Nachfolgend ein Beitrag vom 25.10.2016 von Viefhues, jurisPR-FamR 22/2016 Anm. 1

Leitsatz

Teilt die Partei, der Prozesskostenhilfe (Verfahrenskostenhilfe) bewilligt worden ist, dem Gericht entgegen § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO eine Änderung ihrer Anschrift nicht unverzüglich mit, kann die Bewilligung nicht ohne Weiteres aufgehoben werden; vielmehr muss der Partei ein grobes Fehlverhalten nachgewiesen werden, wobei Zweifel nicht zu ihren Lasten gehen.

A. Problemstellung

Das seit dem 01.01.2014 geltende Recht der Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe legt in § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO der Partei, der Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist, umfangreiche Mitteilungspflichten auf, über die bereits in dem von jedem Antragsteller unterschriebenen amtlichen Antragsformular deutlich und unmissverständlich belehrt wird. Das Gesetz knüpft an die Verletzung dieser Mitteilungspflichten in der Sollvorschrift des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die strenge Rechtsfolge der Entziehung der Verfahrenskostenhilfe. Das OLG Zweibrücken hat sich mit dem Fall einer unterlassenen Meldung des Adressenwechsels befasst.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit dem Gericht eine Änderung der Anschrift unrichtig oder nicht unverzüglich mitteilt.
Das OLG Zweibrücken hat die angefochtene Entscheidung aufgehoben.
Das Oberlandesgericht schließe sich den Landesarbeitsgerichten Berlin-Brandenburg, Köln und Baden-Württemberg an, wonach eine grobe Nachlässigkeit im Sinne der Vorschrift nicht bereits dann vorliege, wenn eine Partei trotz entsprechender Belehrung im PKH-Formular die Mitteilung schlicht vergessen habe (vgl. LArbG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 05.01.2016 – 6 Ta 2302/15 m.w.N.; LArbG Stuttgart, Beschl. v. 10.06.2015 – 4 Ta 8/15; LArbG Köln, Beschl. v. 03.08.2015 – 4 Ta 148/15).
Zwar habe der Antragsteller hier seine neue Adresse nicht unverzüglich dem Gericht mitgeteilt; bereits der Zeitraum von mehr als einem Jahr zwischen dem Umzug und der Kenntnis des Gerichts von der neuen Adresse lasse darauf schließen, dass ein schuldhaftes Zögern des Antragstellers vorgelegen habe. Die seitens des Antragsgegners vorgetragenen Umstände hätten bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt einer Mitteilung der Adressänderung innerhalb weniger Tage nicht entgegengestanden. Allerdings sei die Nichtmitteilung nicht absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit erfolgt.
Das grobe Fehlverhalten müsse der Partei nachgewiesen werden. Die Umstände, aus denen Vorsatz oder grobe Nachlässigkeit abgeleitet werden können, seien vom Gericht festzustellen. Zweifel stünden der Aufhebung entgegen und gingen nicht zulasten der Partei. Dass im Falle eines Umzugs die eine oder andere Stelle bei der Mitteilung der Anschriftenänderung übersehen werde, sei ein weit verbreitetes Phänomen. Nur wer sich dem Überprüfungsverfahren absichtlich entziehen wolle oder seine Sorgfaltspflichten in besonders grobem Maße verletze, verdiene die vorgesehene scharfe Sanktion.
Das OLG Zweibrücken hat seine Einschätzung auf die besonderen Umstände des konkreten Falles gestützt. Der Betroffene habe sich insbesondere auf die schwere Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin bezogen, den Sorgerechtsstreit mit seiner Frau, den Umzug selbst, Streitigkeiten mit dem neuen Vermieter und seine Saisonarbeitslosigkeit; diese Umstände hätten ihn die Mitteilung der Adressänderung vergessen lassen. Darüber hinaus habe er sich ordnungsgemäß beim Einwohnermeldeamt umgemeldet, weshalb eine entsprechende Anfrage unproblematisch zur Ermittlung der aktuellen Adresse geführt habe.
Eine Verschleierungsabsicht sei deshalb nicht feststellbar, zumal sich aus den vorgelegten – jedoch noch nicht vollständigen – Belegen derzeit keine Verbesserung seiner Einkommenssituation ableiten lasse.

C. Kontext der Entscheidung

Das OLG Zweibrücken hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, §§ 574, 127 ZPO. Das Beschwerderecht der Staatskasse sei auf Fälle beschränkt, in denen Verfahrenskostenhilfe zwar bewilligt, rechtsfehlerhaft jedoch weder eine Ratenzahlung aus dem Einkommen noch eine Zahlung aus dem Vermögen angeordnet wurde (vgl. BAG, Beschl. v. 18.11.2015 – 10 AZB 34/15 – NJW 2016, 892; Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 127 Rn. 27).
Bedauerlicherweise besteht damit keine Möglichkeit, eine klarstellende Entscheidung des BGH zu erreichen, die für die Praxis sehr hilfreich gewesen wäre, zumal sich bereits eine bunte Meinungsvielfalt entwickelt hat (LArbG München, Beschl. v. 25.02.2015 – 10 Ta 51/15; LArbG Düsseldorf, Beschl. v. 30.10.2015 – 2 Ta 520/15; LArbG Düsseldorf, Beschl. v. 03.02.2016 – 5 Ta 38/16; LArbG Düsseldorf, Beschl. v. 09.06.2016 – 5 Ta 307/16; LArbG Düsseldorf, Beschl. v. 30.05.2016 – 5 Ta 265/16, LArbG Chemnitz, Beschl. v. 23.02.2016 – 4 Ta 285/15 (3); LArbG Kiel, Beschl. v. 02.09.2015 – 5 Ta 147/15).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die „Nachsorge“ nach einer Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe macht in der Praxis erhebliche Mehrarbeit und beinhaltet zahlreiche Risiken.
Die in den oben zitierten – vor allem arbeitsgerichtlichen – Entscheidungen geforderte Abgrenzung zwischen „schlichtem Vergessen“ und „böswilligem Unterlassen“ ist in der Praxis schwierig, wenn nicht gar für das Gericht unmöglich. Das Gericht kann nur den Betroffenen mehrfach an seine Verpflichtungen erinnern (so z.B. im Verfahrenskostenhilfe-Beschluss und mit einem Schreiben der Gerichtskasse am Ende des Verfahrens). Die Entscheidungen stellen leider nicht klar, was von Seiten des Gerichtes noch geschehen muss, um die Voraussetzungen eines grob fahrlässigen Unterlassens zu begründen. Wenn dann aber auch noch zusätzlich festgelegt wird, dass den Beteiligten keine Darlegungslast treffe, läuft diese Mitteilungspflicht in der Praxis völlig ins Leere.
Vorzugswürdiger ist daher die Ansicht, dass der Beteiligte mit seiner Unterschrift unter das Verfahrenskostenhilfe-Formular bestätigt, dass ihm seine Pflichten und der maßgebliche Zeitraum bekannt sind, so dass in der Regel von grober Fahrlässigkeit auszugehen ist (Götsche/Nickel, FamRB 2013, 403, 408; Schürmann in: Rahm-Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, Stand 2015, Teil I 11 C Rn. 256.01; Viefhues, FF 2014, 385, 390, 392). Die „Nachsorge“ nach einer Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe macht in der Praxis erhebliche Mehrarbeit und beinhaltet zahlreiche Risiken.
Wenn zudem weitere Hinweise seitens des Gerichtes erfolgen, ist grobe Fahrlässigkeit anzunehmen und muss vom Beteiligten widerlegt werden. Eine Partei, die ihre Rechte aus der Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt und auf Kosten der Allgemeinheit ihren Prozess geführt hat und die darüber hinaus auf ihre Meldepflichten hingewiesen wurde, handelt daher regelmäßig grob nachlässig, wenn sie ihre daraus erwachsenen Verpflichtungen schlicht vergisst oder ignoriert (LArbG Düsseldorf, Beschl. v. 05.12.2014 – 2 Ta 555/14; LArbG Düsseldorf, Beschl. v. 09.06.2016 – 5 Ta 307/16).