Nachfolgend ein Beitrag vom 29.3.2017 von Baumann-Czichon, jurisPR-ArbR 13/2017 Anm. 1

Leitsätze

1. Ist eine ordentliche Kündigung aufgrund der anwendbaren Arbeitsvertragsrichtlinien oder aufgrund tariflicher Bestimmungen ausgeschlossen und ist lediglich eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist rechtlich möglich, ist die Mitarbeitervertretung nach § 42 Buchst. b MVG-EKD und nicht nach § 46 Buchst. b MVG-EKD zu beteiligen (st. Rspr., KGH.EKD, Beschl. v. 14.01.2008 – II-0124/N52-07 – www.kirchenrecht-ekd.de).
2. Rechtsvorschriften i.S.v. § 41 MVG-EKD, auf deren Verstoß sich die Mitarbeitervertretung bei einer Verweigerung der Zustimmung zu einer Kündigung stützen kann, sind § 1 KSchG sowie § 626 BGB.
3. Den Kirchengerichten obliegt nach § 62 MVG-EKD i.V.m. § 83 Abs. 1 ArbGG eine umfassende Untersuchungspflicht; sie erforschen den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen. Sie haben nach § 83 Abs. 2 ArbGG zur Aufklärung des Sachverhaltes alle infrage kommenden Beweismittel einzusetzen (Fortführung von KGH.EKD, Beschl. v. Beschl. v. 14.01.2008 – II-0124/N52-07).
4. Die Pflicht zur Amtsermittlung endet dort, wo eine weitere Aufklärung nicht möglich ist, etwa wenn Zeugen (mangels Zwangsmittel) nicht geladen werden können oder die weiter gehende Aufklärung des Sachverhaltes von der Mitwirkung eines nicht am kirchengerichtlichen Verfahren Beteiligten abhängig ist (z.B. Entbindung von der Schweigepflicht durch einen Arbeitnehmer). Maßgebliche Entscheidungsgrundlage für die Kirchengerichte ist dann der „feststellbare Sachverhalt“. Ist auf dieser Grundlage ein Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift nicht feststellbar, besteht kein Grund für die Mitarbeitervertretung zur Verweigerung der Zustimmung.

A. Problemstellung

Während das BetrVG dem Betriebsrat auch bei ordentlichen Kündigungen nur ein Anhörungsrecht gewährt, räumen das Mitarbeitervertretungsrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland und deren gliedkirchliche Ableitungen den Mitarbeitervertretungen bei ordentlichen Kündigungen ein Mitbestimmungsrecht ein, verbunden mit der Folge der Unwirksamkeit der Kündigung bei unterbliebener oder fehlerhafte Beteiligung der Mitarbeitervertretung, § 38 Abs. 1 Satz 1 MVG-EKD. Bei Nichteinigung entscheidet das Kirchengericht, ob der Mitarbeitervertretung ein Grund zur Zustimmungsverweigerung vorliegt. Kann eine Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder vertraglicher Alterssicherung (vgl. z.B. § 34 Abs. 2 TVöD) nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes als außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ausgesprochen werden, stellt sich die Frage, ob diese mitbestimmungsrechtlich wie eine ordentliche Kündigung zu behandeln ist. Die forensische Praxis steht ferner vor der Frage, wie weit der Sachverhalt im Zustimmungsersetzungsverfahren aufzuklären ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Ein Krankenhaus mit ca. 2.000 Mitarbeitern will einer 55 Jahre alten Mitarbeiterin nach 34 Jahren Betriebszugehörigkeit krankheitsbedingt kündigen. Diese unterliegt einer § 34 Abs. 2 TVöD entsprechenden Alterssicherung. Die Mitarbeitervertretung hat die Zustimmung zur personenbedingten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist verweigert, da das Arbeitsverhältnis durch die Fehlzeiten nicht so gestört sei, dass ein wichtiger Grund vorliege.
Das Kirchengericht erster Instanz hatte die Auffassung der Mitarbeitervertretung bestätigt. Der Kirchengerichtshof (KGH.EKD) hat die Beschwerde der Dienststellenleitung zurückgewiesen.
Der KGH.EKD hält an seiner ständigen Rechtsprechung fest, nach der der Mitarbeitervertretung bei ordentlich nicht kündbaren Mitarbeitern im Falle einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist abweichend von § 46 Buchst. b MVG-EKD nicht das schwächere Anhörungsrecht in Form der Mitberatung zusteht, sondern das Mitbestimmungsrecht nach § 42 Buchst. b MVG-EKD: Anderenfalls wären die Rechte der Mitarbeitervertretung bei (ordentlich) unkündbaren Mitarbeitern schwächer ausgestattet als bei kündbaren. Er hat damit der von Bitter/Kiel (in: Festschrift Schwerdtner, S. 30 f.) vertretenen Auffassung eine Absage erteilt, die dem Beteiligungsrecht der Mitarbeitervertretung keine Schutzwirkung zugunsten des zu kündigenden Arbeitnehmers zubilligen.
Und schließlich hat der KGH.EKD den Umfang der Prüfungspflicht der Kirchengerichte geklärt. Diese haben den Sachverhalt nach § 83 ArbGG im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen aufzuklären. Der Untersuchungsgrundsatz gilt uneingeschränkt. Dabei findet die richterliche Aufklärungspflicht ihre Grenzen im kirchengerichtlichen Verfahren dort, wo eine Beweiserhebung an fehlender Mitwirkung der Zeugen scheitert. Maßgeblich ist dann der „feststellbare Sachverhalt“.

C. Kontext der Entscheidung

Die Mitarbeitervertretung kann die Zustimmung zur Kündigung gemäß § 41 Abs. 2 MVG-EKD u.a. wegen eines Verstoßes gegen eine Rechtsvorschrift verweigern. Folglich kann die Zustimmungsverweigerung auf jeden zur Unwirksamkeit einer Kündigung führenden Sachverhalt gestützt werden. Die Kündigungsabsicht des kirchlichen Arbeitgebers wird so einer doppelten Rechtsprüfung unterworfen: Das Kirchengericht prüft die von der Mitarbeitervertretung vorgetragenen Unwirksamkeitsgründe; das Arbeitsgericht prüft diese auf entsprechenden Klageantrag des Gekündigten erneut. Die die Kündigung zulassende Entscheidung des Kirchengerichts hat keine den Kündigungsschutzprozess präjudizierende Wirkung. Eine Parallelvorschrift zu § 103 Abs. 2 Satz 2 BetrVG kennt das MVG-EKD nicht. Der von der Kündigung bedrohte Arbeitnehmer ist auch nicht aus sonstigen Gründen an dem Zustimmungsersetzungsverfahren zu beteiligen.
Bleibt die Unterrichtung der Mitarbeitervertretung über die Sozialdaten und die für maßgeblich erachteten Kündigungsgründe auch im kirchengerichtlichen Ersetzungsverfahren unvollständig oder fehlerhaft, so steht dieser Mangel weiterhin einer wirksamen Kündigung entgegen, ebenso wie Kündigungshindernisse, auf die sich die Mitarbeitervertretung nicht berufen hat.
Ob ein die Kündigung rechtfertigender Sachverhalt vorliegt, ist nicht nur bei verhaltensbedingten Kündigungen oft streitig. Auf das Verfahren vor den (evangelischen) Kirchengerichten finden die für das Beschlussverfahren geltenden Bestimmungen des ArbGG Anwendung; mithin gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Dessen Anwendung bereitet in der Praxis nicht selten Schwierigkeiten, weil den Kirchengerichten die erforderlichen Instrumente nicht zur Verfügung stehen. So können sie Zeugen nicht laden, weil es dafür an einer Rechtsgrundlage fehlt. Sie können allenfalls die Verfahrensbeteiligten (vor allem die Arbeitgeber) auffordern, Betriebsangehörige zur Anhörung oder Vernehmung zu bitten. Sie können auch selbst Auskunftspersonen zur Verhandlung bitten. Zwangsmittel für den Fall der Weigerung stehen ihnen nicht zu. Das führt in der Praxis nicht selten dazu, dass die vom Gericht für erforderlich gehaltene Aufklärung nicht durchführbar ist. Hierauf haben die kirchlichen Instanzgerichte unterschiedlich reagiert. Deutlich feststellbar ist eine Tendenz zur resignativen Selbstbeschränkung: Auf Aufklärung wird verzichtet, und die Entscheidung über die Zustimmungsersetzung wird aufgrund des Vortrags des antragstellenden Arbeitgebers getroffen – oft verbunden mit dem Hinweis (natürlich nur in mündlicher Verhandlung, nicht in der Begründung), dass die Überprüfung des Sachverhaltes den Arbeitsgerichten vorbehalten bleibt. Damit entziehen sich die Gerichte ihrer vom Gesetzgeber übertragenen Aufgabe, nämlich zu prüfen, ob der Hinweis der Mitarbeitervertretung auf einen Rechtsverstoß zutreffend ist. Sie reduzieren die kirchengerichtliche Prüfung auf eine Art Schlüssigkeitsprüfung des Vortrags des Arbeitgebers.
Dem ist der KGH.EKD in erfreulicher Klarheit entgegengetreten, indem er die Verpflichtung zur Aufklärung bis zur Grenze des Möglichen betont. Er befördert damit zugleich den Funktions- und Bedeutungswechsel der kirchlichen Gerichte, die gelegentlich noch immer in der Tradition der früheren „Schlichtungsstellen“ stehen. So fehlen nicht selten (ordnungsgemäße) Geschäftsverteilungspläne, und Anwälte werden zu Vorsitzenden bestellt, obwohl sie regelmäßig Beteiligte vor dem Kirchengericht vertreten.
Die Begrenzung der richterlichen Aufklärung auf den feststellbaren Sachverhalt ist notwendige Konsequenz aus der Stellung der kirchlichen Gerichte. Diese werden klären müssen, ob Verfahrensbeteiligte eine weitere Aufklärung verhindert haben. Dies wird bei der Frage, welche Seite die Aufklärungslast trifft, zu berücksichtigen sein.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Erstreckung des Mitbestimmungsrechts bei ordentlichen Kündigungen auch auf Kündigungen mit sozialer Auslauffrist entspricht bisheriger Praxis.
Der Hinweis auf die Aufklärungspflicht der Kirchengerichte hingegen weist über die Kündigungsfälle hinaus. Es ist Aufgabe der Anwaltschaft, die Kirchengerichte auf diese Pflicht hinzuweisen, vor allem aber, ihnen durch entsprechenden Sachvortrag Anlass zur Amtsermittlung zu geben.