Nachfolgend ein Beitrag vom 14.2.2017 von Götsche, jurisPR-FamR 3/2017 Anm. 4

Orientierungssatz

Sind in der Vergangenheit sämtliche Vermittlungsversuche unter Inanspruchnahme professioneller Hilfe ergebnislos gescheitert, kann eine gemeinsame elterliche Sorge von Eltern, denen es an jeglicher Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit fehlt, nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, dass eine Pflicht der Eltern zur Konsensfindung besteht, da dies dem Kindeswohl nicht entspricht.

A. Problemstellung

Eltern mangelt es häufig an einer gemeinsamen Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft. Andererseits sind sie zur Kooperation angehalten, um die elterliche Sorge zum Wohle des Kindes ausüben zu können. Welchen Einfluss hat diese Wechselbeziehung für die Entscheidung über die elterliche Sorge?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind die Eltern zweier minderjähriger und zweier volljähriger Kinder. Die Ehe der Eltern ist geschieden, sämtliche Kinder leben im Haushalt des Vaters, der das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Minderjährigen ausübt.
Im vorliegenden Verfahren hat die Antragstellerin das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für ein Kind, der Antragsgegner die (vollständige) Alleinsorge für beide minderjährigen Kinder begehrt. Beiden Kindeseltern fehlt es schon an einem Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit, wovon die Eltern selbst ausgehen.
Das Amtsgericht hatte nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens – welches insbesondere die Kommunikationsdefizite der Eltern bestätigte, gleichwohl aber die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge empfahl – die beiderseitigen Anträge abgewiesen.
Das OLG Stuttgart hat auf die Beschwerde des Antragsgegners diesem die alleinige elterliche Sorge für die Minderjährigen übertragen.
Angesichts der faktisch unbestrittenen massiven Kommunikationsdefizite der Eltern sei die gemeinsame elterliche Sorge zwingend aufzulösen. Die bloße grundsätzliche Pflicht von Eltern zur Konsensfindung vermöge eine tatsächlich nicht bestehende Verständigungsmöglichkeit nicht zu ersetzen. Denn nicht schon das Bestehen der Pflicht allein sei dem Kindeswohl dienlich, sondern erst die tatsächliche Pflichterfüllung, die sich in der Realität nicht verordnen lasse. Unter Berücksichtigung dessen sei hier der Alleinsorge eines Elternteils gegenüber dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge der Vorzug zu geben, um Belastungen für die Kinder zu vermeiden, die mit deren Wohl nicht vereinbar seien. Daher sei die alleinige elterliche Sorge gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 BGB auf den Kindesvater zu übertragen, da zu erwarten sei, dass dies dem Wohl der Kinder am besten entspreche.

C. Kontext der Entscheidung

Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus (BGH, Beschl. v. 15.06.2016 – XII ZB 419/15 – FamRZ 2016, 1439; BGH, Beschl. v. 12.12.2007 – XII ZB 158/05 – FamRZ 2008, 592; BT-Drs. 17/11048, S. 17 m.w.N.). Eine schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene der Eltern kann der gemeinsamen Sorge widersprechen. Maßgeblich ist, welche Auswirkungen die mangelnde Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes haben wird (BGH, Beschl. v. 15.06.2016 – XII ZB 419/15; BGH, Beschl. v. 29.09.1999 – XII ZB 3/99 – FamRZ 1999, 1646, 1648).
Die Pflicht der Eltern zur Konsensbildung und der für die Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge gebotene Kommunikationsstörung stehen zueinander in einem Spannungsverhältnis. Das Vorliegen eines Elternkonflikts oder die Ablehnung der gemeinsamen elterlichen Sorge eines oder beider Elternteile sprechen für sich genommen zwar noch nicht gegen die gemeinsame elterliche Sorge (BT-Drs. 17/11048, S. 17). Es kommt vielmehr auf die Auswirkungen auf das kindliche Wohlbefinden an. Bereits eine erhebliche Belastung des Kindes (oder die begründete Befürchtung derselben) durch Kommunikationsschwierigkeiten steht der gemeinsamen Sorge aber entgegen. Eine vollständige Kommunikationsverweigerung der Eltern muss nicht gegeben sein (BGH, Beschl. v. 15.06.2016 – XII ZB 419/15; a.A. OLG Brandenburg, Beschl. v. 03.08.2015 – 13 UF 190/14 – FamRZ 2016, 240, 243). Es genügt bereits, dass durch die Alleinsorge die Konfliktfelder zwischen den Eltern kindeswohlfördernd eingegrenzt werden (BGH, Beschl. v. 15.06.2016 – XII ZB 419/15). Eine erzwungene Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist dagegen abzulehnen (OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.02.2016 – 10 UF 216/14). Das Risiko, dass Kinder durch eine gemeinsame elterliche Sorge einem fortdauernden Konflikt der Eltern ausgesetzt sind, steht regelmäßig der Annahme einer Kindeswohldienlichkeit der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegen (OLG Frankfurt, Beschl. v. 07.10.2013 – 5 UF 88/13 – NJW 2014, 2201).

D. Auswirkungen für die Praxis

Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft sind unabdingbare Voraussetzungen für ein elterliches Zusammenwirken in der Wahrnehmung der Verantwortung für die Kinder. Fehlen diese, wird in der Praxis in der Regel die Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge erfolgen müssen. Denn mit diesem Konflikt werden regelmäßig (erhebliche) Belastungen für das Kind verbunden sein. Allein die Pflicht zum Konsens schafft keine Basis für die gemeinsame Sorge. Deshalb sollte in Kindschaftssachen stets eingehend zu der Kommunikation zwischen den Eltern vorgetragen werden, gleich worum konkret gestritten wird.