichte
Die Mandantin fühlte sich unzureichend vertreten und zahlte zunächst das Honorar für ihre Anwältin nicht. Sie war der Auffassung, die Anwältin hätte auf die neuere Rechtsprechung hinweisen müssen, nachdem das Gericht zu erkennen gab, dass es lediglich ältere Literatur und Rechtsprechung heranzieht. Die Honorarklage wurde denn auch in zwei Instanzen abgewiesen. Erst dann klagte die Mandantin selbst gegen die Anwältin auf (weiteren) Schadenersatz. Nun entschieden die Untergerichte umgekehrt und wiesen die Regressklage ab, wobei das Berufungsgericht allerdings die Revision zuließ.
3. Entscheidungsgründe
Der BGH hob die Vorinstanz auf und wies die Sache zur Feststellung der Schadenhöhe zurück. Zur Pflichtverletzung wird ausgeführt, dass der Anwalt dafür einzutreten habe, dass die rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte so umfassend wie möglich ermittelt und bei der Entscheidung des Gerichts berücksichtigt werden. Zum Obersatz wird auch eine Passage aus BGH, NJW 1974, 1865 wiederholt, die aus Anwaltssicht etwas provokant wirken kann: „Mit Rücksicht auf das auch bei Richtern nur unvollkommene menschliche Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende Möglichkeit eines Irrtums ist es Pflicht des Rechtsanwalts, nach Kräften dem Aufkommen von Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegenzuwirken.“ Aus welchen Gründen muss der Anwalt gründlicher arbeiten als der Richter?
Die Pflichtverletzung der Anwältin, so der BGH, liege darin, dass sie das Gericht nicht über den veralteten Rechtsstandpunkt aufgeklärt habe. Diese sei auch kausal für eine falsche Entscheidung gewesen. Dazu sei zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten. Das Regressgericht habe dabei selbst darüber zu befinden, wie das ursprüngliche Verfahren richtigerweise entschieden worden wäre. Bei einem entsprechenden Hinweis auf das BGH-Urteil zur gewerblichen Miete hätte sich das Berufungsgericht im Vorprozess damit auseinandersetzen und die Berufung der Mieter entweder zurückweisen oder die Revision zulassen müssen. Von einer Unterbrechung des Kausalzusammenhangs wegen der eigenverantwortlichen und autonomen Entscheidung des Gerichts könne man nicht sprechen, da das Gericht den Beschluss BGH, NJW-RR 2000, 1463, weder bewusst unberücksichtigt gelassen habe noch bewusst von ihm abgewichen sei.
An der Zurechenbarkeit fehle es nur dann, wenn das Eingreifen eines Dritten – hier also des Gerichts – den Geschehensablauf so verändere, dass der Schaden in keinem inneren Zusammenhang zu der vom Rechtsanwalt zu vertretenden Vertragsverletzung stehe. Das sei einer wertenden Betrachtung zu unterziehen. Dem Gericht sei hier ein ähnlicher Fehler unterlaufen wie der beklagten Anwältin. Es habe nicht völlig sachwidrig und daher unter grober, schlechthin unvertretbarer Verletzung seiner besonderen Pflichten eine Schadenursache gesetzt. Nur dann würde aber die vorangegangene anwaltliche Pflichtverletzung so sehr in den Hintergrund gerückt, dass diese auch nach dem Schutzzweck der verletzten Vertragspflicht keine ins Gewicht fallende Bedeutung als Schadenursache habe.
II. Dogmatische Einordnung
Wer von der „Haftung des Anwalts für Fehler des Gerichts“ spricht, suggeriert mit dieser Terminologie, dass Anwaltshaftung auch das Einstehenmüssen für fehlerhaftes gerichtliches Handeln bedeuten kann. Es besteht aber Einigkeit darüber, dass Ausgangspunkt jeder anwaltlichen Haftung nur eine eigene Pflichtverletzung des Rechtsanwalts sein kann (siehe nur Jungk, Haftung des Rechtsanwalts für Fehler des Gerichts?, AnwBl 2003, 104 ff und Zugehör, Anwaltsverschulden, Gerichtsfehler und Anwaltshaftung, NJW 2003, 3225 ff). Daher sollte man „Haftung für Fehler des Gerichts“ allenfalls in Anführungszeichen setzen und stattdessen von „Anwaltshaftung trotz gerichtlicher Fehler“ sprechen. Folgerichtig hat auch der BGH zunächst dargestellt, dass der Fehler der Beklagten darin bestand, das Gericht nicht auf die bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung aufmerksam gemacht zu haben, obwohl diese dem Gericht erkennbar nicht bekannt war. Das wäre leicht gewesen, weil das BGHUrteil aus dem Jahr 2000 bereits im „Palandt“ zitiert und damit für jeden bearbeitenden Juristen schnell auffindbar war. Es geht also nicht um eine Haftungsverschiebung zu Lasten der Rechtsanwälte durch das Richterprivileg, wie es das BVerfG in dem bereits zitierten Beschluss vom 12.8.2002 (NJW 2002, 2937) andeutet. Vielmehr haben die Regressrichter nach der BGH-Rechsprechung danach zu fragen, ob der eingetretene Schaden – also die fehlerhafte gerichtliche Entscheidung – noch adäquat kausal auf der vorgeworfenen Pflichtverletzung beruht. Der Fehler des Gerichts darf also als weitere Schadenursache nicht als völlig ungewöhnliches Dazwischentreten Dritter in den Kausalverlauf zu würdigen sein. Das gleiche Muster gilt übrigens bei zeitlich hintereinander tätigen Anwälten auch. Übersieht der zunächst tätige Anwalt den baldigen Eintritt der Verjährung und informiert er den Mandanten nicht darüber und unternimmt er auch sonst keine geeigneten Schritte dazu, den Schaden zu vermeiden, so ist er auch dann haftbar, wenn ein anschließend beauftragter Anwalt den Eintritt der Verjährung seinerseits noch hätte abwenden können, aber dies ebenso unterlassen hatte (BGH, NJW-RR 2005, 1146). Auch hier wirkt sozusagen der erste Fehler noch nach und kann zugerechnet werden, mit dem Unterschied allerdings, dass beide Anwälte gesamtschuldnerisch haften und ein Innenausgleich möglich wird. Macht auch das Gericht Fehler, wird der Innenausgleich durch § 839 Abs. 2 BGB verhindert. Die Haftung entscheidet sich aber bei der Zurechenbarkeit.
III. Kritische Stimmen
Bei Durchsicht verschiedener Beiträge zur Thematik fällt ein gewisses „Unwohlsein“ einiger Autoren auf. So folgt etwa Medicus (Das Bundesverfassungsgericht und die Anwaltshaftung, AnwBl 2004, 257) durchaus der Kritik Knöfels am BVerfG (Knöfel, Anwaltshaftung und Verfassungsrecht, AnwBl 2004, 76), betont aber, dass Rechtsberater durch die Haftungsrechtsprechung der Zivilgerichte extrem strengen Pflichtenkatalogen ausgesetzt sind, während „das Risiko einer unzulänglichen Justiz voll zu Lasten des Rechtsuchenden geht“ (so hatte es die Richterin am Bundesverfassungsgericht Jaeger in einem Festvortrag ausgedrückt, der in NJW 2004, 1 erschien). Die aktuelle Entscheidung des BGH könnte ein Beleg für die manchmal kärgliche Ausstattung der Gerichte und die damit einhergehenden Risiken des rechtsuchenden Publikums sein. Das Mietgericht hatte sich offenbar durchaus die Mühe gemacht, einen Meinungsstand zur entscheidungserheblichen Frage zu ermitteln, verwies aber lediglich auf ältere Fundstellen. War vielleicht neuere Literatur nicht greifbar?
Medicus kommt jedenfalls de lege lata kaum an § 839 Abs. 2 BGB vorbei und appelliert daher an Gesetzgeber und das Bundesverfassungsgericht, an dieser Stelle für Abhilfe zu sorgen. An den Richter im Regressprozess geht die Aufforderung, den „unrealistischen Sorgfaltsmaßstab“ abzumildern beziehungsweise die Fälle gegebenenfalls an der Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs scheitern zu lassen. Zumindest bei besonders groben Fehlern des Gerichts komme man damit weiter. Er schlägt außerdem vor, über die Figur des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs eine teilweise Haftung des Fiskus zumindest im Innenverhältnis zum Anwalt als Mitschädiger zu erreichen (Medicus, AnwBl 2004, 259 (260)).
Dazu sei angemerkt, dass die Gerichte einem Innenausgleich gegen den Fiskus zumindest mit größter Skepsis gegenüberstehen würden. Auch die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs bei groben gerichtlichen Fehlern muss nicht immer gelingen. Soweit nämlich ein grober Schnitzer rechtzeitig erkennbar ist und sich nicht erst in einer nicht zu vermeidenden Überraschungsentscheidung manifestiert, könnte man doch dem Anwalt umso eher die Pflicht auferlegen, das Gericht auf die falsche Rechtsauffassung oder Fehlinterpretation des Sachverhalts hinzuweisen.
Auch Gero Fischer spricht sich für eine Einschränkung der Anwaltshaftung aus, wenn sich der Schaden erst in einer Fehlentscheidung des Gerichts manifestiert hat (Zugehör-Fischer, 2. Aufl., Rz 1024). Dogmatischer Aufhänger dafür soll auch seiner Ansicht nach der Zurechnungszusammenhang und der Schutzzweck der dem Rechtsanwalt obliegenden Pflicht sein. Er betont dabei die Pflicht des Gerichts, nach den Regeln der jeweiligen Verfahrensvorschriften zu einer richtigen Entscheidung zu gelangen, und zwar unabhängig von der Leistung der beteiligten Anwälte. Dieser Gedanke komme auch im Satz „jura novit curia“ zum Ausdruck. Der BGH habe diese Wertungsgesichtspunkte in einer Entscheidung vom 13.3.2003 (NJW-RR 2003, 850) nicht genügend beachtet. Dort ging es darum, dass eine vor einem griechischen Geistlichen geschlossene Ehe nach deutschem Recht keinen Bestand hatte, aber dennoch ein Scheidungsverfahren mit den Folgen von Unterhaltszahlungen, Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich durchgeführt wurde. Fischer meint, dass es nach zutreffendem Vortrag des Anwalts zum Sachverhalt hier Sache des Familiengerichts gewesen wäre, die Prozessvoraussetzung einer gültigen Ehe von Amts wegen zu prüfen. Er versucht also, den Gerichten auf der einen Seite wie den Anwälten auf der anderen sozusagen einen letzten Rest ureigenster Aufgaben zuzuweisen, bei deren Erfüllung eine Haftung des jeweils anderen Parts ausgeschlossen sein soll. Man könnte diskutieren, ob dann überhaupt von einer Pflichtverletzung zu sprechen oder ob der Schutzzweckgedanke heranzuziehen ist. Jedenfalls hat man es mit schwierigen Abwägungsfragen zu tun, für die die Abgrenzung nach spezifischen Rechtspflichten ein gutes, wenngleich nicht immer das einzige Argument sein könnte.
Die jetzt vorliegende BGH-Entscheidung vom 18.12.2008 erwähnt übrigens den Satz „jura novit curia“ ebenfalls, meint aber unter Berufung auf Medicus (AnwBl 2004, 257, 260), dass damit nur etwas über das Verhältnis zwischen Gericht und Naturalpartei ausgesagt werde. Leider belegt auch Medicus diese Behauptung nicht näher. Am Ende spielt das aber auch keine besondere Rolle, denn entscheidend wäre nicht die römisch-rechtliche, sondern die heutige Auffassung über die Rollenverteilung zwischen dem Gericht und der Partei bzw. ihrem Vertreter. Die tendiert deutlich dahin, den Anwalt auch zu Rechtsausführungen zu verpflichten und die rechtliche Subsumtion nicht allein dem Gericht zu überlassen.
IV. Kausalität und Zurechenbarkeit als die Haftung begrenzende Topoi
1. Problematik des strengen Pflichtenkatalogs
Die Sorge, die den Anwalt angesichts der strengen Haftung umtreiben könnte, ist wohl weniger die, dass die eigene Haftung derjenigen der Gerichte vorrangig ist. Das mag er als ungerechtes Privileg der Gerichte empfinden. Er kennt den Vorrang der eigenen Haftung aber auch in anderen Fällen, die gar nicht so selten vorkommen. Hat ein Notar anlässlich der Beurkundung ein Problem übersehen, ein Anwalt aber bei der Vorbereitung des Vertragstextes mitgewirkt, so haftet der Notar gem. § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO nur subsidiär. Problematisch ist aber der Vorwurf, das Gericht nicht „auf den rechten Weg“ gebracht zu haben, weil er prinzipiell immer erhoben werden könnte, wenn das Gericht sachlich falsch in letzter Instanz entschieden hat. Wer trägt in seinen Schriftsätzen schon immer „optimal“ vor? Gerade in komplexen Verfahren gibt es oft derart viele Weichenstellungen, dass man sich bei etlichen Gelegenheiten fragen könnte, ob an der einen oder anderen Stelle nicht ein deutlicherer Vortrag, ein weiteres Argument oder ein weiteres Urteilszitat das Gericht schließlich zu einer anderen – korrekten – Entscheidung bestimmt hätte. Da wird man in der Regel auf Anwaltsseite mit Erfolg behaupten können, dass die Entscheidung des Gerichts ohnehin nicht anders ausgefallen wäre, auch wenn man alles Notwendige vorgebracht hätte.
Die Entscheidung des IX. Zivilsenat des BGH v. 18.12.2008 gibt insoweit allerdings Raum für weitere Diskussionen. Der BGH führt aus, dass bei der Prüfung der Ursächlichkeit darauf abzustellen ist, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten. Das Regressgericht müsse hier wie sonst auch, wenn die Frage der Haftung vom Ausgang eines anderen Verfahrens abhängt, selbst prüfen, wie jenes Verfahren richtigerweise entschieden worden wäre. Unterstellt, dem Berufungsgericht wäre seinerzeit der BGH-Beschluss des XII. Zivilsenat vom 29.5.2000 vorgelegt worden, hätte es dem nach Ansicht des BGH auch im konkreten Fall für die Wohnungsmiete folgen oder aber für den Fall der Ablehnung zumindest die Revision zulassen müssen.
Das mag zwar so völlig korrekt sein, aber die tägliche Praxis zeigt, dass die Gerichte eben nicht immer so vorgehen. Andernfalls wäre das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde kaum erforderlich.
2. Einschränkung über das Urteil im Vorprozess selbst
Andererseits hält der BGH nicht konsequent daran fest, dass es nicht darauf ankomme, wie das Gericht im Vorprozess tatsächlich entschieden hätte, sondern auf die Sicht des Regressrichters. Wenn nämlich aufgrund der vorliegenden Entscheidung feststeht, dass der Fehler des Anwalts gänzlich ungeeignet war, die den Mandanten belastende Fehlentscheidung zu vermeiden, soll es für die Zurechnung am „notwendigen inneren Zusammenhang“ fehlen. Bei der Beurteilung des Zurechnungszusammenhangs zwischen anwaltlicher Pflichtverletzung und gerichtlicher Fehlentscheidung sei die vom Gericht des Vorprozesses getroffene Entscheidung heranzuziehen (so die amtlichen Leitsätze von BGH, AnwBl 2008, 204). In der Begründung zu diesem Urteil wird in den einleitend vorangestellten Grundsätzen noch einmal klargestellt, dass für die Beurteilung eines kausalen Schadens die Sicht des Regressrichters maßgebend sei. Von einer Unterbrechung des Kausalverlaufs könne nur unter engen Voraussetzungen ausgegangen werden. So beispielsweise dann, wenn der Anwalt seinen Fehler noch im Verlauf des Prozesses korrigiert, das Gericht dies aber nicht zur Kenntnis nimmt (BGH, NJW 1988, 486), oder wenn das Gericht als Zweitschädiger unter völlig ungewöhnlicher, sachwidriger und daher grober, schlechthin unvertretbarer Verletzung seiner besonderen Pflichten eine Schadenursache setzt, die den anwaltlichen Schadenbeitrag ganz in den Hintergrund treten lässt (etwas überraschend wird zu dieser Fallgruppe BGH, NJW-RR 2003, 850 zitiert, obwohl der IX. Zivilsenat des BGH dort gerade zu einer Haftung gelangte.)
Zu diesen beiden Fallgruppen stellt der BGH nun noch eine dritte. Es fehle bei wertender Betrachtung auch dann am für die Zurechnung notwendigen inneren Zusammenhang, wenn der Fehler des Anwalts schlechthin ungeeignet war, die gerichtliche Fehlentscheidung hervorzurufen. Der Fehler des Gerichts im Vorprozess müsse allerdings aus der tatsächlich getroffenen Entscheidung ersichtlich sein. Dann könne auch diese Entscheidung herangezogen werden.
Betroffen sind hier Fälle, in denen Anwälte zwar fehlerhaft vortragen oder falsche Anträge stellen, das Gericht auf die damit zusammenhängenden Umstände aber gar nicht eingeht, sondern aufgrund einer weiteren fehlerhaften Beurteilung, die der Anwalt nicht hätte verhindern können, eine dem Mandanten ungünstige Entscheidung trifft. Das wäre der klassische Fall einer Unterbrechung des Kausalverlaufs. Der zunächst in Gang gesetzte Kausalstrang bleibt – um einmal die strafrechtliche Terminologie zu bemühen – sozusagen im Versuchsstadium stecken, während eine andere Ursachenkette davon völlig unabhängig zum tatsächlich eintretenden Schaden führt.
3. Fazit
Damit dürften die Regressrichter genügend Instrumente an der Hand haben, um die Haftung der Anwälte trotz Fehler der Gerichte vernünftig zu begrenzen. Der Anwalt sollte nicht zum „Kindermädchen“ der Gerichte bestimmt werden, indem er dafür Sorge zu tragen hat, dass in deren ureigenen Bereichen keine Fehler passieren. Dass Gerichte auch einmal falsch entscheiden, ist systemimmanent und rechtfertigt den zu Recht hochgehaltenen Instanzenzug. Andererseits ist der Anwalt als Interessenvertreter seines Mandanten dazu berufen, die Gerichte mit den zulässigen Mitteln in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zur dem Mandanten günstigen Entscheidung zu bewegen und Fehlurteile zu dessen Ungunsten zu vermeiden. Dazu hat sich die Anwaltschaft in § 1 Abs. 3 BORA unter dem Stichwort „Freiheit der Advokatur“ selbst verpflichtet. Letztlich kann man den Regressrichter nur anhalten, diese Grundsätze im Haftpflichtprozess verantwortungsvoll gegeneinander abzuwägen und bei der Prüfung von Pflichtverletzung, kausalem Schaden und Zurechenbarkeit gründlich vorzugehen.