Nachfolgend ein Beitrag vom 23.8.2017 von Klocke/Winter, jurisPR-ArbR 34/2017 Anm. 2
Orientierungssätze zur Anmerkung
1. Neben den Kriterien für die Einstellung des Bewerbers enthält der Bewerberverfahrensanspruch auch formelle Mindestanforderungen für ein faires Bewerbungsverfahren.
2. Die materiellen und formellen Anforderungen des Bewerberverfahrensanspruchs gelten grundsätzlich für alle Organe des einstellenden Rechtsträgers.
A. Problemstellung
Stellen im öffentlichen Dienst sind oftmals hart umkämpft. Daher wundert es nicht, dass erfolglose Bewerbungen Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen – in der Regel Konkurrenten- oder Schadensersatzklagen. Das LArbG Chemnitz musste zu einer Schadensersatzforderung wegen unterlassener Einstellung urteilen. Der Fall illustriert anschaulich die Grundlagen und Probleme des Schadensersatzprozesses in diesen Fällen.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die beklagte Gemeinde schrieb am 18.08.2014 eine für die Zeit vom 01.01.2015 bis 31.12.2018 auf drei Jahre befristete Stelle als „Sachgebietsleiter/in Bauverwaltung (m/w)“ mit 39 Wochenstunden und einer Vergütung nach der Entgeltgruppe 10 TVöD unter der Nummer 1/2014 aus. Einstellungsvoraussetzungen waren u.a. ein abgeschlossenes Ingenieurstudium oder eine Qualifikation als Verwaltungswirt/in (FH) oder eine vergleichbare Ausbildung sowie Erfahrung im Bereich des öffentlichen Baurechts/der kommunalen Bauverwaltung. Nach einer Vorauswahl und Vorstellungsgesprächen erhielten der Kläger und drei weitere Personen die Möglichkeit, sich dem aus 16 Mitgliedern bestehenden Gemeinderat der Beklagten vorzustellen. In der folgenden Abstimmung entfielen auf eine Bewerberin neun, auf den Kläger sieben und auf die beiden übrigen Bewerber keine Stimmen. Der Bürgermeister der Beklagten erklärte sodann sein Einvernehmen zu der Entscheidung des Gemeinderates und informierte die Bewerber am Folgetag über das Ergebnis.
Später entschied der Bürgermeister zusammen mit der für das Stellenbesetzungsverfahren zuständigen Sachbearbeiterin und dem Amtsleiter für Finanz- und Bauverwaltung, das Stellenbesetzungsverfahren aufzuheben und die Stelle neu auszuschreiben. Hierüber wurde der Kläger noch am selben Tag informiert. Die Beklagte schrieb die Stelle als „Sachgebietsleiter/in Bauverwaltung (m/w)“ unter der Nummer 2/2014 neu aus. Die „einschlägige Berufserfahrung einschließlich umfassender Kenntnisse im Bereich des öffentlichen Baurechts/der kommunalen Bauverwaltung“ wurde nur noch als „wünschenswert“ bezeichnet. Der Kläger bewarb sich auch auf diese Ausschreibung. Zudem forderte er die Beklagte erfolglos auf, das Stellenbesetzungsverfahren 01/2014 fortzusetzen. Auf Antrag des Klägers verpflichtete das ArbG Zwickau die Beklagte, das abgebrochene Stellenbesetzungsverfahren 01/2014 hinsichtlich der Stelle „Sachgebietsleiter/in Bauverwaltung (m/w)“ fortzuführen und über die Bewerbung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten wies das LArbG Chemnitz zurück.
Am 30.11.2015 stimmte der Gemeinderat der Beklagten erneut über die Besetzung der Stelle „Sachgebietsleiter/in Bauverwaltung“ ab. Der Kläger war der einzige noch zur Wahl stehende Kandidat. Die zwölf anwesenden Gemeinderäte stimmten alle mit „Nein“. In der Folge schrieb die Beklagte die streitgegenständliche Stelle erneut aus, ohne dass sich der Kläger hierauf bewarb. Nach einer Entscheidung des Gemeinderates wurde ab 01.07.2016 mit einem Bewerber ein entsprechender Arbeitsvertrag geschlossen. Dieser nahm die Tätigkeit dann auf. Die folgende Klage auf Schadensersatz wies das Arbeitsgericht ab. Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner Berufung vor dem LArbG Chemnitz.
Das LArbG Chemnitz hat die Berufung gleichwohl zurückgewiesen.
Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts kommt ein Schadensersatzanspruch bis zur Besetzung der Stelle nicht in Betracht, weil dieser erst ab Besetzung der Stelle gewährt werden könne. Erst ab diesem Zeitpunkt sei die Beklagte daran gehindert, die Stelle noch mit dem Kläger zu besetzen und der Bewerbungsverfahrensanspruch des Klägers wäre erloschen. Dass die Ausschreibung ein Einstellungsdatum enthielt, war für das Landesarbeitsgericht unerheblich. Als sog. „invitatio ad offerendum“ sei die Stellenausschreibung kein die Beklagte verpflichtendes Vertragsangebot. Eine manipulative Verfahrensverzögerung schloss das Landesarbeitsgericht ebenfalls aus.
Ferner fehle es an Anhaltspunkten dafür, dass die Stelle mit dem Kläger besetzt worden wäre. Der Bewerbungsverfahrensanspruch verlange nicht, dass, abweichend von sonst geltenden haftungsrechtlichen Grundsätzen, ein Schadensersatzanspruch unabhängig von adäquater Kausalität zwischen Rechtsverletzung und Schaden eingeräumt werde. Erforderlich sei eine Reduktion des dem Arbeitgeber zustehenden Auswahlermessens auf Null. Eine solche Reduktion sei nur anzunehmen, wenn der zurückgewiesene Bewerber nach den in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Kriterien der bestqualifizierte Bewerber sei. Allein die Tatsache, dass auf zwei andere Bewerber bei der Abstimmung am 24.11.2014 keine Stimmen entfallen seien, sage nichts über ihre objektive Eignung für die ausgeschriebene Stelle aus.
Auch für die Zeit nach Besetzung der Stelle sprach das Landesarbeitsgericht keinen Schadensersatz zu. Der Kläger habe sich gegen diese Besetzung nicht gewehrt. § 839 Abs. 3 BGB statuiere grundsätzlich den Vorrang des primären Rechtsschutzes. Dieser Rechtsgedanke gelte auch in Konkurrentenstreitigkeiten betreffend eine im öffentlichen Dienst ausgeschriebene Stelle. Der Kläger hatte sich im Prozess auf den Standpunkt gestellt, das erste Stellenbesetzungsverfahren sei durch den Beschluss des Gemeinderats abgeschlossen gewesen. Dies überzeugte das Landesarbeitsgericht nicht, da der Beschluss nicht zur Besetzung der ausgeschriebenen Stelle führte. Diese blieb vielmehr einstweilen unbesetzt.
Auch die Tatsache, dass sich die Beklagte bis zum 30.11.2015 nicht als rechtstreu gezeigt hatte, und der Kläger deshalb die Befürchtung hegte, selbst im Falle des Erhalts der Stelle diese nicht lange innezuhaben, begründe keine Unzumutbarkeit, den Rechtsweg zu beschreiten. Das Risiko einer Kündigung innerhalb der Probezeit sei grundsätzlich jeder Neueinstellung im öffentlichen Dienst immanent. Sollten für eine Kündigung in der Probezeit keine sachlichen Gründe vorliegen, bestehe auch insoweit die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten.
C. Kontext der Entscheidung
Auch wenn es die vorliegende Entscheidung nicht nahelegen mag, sind in den letzten Jahren Tendenzen wahrzunehmen, die den Rechtsschutz im Zusammenhang der Besetzung öffentlicher Stellungen leicht zugunsten der Bewerber verändert haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.10.2013 – 2 C 23/12 – NVwZ 2014, 676, 679).
I. Das Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG gewährt jedem Deutschen die Befugnis auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Öffentliche Ämter i.S.d. Art. 33 GG sind sowohl Beamtenstellen als auch solche Stellen, die von Arbeitnehmern besetzt werden können (BAG, Urt. v. 15.03.2005 – 9 AZR 142/04 – NZA 2005, 1185; BVerwG, Beschl. v. 11.02.1981 – 6 P 44/79 – BVerwGE 61, 325, 330). Die Norm dient zum einen dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stellen des öffentlichen Dienstes, dessen fachliches Niveau und rechtliche Integrität gewährleistet werden sollen (BVerwG, Urt. v. 25.11.2004 – 2 C 17/03 – NVwZ 2005, 702, 702); zum anderen trägt sie dem berechtigten Interesse des Bewerbers an seinem beruflichen Fortkommen Rechnung (BAG, Urt. v. 23.01.2007 – 9 AZR 492/06 – NZA 2007, 1450, 1453). Art. 33 Abs. 2 GG begründet daher ein grundrechtsgleiches Recht auf rechtsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl und auf deren Durchführung anhand der in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Auswahlkriterien (BVerfG, Beschl. v. 24.09.2002 – 2 BvR 857/02 – NVwZ 2003, 200): den sog. Bewerbungsverfahrensanspruch.
Zugleich statuiert Art. 33 Abs. 2 GG eine sog. „Positivliste“ der zulässigen Auswahlkriterien (BVerwG, Urt. v. 24.11.1988 – 2 C 10/86 – NJW 1989, 921, 922). Der in der Norm enthaltene Leistungsgrundsatz verbietet grundsätzlich, andere Auswahlkriterien als die dort genannten heranzuziehen, so z.B. die Nichtbereitschaft zur Teilzeitbeschäftigung (BVerwG, Urt. v. 02.03.2000 – 2 C 1/99 – BVerwGE 110, 363, 368).
II. Wird der Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt, steht dem Bewerber grundsätzlich ein auf Geld beschränkter (BAG, Urt. v. 28.05.2002 – 9 AZR 751/00 – NZA 2003, 324, 326) Schadensersatzanspruch zu. Die für die Praxis wichtigsten Anspruchsgrundlagen sind § 280 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art 33 Abs. 2 GG (vgl. BAG, Urt. v. 19.02.2008 – 9 AZR 70/07 – NZA 2008, 1016, 1018). Einen Anspruch, die Besetzung rückgängig zu machen, lehnt die herrschende Meinung im Hinblick auf das Prinzip der Ämterstabilität und die Möglichkeit, im Vorfeld einstweiligen Rechtsschutz beantragen zu können, ab (BVerwG, Beschl. v. 21.12.2016 – 2 VR 1/16 – NVwZ 2017, 475, 476). Der Grundsatz der Ämterstabilität steht der Aufhebung der Ernennung auf Klage eines unterlegenen Bewerbers nur nicht entgegen, wenn dieser daran gehindert worden ist, die Rechtsschutzmöglichkeiten zur Durchsetzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs vor der Ernennung auszuschöpfen (BVerwG, Urt. v. 04.11.2010 – 2 C 16/09 – NVwZ 2011, 358, 360).
III. In der Praxis konzentrieren sich die Fälle auf den Zeitraum zwischen der für den Antragsteller negativen Auswahlentscheidung und der Ernennung des Gegenkandidaten (BVerwG, Urt. v. 04.11.2010 – 2 C 16/09 – NVwZ 2011, 358, 361). Ein unterlegener Bewerber ist zur Durchsetzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs darauf verwiesen, eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO zu beantragen, durch die dem Dienstherrn die Ernennung des ausgewählten Bewerbers untersagt wird. Bereits aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG folgt eine Mitteilungs- und Wartepflicht des Dienstherrn, wodurch dem erfolglosen Bewerber ein Anspruch auf Mitteilung der für ihn negativen Auswahlentscheidung erwächst, sog. Konkurrentenmitteilung, sowie eine Pflicht des Dienstherren, die Stellenbesetzung erst nach Ende der Frist für den Antrag auf einstweilige Anordnung vorzunehmen (BVerwG, Urt. v. 04.11.2010 – 2 C 16/09 – NVwZ 2011, 358, 361).
Ein Hauptsacheverfahren findet dann wegen der Rechtsbeständigkeit der Ernennung nicht mehr statt. Das BVerwG hat diese Praxis sehr kritisch beurteilt und gefordert, dass Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz dürfe nach Prüfungsmaßstab, -umfang und -tiefe nicht hinter einem Hauptsacheverfahren zurückbleiben (BVerwG, Urt. v. 04.11.2010 – 2 C 16/09 – NVwZ 2011, 358, 361). Insbesondere dürfen die Verwaltungsgerichte die Anforderungen an einen Erfolg des unterlegenen Bewerbers nicht überspannen. Stellen sie eine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs fest, muss die Ernennung des ausgewählten Bewerbers bereits dann durch einstweilige Anordnung untersagt werden, wenn die Auswahl des Antragstellers bei rechtsfehlerfreier Auswahl jedenfalls möglich erscheint (BVerwG, Urt. v. 04.11.2010 – 2 C 16/09 – NVwZ 2011, 358, 361; zur Bedeutung von Art. 19 Abs. 4 GG: BVerfG, Beschl. v. 19.09.1989 – 2 BvR 1576/88 – NJW 1990, 501).
Hatte ein unterlegener Bewerber Gelegenheit, die Rechtsschutzmöglichkeiten zur gerichtlichen Nachprüfung der Auswahlentscheidung vor der Ernennung auszuschöpfen, so sind die Ansprüche aus Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 19 Abs. 4 GG erfüllt. Die Wirksamkeit des Rechtsschutzes vor der Ernennung hängt aber davon ab, dass der Dienstherr die gerichtliche Nachprüfung seiner Auswahlentscheidung ermöglicht.
IV. Unterlässt der Bewerber die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes, steht ihm kein Anspruch wegen des Rechtsgedankens des § 839 Abs. 3 BGB zu (BVerwG, Urt. v. 29.11.2012 – 2 C 6/11). Insofern ist Raum für einen Schadensersatzanspruch überhaupt nur in den Konstellationen, in denen den Bewerber im Hinblick auf das Unterlassen des Primärrechtsschutz kein Vorwurf zu machen ist (zu einem solchen Fall: VGH München, Beschl. v. 16.02.2017 – 6 ZB 16.1586 Rn. 18).
Auch einstweiliger Rechtsschutz fällt unter § 839 Abs. 3 BGB. Der Begriff des Rechtsmittels ist im untechnischen Sinne zu verstehen. Er erfasst alle Rechtsbehelfe, die sich unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung oder Unterlassung selbst richten und nach gesetzlicher Ordnung ihre Beseitigung oder Berichtigung bezwecken und ermöglichen (vgl. bereits: BGH, Urt. v. 09.07.1958 – V ZR 5/57 – NJW 1958, 1532).
V. Hinter der restriktiven Rechtsprechung stehen die Personalhoheiten des öffentlichen Arbeitgebers, die ebenso wie Art. 33 GG Verfassungsrang haben. Daher muss der Bewerbungsverfahrensanspruch gegenüber der Organisationsfreiheit des öffentlichen Arbeitgebers abgegrenzt werden (BAG, Urt. v. 15.03.2005 – 9 AZR 142/04 – NZA 2005, 1185, 1187). Es obliegt allein dem Haushaltsgesetzgeber, darüber zu befinden, wie viele Planstellen im öffentlichen Dienst geschaffen werden. Die Verwaltung als vollziehende Gewalt hat dann zu entscheiden, ob und mit wem die Stellen besetzt werden sollen.
Hat der Dienstherr das Stellenbesetzungsverfahren aus sachlichen Gründen und damit rechtmäßig abgebrochen, bevor das Amt durch Ernennung eines Dritten besetzt wurde, ist bereits deshalb ein Schadensersatzanspruch ausgeschlossen (BVerwG, Urt. v. 31.03.2011 – 2 A 2/09 – NVwZ 2011, 1528, 1528 f.). So kann der Dienstherr etwa das Verfahren abbrechen, weil er die Stelle, die dem erfolgreichen Bewerber übertragen werden sollte, aus sachlichen Gründen nicht mehr besetzen will; ebenso stellt es einen sachlichen, dem Organisationsermessen zugehörigen Grund für einen Abbruch dar, wenn der Dienstherr sich entschlossen hat, die Stelle neu zuzuschneiden (BVerwG, Urt. v. 29.11.2012 – 2 C 6/11 – LKV 2013, 222, 224).
Unsachlich hingegen sind etwa solche Gründe für einen Abbruch, die das Ziel verfolgen, einen unerwünschten Kandidaten aus leistungsfremden Erwägungen von der weiteren Auswahl für die Stelle auszuschließen oder einen bestimmten Bewerber bei der späteren Auswahlentscheidung zu bevorzugen (BVerfG, Beschl. v. 28.11.2011 – 2 BvR 1181/11 – NVwZ 2012, 366, 267).
Der für den Abbruch maßgebliche Grund muss, sofern er sich nicht evident aus dem Vorgang selbst ergibt, schriftlich dokumentiert werden (BVerwG, Urt. v. 26.01.2012 – 2 A 7/09 – NVwZ 2012, 1477, 1479). Denn die Bewerber werden grundsätzlich nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Erwägungen in die Lage versetzt, etwa anhand von Akteneinsicht, sachgerecht darüber befinden zu können, ob die Entscheidung des Dienstherrn ihren Bewerbungsverfahrensanspruch berührt und ob Rechtsschutz in Anspruch genommen werden sollte (BVerfG, Beschl. v. 28.11.2011 – 2 BvR 1181/11 – NVwZ 2012, 366, 368).
Der Abbruch eines Auswahlverfahrens ist ferner nur dann rechtmäßig, wenn neben dem Vorliegen eines sachlichen Grundes sichergestellt ist, dass die von dem Verfahren Betroffenen von dem Abbruch rechtzeitig und in geeigneter Form Kenntnis erlangen. Dies kann auch durch eine öffentliche Verlautbarung, etwa die erneute Ausschreibung der zu besetzenden Stelle, geschehen (BVerwG, Urt. v. 26.01.2012 – 2 A 7/09 – NVwZ 2012, 1477, 1479).
VI. Eine Einschränkung erhalten diese aus Art. 33 Abs. 2 GG abgeleiteten Prinzipien durch das Demokratieprinzip: Fragen treten hier insbesondere bei der Wahl von Kommunalbeamten auf, deren berufliche Tätigkeit durch eine enge Verzahnung mit dem politischen Raum charakterisiert ist. Auf die Wahl von Kommunalbeamten findet Art. 33 Abs. 2 GG daher keine Anwendung (OLG Rostock, Urt. v. 08.06.2000 – 1 U 179/98 Rn. 62 m.w.N.), weil eine Wahl nach Ermessen keine Wahl ist und folglich mit dem Wesen der Wahl kollidiert (OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.06.1992 – 5 M 2798/92 Rn. 62).
Das führt allerdings nicht dazu, dass jede Abstimmung einer kommunalen Gebietskörperschaft bezüglich einer Bewerberauswahlentscheidung als Wahl anzuerkennen ist. Unter welchen Voraussetzungen öffentliche Kommunalämter als Wahlämter ausgestaltet sind, ergibt sich nicht allein daraus, dass die Auswahlentscheidung im Benehmen oder im Einvernehmen mit einem Gemeinderat getroffen wird. Kriterium ist hier vielmehr die politische Verzahnung des Amtes, die es erforderlich macht, dass das Amt durch Zustimmung der kommunalen Bürgervertretung getragen wird, weil andernfalls Funktionalität und Legitimität des Amtes gefährdet wären und mithin eine stabile Amtsausführung nicht gewährleistet werden könnte (OVG Bremen, Urt. v. 09.01.2014 – 2 B 198/13 Rn. 29 ff.).
VII. Der für einen beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruch erforderliche adäquat kausale Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung und dem Schaden setzt voraus, dass der Beamte ohne den schuldhaften Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG voraussichtlich eingestellt worden wäre.
Grundsätzlich setzt dieser Nachweis voraus, dass eine Ermessensreduktion auf Null im Hinblick auf den klagenden Bewerber bestand (BAG, Urt. v. 12.10.2010 – 9 AZR 554/09 – NZA-RR 2011, 216, 220 unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 17.08.2005 – 2 C 37/04 – NVwZ 2006, 212, wo aber nachfolgende Formel verwendet wird).
Das BVerwG verlangt derweil nur, dass die Berücksichtigung des Bewerbers nach Lage der Dinge jedenfalls ernsthaft möglich gewesen sein muss (BVerwG, Urt. v. 30.10.2013 – 2 C 23/12 – NVwZ 2014, 676). Das abgeschwächte Kriterium der „Möglichkeit“ hinsichtlich einer Ermessensreduktion folgt direkt aus Art. 33 Abs. 2 GG, der der Behörde nur hinsichtlich der Entscheidung „Eignung, Befähigung und fachliche Leistung“ einen weiten Beurteilungsspielraum einräumt, nicht aber hinsichtlich des Auswahlermessens; denn sollen die genannten Kriterien bei der Auswahl des Bewerbers berücksichtigt werden, bedeutet das auch eine Verpflichtung der Behörde, genau nach diesen Kriterien entscheiden zu müssen, korrespondierend mit dem Verbot, sachfremde Erwägungen heranzuziehen. Ausgeglichen wird das so fehlende Auswahlermessen durch einen gerichtlich nicht voll überprüfbaren Beurteilungsspielraum (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 27.02.1959 – VI C 235.57 – BVerwGE 8, 192) sowie ein Ermessen hinsichtlich der Gewichtung der genannten Kriterien, sog. Organisationsermessen (BVerwG, Urt. v. 17.09.2015 – 2 C 27/14 Rn. 32 – BVerwGE 153, 48; BVerfG, Beschl. v. 05.09.2007 – 2 BvR 1855/07 Rn. 4).
In Betracht kommt eine Umkehr der Kausalitätsbeweislast, wenn eine tragfähige Entscheidungsgrundlage für die negative Auswahlentscheidung nicht gegeben wird. Denn unter diesen Umständen ist die fehlende Möglichkeit, die Kausalität nachzuweisen, auf die Verwaltungspraxis bzw. das Verhalten des Dienstherrn zurückzuführen und kann dem Bewerber nicht angelastet werden. Fehlende Beiträge bei der Ermittlung des Kausalverlaufes führen daher zu einer Beweislastumkehr (BVerwG, Urt. v. 26.01.2012 – 2 A 7/09 – NVwZ 2012, 1477, 1480). Dies gilt in gleichem Maße, wenn Unterlagen zwar vorgelegt werden, ihnen aber nicht zu entnehmen ist, dass der Dienstherr eine rechtmäßige Handlungsalternative verfolgt hat. In einem solchen Fall kann das Gericht Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten des Klägers erwägen oder der Situation bei seiner Prognose eines möglichen Erfolgs des Klägers bei rechtmäßigem Verhalten des Dienstherrn Rechnung tragen.
VIII. Kommt es bei nahezu identischem Anforderungsprofil an eine zu besetzende Stelle, indem diese neu ausgeschrieben oder das ursprüngliche Verfahren wiederholt wird, zu einer Verschlechterung der Bewerbereinschätzung im Vergleich zur ersten Stellenbeurteilung, müssen nachvollziehbar die Gründe für diese Entscheidung angegeben werden, die die Bewerberneueinschätzung rechtfertigen (VG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2011 – 4 K 2146/11 Rn. 14). Fehlen sachadäquate Gründe, kann das zu einer Umkehr der Kausalitätsbeweislast führen mit der Folge eines Schadensersatzanspruches wegen Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs.
IX. Von der Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs sind andere Pflichtverletzungen zu unterscheiden, die ebenfalls in Bewerbungsverfahren relevant werden können. Im privat-rechtlichen Bereich wird dies anhand von § 311 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 i.V.m. § 280 BGB besonders deutlich. Gemäß § 24 AGG sind die Ansprüche in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG im Falle einer Diskriminierung ebenfalls denkbar (zur Anwendung von § 839 Abs. 3 BGB kritisch: Thüsing in: MünchKomm BGB, § 24 AGG Rn. 9).
D. Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil bestätigt den Vorrang und die Bedeutung des Primärrechtsschutzes bei Fehlern im Rahmen der Besetzung öffentlicher Stellen. Die Grundsätze des Art. 33 Abs. 2 GG gelten allerdings nicht nur für die Einstellung in ein Dienst- und Arbeitsverhältnis, sondern auch für Beförderungen, Entlassungen und Zusicherungen des Arbeitgebers.
Darüber hinaus erwachsen aus dem Bewerbungsverfahrensanspruch weitergehende Rücksichtnahmepflichten der einstellenden Stelle: Wird ein Bewerber in demselben, neu ausgeschriebenen Verfahren oder einem Zweitverfahren schlechter bewertet im Vergleich zur Erstbeurteilung, stellt sich die Frage, welche Kriterien zu dieser Neubewertung führten. Werden solche nicht angegeben und wird die objektive Eignung des Bewerbers mithin im Zweitverfahren negiert oder abgeschwächt, ist der Verfahrensanspruch dadurch verletzt, weil nicht ersichtlich ist, dass die Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG der Entscheidung zugrunde gelegt wurden (Positivliste) und damit die Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektive Verfahrensgestaltung der Ausschreibung nicht eingehalten wurden.
Die Verwaltungsgerichte sind schon wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 86 Abs. 1 HS. 1 VwGO besonders aufgerufen, hier gründlich zu prüfen. In den Urteilsverfahren vor den Arbeitsgerichten ist jeder Rechtsanwalt angehalten, dem Beibringungsgrundsatz entsprechend und zur Abwehr von Schadensersatzansprüchen der Mandanten dem Gericht die Tatsachen vorzutragen, die den Bewerbungsverfahrensanspruch zu verletzen geeignet sind.