Nachfolgend ein Beitrag vom 26.9.2018 von Wolmerath, jurisPR-ArbR 39/2018 Anm. 5

Orientierungssätze

1. Der Umfang der Revisionszulassung gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 64 Abs. 3a Satz 1 ArbGG ergibt aus dem Urteilstenor, weshalb weder eine nachträgliche Beschränkung der mit dem Tenor verkündeten unbeschränkten Zulassung der Revision in den Entscheidungsgründen, noch eine nachträgliche Erweiterung der mit dem Tenor verkündeten beschränkten Zulassung der Revision möglich ist.
2. Auch die vom Arbeitnehmer ausgesprochene außerordentliche Kündigung bedarf zu ihrer Wirksamkeit eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Es gelten dieselben Maßstäbe wie für die Kündigung des Arbeitgebers.
3. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer infolge einer Erkrankung für unabsehbare Zeit nicht in der Lage ist, seine vertraglich übernommene Arbeit zu verrichten, kann geeignet sein, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Sowohl dem Arbeitnehmer als auch dem Arbeitgeber kann in einem solchen Fall die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar sein. Dabei sind beide Vertragsparteien allerdings gehalten, darauf hinzuwirken, das Arbeitsverhältnis nach Möglichkeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist in einer für beide Teile zumutbaren Weise aufrechtzuerhalten.

Orientierungssatz zur Anmerkung

Bei einem konfliktbelasteten Arbeitsverhältnis kann der betroffene Arbeitnehmer ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses haben.

A. Problemstellung

In seiner Entscheidung hatte der Achte Senat des BAG der Frage nachzugehen, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitnehmer ein konfliktbelastetes Arbeitsverhältnis mittels außerordentlicher Kündigung beenden kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin war bei der beklagten Arbeitgeberin, die ein Seniorenzentrum betreibt, als hauswirtschaftliche Helferin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war konfliktbelastet. Eine einvernehmliche Vertragsauflösung kam deshalb nicht zustande, weil die Klägerin die von der Beklagten verlangte Abgeltungsklausel nicht akzeptierte. Kurze Zeit später ging der Beklagten am 02.04.2015 eine klägerseitig ausgesprochene außerordentliche Kündigung zum 06.04.2015 zu. Am 07.04.2015 trat die Klägerin eine anderweitige Arbeitsstelle an.
Nachdem die Klägerin Klage auf Urlaubsgeltung für drei Urlaubstage i.H.v. rund 94 Euro erhoben hatte, folgte seitens der Beklagten eine Widerklage auf Zahlung einer Vertragsstrafe i.H.v. 680 Euro. Ihre Widerklage begründete die Beklagte mit dem Umstand, dass die Klägerin das Arbeitsverhältnis mangels Vorliegen eines wichtigen Grundes vertragswidrig beendet und infolgedessen die vereinbarte Vertragsstrafe in Höhe eines Bruttomonatslohnes zu zahlen habe. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung der Urlaubsabgeltung verurteilt und die Widerklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (LArbG Stuttgart, Urt. v. 09.12.2016 – 12 Sa 16/16).
Die Revision der Beklagten hatte vor dem BAG keinen Erfolg.
Nach Auffassung des BAG hat die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der begehrten Vertragsstrafe. Es könne dahinstehen, ob die im Arbeitsvertrag getroffene Vertragsstrafenregelung einer AGB-Kontrolle standhalten würde. Schließlich seien die Voraussetzungen für die Zahlung einer Vertragsstrafe nicht erfüllt. Das Arbeitsverhältnis sei nicht in einer vertragswidrigen Art und Weise beendet worden.
Der Klägerin sei ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB zuzusprechen. Zum einen habe die Erkrankung ihre Ursache in einem Arbeitsplatzkonflikt gehabt. Zum anderen sei die Kläger bei einer Fortdauer des Arbeitsverhältnisses für unabsehbare Zeit nicht in der Lage gewesen, die vertraglich geschuldete Arbeit zu verrichten. Zum Kündigungszeitpunkt habe die Gefahr bestanden, dass sich der Gesundheitszustand der arbeitsunfähigen Klägerin bei einer Fortdauer des Arbeitsverhältnisses weiter verschlechtern würde, was nichts anderes bedeute, als dass die Klägerin auf unabsehbare Zeit nicht in der Lage gewesen wäre, ihrer Arbeit nachzugehen. Die Vernehmung der behandelnden Ärztin als Zeugin habe die Befürchtung gerechtfertigt, dass bei einer Fortdauer des Arbeitsverhältnisses die Gefahr einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin bis hin zu einem „Abrutschen“ in die Psychiatrie bestanden habe.
Bei der Prüfung, ob dem Arbeitnehmer trotz Vorliegens eines „an sich“ zum Ausspruch einer außerordentlichen Eigenkündigung geeigneten Sachverhalts eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, seien die beiderseitigen Interessen der Arbeitsvertragsparteien miteinander abzuwägen. Die Wertung des LArbG Stuttgart, wonach die Klägerin ihre Genesung nur durch die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses beschleunigen konnte und dass es ihr vor diesem Hintergrund nicht zumutbar gewesen sei, die Kündigungsfrist einzuhalten, sei nicht zu beanstanden. Gleiches gelte für die Annahme, dass die Beklagte nur ein geringes Interesse an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist haben könne und aus Gründen der Planungssicherheit eher an einer frühzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses interessiert sein müsste. Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Klägerin erfolglos versucht hatte, mit dem Betriebsleiter der Beklagten über die ausgesprochenen Abmahnungen zu sprechen. Entgegen der Annahme der Beklagten sei die Klägerin nicht verpflichtet gewesen, ihr Bemühen um eine klärende Aussprache mit der Ankündigung zu verbinden, andernfalls das Arbeitsverhältnis kündigen zu müssen. Letzteres hätte den Konflikt nur verstärkt.
Schlussendlich habe die Klägerin die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt, da sie zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch arbeitsunfähig krank gewesen sei. Denn für die Wahrung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB genüge es bei Dauertatbeständen, die dadurch gekennzeichnet seien, dass sich der Kündigungssachverhalt und seine betrieblichen Auswirkungen fortwährend neu verwirklichten, wenn die kündigungsrelevanten Umstände bis mindestens zwei Wochen vor Zugang der Kündigung gegeben waren.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des Achten Senats des BAG, die auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des BAG liegt und diese weiter fortschreibt, vermittelt der arbeitsrechtlichen Praxis Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.

D. Auswirkungen für die Praxis

Konfliktbelastete Arbeitsverhältnisse führen nicht selten dazu, dass über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses hinaus gestritten wird. Dass dabei bisweilen unnötiges Öl in das sprichwörtliche Feuer gegossen wird, veranschaulicht der vorliegende Fall. Eine kluge Weitsicht und ein vorausschauendes Agieren sowohl der Vertragsparteien als auch ihrer Rechtsberater und Prozessvertreter sind erforderlich, soll eine Schadensbegrenzung betrieben werden. Etwaige Befürchtungen hinsichtlich einer etwaigen Schadensersatzpflicht nach § 628 BGB hätten die Beklagtenseite in dem vorliegenden Fall vielleicht bewegen sollen, von der verlangten Ausgleichsklausel in der Auflösungsvereinbarung Abstand zu nehmen. Sturheit macht nicht selten blind. Weiter dürfte die Beklagte gut beraten sein, dem dezenten Hinweis des BAG zu folgen und ihre Vertragsstrafenabrede einer AGB-Kontrolle zu unterziehen. Bei einem konfliktbelasteten Arbeitsverhältnis braucht es für eine beiderseitig zielführende, schadenbegrenzende Vertragsbeendigung keine übertriebene Eitelkeit, sondern viel Fingerspitzengefühl. Dies sollte stets bedacht werden.
Die Klägerin hatte insoweit Glück, als sie einen neuen Arbeitsplatz gefunden hatte. Sofern dies nicht der Fall gewesen wäre, wäre sie im Hinblick auf das belastete Arbeitsverhältnis und der dadurch verursachten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gut beraten gewesen, sich vor dem Ausspruch der außerordentlichen Kündigung mit der Agentur für Arbeit in Verbindung zu setzen, um die Verhängung einer Sperrzeit nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III zu vermeiden. Auch dies sollte bei Bedarf bedacht werden.

Außerordentliche Kündigung durch Arbeitnehmer bei konfliktbelastetem Arbeitsverhältnis
Andrea KahleRechtsanwältin

Mühlhausen
Telefon: 03601 48 32 0

Leinefelde
Telefon: 03605 544 330

Gotha
Telefon: 03621 510 18 60 (RAe)
Telefon: 03621 510 18 00 (StB)

oder schreiben Sie hier eine Mail:





    Felder mit * sind Pflichtangaben.